Einigung zwischen SVT und Versicherung - Amtsgericht Sonneberg, Urteil vom 27. Juli 2017, Az. 3 C 487/16

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.844,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.01.2017 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Regreßanspruch gemäß § 116 SGB X.

Die Klägerin ist der ehemalige Krankenversicherer des Geschädigten ... . Dieser verklagte in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Meiningen zum Az.: 3 O 1011/14 den minderjährigen ..., vertreten durch die Mutter ... der jetzigen Beklagten, wegen eines Skiunfalls in Südtirol. Die Beklagte hatte eine Haftpflichtversicherung bei der, I. ... AG".

Im Verfahren vor dem Landgericht Meiningen einigten sich die Parteien gemäß § 278 Abs. 6 ZPO am 19.11.2015 auf einen Vergleich dahin, dass die Beklagte 4.250,00 € unter Abgeltung aller Ansprüche an den Geschädigten zahlt, mit Ausnahme der übergegangenen oder noch übergehenden Ansprüche auf Sozialversicherungsträger bzw. Krankenkassen. Die Kostenquote wurde mit 70% zu 30% zu Lasten des Klägers vereinbart, wobei keine abschließend Entscheidung über die Haftungsverteilung getroffen werden sollte (siehe Landgericht Meiningen, 3 O 1011/14, Band 2, Blatt 215/216).

Hinsichtlich der auf die Krankenversicherung übergegangenen Ansprüche verhandelten die jetzige Klägerin und die Haftpflichtversicherung der Beklagten.

Mit Schreiben vom 04.10.2016 bot die I. einen Vergleich an mit folgenden Worten:

"Wir sind bereit, den Betrag von 3.844,44 € (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) zur Verfügung zu stellen, wenn sie uns vorab bestätigen, dass mit dieser Zahlung alle Ansprüche aus dem o.g. Vorfall für die Zeit bis zum 31.03.2016 endgültig und abschließend, ob bekannt oder unbekannt, vorhersehbar oder nicht, erledigt sind. Bitte teilen sie mit, ob der Vorgang auf diese Weise erledigt werden kann."

Hierauf antwortete die Klägerin am 10.10.2016 wie folgt:

"Wir beziehen uns auf ihr Schreiben vom 04.10.2016 und bitten um Überweisung. Bereits mit Schreiben vom 29.08.2016 bestätigten wir ihnen, dass es sich um eine Endabrechnung handelt (siehe Anlagen). Wir bestätigen Ihnen nochmals, dass alle Ansprüche mit der Zahlung in Höhe von 3.844,44 € abgegolten sind."

Im Nachhinein verweigerte die I. die Zahlung von 3.844,44 €.

Die Klägerin trägt vor, dass die Parteien sich durch obige Schreiben auf einen Vergleich geeinigt hätten. Zum weiteren Vortrag wird auf die Klageschrift verwiesen.

Die Klägerin beantragt zu erkennen:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.844,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.  Sie trägt vor, dass der Vergleichsvorschlag nicht wörtlich angenommen worden sei. Deshalb handele es sich um ein neues Angebot, welches die I. nicht angenommen habe. Zum weiteren Vortrag wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen. Auch Grund und Höhe des Anspruchs wird bestritten.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Regreßanspruch gemäß § 116 SGB X in Höhe von 3.844,44 € gegen die Beklagte.

Die Klägerin und die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherung haben sich durch die beiden Schreiben vom 04.10.2016 und 10.10.2016 auf einen Regreßanspruch in Höhe von 3.844,44 € durch Vergleich gemäß § 779 BGB geeinigt.

Die beiderseitigen Willenserklärungen sind gemäß den §§ 133, 157 BGB auszulegen (Palandt, BGB, 75. A. § 779 Rdnr. 11). Hierbei ist zunächst der Wortlaut der Erklärungen maßgebend.

Die I. wollte dem Wortlaut nach für alle denkbaren Ansprüche für die Zeit bis zum 31.03.2016 eine umfassende Abgeltung regeln. Die Klägerin hat diesen Wortlaut nicht wiederholt, allerdings klargestellt, dass es sich um eine Endabrechnung handelt und bestätigt ausdrücklich, dass alle Ansprüche mit der Zahlung abgegolten sind.

Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mußte (BGH 36, 30/33).

Hiernach ist durch die Erklärung der Klägerin, dass es sich um eine "Endabrechnung" handelt und der weiteren Erklärung, dass hiermit "alle Ansprüche abgegolten sind", für den verständigen Erklärungsempfänger offenbar, dass hiermit die von der I. gewollte Bestätigung abgegeben werden sollte. Da auf das Schreiben der I. explizit Bezug genommen wurde, gibt es keinen vernünftigen Zweifel, dass mit dieser Zahlung auch "alle Ansprüche aus dem o.g. Vorfall für die Zeit bis zum 31.03.2016 endgültig und abschließend, ob bekannt oder unbekannt, vorhersehbar oder nicht, erledigt sind".

