Die Haftpflichtversicherung darf die Schadensregulierung nicht von der Verwendung allein ihrer Formulare über die Schweigepflichts- und Datenschutzentbindung abhängig machen - AG Ellwangen, Beschluss vom 03.02.2016 - 2 C 374/15

Soll die Berufshaftpflichtversicherung eines Arztes den Behandlungsfehlervorwurf überprüfen und den Schaden ggf. regulieren, genügt jedenfalls die Vorlage einer einfachen Schweigepflichtsentbindungserklärung der Patientin. Es ist keine umfassende Schweigepflichts- und Datenschutzentbindungserklärung für alle von der Versicherung beauftragten Dienstleister notwendig. Hätte die Geschädigte den Anspruch selbst geltend gemacht, hätte es einer Entbindung der Ärzte des Beklagten von deren Schweigepflicht gar nicht bedurft, weil ein Arzt, der von einem Patienten auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird, der vorträgt, der Arzt habe schuldhaft einen Behandlungsfehler begangen, die Möglichkeit haben muss, sich gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. In diesem Fall darf der Arzt zum Zwecke der Rechtsverteidigung seine Unterlagen auch an seinen Haftpflichtversicherer oder seinen Rechtsanwalt aushändigen und die zur Rechtsverteidigung notwendigen Informationen geben. Dasselbe muss gelten, wenn der Behandlungsvertrag nicht zwischen dem Patienten und dem Arzt direkt zustande kommt, sondern zwischen dem Patienten und der Körperschaft oder sonstigen juristischen Person, die den Arzt beschäftigt.

Der gesetzliche Forderungsübergang gemäß § 116 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger kann nicht dazu führen, dass die Geschädigte den Behandler in weiterem Umfang von der Schweigepflicht entbinden muss, als sie dies bei der eigenen Geltendmachung der Ansprüche hätte tun müssen, bzw. als die Schweigepflicht wegen des Rechts des Arztes auf Verteidigung gegen die erhobene Forderung gar nicht bestanden hätte. Eine Einwilligung in die Datenspeicherung ist nicht erforderlich, denn der Schuldner selbst könnte gerade zur Sachverhaltsaufklärung auf seine eigenen Unterlagen zurückgreifen.

Die Rechtslage ist jedoch noch nicht höchstrichterlich geklärt, so daß die Kosten des Rechtsstreits aus Billigkeit gemäß §§ 93, 91a ZPO gegeneinander aufgehoben werden.

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

http://www.juris.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE160004109&psml=jurisw.psml&max=tru

 

 

Tenor

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

 

Gründe

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91a Abs. 1 ZPO.

Die Parteien haben den Rechtsstreit, soweit über ihn nicht im Teil-​Anerkenntnisurteil vom 17.12.2015 entschieden wurde, im Vergleich vom 17.12.2015 übereinstimmend in der Hautsache für erledigt erklärt.

Das Gericht hat deshalb unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen darüber zu entscheiden, wie die Kosten des Rechtsstreits zu verteilen sind. Ausschlaggebend ist hierbei insbesondere der ohne die Erledigterklärung zu erwartende Verfahrensausgang, wobei lediglich eine summarische Prüfung der jeweiligen Erfolgsaussichten erfolgen kann.

Die Kosten sind danach gegeneinander aufzuheben, da der Ausgang des Rechtsstreits ohne Durchführung einer Beweisaufnahme offen ist:

 

1.

Dies gilt in Bezug auf den Teil der Klageforderung, der im Vergleich geregelt wurde, weil sich die Parteien darin darauf einigten, dass die Beklagte die Hälfte des insoweit noch offenen Anspruchs zu bezahlen hat. Die Parteien haben hier also gleichermaßen obsiegt.

 

2.

Bezüglich der durch das Teil-​Anerkenntnisurteil erledigten Forderung ist die Beklagte zwar unterlegen. Hier steht aber die Anwendung des § 93 ZPO im Raum, weil der Beklagte diesen Teil der Klageforderung nach Vorlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung der geschädigten Versicherungsnehmerin der Klägerin (Bl. 39) in diesem Rechtsstreit anerkannte. Lag vorprozessual noch keine ausreichende Erklärung der Geschädigten vor, die es dem Beklagten gestattet hätte, seinem Haftpflichtversicherer zur Abwehr der auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche die erforderlichen Informationen über die Behandlung der Geschädigten zuzuleiten, hätte der Beklagte bis zur Vorlage einer entsprechenden Erklärung keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Dass er sich dann, nach Vorlage der bereits vorprozessual vorliegenden Erklärung an das Gericht, entschied, die Klageforderung anzuerkennen, obwohl noch keine seinen Vorstellungen entsprechende Erklärung vorlag, steht dem nicht entgegen, weil sich das Gericht veranlasst sah, aufgrund dieser Erklärung die Krankenunterlagen anzufordern und im Verfahren zu verwerten (Bl. 61). Vor dem Anerkenntnis hatte der Beklagte, bzw. seine Haftpflichtversicherung, also Einsicht in die Behandlungsunterlagen. Ein weiterer Streit über die Schweigepflichtentbindungserklärung war insoweit müßig.

Während nun die Klägerin die Auffassung vertritt, dass die dem Beklagten bereits vorgerichtlich, am 30.10.2013, überlassene, mit der oben genannten identische, Schweigepflichtentbindungserklärung vom 13.10.2010 (Bl. 108) ausreichend gewesen sei, um es dem Beklagten zu ermöglichen, die erforderlichen Tatsachen zur Prüfung des von der geschädigten Versicherten auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzanspruchs gegen sie zu ermitteln, steht der Beklagte auf dem Standpunkt, dass ihm dies auf Grund der Erklärung nicht möglich gewesen, sondern eine solche in der Form des Formulars der Haftpflichtversicherung des Beklagten (Bl. 76 ff.) erforderlich gewesen sei, die die Klägerin wiederum für in ihrem Umfang zu weitgehend hält.

Das Gericht tendiert, wie bereits in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2015 dargelegt, dazu, die schon mit außergerichtlichem Schreiben der Klägerin vom 30.10.2013 vorgelegte Schweigepflichtsentbindungserklärung als ausreichend anzusehen. Dafür spricht, dass Schuldner des Anspruchs zunächst der Beklagte ist und es letztendlich nicht zu Lasten der, am Rechtsstreit nicht einmal beteiligten, Geschädigten gehen kann, wenn sich der Schuldner zur Forderungsregulierung seiner Haftpflichtversicherung bedient. Dem Beklagten selbst standen aber alle nötigen Informationen zur Prüfung des Anspruchs zur Verfügung.

Hätte die Geschädigte den Anspruch selbst geltend gemacht, hätte es einer Entbindung der Ärzte des Beklagten von deren Schweigepflicht gar nicht bedurft, weil ein Arzt, der von einem Patienten auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird, der vorträgt, der Arzt habe schuldhaft einen Behandlungsfehler begangen, die Möglichkeit haben muss, sich gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. In diesem Fall darf der Arzt zum Zwecke der Rechtsverteidigung seine Unterlagen auch an seinen Haftpflichtversicherer oder seinen Rechtsanwalt aushändigen und die zur Rechtsverteidigung notwendigen Informationen geben (Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 28. Kapitel Rn. 127; a.A. Schmid: Verfahrensregeln für Arzthaftungsprozesse, NJW 1994, 767, der nur von einer Verpflichtung des Geschädigten zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung ausgeht). Dasselbe muss natürlich gelten, wenn der Behandlungsvertrag nicht zwischen dem Patienten und dem Arzt direkt zustandekommt, sondern zwischen dem Patienten und der Körperschaft oder sonstigen juristischen Person, die den Arzt beschäftigt.

Der gesetzliche Forderungsübergang auf die Klägerin kann nun nicht dazu führen, dass die Geschädigte den Behandler in weiterem Umfang von der Schweigepflicht entbinden muss, als sie dies bei der eigenen Geltendmachung der Ansprüche hätte tun müssen, bzw. als die Schweigepflicht wegen des Rechts des Arztes auf Verteidigung gegen die erhobene Forderung gar nicht bestanden hätte. So sieht das Gericht etwa die Einwilligung in die Datenspeicherung vor diesem Hintergrund nicht als erforderlich an. Der Schuldner selbst könnte gerade im vorliegenden Fall zur Sachverhaltsaufklärung auf seine eigenen Unterlagen zurückgreifen, die dafür ausreichend sein dürften. Auch was die Weitergabe der Daten an Dritte angeht, dürfte eine Einverständniserklärung nicht von vornherein für eine unbestimmte Vielzahl von Dritten erforderlich sein. Vielmehr könnte bei Erforderlichkeit der Einholung etwa eines Gutachtens noch gesondert eine Erklärung nachgefordert werden. Insofern erscheint das von dem Beklagten vorgelegte Erklärungsformular gerade im vorliegenden Fall als zu umfassend.

Auf der anderen Seite ist aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Arzthaftungsansprüche regelmäßig von entsprechenden Haftpflichtversicherungen reguliert werden, die nach ihrem Geschäftsablauf auf eine vorübergehende Datenspeicherung angewiesen sind und auch mit externen Experten Zusammenarbeiten müssen. Ob eine solche Verwendung der persönlichen Daten der Geschädigten von der Erklärung vom 13.10.2010 gedeckt ist, ist fraglich.

Soweit ersichtlich, ist die Frage, welche Anforderungen an eine Schweigepflichtentbindungserklärung eines geschädigten Patienten zu stellen sind, dessen Krankenkasse Schadensersatzansprüche wegen eines Behandlungsfehlers aus übergegangenem Recht gegen den Behandler geltend macht, obergerichtlich noch nicht geklärt.

Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO, bei der auch der Rechtsgedanke des § 93 ZPO berücksichtigt werden darf, sind schwierige Rechtsfragen nur summarisch zu prüfen, weil dieses Verfahren nicht der Klärung schwieriger Rechtsfragen grundsätzlicher Art dient (Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 91a Rn. 27). Dieser Grundsatz gilt im Übrigen auch bei der unmittelbaren Anwendung des § 93 ZPO (Landessozialgericht Niedersachsen-​Bremen, Beschluss vom 08. November 2005 - L 13 B 9/05 Sb; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 05. November 1998 - 2Z BR 73/98).

Deshalb sieht das Gericht die Kostenaufhebung hier, auch unter Berücksichtigung des § 98 S. 2 ZPO, als billige Aufteilung der Kosten des Rechtsstreits an.


Arzthaftung: Verjährungsbeginn bei Überlassung unvollständiger Patientenakte - Prelinger, jurisPR-Medizinrecht 12/2017, Anm. 2 (Anmerkung zu OLG Koblenz, Urteil vom 23.09.2015 - 5 U 403/15)

Arzthaftung: Verjährungsbeginn bei Überlassung unvollständiger Patientenakte

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

03.03.2016


Anmerkung zu

OLG Koblenz 5. Zivilsenat, Urteil vom 23.09.2015 – 5 U 403/15


Quelle


Normen

§ 286 ZPO, § 167 ZPO, § 203 BGB, § 199 BGB, § 256 ZPO, § 630g BGB, § 275 SGB 5, § 401 BGB, § 412 BGB, § 116 SGB 10, § 932 BGB


Fundstelle

jurisPR-MedizinR 2/2016 Anm. 5


Herausgeber

Möller und Partner – Kanzlei für Medizinrecht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-MedizinR 2/2016 Anm. 5


Betriebshaftpflichtversicherung eines Reiseveranstalters: Auslegung einer Klausel über Versicherungsschutz für den Betrieb von Kraftfahrzeugen - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 4/2016, Anm. 3 (Anmerkung zu OLG Hamburg, Urteil vom 17.09.2015 - 9 U 16/15)

Betriebshaftpflichtversicherung eines Reiseveranstalters:
Auslegung einer Klausel über Versicherungsschutz für den Betrieb von Kraftfahrzeugen

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

24.02.2016


Anmerkung zu

OLG Hamburg 9. Zivilsenat, Urteil vom 17.09.2015 – 9 U 16/15


Quelle


Normen

§ 651f BGB, § 116 SGB 10, § 828 ZPO, § 841 ZPO, § 78 VVG


Fundstelle

jurisPR-VerkR 4/2016 Anm. 3


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht
Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 4/2016 Anm. 3


OLG Hamburg, Urteil vom 17.09.2015 – 9 U 16/15

Als "Leistungsträger” im Sinne der § 4 Ziffer 3 der "Besonderen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung der Reiseveranstalter gegen Personen- und Sachschäden” sind aus der Sicht eines durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers sämtliche Unternehmer zu verstehen, die mit ihren Leistungen zur Gestaltung bzw. dem Ablauf der vom Versicherungsnehmer veranstalteten Reise beitragen.

Gehört es zum Konzept der vom Reiseveranstalter veranstalteten Motorradreisen, dass bei allen Reisen ein Begleitfahrzeug zur Verfügung steht, sind die Vermieter eines solchen Begleitfahrzeuges als Leistungsträger im Sinne der Klausel anzusehen.

Die Klausel kann nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, dass Versicherungsschutz für den Betrieb von Kraftfahrzeugen lediglich bei Transporten zum Zwecke der An- und Abreise wieder eingeschlossen werden soll.

Eine Doppelversicherung zwischen Betriebshaftpflichtversicherung und ausländischer KfZ-Haftpflichtversicherung soll gerade nicht vermieden werden.

(veröffentlicht in: juris, Versicherungsrecht 2016, 587-588)

juris-Link:

http://www.juris.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE150015284&psml=jurisw.psml&max=true

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18.12.2014, Az. 314 O 75/14, wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
  3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin bzw. des Nebenintervenienten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. der Nebenintervenient vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten gepfändete und ihr überwiesene Ansprüche des Nebenintervenienten aus dessen bei der Beklagten abgeschlossener Betriebshaftpflichtversicherung geltend.

Der Nebenintervenient war vom Landgericht Leipzig mit Urteil vom 30.10.2013, Az. 8 O 3450/12, wegen eines von ihm am 17.11.2011 in Sudafrika verursachten Motorradunfalls, bei dem der bei der Klägerin krankenversicherte Zeuge ... verletzt worden war, zur Leistung von Schadensersatz wegen der im Hinblick auf die Verletzungen des Zeugen ... von der Klägerin erbrachten Leistungen verurteilt worden.

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob für den eingetretenen Schaden aus der streitgegenständlichen Betriebshaftpflichtversicherung des Nebenintervenienten Versicherungsschutz besteht.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, dass einer Leistungspflicht der Beklagten § 4 Ziffer 3 der Versicherungsbedingungen nicht entgegenstehe. Vielmehr sei die Auslegung der Klausel dahingehend vorzunehmen, dass der Schadensfall von der Versicherung umfasst sei. Auch der Versicherungsnehmer selbst sei "Leistungsträger”. Soweit die Beklagte geltend mache, der Wiedereinschluss beziehe sich lediglich auf Transporte zum Zwecke der An- und Abreise, lasse der Wortlaut eine solche Einschränkung nicht erkennen. Eine am Zweck der Klausel orientierte Auslegung lasse als Beförderung der Teilnehmer auch deren Begleitung durch ein Trossfahrzeug und den Transport des Gepäcks verstehen. Die Klausel sei schließlich auch nicht im Sinne einer Vermeidung der Überschneidung zwischen Betriebshaftpflichtversicherung und KFZ-​Haftpflichtversicherung einschränkend auszulegen. Auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird ergänzend verwiesen.

Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 5.1.2015 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 4.2.2015 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4.7.2015 an diesem Tage begründet.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die ihrer Ansicht nach vom Landgericht rechtsfehlerhaft vorgenommene zu weite Auslegung des in § 4 Ziffer 3 der Bedingungen vereinbarten Wiedereinschlusses.

Ein Wiedereinschluss des Versicherungsschutzes sei erkennbar ausschließlich für Fahrzeuge bestimmter Dritter, nämlich für Fahrzeuge der für den Versicherungsnehmer direkt oder indirekt tätigen Unternehmer vereinbart. Bei dem Fahrzeug, welches vom Versicherungsnehmer der Beklagten selbst gemietet und selbst geführt worden sei, handele es sich nicht um ein solches. In Fällen, in denen der Reiseveranstalter eigene Fahrzeuge verwende und selbst ein Fahrzeug führe, bestehe die Möglichkeit, über die Fahrzeugversicherung des vom Reiseveranstalter selbst verwendeten Fahrzeuges Versicherungsschutz für mögliche Haftpflichtfälle zu beschaffen. Es bestehe somit keine Lücke im Versicherungsschutz, wenn der Reiseveranstalter als Versicherungsnehmer ein eigenes Fahrzeug verwende oder führe. Der Reiseveranstalter habe es jedenfalls selbst in der Hand, sich für diese Fälle, welche wirksam in der Betriebshaftpflichtversicherung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen worden seien, um angemessenen Versicherungsschutz zu kümmern. Die Klausel schließe genau den Versicherungsschutz aus, der aufgrund der bestehenden Kfz-​Haftpflichtversicherung für das vom Versicherungsnehmer / Streithelfer geführte Fahrzeug zum Schadenszeitpunkt bestanden habe. Die vom Streithelfer bei der Beklagten genommene Versicherung greife also exakt dort ein, wo der Versicherungsschutz aus der Haftpflichtversicherung für das Unfallfahrzeug aufhöre. Folge man den Rechtsausführungen des Ausgangsgerichts, dass ein Fahrzeug des Versicherungsnehmers "Erst-​Recht” von der Klausel umfasst sei, führe dies zu einer Doppelversicherung, die die Beklagte mit dem Wortlaut der Klausel gerade habe vermeiden wollen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine Haftpflichtversicherung für Fahrzeuge in Südafrika keine Pflichtversicherung sei. Auch werde mit keinem Wort darauf eingegangen, inwieweit der für das Unfallfahrzeug in Südafrika aus der bestehenden Kfz-​Haftpflichtversicherung bestehende Versicherungsschutz lückenhaft sei und sich eine Deckungslücke ergebe; nach Bekunden des Geschäftsführers der Streitverkündeten sei der Haftpflichtversicherungsschutz mit 2 Millionen Euro pro Person eingedeckt gewesen.

Im Übrigen wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt, unter Aufhebung des am 18.12.2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg, Geschäftsnummer 314 O 75/14, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und der Nebenintervenient beantragen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Außerdem wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass es entgegen der Ansicht des Landgerichts § 4 Ziffer 3 der vereinbarten Bedingungen dahin verstehe, dass in den Versicherungsschutz nur Fahrzeuge wieder eingeschlossen seien, die zur Beförderung von Teilnehmern einer vom Versicherungsnehmer veranstalteten Reise benutzt würden, wobei "Teilnehmer” nur natürliche Personen, nicht aber das Gepäck von Teilnehmern seien, hat die Klägerin behauptet, dass das Begleitfahrzeug auch zur Beförderung von Mitgliedern der Motorradgruppe verwendet worden sei.

Die Beklagte hat dieses von ihr zunächst bestrittene Vorbringen nach Vernehmung der diesbezüglich benannten Zeugen K und U in der mündlichen Verhandlung vom 13.8.2015 unstreitig gestellt. Es wird insoweit auf das Sitzungsprotokoll vom 13.8.2015 verwiesen.

Ergänzend zum Parteivorbringen wird auf den vorgetragenen Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, der Klägerin aus übergegangenem Recht Kosten, Schäden und Aufwendungen zu ersetzen, die ihr im Zusammenhang mit den Verletzungen des Zeugen ... beim Unfallereignis vom 17.11.2011 entstanden sind oder noch entstehen werden. Auf der Grundlage des vom Senat nach §§ 529, 531 ZPO seiner Entscheidung zu Grunde zu legenden Prozessstoffes rechtfertigen die Angriffe der Berufung keine Abänderung des angefochtenen Urteils.

Für das Unfallereignis besteht Versicherungsschutz aus der vom Nebenintervenienten bei der Beklagten abgeschlossenen Betriebshaftpflichtversicherung.

Die Voraussetzungen des § 4 Ziffer 3 der vereinbarten "Besondere Bedingungen für die Haftpflichtversicherung der Reiseveranstalter gegen Personen- und Sachschäden”, wonach die grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossenen Haftpflichtansprüche wegen "dem Besitz, Halten oder Betrieb von Kraftfahrzeugen aller Art” in den Versicherungsschutz wieder eingeschlossen sind, wenn es sich "um Fahrzeuge der für den Versicherungsnehmer direkt oder indirekt tätigen Unternehmer (Leistungsträger) (handelt), die zur Beförderung der Teilnehmer an einer vom Versicherungsnehmer veranstalteten Reise benutzt werden”, sind im vorliegenden Fall erfüllt:

Bei der südafrikanischen Mietwagenfirma, die das Begleitfahrzeug für die vom Nebenintervenienten, dem Versicherungsnehmer, veranstaltete Motorradreise an diesen vermietet hat, handelt es sich um einen für den Versicherungsnehmer "direkt oder indirekt tätigen Unternehmer (Leistungsträger)”. Als "Leistungsträger” im Sinne der Klausel sind aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers nämlich sämtliche Unternehmer zu verstehen, die mit ihren Leistungen zur Gestaltung bzw. dem Ablauf der vom Versicherungsnehmer veranstalteten Reise beitragen. Da es zum Konzept der vom Nebenintervenienten veranstalteten Motorradreisen gehörte, dass bei allen Reisen ein Begleitfahrzeug zur Verfügung stand, sind die Vermieter eines solchen Begleitfahrzeuges als Leistungsträger im Sinne der Klausel anzusehen. Ob Versicherungsschutz nicht besteht, wenn der Reiseveranstalter eigene Fahrzeuge verwendet, kann offen bleiben, da es sich unstreitig im vorliegenden Fall nicht um ein eigenes Fahrzeug des Versicherungsnehmers, sondern um ein vom Versicherungsnehmer angemietetes Begleitfahrzeug gehandelt hat. Von anderen Unternehmern angemietete Fahrzeuge sind auch nicht, wie die Beklagte meint, als eigene Fahrzeuge des Versicherungsnehmers im Sinne der Klausel zu bewerten. Eine derartige Auslegung der Klausel wäre mit dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht zu vereinbaren.

Nach dem Wortlaut der Klausel gehört es nicht zur Voraussetzung eines Wiedereinschlusses, dass das Kraftfahrzeug von dem "Leistungsträger” geführt werden muss. Dem Versicherungsschutz steht damit nicht entgegen, dass der Nebenintervenient als Versicherungsnehmer das Begleitfahrzeug im Unfallzeitpunkt selbst geführt hat.

Die Klausel kann - wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - auch nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, dass Versicherungsschutz für den Betrieb von Kraftfahrzeugen lediglich bei Transporten zum Zwecke der An- und Abreise wieder eingeschlossen werden soll.