Es liegt keine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen vor, welche als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag angesehen wird (§ 150 Abs. 2 BGB). Vielmehr ergibt die Auslegung, dass die Klägerin das Vergleichsangebot inhaltlich vollumfänglich bestätigt und angenommen hat. Hierfür ist nicht erforderlich, dass alle Worte aus dem Angebot wiederholt werden. Maßgebend ist der übereinstimmende Wille, welcher nach dem Wortlaut der beiderseitigen Erklärungen nicht zweifelhaft sein kann.

Der I. war auch bekannt, dass es beim Vergleich nicht um Zukunftsschäden nach dem 31.03.2016 geht, welche eine neue Krankenversicherung des Geschädigten geltend machen könnte. Sie wollte ja selber nur eine Einigung für die Zeit bis zum 31.03.2016 (Ende des Versicherungsvertrages bei der Klägerin). Für die Ansprüche bis dahin wollte auch die Klägerin eine Endabrechnung, also eine Schlußabrechnung vergleichsweise durchführen. Für die Schäden ab dem 01.04.2016 war die Klägerin nicht mehr zuständig, was die I. unstreitig wußte.

An dem Zustandekommen und der Wirksamkeit des Vergleiches gibt es damit keinen Zweifel. Angefochten wurde der Vergleich nicht.

Die Nebenforderungen beruhen auf dem Zahlungsverzug gemäß den §§ 280, 286, 288 BGB.

Verzug traf jedoch erst mit Ablehnung der Zahlung seitens der hinter der Beklagten stehenden Haftpflichtversicherung mit Fax vom 02.11.2016 ein (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Insoweit erfolgte teilweise Klageabweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

 

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

https://www.juris.de/perma?d=JURE180002290

 


Keine Drittwiderklage des Schädigers gegen den Geschädigten im Regress der Krankenkasse - LG Stuttgart, Urteil vom 15.12.2017 - 21 O 300/17

 

Tenor

  1. Die Drittwiderklage wird abgewiesen.
  2. Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und des Drittwiderbeklagten Ziff. 2 trägt der Beklagte. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Teilurteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Drittwiderbeklagten ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
  4. Streitwert: bis zu EUR 1.000,00.

Tatbestand

Die Klägerin macht als Trägerin einer gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 116 Abs. 1 SGB X aufgrund eines von ihr vorgetragenen Ereignisses am 11.7.2015 gegen 13:15 Uhr auf dem Parkdeck des Kauflandes in B. auf sie übergegangene Ansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten und geschädigten Drittwiderbeklagten Ziff. 1 gegen den Beklagten geltend.

Die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 wollte mit ihrem Ehemann, dem Drittwiderbeklagten Ziff. 2, im Kaufland einkaufen. Der Drittwiderbeklagte Ziff. 2 fuhr deswegen auf das Parkdeck und stellte das Auto in einer Parklücke ab. Der Beklagte parkte sein Auto in der danebenliegenden Parklücke. Über die Art und Weise, wie der Beklagte sein Auto in die Parklücke stellte, entwickelte sich zwischen den Beteiligten ein Streitgespräch und es kam zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und dem Beklagten.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe die Drittwiderbeklagten Ziff. 1 zunächst mehrfach beschimpft und während der Auseinandersetzung mit der Faust geschlagen. Die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 habe dadurch ein stumpfes Larynxtrauma mit Einblutung sowie eine Fraktur des Schildknorpels erlitten. Ihr seien Heilbehandlungskosten i. H. v. EUR 1.502,08 entstanden, dessen Ersatz nun die Klägerin aus abgetretenem Recht gegenüber dem Beklagten geltend macht.

Die Klägerin beantragt deshalb,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.502,08 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 05.01.2017 zu zahlen.

2. festzustellen, dass der Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der Frau … vom 11.07.2015 gegen 13:15 Uhr auf dem Parkdeck der Kaufland-​Niederlassung in B., S. Straße entstanden sind und noch entstehen werden.

3. festzustellen, dass es sich bei den dem Tenor zu 1. bis 2. zugrundeliegenden Ansprüchen um solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Klägerin keine Erstattungsansprüche zustünden, da die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 gegen ihn keine Schadensersatzansprüche geltend machen könne.

Er trägt vor, die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 habe mit der Auseinandersetzung angefangen. Sie habe ihn beschimpft und - nachdem der Beklagte es abgelehnt habe, sein Fahrzeug wegzufahren - angegriffen. Dabei habe sie den Beklagten gestaucht und ihn unterhalb des rechten Knies verletzt. Hierbei sei seine Hose aufgescheuert worden. Aufgrund dessen sei dem Beklagten nichts anders übriggeblieben, als die Drittwiderbeklagte zu Ziff. 1 nach hinten zurückzustoßen. Hierbei habe diese sich möglicherweise verletzt.