Schließlich ist nicht ersichtlich und schon gar nicht für einen um Verständnis bemühten durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass durch die Formulierung der Klausel eine Doppelversicherung vermieden werden soll. Vielmehr besteht in den Fällen, in denen ein Wiedereinschluss nach § 4 Ziffer 3 der Bedingungen in Frage kommt, gerade regelmäßig eine Doppelversicherung. Denn Kraft-​, Luft- und Wasserfahrzeuge sind üblicherweise haftpflichtversichert. Davon, dass dies bei Fahrzeugen von Leistungsträgern des Versicherungsnehmers üblicherweise anders wäre, kann nicht ausgegangen werden. Dies gilt um so mehr, als die Klausel von ihrem Wortlaut her auch nicht danach differenziert, ob es sich um ein Fahrzeug von Leistungsträgern handelt, die bei Reisen in einem Land mit Pflicht-​Haftpflichtversicherungen benutzt werden oder um ein Fahrzeug von Leistungsträgern aus Ländern, in denen es eine Pflicht-​Haftpflichtversicherung ggf. nicht oder nur mit unzureichendem Umfang gibt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Absatz 1, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Absatz 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

 

 


Priorität der Leistungsklage? - Feststellungsklage bereits zulässig bei Möglichkeit von Folgeschäden - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 11/2015, Anm. 1 (Anmerkung zu OLG Frankfurt, Urteil vom 28.10.2014 - 22 U 175/13)

Priorität der Leistungsklage? – Feststellungsklage bereits zulässig bei Möglichkeit von Folgeschäden

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

03.06.2015


Anmerkung zu

OLG Frankfurt 22. Zivilsenat, Urteil vom 28.10.2014 – 22 U 175/13


Quelle


Normen

§ 204 BGB, § 304 ZPO, § 116 SGB 10, § 119 SGB 10, § 282 ZPO, § 296 ZPO, § 283 ZPO, § 225 BGB, § 852 BGB, § 218 BGB, § 202 BGB


Fundstelle

jurisPR-VerkR 11/2015 Anm. 1


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 11/2015 Anm. 1


Mitwirkungspflicht des Geschädigten im Regressprozess der Krankenkasse - Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2015, Anm. 6 (Anmerkung zu OLG Bremen, Urteil vom 15.10.2014 - 1 U 18/14)

Mitwirkungspflicht des Geschädigten im Regressprozess der Krankenkasse: Untersuchung=Nein / Zeuge=Ja

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

28.05.2015


Anmerkung zu

OLG Bremen 1. Zivilsenat, Urteil vom 15.10.2014 – 1 U 18/14


Quelle


Normen

§ 116 SGB 10, § 295 ZPO, § 384 ZPO, § 287 ZPO, § 256 ZPO, § 538 ZPO


Fundstelle

jurisPR-MedizinR 5/2015 Anm. 6


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2015 Anm. 6


Zur Überwachungspflicht des Arztes nach Narkose - LG Hildesheim, Urteil vom 09.01.2015 – 4 O 170/13

Die Regelungen über den voll beherrschbaren Gefahrenbereich (§ 630h Abs.1 BGB) sind auf die Aufwachphase sedierter Patienten und selbst bei weisungswidrigem Verhalten des aufwachenden Patienten anwendbar.

Der Arzt hat daher in der Aufwachphase befindliche und unter dem Einfluss eines sedativen Medikaments stehende Patienten so zu überwachen, dass diese nicht aufgrund der durch das Medikament bestehenden geringeren Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu Schaden kommen. Es liegt daher eine Verletzung des ärztlichen Behandlungsvertrages vor, wenn eine wegen einer Magenspiegelung sedierte Patientin nicht derart überwacht wird, daß sie nicht zu Schaden kommt.

Selbst wenn die Patientin eigenständig aufsteht muß Vorsorge für ein zu erwartendens weisungswidriges Verhalten getroffen werden, wenn sie noch unter dem EInfluss des Sedativums stehen kann.

(veröffentlicht in: juris, Rechtsdepeche für das Gesundheitswesen 2016, 86-87)

juris-Link:

http://www.juris.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE150006853&psml=jurisw.psml&max=true

Tenor

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.693,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.08.2013 zu zahlen, sowie die Klägerin von den Rechtsanwaltskosten ihres Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 329,55 € freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten … gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht geltend.

Am 17.07.2008 führte der Beklagte bei der im Jahr 1922 geborenen … eine Magenspiegelung nach der Gabe von 5 Milligramm des Medikaments „Dormicum“ (Wirkstoff Midazolam) durch. Im Anschluss daran wurde Frau … auf eine im Aufwachraum der Praxis befindliche Patientenliege gelegt. Dort stürzte sie von der Liege herunter und zog sich einen Bruch des Oberschenkelknochens, eine sogenannte Femurfraktur, zu. Die Klägerin hat für die anschließende Heilbehandlung insgesamt 8.693,27 € aufgewandt.

Die Klägerin beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 8.693,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2008 zu zahlen,
  2. den Beklagten zu verurteilen, sie von den Anwaltskosten ihres Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 371,10 € freizustellen,
  3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die jeweiligen von der Klägerin eingezahlten Gerichtskosten Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem jeweiligen Zeitpunkt der Einzahlung bei der Gerichtskasse bis zum Zeitpunkt des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags für die jeweilige Instanz nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, die Arzthelferin Frau … habe den Aufwachraum nur kurz verlassen, nachdem die Patientin aufgewacht sei. Nach ihrer Rückkehr habe sie die Patientin auf dem Boden liegend vorgefunden. Diese habe geäußert, sie habe sich die Schuhe anziehen wollen und sei dabei gestürzt. Der Beklagte ist der Ansicht, ein zurechenbares Fehlverhalten liege nicht vor. Vielmehr sei eine über die geschehene Beobachtung der Patientin hinausgehende Überwachung aufgrund der Ansprechbarkeit der Patientin nicht notwendig gewesen.

Die Kammer hat gemäß prozessleitender Verfügung vom 08.04.2014 (Bl. 90 d.A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.10.2014, Bl. 139 - 142 d.A., Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die - auch hinsichtlich des Feststellungsantrags gem. § 256 ZPO - zulässige Klage ist teilweise begründet.

1.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein gem. § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangener Schadensersatzanspruch der verletzten Frau ... gem. §§ 280 Abs. 1 S. 1, 611, 630 a BGB in der beantragten Höhe zu. Der Beklagte hat im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag verletzt.

Den Beklagten traf vorliegend die Pflicht, die in der Aufwachphase befindliche, mithin unter dem Einfluss des sedativen Medikaments stehende, Patientin so zu überwachen, dass diese nicht aufgrund der durch das Medikament bestehenden geringeren Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu Schaden kommt. Gerade im Hinblick auf das hohe Alter Frau ... wäre es aufgrund der bewusstseinstrübenden Wirkung des Medikaments Dormicum erforderlich gewesen, zu gewährleisten, dass die Patientin so lange liegen bleibt, bis sie ihr Bewusstsein und ihre Einsichtsfähigkeit in ausreichendem Maße wiedererlangt hat (vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: 5 U 111/10).

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Behauptung des Beklagten, die Patientin sei von selbst aufgestanden, um sich die Schuhe anzuziehen. Aufgrund der unstreitig bestehenden Möglichkeit eines Gedächtnisverlusts nach Verabreichung des sedativen Medikaments Dormicum ist der für den Inhalt von Verkehrssicherungspflichten  geltende Grundsatz von Bedeutung, dass derjenige, der Gefahrenquellen schafft oder verstärkt auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz des Gefährdeten, hier der Patientin, treffen muss (BGH NJW 2003, 2309, Urteil vom 8.4.2003, Az. VI ZR 265/02; BGH, Urteil vom 20.06.2000, Az.: VI ZR 377/99; OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: 5 U 111/10). Aus dieser Pflicht folgt vorliegend, dass der Beklagte gegen ein zu erwartendes weisungswidriges Aufstehen Vorsorge hätte treffen müssen, beispielsweise durch eine durchgehende Überwachung der Patientin oder durch eine Umgrenzung des Bettes.

Den Beweis dafür, dass er für eine hinreichende Überwachung gesorgt hat, hat der Beklagte durch Benennung der Frau ... als Zeugin angetreten, aber nicht erbracht.

Die Zeugin hat glaubhaft und mit den schriftsätzlichen Äußerungen des Beklagten übereinstimmend ausgesagt, dass die Patientin - wie in der Praxis üblich - nach der Behandlung im Aufwachraum auf einer normalen Patientenliege gelegen habe, die zur einen Seite hin von der Wand begrenzt, zur anderen Seite hin aber frei sei und dass sie - die Zeugin - parallel zur Beobachtung der Patientin im Aufwachraum weitere in der Praxis anfallende Tätigkeiten außerhalb des Aufwachraums wahrgenommen habe. Während der Verrichtung einer solchen anderweitigen Tätigkeit kam es sodann zum Sturz der Patientin.

Den Beweis dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten hat, hat der Beklagte nicht erbracht. Die Vermutung des Vertretenmüssens gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB findet vorliegend Anwendung. In Anwendung des Rechtsgedankens des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB sowie des § 630 h Abs. 1 BGB trägt die Beweislast für Fehler- und Verschuldensfreiheit im Bereich des sogenannten voll beherrschbaren Risikos die Behandlungsseite (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage 2014, Kapitel B, Rn. 214, m.w.N.).

Die Sicherung einer aufgrund der Sedierung noch nicht wieder voll selbst steuerungsfähigen Patientin durch Überwachung oder Abgrenzung der zu einer Seite offenen Liege fällt in den Bereich des sog. voll beherrschbaren Risikos. Die Verletzung der Patientin rührt gerade aus einem Risiko her, das dem Herrschafts- und Organisationsbereich des Beklagten als Behandelnder zuzuordnen ist und das dieser insofern voll beherrschen kann, als er es nach Erkennen des Risikos mit Sicherheit ausschließen kann (vgl. Definition in Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Auflage 2015, § 630 h Rn. 3), beispielsweise durch ständige Überwachung seitens eines Praxismitarbeiters oder durch Verwendung einer zu allen Seiten abgegrenzten Liege statt einer üblichen offenen Patientenliege.

Aus der Pflichtverletzung ist der Klägerin ein Schaden in Höhe von 8.693,27 € entstanden. Bei dem Sturz hat sich die Patientin unstreitig eine Femurfraktur zugezogen, die zu Behandlungskosten in der genannten Höhe führte.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht. Der Beklagte befand sich nicht bereits deshalb in Verzug gem. § 286 Abs. 1 S. 1 BGB, weil er mit Schreiben vom 15.12.2008 eine Haftung ablehnte. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie in einem dem Antwortschreiben vom 15.12.2008 vorausgehenden Schreiben die Forderung der Höhe nach beziffert hat. Das als Forderungsanmeldung zur Akte gereichte Schreiben vom 16.08.2010 (Anlage K2, Bl. 36 d.A.) wurde deutlich nach dem ablehnenden Schreiben des Beklagte verfasst und enthält überdies keine Bezifferung der Forderung.

2.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die Klägerin die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts als erforderlich und zweckmäßig ansehen durfte (vgl. BGH NJW 2004, 444; BGH NJW 2006,1065). Weder handelte es sich vorliegend um einen einfach gelagerten Fall noch erschien eine außergerichtliche Einigung von vornherein aussichtslos. Dem Schadensersatzanspruch steht es nicht entgegen, dass die Klägerin eine eigene Rechtsabteilung unterhält. Anhaltspunkte dafür, dass die Abwicklung des konkreten Schadensfalles vorliegend zu den originären Aufgaben der Rechtsabteilung der Klägerin gehören, liegen nicht vor (vgl. BGH NJW 2008, 2651).

Der Anspruch besteht aber lediglich in Höhe von 329,55 €. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten werden nach Vorbemerkung zu Teil 3, Abs. 4 VV RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet, sodass die Klägerin vorliegend einen Anspruch auf eine 0,65 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG hat

3.

Hinsichtlich der Feststellung einer Pflicht des Beklagten, Zinsen auf den eingezahlten Gerichtskostenvorschuss zu zahlen, ist die Klage unbegründet. Zwar ist ein materiell-​rechtlicher Kostenerstattungsanspruch neben einem prozessualen nicht von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BGHZ 45, 251, 256 f.; BGHZ 52, 393, 396; BGH NJW 2007, 1458), aber ein Antrag auf dieser Grundlage erfordert, dass die Voraussetzungen einer materiell-​rechtlichen Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung erfüllt sind. Der daraus resultierenden Darlegungslast hat die Klägerin nicht genügt.