Der Beklagte begehrt von der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 wegen der beschädigten Hose Schadensersatz i. H. v. EUR 50,00 und verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld i. H. v. EUR 350,00 für die erlittenen Verletzungen. Der Beklagte behauptet ferner, auch der Drittwiderbeklagte Ziff. 2 habe ihn während der Auseinandersetzung beschimpft. Hierfür fordert er Schmerzensgeld i. H. v. EUR 150,00.

Mit am 17.10.2017 erhobener - isoliert gegen die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 und den Drittwiderbeklagten Ziff. 2 gerichteter - Widerklage beantragt der Beklagte deshalb:

1. die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 zu verurteilen, an den Beklagten ein Schmerzensgeld i. H. v. EUR 400,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. den Drittwiderbeklagten Ziff. 2 zu verurteilen, an den Beklagten ein Schmerzensgeld i. H. v. EUR 150,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Drittwiderbeklagten beantragen, die Drittwiderklage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, die Drittwiderklage sei bereits unzulässig, da der für die Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage erforderliche Zusammenhang zwischen Klage und Drittwiderklage fehle. Ferner sei die Drittwiderklage erkennbar nur deshalb erhoben worden, um die Drittwiderbeklagten als Zeugen auszuschalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gern. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Drittwiderklage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist, weshalb sie durch Teilurteil abzuweisen war.

I.

1. Das Gericht konnte über die Widerklage durch Teilurteil entscheiden. Nach § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO kann durch Teilurteil entschieden werden, wenn bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen ausgeschlossen ist (BGH NJW-​RR 2012, 849; 2011,189, 191).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn zum einen war die Drittwiderklage entscheidungsreif; zum anderen bestand die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht, und zwar weder im Hinblick auf die Zulässigkeit noch auf die Begründetheit von Klage und Drittwiderklage. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung der Klage werden sich dem Gericht keine Fragen stellen, die es bei der isolierten Drittwiderklage anders behandelt hat. Hinsichtlich der Begründetheit besteht auch keine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Die Entscheidung über die Klageforderung in der Sache hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Klägerin der Nachweis gelingt, dass der geschädigten Drittwiderbeklagten Ziff. 1 gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung zusteht. Die drittwiderklagend geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche betreffen demgegenüber die Frage, ob dem Beklagten seinerseits gegen die Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zustehen.

2. Die Unzulässigkeit der Drittwiderklage folgt aus § 33 ZPO.

a) Eine Widerklage setzt nach § 33 Abs. 1 ZPO eine anhängige Klage voraus; der Widerkläger muss ein Beklagter und der Widerbeklagte muss ein Kläger sein. Daher ist eine Widerklage gegen einen bisher am Prozess nicht beteiligten Dritten grundsätzlich nur zulässig, wenn sie zugleich gegenüber dem Kläger erhoben wird. Eine Drittwiderklage, die sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet, ist grundsätzlich unzulässig (st. Rspr. seit BGH, Urt. v. 17.10.1963, II ZR 77/61).

b) Der BGH hat jedoch auch Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Eine sog. isolierte Drittwiderklage ist zulässig, wenn sie gegen den Zedenten der Klageforderung gerichtet ist und die Gegenstände von Klage und Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind (BGH, Beschl. v. 30.9.2010, Xa ARZ 191/10). Sie ist auch dann zulässig, wenn sich ihr Gegenstand mit dem Gegenstand einer hilfsweise gegenüber der Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt (BGH, Urt. V. 5.4.2001, VII ZR 135/00) oder wenn die abgetretene Klageforderung und die mit der Drittwiderklage geltend gemachte Forderung aus einem einheitlichen Schadensereignis resultieren (BGH, Urt. v. 13.3.2007, VI ZR 129/06, Rn. 16). Schließlich ist sie zulässig, wenn mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass dem Zedenten keine Ansprüche zustehen (BGH, Beschl. V. 30.9.2010, Xa ARZ 191/10). Ausschlaggebend ist aber stets, dass die zu erörternden Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und durch die Einbeziehung des Drittwiderbeklagten in den Rechtsstreit dessen schutzwürdige Interessen nicht verletzt werden.

Unberücksichtigt bleiben dürfen darüber nicht indes nicht die schützenswerten Interessen des Klägers, die dadurch berührt sein können, dass der Prozessstoff sich ausweitet und das Verfahren länger dauern kann (BGH, Urt. v. 7.11.2013, VII ZR 105/13 Rn. 16).

Nach alldem fehlt es hier an dem erforderlichen tatsächlich und rechtlich engen inneren Zusammenhang zwischen dem Drittwiderklagebegehren und dem Streitgegenstand der Klage. In tatsächlicher Hinsicht betreffen die drittwiderklagend geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche und die Klageforderung zwar denselben Lebenssachverhalt, nämlich den Vorfall vom 11.7.2015 auf dem Parkdeck des Kauflandes. Richtig ist auch, dass der streitige Hergang für die beiderseitigen Ansprüche in gleicher Weise festgestellt werden muss. In rechtlicher Hinsicht basieren sie aber auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen, namentlich zwei verschiedenen gesetzlichen Schuldverhältnissen aus unerlaubter Handlung. Zudem ist die Verknüpfung nicht derart eng wie beispielsweise bei einem Verkehrsunfall, bei welchem die Schadensersatzansprüche auf ein und demselben Schadensereignis beruhen.

Entscheidend kommt hinzu, dass der Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage schützenswerte Interessen der Klägerin entgegen stehen. Es ist mit prozessökonomischen Erwägungen nicht zu vereinbaren, den Rechtsstreit einer gesetzlichen Krankenkasse gegen den (vermeintlichen) Schädiger auf Erstattung von Behandlungskosten im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X mit der Klärung von Fragen zu belasten, die für etwaige (Schmerzensgeld-​)Ansprüche des Geschädigten gegen die Schädiger von Belang sind. Dies mag im Fall eines gewillkürten Forderungsübergangs anders sein. Denn vorliegend scheiden prozesstaktische Erwägungen aufgrund des sofortigen Forderungsübergangs kraft Gesetzes von vornherein aus. Deshalb verlangt es der Grundsatz der Waffengleichheit auch nicht, die isolierte Drittwiderklage ausnahmsweise zuzulassen, um dem Beklagten seinerseits dadurch ein prozesstaktisches Vorgehen zu ermöglichen, um lediglich den Zustand wiederherzustellen, der bestünde, wenn der eigentliche Rechtsinhaber die Klage erhoben hätte. Denn die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 hätte zuvor gar nicht die von der Klägerin geltend gemachten Kosten gerichtlich einfordern können, weil sie nie deren Inhaberin war, da der Anspruch sofort mit dem Schadensereignis übergeht. Insoweit kann die Drittwiderbeklagte zu Ziff. 1 auch wirtschaftlich nicht vom Ausgang des Prozesses profitieren, wie es bei einer prozesstaktischen vertraglichen Abtretung regelmäßig anzunehmen ist. Da die Klägerin als Sozialversicherungsträger Ersatz ihrer Schäden und Aufwendungen verlangt, verbleiben Schadenersatzzahlungen des Beklagten allein bei der Klägerin. Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 SGB X hat gerade u.a. den Zweck eine Doppelleistung an den Geschädigten bzw. seine Hinterbliebenen zu verhindern (KassKomm/Kater SGB X § 116 Rn. 5).

II.

Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das zwischen den Drittwiderbeklagten und dem Beklagten bestehende Prozessverhältnis auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

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Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer Zahlung aufgrund Teilungsabkommens? - Prelinger, jurisPR-VersicherungsR 2/2018, Anm. 6 (Anmerkung zu LG Bremen, Urteil vom 04.07.2017 - 4 O 1904/16)

Ist in einem Teilungsabkommen vereinbart, dass die Haftpflichtversicherung bei Zweifeln den Kausalitätsbeweis von der Krankenkasse verlangen kann, dann erlischt dieses Recht mit der Zahlung der Haftpflichtversicherung.

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

8.2.2018


Anmerkung zu

LG Bremen, Urteil vom 4.7.2017, Az. 4 O 1904/16


Quelle


Normen

§ 116 SGB 10, § 118 SGB 10, § 158 BGB, § 162 BGB, § 812 BGB, § 288 BGB, § 286 BGB, § 242 BGB


Fundstelle

juris-PraxisReport-Versicherungsrecht 2/2018, Anm. 6


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VersR 2/2018, Anm. 6


Verjährungsbeginn bei Behandlungsfehlern - Prelinger - jurisPR-MedizinR 12/2017 Anm. 2 (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 8.11.2016 - VI ZR 594/15)

Ansprüche aus Behandlungsfehlern können zu anderer Zeit verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen. Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits besteht zwar eine Verknüpfung dergestalt, dass es Ziel des Schadensersatzbegehrens des Patienten ist, eine Entschädigung für die bei ihm aufgrund der Behandlung eingetretenen gesundheitlichen Nachteile zu erlangen, doch liegen den Haftungstatbeständen verschiedene voneinander abgrenzbare Pflichtverletzungen zugrunde. Dies kann auch zu unterschiedlichen Verjährungsfristen führen (BGH, Urteil vom 8.11.2016- VI ZR 594/15).