Neben dem Eintritt einer Verzugslage hätte auch der eingetretene Schaden besonderer Darlegung bedurft. Die Klägerin begehrt hier Verzugszinsen für ihre Geldaufwendungen als Gläubigerin, die sie getätigt hat, um mit gerichtlicher Hilfe eine nach ihrer Ansicht berechtigte Geldforderung durchzusetzen. In Fällen dieser Art kann zur Schadensbemessung nicht auf die abstrakten Regelungen des § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückgegriffen werden (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Juli 2012, Az. 8 U 66/11). Der Schaden kann allenfalls in einer konkreten Aufwendung von Zinsen (z. B. durch Kreditaufnahme oder Kontoüberziehung) oder in dem Verlust einer Zinsanlagemöglichkeit für den als Gerichtskosten eingezahlten Geldbetrag liegen (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 S. 2 ZPO.


Kein Risikoausschluss in der Privathaftpflichtversicherung für ehrenamtliche Tätigkeiten mit nur beiläufigem Amtsbezug - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 23/2014, Anm. 4 (Anmerkung zu OLG Frankfurt, Urteil vom 05.09.2013 - 3 U 30/13)

Risikoausschluss für ehrenamtliche Tätigkeiten auch bei beiläufigem Amtsbezug?

Orientierungssätze
  1. Die Unterstützung einer Feierlichkeit einer Polizeieinheit im Vereinshaus einer freiwilligen Feuerwehr (hier: Bedienung des Grills) durch einen in der Freiwilligen Feuerwehr tätigen Ortsbrandmeister stellt keine Tätigkeit im Rahmen des Ehrenamtes als Feuerwehrmann sondern eine private Helfertätigkeit dar. Für Schäden, die der Feuerwehrmann im Rahmen dieser Helfertätigkeit Dritten gegenüber verursacht, hat deshalb auch nicht der Träger der Feuerwehr, sondern die private Haftpflichtversicherung des Feuerwehrmanns aufzukommen.
  2. Auf den Umstand, dass die Geltendmachung und Überweisung von Deckungsansprüchen im Rahmen einer Klage auf Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen irrtümlicherweise nicht gegenüber dem eigentlichen Versicherungsnehmer sondern gegenüber dem Schädiger als lediglich mitversicherte Person selbst erfolgten, kann sich die Versicherung jedenfalls dann nicht als Einrede (hier: Verjährungseinrede) berufen, wenn sie zuvor geduldet hat, dass der Schädiger als lediglich mitversicherte Person im Rahmen der Schadensmeldung und Schadensbearbeitung an Stelle des eigentlich Versicherten Erklärungen abgab und etwa die Schadensmeldung vornahm und damit unwidersprochen wie ein Berechtigter bzw. ein zur Vertretung Berechtigter agierte.
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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

19.11.2014


Anmerkung zu

OLG Frankfurt 3. Zivilsenat, Urteil vom 05.09.2013 – 3 U 30/13


Quelle


Normen

§ 104 SGB 7, § 242 BGB, § 75 VVG, § 1357 BGB, § 823 BGB, § 839 BGB, Art 34 GG


Fundstelle

jurisPR-VerkR 23/2014 Anm. 4


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 23/2014 Anm. 4


Die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen eines Unfalls setzt nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben - Hanseatisches OLG Bremen, Urteil vom 15.10.2014 – 1 U 18/14

Bei einem Verkehrsunfall erstreckt sich die Haftung des Schädigers auf alle aus der unfallbedingten Körperverletzung resultierenden Folgeschäden, unabhängig davon, ob es sich dabei um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt.

Es ist unerheblich, ob der Geschädigte unter Vorschäden litt, wenn die Vorschäden durch den Unfall verschlimmert wurden. Denn die Mitursächlichkeit steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich gleich.

Die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung setzt nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben. Es genügt, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären.

Hat das erkennende Gericht einen Sachverständigen aus der falschen Fachrichtung ausgewählt und die Beweisfrage missverständlich formuliert ist das ein Verfahrensfehler. Bei psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol ist das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie erforderlich.

Erscheint der Geschädigte nicht zur Begutachtung beim Sachverständigen, muss das Gericht ihn als Zeugen laden.

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

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Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.02.2014 (Az. 7 O 2371/08) einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Bremen zurückverwiesen.
  2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt als gesetzlicher Krankenversicherungsträger des Geschädigten A aus übergegangenem Recht die Erstattung der von ihr ab dem 18. August 2004 erbrachten Behandlungskosten wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 30.06.2001 in den Niederlanden zugetragen hat. Ferner beantragt sie die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer Kosten, Schäden und Aufwendungen, die ihr aus dem Unfall ihres Versicherten entstanden sind und noch entstehen werden. Der nähere Unfallhergang, bei dem der Beklagte zu 1) als Fahrer eines Motorrades des Beklagten zu 2) (Halter) beteiligt war, das bei der Beklagten versichert ist, war zwischen den Parteien streitig. Unstreitig wurde der Geschädigte bei dem Unfall schwer verletzt. Er erlitt einen Beckenschaufelbruch, eine Darmruptur, eine Bauchverletzung und eine Milzruptur. Der Geschädigte besitzt eine problematische Lebensgeschichte, in der Alkohol- und Drogenmissbrauch vorkommen, ferner war er im Jahr 2003 an einem weiteren Unfall beteiligt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.02.2014 ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter und beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Zur Begründung führt die Klägerin unter anderem aus, dass sich das Landgericht eines psychologischen Gutachters hätte bedienen müssen, weil die dargelegte unfallbedingte Verschlimmerung etwaiger Vorschäden eine Exploration im psychologischen Bereich erfordert hätten. Ein Mediziner könne für diese psychisch veranlassten Verhaltensweisen und Folgen (Alkohol- und Drogenmissbrauch, depressive Verstimmungen, geistig-​seelische Störungen) keine sachdienlichen Feststellungen treffen. Das Landgericht habe somit das falsche Beweismittel gewählt und infolgedessen den diesbezüglichen Beweisantrag der Klägerin übergangen. Das gleiche gelte im Hinblick darauf, dass der Geschädigte für die (Mit-​)Verursachung der Schäden durch die unfallbedingten Verletzungen bereits in der Klageschrift als Zeuge benannt worden sei. Zudem habe das Landgericht einen weiteren erheblichen Fehler dadurch begangen, dass es das Gutachten nicht ohne Untersuchung des Geschädigten allein nach Aktenlage habe erstellen lassen. Außerdem hätte das Landgericht, soweit es den Vortrag der Klägerin zu den möglichen Schadensfolgen für unsubstantiiert gehalten habe, darauf zuvor gemäß § 139 ZPO hinweisen müssen. Dann wäre ergänzend dahingehend vorgetragen worden, dass sämtliche der genannten Verletzungen dem Körper eine Anfälligkeit hinterlassen können, die künftig die Schadensentwicklung begünstige. Wegen der näheren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 12.04.2014 (Bl. 525 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung. Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Wegen der näheren Begründung ihres Antrags wird auf den Schriftsatz vom 27.05.2014 (Bl. 553 ff. d. A.) verwiesen.

 

II.

Die Berufung ist statthaft (§ 511 Abs. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 511 Abs. 2, 517, 519, 520 ZPO). Sie hat insoweit Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens an das Landgericht Bremen zur weiteren Verhandlung zurückzuverweisen ist, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Das dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfahren leidet nämlich an wesentlichen Verfahrensmängeln. Aufgrund dessen ist eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig. Die Klägerin hat die Zurückverweisung beantragt, § 538 Abs. 2 S. 1, 2. HS ZPO.

 

1.

Die Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen nach der Quote von 60% ist zwischen den Parteien aufgrund der Verständigung mit den Schreiben vom 11.08.2004 sowie vom 18.08.2004 nicht mehr streitig.

 

2.

Die Frage, ob die mit der Klage geltend gemachten Kosten für die Behandlung von Erkrankungen des Geschädigten noch auf den Verkehrsunfall vom 30.06.2001 zurückzuführen sind, kann auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts derzeit nicht beantwortet werden.

Für die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen genügt die Mitursächlichkeit des Unfalls (Palandt-Grüneberg, BGB, 73. Auflage, 2014, vor § 249, Rn. 33 ff.). Die Verursachung einer Schadensfolge durch einen Unfall wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch andere Ursachen zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Der Unfall muss nicht die "ausschließliche" oder "alleinige", ja nicht einmal die überwiegende Ursache einer gesundheitlichen Beeinträchtigung sein; auch eine Mitursächlichkeit, sei es auch nur als "Auslöser" neben erheblichen anderen Umständen, steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich (Palandt-Grüneberg, aaO, Rn. 33; BGH, NJW-​RR 2005, 461 und NJW 2000, 3424). Eine richtunggebende Veränderung der Vorschäden ist nicht erforderlich (BGH, aaO). Auch eine zum Schaden neigende Konstitution des Geschädigten, die den Schaden ermöglicht oder wesentlich erhöht hat, schließt den Zurechnungszusammenhang nicht aus (BGH, NJW 2012, 2964).

Die Haftung erstreckt sich im Übrigen grundsätzlich auf alle aus der haftungsrelevanten Körperverletzung resultierenden Folgeschäden, unabhängig davon, ob es sich dabei um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt. Der BGH hat wiederholt ausgesprochen, dass die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung nicht voraussetzt, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären (vgl. BGHZ 132, 341 Tz. 14 m.w.N.).

Darüber hinaus gilt das Beweismaß des § 287 ZPO, da die Primärverletzungen feststehen. Unstreitig liegt ein schwerer Unfall vor, bei dem der Zeuge A erheblich verletzt wurde. Für die Feststellung der weiteren Verletzungsfolgen – psychische Erkrankung in Form einer schweren Alkoholabhängigkeit - gilt daher das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, wonach zur Feststellung schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht. Die Anwendung des § 287 ZPO ist nicht auf Folgeschäden einer feststehenden Verletzung beschränkt, sondern umfasst auch weitere Körperschäden aus derselben Schädigungsursache (BGH, VersR 2009, 69; OLG Köln, Urteil vom 19.02.2014, Az.: 16 U 99/10 – juris). Gleichwohl obliegt es der Klägerin, für die Begründung eines auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruches zunächst darzulegen und gegebenenfalls auch mittels Indizien nach dem sich aus § 287 Abs. 1 ZPO ergebenden reduzierten Beweismaß überwiegend wahrscheinlich zu machen, dass der Zeuge A unfallbedingt insbesondere die psychische Langzeiterkrankung hat.

Im Hinblick auf diese Maßstäbe, begegnen das Verfahren und die darauf beruhende Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden Bedenken.

a) Allerdings lässt sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Zurechnungszusammenhangs nicht allein aus den vorgelegten ärztlichen Berichten folgern. Der Geschädigte hat eine langjährige „Alkoholgeschichte“, die nicht erst 2001 begann. Vielmehr konsumierte er mindestens bereits seit 1996 überdurchschnittlich viel Alkohol. Dies soll nach 2001 allerdings deutlich mehr geworden sein. In welchem Ausmaß der Unfall letztlich Einfluss auf die Steigerung des Alkoholkonsums hat, lässt sich nach der Aktenlage nicht zuverlässig und ohne sachverständige Hilfe beurteilen. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein schwerer Unfall bei abhängigkeitsgefährdeten Menschen zu einer Suchtentwicklung führt, ist dem Senat nicht bekannt. Damit bleibt es bei der auch vom Landgericht angenommenen Darlegungs- und Beweislast der Klägerin jedenfalls für die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen der sich ab 2004 manifestierenden Alkoholsucht und dem Unfall 2001. Hinzu kommt, dass die etwaigen psychischen Auswirkungen des 2. Unfalls 2003 geklärt werden müssen.

b) Auch die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30% ist für sich genommen kein ausreichendes Indiz für den Zurechnungszusammenhang, weil bei deren Festsetzung ausweislich des Bescheides des Versorgungsamtes vom 02.06.2004 die meisten Primärverletzungen aus dem Unfall vom 30.06.2001 außer Betracht geblieben sind. Inwiefern die zur Begründung angeführte Stuhlinkontinenz und die Bauchnarbenbeschwerden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind, lässt sich ohne sachverständige Bewertung wiederum nicht feststellen. Ohnehin verhält sich der Bescheid zu einer psychischen Erkrankung des Zeugen A nicht.

c) Das Landgericht hat folgerichtig auf der Basis des – gerade noch als ausreichend substantiiert anzusehenden – Vortrages der Klägerin, mit Beschluss vom 25.06.2010 die Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Nachdem der Geschädigte mehrere Termine zur Untersuchung bei dem vom Landgericht benannten Sachverständigen nicht wahrgenommen hat, hat die Kammer die Klägerin als beweisfällig angesehen und die Klage deshalb abgewiesen. Mit dieser Vorgehensweise ist dem Landgericht ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unterlaufen, indem es erheblichen, unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin, nämlich den Beweisantritt der Klägerin zur Unfallursächlichkeit der mit der Klageforderung geltend gemachten Behandlungskosten, übergangen hat. Die Abstandnahme von einer erforderlichen Beweisaufnahme ohne zulässigen Ablehnungsgrund ist ein wesentlicher Mangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (vgl. OLG Frankfurt, NJW-​RR 2010, 1689).

Dem Landgericht ist dabei zunächst zuzugeben, dass aufgrund des Nichterscheinens des Geschädigten zu den zahlreichen Untersuchungsterminen beim Sachverständigen dieser kein Gutachten erstellen konnte und der Beweis – im Sinne der Überzeugung von einem wahrscheinlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Unfall und Behandlung des Alkoholismus – nicht erbracht ist. Diese Feststellung beruht allerdings auf einer teilweise fehlerhaften Formulierung des Beweisthemas und einer fehlerhaften Auswahl des Sachverständigen durch die Kammer.

aa) Die Beweisfrage des Landgerichts ist schon inhaltlich nicht völlig zutreffend formuliert. Auf die Beweisfragen zu Ziff. 1.), ob die Verletzungen, die der Kläger am 30.06.2001 erlitten habe, ausgeheilt seien und es insbesondere (auch) auf den Unfall zurückzuführen sei, dass der Geschädigte A nun dauerhaft einen GdB von 30 habe, kommt es nach den vorstehenden Ausführungen für die haftungsausfüllende Kausalität nicht an. Maßgeblich ist dafür allein die unter Ziff. 2) des Beweisbeschlusses formulierte Frage, ob sämtliche von der Klägerin erbrachten Leistungen ursächlich auf den Unfall vom 30.06.2001 zurückzuführen seien. Diese Beweisfrage zwingt einen Sachverständigen dazu, sich mit den in Rechnung gestellten Behandlungen und damit mit den jeweiligen Diagnosen und deren Ursachen zu beschäftigen.

bb) Ausgehend von der teilweise missverständlichen Festlegung des Beweisthemas hat die Kammer den Sachverständigen ermessenfehlerhaft ausgewählt.

Zwar hat das Gericht bei der Auswahl des Sachverständigen einen gewissen Ermessenspielraum auch hinsichtlich der Fachrichtung, auf der der Sachverständige bewandert ist. Das gilt vor allem dann, wenn sich für den Einzelfall die Kompetenzen von Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen überschneiden (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage, 2014, § 404, Rn. 1). Hat das erkennende Gericht aber einen Sachverständigen aus der falschen Fachrichtung ausgewählt und damit die Beweisfrage verkannt, ist das ist für sich genommen schon ein (unverzichtbarer) Verfahrensfehler i.S.d. § 295 Abs. 2 ZPO (vgl. Zöller-Greger, aaO).

Der Sachverständige ist Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie. Wie das Landgericht aber selbst in seinem Urteil zutreffend erkennt, waren „eindeutiger Schwerpunkt der streitgegenständlichen Behandlungen die psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol, Abhängigkeitssyndrom“. Mit dieser Prämisse bedurfte es für die Feststellung des Zurechnungszusammenhangs zu den – unstreitig im Jahr 2001 aufgetretenen – Primärverletzungen aber keiner sachverständigen Beurteilung durch einen Chirurgen oder Orthopäden, sondern durch einen Facharzt für Psychiatrie.

cc) Ist schon der Sachverständige falsch ausgewählt und das Beweisthema zumindest missverständlich formuliert, trägt auch die Erklärung des gewählten Sachverständigen, er könne ohne klinische Untersuchung kein Gutachten erstellen, nicht als Begründung für die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Vernehmung des Zeugen A zum Termin. Dass der ausgewählte Sachverständige als Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie ausgehend von der Beweisfrage zu Ziff. 1) des Beweisbeschlusses die Beurteilung des Ist-​Zustandes des Zeugen A hinsichtlich der Primärverletzungen als maßgebliche, jedenfalls vorrangig zu klärende Beweisfrage ansehen musste, liegt ebenso auf der Hand wie die Notwendigkeit der dazu erforderlichen klinischen Untersuchung. Ob das für einen psychiatrischen Sachverständigen gleichermaßen gilt, bleibt offen. Allein die fehlende Mitwirkung des Zeugen A an einer ärztlichen Untersuchung stünde der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens jedenfalls nicht offensichtlich entgegen. Insofern ist es nicht fernliegend, dass die durch die ärztlichen Berichte dokumentierte Krankengeschichte ausreichend Anknüpfungstatsachen bietet, um einem Sachverständigen die Anfertigung eines psychiatrischen Gutachtens auch ohne klinische Untersuchung des Geschädigten aufzugeben. Hinzu kommt, dass der Zeuge A sich zwar nicht ärztlich untersuchen lassen muss. Er hätte jedoch im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme auf entsprechende Fragen des Sachverständigen wahrheitsgemäß zu antworten (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 10.05.2012 - 4 U 37/11). Die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens betrifft eine derart zentrale und entscheidungserhebliche Frage des Rechtsstreits, dass es sich als ermessensfehlerhaft darstellt, der Klägerin mit der gegebenen Begründung diese Beweisaufnahme zu verweigern (vgl. auch OLG Naumburg, aaO).

 

3.

Auch die Zurückweisung des Feststellungsantrages begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Das folgt zum einen schon daraus, dass die Frage nach möglichen Zukunftsschäden nach dem Vorstehenden jedenfalls im Hinblick auf etwaige Alkoholismusbehandlungen noch nicht beantwortet werden kann. Wenn die schwere Alkoholerkrankung vorliegt und zumindest mitursächlich auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sein sollte, liegt es auf der Hand, dass sich hieraus für die Klägerin Folgekosten ergeben können.

b) Soweit sich das Landgericht auch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob alleine aufgrund der Primärverletzungen noch Folgeschäden möglich sind (und dies mangels Substantiierung durch die Klägerin verneint hat), greifen die Berufungseinwände ebenfalls durch. Insbesondere liegt eine Verletzung der Hinweispflicht des Gerichts vor.

Ein zulässiger Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, NJW-​RR 2007, 601).

Der Erlass eines Feststellungsurteils setzt dabei lediglich voraus, dass aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstanden sind oder entstehen können. Der Feststellungsanspruch kann nach Ansicht des BGH nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen (vgl. BGH, NJW-​RR 2007, 601; NJW 1998, 160). Auch hier gilt, dass es dem Anspruchsteller obliegt, die konkreten Umstände für die „gewisse Wahrscheinlichkeit“ darzulegen. Ob das die Klägerin getan hat, kann in der Tat fraglich sein. Dass es zu einer haftungsrechtlich relevanten Verletzung des Zeugen A gekommen ist, ist jedenfalls unstreitig. Welche möglichen Spätfolgen sich aus diesen Primärverletzungen ergeben können, ist – soweit ersichtlich – von der Klägerin nicht konkret vorgetragen worden. Insofern rügt sie aber zu Recht, dass die Einzelrichterin auf diesen Umstand hätte hinweisen müssen. Die Klage darf nicht wegen mangelnder Substantiierung abgewiesen werden, bevor auf Ergänzung des Sachvortrags hingewiesen worden ist (BGH, NJW-​RR 1987, 797; NJW-​RR 1991, 256; Zöller-Heßler, aaO, § 538, Rn. 20; Zöller-Greger, aaO, § 139, Rn. 17). Mit der Berufung rügt die Klägerin diesen Verfahrensmangel und trägt im Einzelnen unter Beweisantritt Sachverständigengutachten vor, welche Spätfolgen insbesondere bei den erlittenen Rupturen drohen können. Damit wird sich das Landgericht auseinandersetzen zu haben.

 

4.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO (vgl. Zöller-Heßler, aaO, § 538, Rn. 59).

 

5.

Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO).


Das Unterlassen der Behandlung einer Infektion stellt einen Gesundheitsschaden dar - OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.08.2014 – 7 U 102/12

Als Rechtsgutsverletzung (Primärschaden) ist die durch den Behandlungsfehler herbeigeführte gesundheitliche Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung anzusehen. Wird eine Erkrankung behandlungsfehlerhaft zu spät erkannt oder aus anderen Gründen nicht oder nicht fachgerecht behandelt, so ist der Primärschaden die negative gesundheitliche Befindlichkeit, die dadurch entstanden ist, dass die gebotene Behandlung unterblieben ist. Zu dieser gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung gehört dann auch ein dadurch geschaffenes oder erhöhtes Risiko, weiter zu erkranken.

Die Mitursächlichkeit steht der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich. Daher ist es unerheblich, ob der Geschädigte unter Vorschäden lit. Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der Behandlungsfehler nur zu einem Teil des Schadens geführt hat, also eine abgrenzbare Teilkausalität vorliegt.

(veröffentlicht in: juris; KHE Entscheidungen zum Krankenhausrecht 2014/136)

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Tenor

I. Auf die Berufungen der Klägerinnen und der Beklagten wird das Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel des Landgericht Karlsruhe vom 31. Mai 2012 im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, 43.760,29 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Dezember 2009 an die Klägerin Ziff. 1 zu zahlen und diese von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.530,58 € freizustellen.
  2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, 13.512,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juli 2008 an die Klägerin Ziff. 2 zu zahlen und diese von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 899,40 € freizustellen.
  3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die diesen aus der fehlerhaften Behandlung der Infektion im rechten Kniegelenk des … entstanden sind und noch entstehen werden.
  4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten beider Rechtszüge werden wie folgt verteilt: Die Beklagte trägt 55 % der Gerichtskosten, 60 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin Ziff. 1 und 44 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin Ziff. 2. Die Klägerin Ziff. 1 trägt 28 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Die Klägerin Ziff. 2 trägt 17 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Die weiteren außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

III. Das Urteil und der aufrechterhaltene Teil des angefochtenen Urteils sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn die Gegenseite nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

I.

Die Klägerin Ziff. 1 ist die gesetzliche Krankenkasse, die Klägerin Ziff. 2 die Arbeitgeberin von … (fortan: Patient), der im September 2004 in der Klinik der Beklagten wegen eines Kreuzbandrisses am rechten Kniegelenk operiert und anschließend mehrfach wegen einer bakteriellen Infektion des operierten Gelenks behandelt worden war, bis dieses im Frühjahr 2007 nach weiteren ambulanten und stationären Behandlungen durch eine Endoprothese ersetzt wurde. Wegen angeblicher Behandlungsfehler verlangen die Klägerin Ziff. 1 Ersatz von Heilbehandlungskosten und die Klägerin Ziff. 2 Erstattung von Lohnfortzahlungen. Außerdem erstreben beide Klägerinnen die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden.