Leitsatz
  1. Ansprüche aus Behandlungsfehlern können zu anderen Zeiten verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen.
  2. Nach § 203 Satz 1 BGB endet die Hemmung der Verjährung auch durch das Einschlafen der Verhandlungen. Das ist der Zeitpunkt, in dem spätestens eine Erklärung der jeweils anderen Seite – sei es des Gläubigers oder des Schuldners – zu erwarten gewesen wäre.
A. Problemstellung

Bei Behandlungsfehlern hängt der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB unter anderem von der positiven Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ab.

Bei Aufklärungsfehlern ist hierbei fraglich, ob der eine ordnungsgemäße Aufklärung bestreitende Patient diese Kenntnis bereits hat, wenn das Krankenhaus ihm die Seite der Patientenakte nicht herausgibt, auf der sich eine Dokumentation der Aufklärung befinden soll.

Des Weiteren ist hinsichtlich eines Behandlungsfehlers im engeren Sinne fraglich, ob bereits dann positive Kenntnis vorliegt, wenn der Anwalt des Geschädigten die Forderungen beim Schädiger anmeldet und dabei „mit hinreichender Deutlichkeit“ zum vermuteten Behandlungsfehler Stellung nimmt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger wurde am 22.11.2003 mit einem Gewicht von 5.100 Gramm bei der Beklagten zu 1) geboren. Die Geburt wurde zunächst von der Beklagten zu 3) als diensthabender Stationsärztin geleitet. Später übernahm die Beklagte zu 2) als gynäkologische Chefärztin die Geburtsleitung. Während der Geburt trat eine Schulterdystokie auf, weshalb die Beklagte zu 2) die Entscheidung zu einer vaginal-​operativen Entbindung traf. Nach der Entbindung war der linke Arm des Klägers mit Hämatomen besetzt und schlaff. Später wurden eine obere und untere Parese des Plexus brachialis links sowie eine Claviculafraktur diagnostiziert.

Die Mutter des Klägers fertigte am 04.08.2006 ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll, in dem sie die Ereignisse von ihrer Aufnahme ins Krankenhaus der Beklagten zu 1) bis zur Geburt des Klägers detailliert beschrieb und Kritik an der angewandten geburtshilflichen Technik sowie daran übte, dass eine Risikoaufklärung unterblieben und keine Kaiserschnittentbindung angeboten worden sei.

Auf Aufforderung der Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandte die Beklagte zu 1) ihnen am 22.09.2006 die aus 91 Seiten bestehende Dokumentation über den stationären Aufenthalt der Mutter des Klägers. Eine Seite des Geburtsprotokolls, die den Zeitraum von der Aufnahme der Mutter des Klägers bei der Beklagten zu 1) am Nachmittag des 19.11.2003 bis um 13:40 Uhr am Folgetag dokumentiert, fehlte zunächst und wurde erst im Mai 2008 übermittelt.

Mit Schreiben vom 09.08.2007 erhoben die Anwälte des Klägers Ansprüche gegen die Beklagte zu 1), deren Haftpflichtversicherer in einem Schreiben vom 20.08.2007 ankündigte, Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu nehmen sowie ärztliche Stellungnahmen einzuholen und sich anschließend zur Deckungs- und Haftungsfrage zu äußern. Am 26.10.2007 lehnte der Haftpflichtversicherer eine Haftung der Beklagten ab. Am 13.11.2007 baten die Prozessbevollmächtigten des Klägers um eine nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage und um die Überlassung weiterer Unterlagen. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) übersandte am 05.05.2008 die fehlende erste Seite der Dokumentation des stationären Aufenthalts der Mutter des Klägers unter Hinweis darauf, man halte an der bereits im Schreiben vom 26.10.2007 bekundeten Auffassung fest. Auf nochmalige Aufforderung vom 02.06.2008 übersandte der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) am 05.08.2008 weitere Unterlagen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers reagierten darauf mit Schreiben vom 12.06.2009.

Der BGH erkannte, dass auf Aufklärungsfehler gestützte Ansprüche verjährt seien. Eine Verjährung von Ansprüchen des Klägers wegen ärztlicher Behandlungsfehler könne nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden, da insoweit der Beginn der Verjährungsfrist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden ist. Die Frist gemäß § 199 Abs. 1 BGB habe bereits am 01.01.2007 zu laufen begonnen. Dabei können Ansprüche aus Behandlungsfehlern zu anderer Zeit verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen. Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits bestehe zwar eine Verknüpfung dergestalt, doch liegen den Haftungstatbeständen verschiedene voneinander abgrenzbare Pflichtverletzungen zugrunde, was auch zu unterschiedlichen Verjährungsfristen führen könne.

Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Verjährung der Ansprüche aus Aufklärungsfehlern bereits mit Beginn des Jahres 2007 begonnen habe, weil die Mutter, auf deren Wissensstand als gesetzlicher Vertreterin es ankomme, schon 2006 die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch wegen Aufklärungsmängeln begründenden Umständen gehabt habe. Dies ergebe sich aus ihrem Gedächtnisprotokoll vom 04.08.2006.

Es sei auch unbeachtlich, dass dem Kläger im Jahr 2006 eine Seite des Geburtsprotokolls noch nicht vorlag. Dabei spiele es keine Rolle, ob darin eine Aufklärung dokumentiert gewesen sein soll, nachdem die Mutter des Klägers schon in ihrem Gedächtnisprotokoll den Vorwurf eines Aufklärungsfehlers erhoben hatte, weil eine Risikoaufklärung unterblieben und ihr keine Kaiserschnittentbindung angeboten worden sei. Denn die Verjährungsfrist beginne dann zu laufen, wenn dem Geschädigten oder seinem Vertreter bei seinem Kenntnisstand die Erhebung einer Schadensersatzklage gegen eine bestimmte Person – sei es auch nur in Form der Feststellungsklage – zumutbar ist. Es sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Streitfall insoweit eine Klageerhebung schon Ende 2006 für zumutbar gehalten hat. Dass auf der dem Kläger im Jahr 2006 noch fehlenden Seite des Geburtsprotokolls eine Aufklärung im Ansatz dokumentiert war, habe lediglich Auswirkungen auf die Beweislage gehabt, nachdem die Mutter des Klägers eine Aufklärung bestritt. Der Verjährungsbeginn setze keineswegs voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand hat, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Es müsse dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm oder seinen Vertretern hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko.

Hinsichtlich des Behandlungsfehlers habe die Frist nicht bereits am 01.01.2007 begonnen. Es könne nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die für den Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis von einem Behandlungsfehler erst im Laufe des Jahres 2007 erlangt worden ist. Die Kenntnis liege nicht schon vor, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der Behandlung bekannt sei. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen.

Allein die Vorwürfe der Mutter des Klägers im Gedächtnisprotokoll vom 04.08.2006 ließen nicht auf eine in diesem Sinne ausreichende Kenntnis eines vom Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens schließen. Für die Gesundheitsschäden ihres Kindes mache sie darin allein die Schwere der Geburt aufgrund dessen Größe verantwortlich. Anhaltspunkte für einen weitergehenden Kenntnisstand sind nicht festgestellt.

Allerdings sei auch der Kenntnisstand der Rechtsanwälte miteinzubeziehen. Nach den Grundsätzen zum sog. Wissensvertreter müsse sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein Rechtsanwalt mit der Aufklärung eines Sachverhalts beauftragt wurde.

Die Rechtsanwälte des Klägers hätten die ärztlichen Behandlungsfehler, die der Kläger den Beklagten zur Last legt, zwar im Schreiben vom 09.08.2007 „mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen“, so dass sie damit die gemäß § 199 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis gehabt hätten. Das Berufungsgericht habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob sie diese Kenntnis schon im Jahr 2006 hatten oder ob sie sie ggf. bis Ende dieses Jahres ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen, wobei zu beachten ist, dass sie nicht verpflichtet waren, sich im Hinblick auf einen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung verdeutlicht zunächst, dass in Hinblick auf die Verjährung zwischen Ansprüchen aufgrund mangelhafter Aufklärung und Ansprüchen aus Behandlungsfehlern (im engeren Sinn) unterschieden werden muss, da es sich um verschiedenartige Pflichtverletzungen und somit um unterschiedliche Lebenssachverhalte bzw. unterschiedliche Streitgegenstände handelt, für die jeweils gesondert die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB geprüft werden müssen. Der BGH setzt damit seine bisherige Rechtsprechung fort (BGH, Urt. v. 05.12.2006 – VI ZR 228/05; BGH, Urt. v. 09.11.2007 – V ZR 25/07; BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, BGH, Urt. v. 24.03.2011 – III ZR 81/10).

Hinsichtlich des Vorwurfs der fehlerhaften Aufklärung erscheint die Entscheidung allerdings fragwürdig. Die Kenntnis der Mutter wurde deswegen bejaht, weil sie in einem Gedächtnisprotokoll Aufklärungsfehler formulierte. Daher habe sie auch nicht mehr Einsicht in die Patientenakte benötigt, obwohl in der ihr überreichten Kopie der Patientenakte eine Seite gefehlt habe, die eine Aufklärung dokumentierte (Rn. 11).

Zunächst handelt es sich bei einer Geburt naturgemäß um einen physisch und psychisch äußerst schwierigen und intensiven Vorgang, bei dem der Mutter möglicherweise nicht alle Umstände in Erinnerung geblieben sind. Die Aufklärung muss jedoch für den Patienten verständlich sein (§ 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB), wobei es insbesondere auf den Zustand des Patienten ankommt (BGH, Urt. v. 11.10.2016 – VI ZR 462/15). Dass einer Mutter in einem solchen Ausnahmezustand etwas entgangen sein kann, ist durchaus denkbar.