Das Landgericht, auf dessen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat den Zahlungsklagen teilweise stattgegeben und antragsgemäß festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen alle weiteren Schäden zu ersetzen, die aus den der Knieverletzung des Patienten folgenden Behandlungen entstanden sind oder entstehen werden. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Infektion nicht durch einen Behandlungsfehler verursacht, aber ihrerseits unzureichend, wenn auch nicht grob fehlerhaft behandelt worden. Die Beklagte habe deshalb nur die Schäden zu ersetzen, die nicht auf den Kreuzbandriss und die Infektion selbst, sondern auf deren fehlerhafte Behandlung zurückzuführen seien. Die Kosten der erforderlichen, aber unzureichenden Infektionsbehandlung in der Klinik der Beklagten seien daher ebenso wenig zu erstatten wie die Kosten der später in einer anderen Klinik durchgeführten Revisionsoperation. Dasselbe gelte für die Kosten der Endoprothese, deren Einsatz wahrscheinlich auch wegen des Kreuzbandrisses und der Infektion als solcher erforderlich geworden wäre. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Behandlung bis Ende Juli 2005 arbeitsunfähig krank gewesen wäre, so dass die bis dahin geleisteten Krankengeld- und Lohnfortzahlungen nicht erstattungsfähig seien. Schließlich könne ein Großteil der geltend gemachten Heilbehandlungskosten schon deshalb nicht zugesprochen werden, weil aus den vorgelegten EDV-​Ausdrucken nicht ersichtlich sei, ob oder zu welchem Teil sie durch die Behandlung des Kniegelenks veranlasst worden seien. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerinnen als auch die Beklagte Berufung eingelegt.

Die Klägerinnen verfolgen ihre erstinstanzlichen Anträge im Umfang der Abweisung weiter. Sie rügen, das Landgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und willkürlich entschieden, indem es - abweichend von seiner im Termin geäußerten Rechtsauffassung, von dem darauf beruhenden Vergleichsvorschlag und von telefonischen Äußerungen der Berichterstatterin - allein im Hinblick auf deren bevorstehendes Ausscheiden aus der Kammer ein Urteil erlassen und die Klagen überwiegend abgewiesen habe. Zudem habe es sich dabei ohne ausreichenden Hinweis auf die unzureichende Darlegung einzelner Schadenspositionen gestützt. In der Sache machen die Klägerinnen geltend, nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. sei auch die Infektion selbst durch die fehlerhafte Behandlung verursacht worden. Bei der Frage des groben Behandlungsfehlers sei das Landgericht der nicht nachvollziehbar begründeten Auffassung des Sachverständigen gefolgt, ohne diese zu hinterfragen und eine eigene rechtliche Bewertung vorzunehmen. Bei der Kausalität habe es verkannt, dass die Mitursächlichkeit der festgestellten Behandlungsfehler genüge, um die Haftung der Beklagten zu begründen. Seine Feststellungen zum hypothetischen Kausalverlauf seien schon aus Rechtsgründen unbeachtlich und beruhten zudem auf reinen Mutmaßungen, die von den Ausführungen des Sachverständigen nicht gedeckt seien. Bei den einzelnen Schadenspositionen habe das Landgericht außerdem die im Arzthaftungsprozess reduzierten Darlegungsanforderungen überspannt, den Zeugen H. nicht vernommen und ohne das auch insoweit erforderliche Sachverständigengutachten entschieden.

Die Beklagte will die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Sie macht geltend, nach den Ausführungen des Sachverständigen sei nicht zwingend von ärztlichen Behandlungsfehlern auszugehen, zumal der nach der ersten Gelenkspülung am 15. Oktober 2004 erhobene Befund "kleine Bakterienhaufen" durch eine erneute histologische Untersuchungen der entnommenen Präparate widerlegt worden sei.

Das Landgericht habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Patient die Infektion wegen mangelnder "Compliance" verschleppt habe. Außerdem habe es den Feststellungsausspruch zu weit gefasst.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 31. Juli 2013 und vom 23. Juli 2014 Bezug genommen. Auf letztere wird auch wegen der Fassung der Anträge verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. Marcus S.. Wegen des Beweisergebnisses wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Juli 2014 Bezug genommen.

 

II.

Die zulässigen Rechtsmittel haben teilweise Erfolg. Die Berufung der Klägerinnen führt zu einer deutlichen Erhöhung der vom Landgericht zugesprochenen Beträge, diejenige der Beklagten dagegen nur zu einer geringfügigen Beschränkung des Feststellungsausspruchs.

 

1.

Die Beklagte haftet den Klägerinnen aus gemäß § 116 Abs. 1 SGB X bzw. § 6 Abs. 1 EntgFG übergegangenem Recht des Patienten sowohl deliktisch (§§ 823, 831 BGB) als auch wegen Verletzung ihrer vertraglichen Behandlungspflichten (§§ 280, 278 BGB) auf Ersatz des gesamten Schadens, der diesen durch die fehlerhafte Behandlung der Infektion des rechten Kniegelenks entstanden ist.

a) Die Infektion wurde zwar nicht durch einen Behandlungsfehler verursacht, aber ihrerseits fehlerhaft behandelt.

aa) Der bakterielle Infekt ist nicht darauf zurückzuführen, dass die während der Kreuzbandoperation am 8. September 2004 angelegte Redondrainage erst am Folgetag und damit verspätet geöffnet wurde. Das hat das Landgericht aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Marcus S. in seinem gemäß § 411a ZPO verwerteten Gutachten vom 27. Oktober 2009 (Beiakte 107 f.) und bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung am 12. April 2012 (Protokoll S. 4 = I 123) zutreffend festgestellt. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, die Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten. Dass der Sachverständige bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung ausgeführt hat, die weiteren Maßnahmen zur Behandlung der Infektion seien vermeidbar gewesen, wenn man von Anfang an richtig behandelt hätte (Protokoll S. 6 = I 127), ändert daran nichts. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen bezieht sich diese Äußerung nämlich nicht auf die Entstehung, sondern eindeutig nur auf die unzureichende Behandlung der Infektion. Das ergibt sich schon daraus, dass der Sachverständige unmittelbar anschließend ausgeführt hat, dass zu diesem Zeitpunkt bereits von einem Infektschaden auszugehen sei, weil jeder Infekt einen gewissen Schaden verursache. Andere Behandlungsfehler, die zur Entstehung des Infekts beigetragen haben könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Das Landgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Infektion des rechten Kniegelenks während der stationären Aufenthalte vom 13. bis 27. Oktober 2004, vom 8. bis 26. November 2004 und vom 2. bis 26. Februar 2005 unzureichend behandelt wurde. Die hierzu getroffenen Feststellungen werden von den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S. (Beiakte 115 ff., 165 ff. und 217 f.; Protokoll S. 4 f. = I 123 f.) getragen und sind daher ebenfalls bindend. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Sachverständige eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Infektion zwingend geboten waren und ihr Unterlassen deshalb als Behandlungsfehler zu qualifizieren ist (vgl. etwa Protokoll S. 4 = I 123). Dass er bei der unmittelbar anschließenden Frage nach einem groben Behandlungsfehler erklärt hat, er könne das Verhalten des behandelnden Arztes noch nachvollziehen (vgl. etwa Protokoll S. 4 f. = I 123 f.), steht dem nicht entgegen. Denn damit hat der Sachverständige seine Aussage nicht eingeschränkt, sondern nur zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht um einen Fehler handelt, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (a.a.O.). Für den stationären Aufenthalt vom 13. bis 27. Oktober 2004 wird der vom Landgericht festgestellte Behandlungsfehler auch durch die im zweiten Rechtszug nachgereichten Begutachtungen der Pathologen Prof. Dr. F. und Prof. Dr. K. (AH II 3 und 9) nicht in Frage gestellt. Danach hat eine erneute histologische Untersuchung den nach der ersten Gelenkspülung am 15. Oktober 2004 erhobenen Befund "kleiner Bakterienhaufen" zwar nicht bestätigt. Beide Pathologen bejahen jedoch den Verdacht auf ein infektiöses Geschehen, und der Sachverständige Prof. Dr. S. hat bei seiner ergänzenden Vernehmung durch den Senat (Protokoll S. 2 = II 307) - wie schon im Vorprozess (Beiakte I 217 f.) - klargestellt, dass es auf das Vorliegen kleiner Bakterienhaufen nicht entscheidend ankommt, weil solange von einer Infektion ausgegangen und entsprechend therapiert werden musste, bis der - auch nach seiner Auffassung begründete - Verdacht widerlegt oder die Infektion beseitigt war.

 

b) Die fehlerhafte Infektionsbehandlung hat zu einem Gesundheitsschaden geführt.

Den Klägerinnen kommt insoweit allerdings keine Beweiserleichterung nach den für grobe Behandlungsfehler entwickelten Grundsätzen (vgl. dazu etwa BGH, NJW 2012, 2653) zugute. Denn die unzureichende Behandlung des Infekts ist - auch in einer Gesamtbetrachtung aller drei stationären Aufenthalte - nicht als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren. Der Senat hat den Sachverständigen hierzu ergänzend vernommen und schließt sich auf der Grundlage seiner auch insoweit überzeugenden Ausführungen (Protokoll S. 3 f. = II 311) der rechtlichen Bewertung des Landgerichts an. Denn danach haben die behandelnden Ärzte den Infekt weder völlig verkannt noch eine prinzipiell falsche Behandlung gewählt und wegen der jeweils erreichten Besserung erscheint es auch noch nachvollziehbar, dass der Infekt nicht mit der gebotenen Intensität bekämpft wurde.

Dass die unzureichende Infektbehandlung einen Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit verursacht hat, steht aber mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit fest, wie er gemäß § 286 ZPO für den Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität erforderlich ist (vgl. dazu zuletzt BGH, VersR 2014, 632).

Als Rechtsgutsverletzung (Primärschaden) ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt a.a.O. 633) die durch den Behandlungsfehler herbeigeführte gesundheitliche Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung anzusehen. Wird eine Erkrankung behandlungsfehlerhaft zu spät erkannt oder aus anderen Gründen nicht oder nicht fachgerecht behandelt, so ist der Primärschaden zwar nicht die behandlungsbedürftige Gesundheitsbeeinträchtigung selbst, wohl aber die gesundheitliche Befindlichkeit, die dadurch entstanden ist, dass die gebotene Behandlung unterblieben ist (vgl. BGH, NJW 2013, 3094, 3095). Zu dieser gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung gehört dann auch ein dadurch geschaffenes oder erhöhtes Risiko weiterer Erkrankungen (vgl. BGH, a.a.O.).

Danach scheitert der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität nicht an der - bei der ergänzenden Vernehmung durch den Senat (Protokoll S. 2 = II 307) bestätigten - Aussage des Sachverständigen, dass es Fälle gibt, in denen eine Infektion auch bei Ausschöpfung aller gebotenen Behandlungsmöglichkeiten nicht völlig ausheilt (Beiakte 221). Denn die Klägerinnen müssen nicht beweisen, dass der Patient geheilt worden wäre. Es genügt vielmehr, dass er in nicht austherapiertem Zustand entlassen wurde und aufgrund dieser Befindlichkeit ein erhöhtes Risiko bestand, dass die Infektion wieder aufflammt. Das war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen schon bei der ersten stationären Infektionsbehandlung im Oktober 2004 der Fall. Denn hier wurde der Patient nach nur einer Gelenkspülung entlassen, obwohl die Infektion noch nicht beseitigt war und deshalb noch weitere Maßnahmen hätten durchgeführt werden müssen (s.o. unter bb). Dadurch war auch das Risiko eines Wiederauftretens des Infekts erhöht (Protokoll S. 2 und 4 = II 307 und 311). Der Primärschaden ist damit bei der Entlassung des Patienten am 27. Oktober 2004 eingetreten.

Die haftungsbegründende Kausalität ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil der Primärschaden nicht nur auf der unzureichenden Infektbehandlung, sondern auch und primär auf dem vorbestehenden Infekt selbst beruht. Denn nach allgemeinem Schadensrecht steht eine Mitursächlichkeit, und sei es auch nur im Sinne eines Auslösers neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich (vgl. etwa BGH, NJW-​RR 2005, 897, 898). Das gilt auch für die Arzthaftung (vgl. BGH, NJW 2005, 2072, 2073 und Urt. v. 20. Mai 2014, VI ZR 187/13, juris Tz. 20), und zwar selbst dann, wenn die andere Mitursache in der Krankheit besteht, deren Behandlung der haftungsbegründende Fehler betrifft (vgl. BGH, NJW 2000, 3423, 3424). Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach dem Beweismaß des § 286 ZPO feststeht, dass der Behandlungsfehler nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat, also eine sogenannte abgrenzbare Teilkausalität vorliegt (vgl. nur BGH, Urt. v. 20. Mai 2014, a.a.O. Tz. 20 f.). Dafür ist es erforderlich, dass sich der Schadensbeitrag des Behandlungsfehlers einwandfrei von dem anderen Schadensbeitrag - etwa einer Vorschädigung des Patienten - abgrenzen und damit der Haftungsanteil des Arztes bestimmen lässt. Andernfalls verbleibt es bei der Einstandspflicht für den gesamten Schaden, auch wenn dieser durch andere, schicksalhafte Umstände wesentlich mitverursacht worden ist (BGH, a.a.O.). Eine solche abgrenzbare Teilkausalität ist hier nicht feststellbar. Im ersten Rechtszug hat der Sachverständige zwar ausgeführt, dass jeder Infekt einen gewissen Schaden verursacht und deshalb davon auszugehen ist, dass zum Zeitpunkt der unzureichenden Infektbehandlung im Oktober 2004 bereits ein Infektschaden vorlag (Protokoll S. 6 = I 127). Bei seiner ergänzenden Vernehmung durch den Senat hat er jedoch klargestellt, dass eine schwerwiegende Schädigung des Gelenks erst aus den bei der stationären Behandlung im ...-​Krankenhaus L. erhobenen Befunden aus dem April 2005 erkennbar ist, während bei der Kreuzband-​Operation im September und bei der ersten stationären Infektionsbehandlung im Oktober 2004 noch keine gröberen Defekte vorhanden waren. Danach lässt sich der Schadensbeitrag der unzureichenden Infektbehandlung weder von dem bereits vorhandenen Infektschaden noch von der durch den Kreuzbandriss selbst verursachten Schädigung abgrenzen.

c) Ein Mitverschulden des Patienten müssen sich die Klägerinnen nicht anrechnen lassen. Nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist der Zeitraum zwischen der Entlassung am 14. September und der Wiedervorstellung am 13. Oktober 2004 zwar relativ lang. Das genügt jedoch nicht, um den von der Beklagten erhobenen Vorwurf mangelnder "Compliance" zu rechtfertigen. Denn zum einen steht nicht fest, wann die klinischen Hinweise auf eine Infektion des Kniegelenks aufgetreten sind. Zum anderen musste der Patient aus seinen postoperativen Beschwerden auch nicht ohne weiteres auf eine dringend behandlungsbedürftige Infektion schließen. Außerdem war - wie unter b) ausgeführt - bei der Wiedervorstellung im Oktober 2004 noch kein abgrenzbarer Infektschaden eingetreten, der einer verzögerten Behandlung zugeordnet werden könnte.

 

2.

Durch die unzureichende Infektbehandlung ist der Klägerin Ziff. 1 ein Schaden in Höhe von 43.760,29 € und der Klägerin Ziff. 2 ein Schaden in Höhe von 13.512,50 € entstanden.

a) Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ursächlichkeit der Rechtsgutsverletzung für alle weiteren (Folge-​)Schäden richtet sich nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (vgl. zuletzt BGH, VersR 2014, 632).

Nach diesem Maßstab ist der Senat zum einen davon überzeugt, dass das mehrfache Wiederaufflammen des Infekts auf den am 27. Oktober 2004 eingetretenen Primärschaden zurückzuführen und daher zumindest auch durch die fehlerhafte Infektionsbehandlung verursacht worden ist. Denn der Sachverständige hat bei seiner ergänzenden Vernehmung nicht nur die allgemeine, schon im Vorprozess (I 221) erwähnte Erfahrung bestätigt, dass bakterielle Infektionen des Kniegelenks bei fachgerechter und ausreichender Behandlung in mehr als 50 % der Fälle vollständig ausheilen (Protokoll S. 2 = II 307). Er hat darüber hinaus klargestellt, dass es hier um einen relativ gesunden Patienten mit entsprechenden immunologischen Abwehrkräften geht (a.a.O.) und dass bei derartigen Patienten auch das Risiko eines Wiederaufflammens deutlich unter 50 % liegt (Protokoll S. 3 = II 309). Damit hat der Sachverständige die im ersten Rechtszug geäußerte Einschätzung, die weiteren Behandlungsmaßnahmen seien vermeidbar gewesen, wenn man von Anfang an richtig behandelt hätte (Protokoll S. 6 = I 127), schlüssig und nachvollziehbar begründet und zugleich deutlich gemacht, dass die ihr zugrunde liegenden Erwägungen für eine Überzeugungsbildung nach dem Beweismaß des § 287 ZPO ausreichen. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Infektion bei fachgerechter und ausreichender Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vollständig ausgeheilt und nicht wieder aufgeflammt wäre.

Zum anderen ist der Senat zu der von den landgerichtlichen Feststellungen abweichenden Überzeugung gelangt, dass auch der erhöhte Verschleiß des Kniegelenks, aufgrund dessen weniger als drei Jahre nach dem Kreuzbandriss eine Totalendoprothese eingesetzt werden musste, durch die fehlerhafte Infektbehandlung mitverursacht worden ist. Das Landgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass sich das Risiko, vor dem sechzigsten Lebensjahr eine Arthrose zu entwickeln, schon durch den Verlust des Kreuzbands und die anschließend aufgetretene Infektion deutlich erhöht hat und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Patient auch bei bestmöglicher Behandlung eine Arthrose entwickelt und eine Knieprothese benötigt hätte. Das entspricht den gemäß § 411a ZPO verwerteten Ausführungen des Sachverständigen (Beiakte 125, 129, 169, 221), die dieser sowohl im ersten Rechtszug (Protokoll S. 6 = I 127) als auch bei seiner ergänzenden Vernehmung durch den Senat (Protokoll S. 3 = II 309) bekräftigt hat. Die weitergehende Annahme des Landgerichts, dass der Einsatz der Prothese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch ohne die fehlerhafte Infektbehandlung erforderlich geworden wäre, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber nicht gerechtfertigt. Der Sachverständige hat vielmehr schon im Vorprozess klargestellt, dass ein bakterieller Infekt mit verzögerter Behandlung die Verschleißerscheinungen erheblich beschleunigen kann (Beiakte 129 f., 169 f.), dass der Einsatz einer Prothese ohne den Infekt möglicherweise erst nach zwanzig Jahren oder auch gar nicht erforderlich geworden wäre (Beiakte 223) und dass er bei fachgerechter Infektbehandlung jedenfalls nicht schon nach so kurzer Zeit hätte vorgenommen werden müssen (Beiakte 221). Im ersten Rechtszug hat er außerdem betont, dass der Infekt die wesentliche Ursache für den Ersatz des Kniegelenks war (Protokoll S. 6 = I 127). Diese Aussagen hat er bei seiner ergänzenden Vernehmung durch den Senat dahin präzisiert, dass die schnelle Zunahme der Gelenkschäden nicht auf das durch den Kreuzbandriss erhöhte Risiko zurückzuführen, sondern mit Sicherheit dem Infekt zuzuordnen ist, dass dieser die Arthrose um bis zu 15 Jahre vorverlagert hat und dass die Schädigung des Gelenks erst nach der fehlerhaften Infektbehandlung aufgetreten ist (Protokoll S. 2 = II 307). Hinzu kommt, dass der Infekt - wie dargelegt - bei fachgerechter Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vollständig ausgeheilt und nicht wieder aufgeflammt wäre. Der Senat ist deshalb nach dem Maßstab des § 287 ZPO überzeugt, dass die schnelle Zunahme der Gelenkschäden durch die unzureichende Infektbehandlung zumindest befördert worden ist.

 

b) Die Beklagte haftet deshalb für alle Kosten, die den Klägerinnen durch das mehrfache Wiederaufflammen des Infekts und die infektbedingte Schädigung des Kniegelenks entstanden sind. Hiervon ausgenommen sind nur solche Kosten, die auch bei fehlerfreier Behandlung des Infekts entstanden wären. Diesen hypothetischen Kausalverlauf hat die Beklagte darzulegen und zu beweisen. Steht nämlich fest, dass ein Arzt dem Patienten durch fehlerhaftes und rechtswidriges Handeln einen Schaden zugefügt hat, so muss der Arzt beweisen, dass der Patient den gleichen Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichem Handeln erlitten hätte (vgl. nur BGH, NJW 2012, 2024, 2025).

Zu dem hypothetischen Kausalverlauf bei rechtmäßigem Alternativverhalten hat die Beklagte nicht vorgetragen. Auch auf entsprechenden Hinweis des Senats (II 221) hat sie nur ihre erstinstanzliche Behauptung wiederholt, dass alle tatsächlich entstandenen Schäden ausschließlich durch den Kreuzbandriss und die Infektion selbst verursacht worden seien. Diese Behauptung ist nicht bewiesen. Aus den unter a) dargelegten Gründen ist vielmehr davon auszugehen, dass die Infektion bei fachgerechter Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vollständig ausgeheilt und nicht wieder aufgeflammt wäre, und es lässt sich auch nicht feststellen, dass - und erst recht wann - der Einsatz einer Prothese aufgrund des Kreuzbandrisses und der Infektion ohnehin erforderlich geworden wäre. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lassen sich die nach dem 27. Oktober 2004 vorgenommenen Behandlungen des linken Kniegelenks daher weder dessen Vorschädigung zuordnen noch sind sie, was die Prothese angeht, wegen dieser "Reserveursache" von der Ersatzpflicht ausgenommen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen steht lediglich fest, dass der Patient auch bei ausreichender und erfolgreicher Infektionsbehandlung erst ein halbes Jahr nach dem Beginn dieser Behandlung, also Mitte April 2005, wieder arbeitsfähig gewesen wäre (Protokoll S. 3 = II 309).

Welche Maßnahmen bei fachgerechter Behandlung des Infekts hätten durchgeführt werden müssen und welche Kosten dadurch entstanden wären, hat die Beklagte nicht dargelegt. Insoweit sind daher nur die Kosten der fehlerhaft unterlassenen Therapie schadensmindernd zu berücksichtigen. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass noch mindestens eine, aufgrund des Ausmaßes der Infektion wahrscheinlich sogar zwei weitere Gelenkspülungen hätten durchgeführt werden müssen, die mit einem stationären Aufenthalt von weiteren drei bis vier Wochen verbunden gewesen wären. Wenn diese Maßnahmen erfolglos geblieben wären, hätte ggf. auch die Gelenkinnenhaut und das Kreuzband entfernt werden müssen. Ob es dazu gekommen wäre, ist jedoch spekulativ (Protokoll S. 2 f. = II 307 f.). Aufgrund der Beweislastverteilung ist deshalb davon auszugehen, dass die Infektion nach einer oder zwei Gelenkspülungen ausgeheilt wäre. Diese Maßnahmen hätten nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen in etwa die gleichen Kosten verursacht wie die stationäre Behandlung im Februar 2005, bei der tatsächlich eine - allerdings verspätete - Gelenkspülung vorgenommen wurde (Protokoll S. 3 = II 309). Der Senat schätzt die Kosten der fehlerhaft unterlassenen Therapie deshalb gemäß § 287 ZPO auf den hierfür abgerechneten Betrag von insgesamt 4.815,05 €.