Allein der formale Aspekt, dass man etwas in einem Gedächtnisprotoll zusammenfasst, kann deswegen nicht kenntnisbegründend sein, weil dort nur Erinnerungen und Vermutungen zusammengetragen werden, die aber nicht vollständig sein müssen und der weiteren Nachforschung bedürfen. Eine Kenntnis davon, worüber hätte aufgeklärt werden müssen, liegt mit einem solchen Protokoll ebenso wenig vor, wie eine Kenntnis vom Facharztstandard und der Abweichung davon. Wenn sogar ein Arzt als Patient über die Risiken eines seiner Fachrichtung fremden Eingriffs aufgeklärt werden muss (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 27.02.2014 – 5 U 1461/13 Rn. 22), dann hat erst recht ein medizinisch unkundiger Patient ohne weiteres noch keine Kenntnis vom Aufklärungsfehler. Kommt ihm der Verdacht, dass das Geschehen behandlungsfehlerhaft gewesen sein könnte, dann muss er diesem Verdacht nachgehen, um sich nicht dem Vorwurf der grobfahrlässigen Unkenntnis auszusetzen – wobei er sich auch nach der hier besprochenen Entscheidung (Rn. 14) eben gerade kein medizinisches Fachwissen anzueignen braucht (vgl. auch BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05).

Keinesfalls kann es in der Hand der Behandlungsseite liegen, darüber zu entscheiden, was der Patient an Auszügen aus der Patientenakte erhält. Dieses würde einen Anreiz zur Selektion und zum Vorenthalten potentiell haftungsträchtiger Teile darstellen. Der Patient hat vielmehr ein Recht auf „vollständige“ Einsicht in die Patientenakte, wie es § 630g Abs. 1 BGB ausdrücklich regelt (vgl. auch AG München, Urt. v. 06.03.2015 – 243 C 18009/14). Der Patient soll alle potentiell relevanten Umstände für die gerichtliche Prüfung eines Behandlungsfehlers in Erfahrung bringen können.

Daher wurde auch im Gesetzgebungsverfahren ausgeführt (BT-​Drs. 17/10488 v. 15.08.2012, S. 11; BR-​Drs. 312/12, S. 13):

„Patientenakten sind für Behandelnde und Patientinnen und Patienten von großer Bedeutung. Was dokumentiert ist, lässt sich auch später noch nachvollziehen. Die Pflicht zur Dokumentation soll darum im Gesetz festgelegt werden. Patientenakten sind vollständig und sorgfältig zu führen. Wird gegen diese Pflicht verstoßen, so hat dies – so schon die bisherige Rechtsprechung – in einem späteren Gerichtsverfahren Folgen. Es wird vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme auch tatsächlich nicht erfolgt ist. Diese Vermutung soll nun ausdrücklich geregelt werden, genau wie die Akteneinsicht. Die beste Dokumentation nützt nichts, wenn die Akten für die Patientinnen und Patienten verschlossen bleiben. Daher soll zu ihren Gunsten ein gesetzliches Recht auf Einsicht in die sie betreffenden Patientenakten verankert werden.“

Im ursprünglichen Entwurf (vgl. BT-​Drs. 17/10488, S. 6) war das Wort „vollständig“ noch nicht erwähnt und wurde späterhin hinzugefügt. Das Einsichtsrecht sollte somit insbesondere der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen dienen.

Das bedeutet aber, dass es eine inakzeptable Vorverlagerung des Verjährungsbeginns darstellte, wenn man dem Patienten zumuten will, klagen zu müssen, obwohl der Akteninhalt nicht vollständig bekannt ist. Der BGH führt im Urteil (Rn. 11) sogar aus, dass ausgerechnet auf der noch fehlenden Seite des Geburtsprotokolls eine Aufklärung „im Ansatz dokumentiert“ war, dieses aber für die Zumutbarkeit der Klageerhebung unbeachtlich sei, weil dieser Umstand nur Auswirkungen auf die Beweislage gehabt habe. Diese Auffassung erscheint äußerst fragwürdig. Gerade der Umstand, dass sich späterhin herausstellte, dass ausgerechnet der fehlende und erst nach 2006 bekannt gewordene Teil der Dokumentation über die 48 Stunden vor der Geburt eine Dokumentation über die Aufklärung „im Ansatz“ enthielt, belegt die unbedingte Notwendigkeit der vollständigen Einsicht. Denn von der vollständigen Kenntnis der Patientenakte hängt ab, ob sich die Kenntnis des Patienten auch auf das Nichtbestehen von Einwendungen beziehen muss. Eine Kenntnis gemäß § 199 Abs. 1 BGB ist nämlich nicht vorhanden, wenn konkrete Anhaltspunkte für Einwendungen bestehen und es daher naheliegt, dass der Beklagte sich darauf berufen wird. Hat der Gläubiger trotz des Vorliegens solcher konkreten Anhaltspunkte keine hinreichende Kenntnis über die diese Einwendung begründenden Umstände und bleiben deswegen konkrete Zweifel am Bestehen seines Anspruchs, wird der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben (BGH, Urt. v. 22.06.1993 – VI ZR 190/92; BGH, Urt. v. 14.05.2009 – I ZR 82/07).