 

c) Danach belaufen sich die der Klägerin Ziff. 1 zu erstattenden Kosten für die weitere stationäre und ambulante Behandlung des geschädigten Kniegelenks nach dem 27. Oktober 2004 (einschließlich Krankengymnastik, Akupunktur, Medikamente und sonstige Heilmittel) und für das in diesem Zeitraum gezahlte Krankengeld (einschließlich geleisteter und entgangener Sozialversicherungsbeiträge) auf insgesamt 43.760,29 €. Dabei handelt es sich um die folgenden mit der Klage geltend gemachten Schadenspositionen:

Nr.Art der AufwendungDatumBetrag in €
2ambulante Behandlung17.01.2006 - 20.03.200654,66
3ambulante Behandlung27.01.2006 - 13.03.200637,46
5ambulante Behandlung18.04.2006 - 23.06.200623,16
6ambulante Behandlung25.04.200615,47
7ambulante Behandlung25.09.200610,87
8ambulante Behandlung26.09.200615,47
10ambulante Behandlung09.01.2007 - 11.01.200721,21
12ambulante Behandlung03.04.2007 - 15.05.200741,18
13ambulante Behandlung02.07.2007 - 23.08.200755,20
16ambulante Behandlung26.11.2007 - 28.11.200728,77
18ambulante Behandlung28.02.200822,34
19ambulante Behandlung15.05.200831,54
20ambulante Behandlung27.05.2008 - 19.06.2008210,85
21ambulante Behandlung12.06.200839,43
22ambulante Behandlung18.06.2008 - 19.06.2008190,85
23ambulante Behandlung04.07.200838,56
25ambulante Behandlung16.04.200935,71
28ambulante Behandlung09.06.201035,16
30Medika­mente09.01.20065,93
31Medika­mente20.02.20065,93
32Medika­mente20.06.200825,40
33Medika­mente10.04.20065,68
34Medika­mente20.01.20077,64
35Medika­mente21.05.20079,35
36Medika­mente05.06.20074,84
37stationäre Behandlung13.10.2004 - 26.11.20042.635,41
40stationäre Behandlung04.04.2005 - 30.04.20053.843,32
42stationäre Behandlung03.05.2007 - 18.05.20078.282,53
43stationäre Behandlung03.05.2007 - 04.05.20073.207,80
46Kranken­gym­nastik07.01.200550,50
47Kranken­gym­nastik01.03.200538,40
48Kranken­gym­nastik02.05.200562,60
49Kranken­gym­nastik12.05.200562,60
50Kranken­gym­nastik30.05.200591,34
51Kranken­gym­nastik23.06.200574,45
52Kranken­gym­nastik22.08.200591,34
53Kranken­gym­nastik22.08.200561,10
54Kranken­gym­nastik13.09.200562,60
55Kranken­gym­nastik06.10.200562,60
56Kranken­gym­nastik21.10.200562,60
57Kranken­gym­nastik18.11.200562,60
58Kranken­gym­nastik21.05.200751,20
59Kranken­gym­nastik02.07.200763,44
60Kranken­gym­nastik20.07.200763,44
61Kranken­gym­nastik23.08.200763,44
62Kranken­gym­nastik26.11.200763,44
63Kranken­gym­nastik28.02.2008136,88
65Heilmittel03.04.200719,00
68Heilmittel15.05.2007442,20
70Akupunktur20.04.2006315,00
73Krankengeld15.04.2005 - 31.07.20057.609,68
74entgan­gener Beitrag zur KV15.04.2005 - 31.07.20051.304,35
75Krankengeld01.08.2005 - 01.12.20058.528,08
76entgan­gener Beitrag zur KV01.08.2005 - 01.12.20051.891,09
77geleistete Beiträge zur SV15.04.2005 - 01.12.20053.327,76
78Heilmittel25.06.200952,28
78Heilmittel22.04.201052,28
80Heilmittel03.05.201152,28
Summe43.760,29

 

Die Entstehung dieser Kosten ist - auch der Höhe nach - unstreitig. Die Beklagte hat im ersten Rechtszug lediglich gerügt, dass sich aus den als Anlagenkonvolut K 15 vorgelegten Ausdrucken aus der EDV der Klägerin Ziff. 1 nicht erschließe, welchen Behandlungen die einzelnen Kosten zuzuordnen seien. Die Klägerin Ziff. 1 hat hierzu zwar nicht näher vorgetragen. Das Landgericht hat die Positionen jedoch anhand der Belege im einzelnen geprüft (LGU 22 bis 35) und für alle oben zusammengestellten Kosten festgestellt, dass sie durch die Behandlung des rechten Kniegelenks veranlasst waren. Die Beklagte hat die entsprechenden Feststellungen nicht angegriffen und der Senat schließt sich ihnen nach eigener Überprüfung an.

Die Positionen Nr. 2, 3, 5 bis 8, 10, 12, 13, 16, 18 bis 23, 25, 28, 30 bis 36, 70, 75 und 76 hat das Landgericht mit Recht in vollem Umfang zugesprochen. Hinzu kommen die Positionen Nr. 40, 42, 43, 46 bis 63, 65, 68 und 78 bis 80, die das Landgericht wegen der Vorschädigung des Kniegelenks und deren hypothetischer Folgen zu Unrecht nicht als erstattungsfähig anerkannt hat. Dasselbe gilt für die unter den Positionen Nr. 38 und 39 geltend gemachten Kosten der stationären Behandlung im Februar 2005 in Höhe von insgesamt 4.815,05 €. Diesen grundsätzlich erstattungsfähigen Betrag hat der Senat aber ebenfalls nicht in Ansatz gebracht, weil durch die fehlerhaft unterlassene Therapie Kosten in gleicher Höhe entstanden wären (s.o. unter b). Die Position Nr. 37 hat er - wie das Landgericht - nur zur Hälfte zugesprochen, weil sie nicht nur die erstattungsfähigen Kosten der stationären Behandlung vom 8. bis 26. November 2004, sondern auch die Kosten umfasst, die durch die stationäre Behandlung vom 13. bis 27. Oktober 2004 und damit schon vor Eintritt des Primärschadens entstanden waren. Da der Patient auch bei ausreichender und erfolgreicher Infektionsbehandlung bis Mitte April 2005 arbeitsunfähig gewesen wäre, hat der Senat auch die Positionen Nr. 73, 74 und 77 nur teilweise zuerkannt. So hat er bei dem unter Nr. 73 geltend gemachten Krankengeld für die Zeit bis Ende Juli 2005 nicht 188, sondern nur 108 Tage zu je 70,46 €, insgesamt also 7.609,68 €, berücksichtigt sowie die entgangenen Krankenversicherungsbeiträge (Nr. 74) nach dem Verhältnis der berechtigten 3,5 zu den geltend gemachten 8 Monaten von 2.981,38 € auf 1.304,35 € und die geleisteten Sozialversicherungsbeiträge (Nr. 77) im Verhältnis von 7,5 zu 14,25 Monaten von 6.322,75 € auf 3.327,76 € gekürzt.

Die darüber hinaus geltend gemachten Schadenspositionen Nr. 1, 4, 9, 11, 14, 15, 17, 24, 26, 27, 29, 41, 44, 45, 64, 66, 67 und 69 hat das Landgericht zu Recht nicht zuerkannt, weil sich insoweit auch dem Anlagenkonvolut K 15 nicht entnehmen lässt, ob oder zu welchem Anteil die jeweiligen Kosten durch eine Behandlung des rechten Kniegelenks verursacht wurden. Ob es darauf hätte hinweisen müssen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Klägerin Ziff. 1 hat - trotz entsprechenden Hinweises (II 221 f.) und wiederholter Fristsetzung (II 223 und 255) - auch im Berufungsrechtszug nicht dargelegt, wann und in welcher Form der Patient wegen welcher Beschwerden behandelt wurde und welche Kosten dadurch entstanden sind. Sie hat lediglich eine aktualisierte Zusammenstellung der Behandlungskosten vorgelegt und Sachverständigenbeweis dafür angeboten, dass diese Kosten durch die geltend gemachten Behandlungsfehler verursacht worden sind. Zu den Positionen Nr. 1, 4, 9, 11, 14, 15, 17, 24, 26, 27, 29, 41, 44, 45, 64, 66, 67 und 69 kann dieser Beweis schon deshalb nicht erhoben werden, weil die erforderlichen Anknüpfungstatsachen nicht vorgetragen sind. Diese Tatsachen können auch nicht durch Beiziehung der entsprechenden Behandlungsunterlagen ermittelt werden. Denn die Klägerin hat - trotz entsprechender Aufforderung (II 255) - weder eine Liste der nachbehandelnden Ärzte noch eine Erklärung des Patienten über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht vorgelegt.

 

d) Die Klägerin Ziff. 2 kann die geltend gemachten Lohnfortzahlungen in Höhe von 13.512,50 € ersetzt verlangen.

Da der Patient auch bei ausreichender und erfolgreicher Infektionsbehandlung bis Mitte April 2005 arbeitsunfähig gewesen wäre, sind die auf diesen Zeitraum entfallenden Zahlungen allerdings nicht erstattungsfähig. Das gilt zum einen für die insgesamt 9.731,89 €, welche die Klägerin für die Zeit vom 12. August bis zum 31. Dezember 2004 geleistet hat. Zum anderen sind die für das Jahr 2005 geleisteten Zahlungen im Verhältnis der berechtigten 180 zu den geltend gemachten 335 Arbeitstagen herabzusetzen. Die in der Abrechnung vom 22. Februar 2008 aufgeführten Beträge ermäßigen sich daher bei der Urlaubsvergütung von 6.291,45 € auf 3.380,48 €, beim Weihnachtsgeld von 3.068,70 € auf 1.648,85 €, beim Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von 1.876,72 € auf 1.008,39 € und insgesamt von 11.236,87 € auf 6.037,72 €. Die für das Jahr 2007 geleisteten Zahlungen von insgesamt 7.474,78 € sind dagegen in vollem Umfang zu erstatten. Hieraus ergibt sich der Gesamtbetrag von 13.512,50 €.

 

3.

Gemäß § 288 Abs. 1 BGB ist die Hauptforderung der Klägerin Ziff. 1 ab dem 9. Dezember 2009 und diejenige der Klägerin Ziff. 2 ab dem 7. Juli 2008 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

Da die Klägerinnen ihren späteren Prozessbevollmächtigten erst beauftragt haben, als sich die Beklagte in Verzug befand und die Zahlung zudem bereits verweigert hatte, können sie auch die Freistellung von ihren vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen (§§ 280, 286 BGB). Diese sind allerdings nur aus dem Wert der tatsächlich bestehenden Forderungen zu berechnen. Außerdem hat das Landgericht den geltend gemachten Gebührensatz von 2,5 zu Recht und mit zutreffender Begründung als überhöht angesehen und auf die Mittelgebühr gekürzt. Die dagegen gerichteten Berufungsangriffe greifen nicht durch. Die Freistellungsansprüche beschränken sich daher auf eine 1,3 Geschäftsgebühr aus 43.760,29 € bzw. 13.512,50 €, deren Höhe der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Gebührentabelle zu § 13 RVG zu entnehmen ist, die Post- und Telekommunikationspauschale und die Umsatzsteuer. Bei der Klägerin Ziff. 1 sind das (1.266,20 + 20 + 244,38 =) 1.530,58 € und bei der Klägerin Ziff. 2 (735,80 + 20 + 143,60 =) 899,40 €. Diese Beträge sind nicht zu verzinsen. Denn die Vorschriften der §§ 288, 291 BGB gelten nur für Geldschulden und sind auf Freistellungsansprüche im Sinne von § 257 BGB auch nicht entsprechend anzuwenden (vgl. BGH, VersR 1994, 1058; BAG, NZA 1996, 892, 895 und OLG Stuttgart, NJW-​RR 2011, 239, 243).

 

4.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und insoweit begründet, als er die durch die fehlerhafte Infektionsbehandlung verursachten Schäden betrifft. Der Feststellungsausspruch des Landgerichts umfasst auch die nicht behandlungsfehlerhafte Versorgung des Kreuzbandrisses und ist daher entsprechend zu beschränken.

 

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 und 100 Abs. 1 und 2 ZPO, wobei die unterschiedliche Beteiligung der Klägerinnen Ziff. 1 und 2 nach der Baumbach'schen Formel berücksichtigt ist. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 543 Abs. 2 ZPO bestimmten Gründe vorliegt.