Der Arzt hat die Aufklärung zu beweisen, so dass es sich um eine solche Einwendung handelt (§ 630h Abs. 2 Satz 1 BGB). Der Einwand ordnungsgemäßer Aufklärung ist in Arzthaftungsprozessen grundsätzlich zu erwarten und lässt somit regelmäßig „konkrete Zweifel“ entstehen. Dies gilt erst recht, wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung vorprozessual behauptet wird. Daher ist es weder mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren (vgl. o.), noch zumutbar, einen Verjährungsbeginn vor Kenntnis von der vollständigen Patientenakte anzunehmen.

Zudem erscheinen auch die Ausführungen des BGH dazu, dass der Terminus „erfolgsversprechend, aber nicht risikolos“ nicht erfordere, dass die Klägerin hinreichend sichere Beweismittel in der Hand habe, sehr fragwürdig. Der Kläger bzw. seine Mutter hat sehr wohl ein Recht darauf, die Erfolgsaussichten und die dagegen sprechenden Einwendungen (vgl. o.) anhand der zur Verfügung stehenden Beweismittel zu beurteilen. Niemandem ist zumutbar, eine Klage zu erheben, wenn nicht die nötigen Beweismittel zur Verfügung stehen, weil allein mit einer prozessualen Behauptung keine Erfolgsaussicht besteht. Eine Klage ohne Beweismittel ist nicht erfolgsversprechend. Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits vorgerichtlich erkennbar ist, das wesentliche Umstände bestritten werden oder Einwendungen zu erwarten sind. Der Terminus bedeutet nur nicht, dass gar kein Beweisrisiko mehr bestehen darf bzw. eine dahingehende Gewissheit herrschen muss, dass die Klägerin mit diesem Beweismittel den Beweis auch erfolgreich führen kann, da dies eine nicht prognostizierbare Frage der Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO und daher nie risikolos ist.

Die Ausführungen des BGH zum Behandlungsfehler im engeren Sinn sind auch zweifelhaft. Zutreffend führt der BGH aus, dass sich aus den bloßen Vermutungen der Mutter keine Kenntnis einer Abweichung vom Facharztstandard herleiten lässt. Fehlen dem Geschädigten die hierfür erforderlichen Kenntnisse, muss er nur versuchen, sich insoweit rechtskundig zu machen (BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05 Rn. 23; BGH, Urt. v. 20.09.1983 – VI ZR 35/82). Dann stellt der BGH allerdings auf die Kenntnis des Anwalts des Klägers ab, der Wissensvertreter entsprechend § 166 BGB sei und den Behandlungsfehler „mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen“ habe.

Die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erfolgte nur deshalb, weil nicht festgestellt wurde, ob der Anwalt diese Kenntnis bereits in verjährter Zeit hatte. Somit vermittelt sich der Eindruck, dass die Ausführungen des Anwalts in diesem Schreiben für den Verjährungsbeginn ausreichend gewesen sein sollen.

Diese Wissensvertretung erscheint sehr fraglich, weil der Anwalt nicht mehr medizinische Fachkenntnisse über den konkreten Fall hat als der Geschädigte. Der Anwalt kann die Vorwürfe sicherlich besser dogmatisch einordnen und seine Ermittlungen auf die relevanten Aspekte ausrichten. Das medizinische Fachwissen fehlt ihm aber, so dass es kein Wissen gibt, das dem Geschädigten zugerechnet werden könnte.

Der BGH nahm zur Begründung zwar Bezug auf eine ältere Entscheidung, in der ein sehr konkreter Behandlungsfehlervorwurf durch den Anwalt formuliert wurde (BGH, Urt. v. 31.10.2000 – VI ZR 198/99). Selbst ein derartiges Schreiben belegt aber kein medizinisches Wissen des Anwalts, da er nur allgemeine Erwägungen und Erfahrungen formulierte, ohne genau wissen zu können, ob das im konkreten Fall auch zutrifft.

Im vorliegenden Fall ist der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen, ob der Anwalt ähnlich substantiierte Ausführungen machte. Aber selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, so bleibt festzuhalten, dass der Anwalt trotzdem nicht den einschlägigen Facharztstandard kennt und daher auch nicht die Pflichtwidrigkeit einer etwaigen Abweichung davon feststellen kann. Auch er kann nur eine These formulieren und Ansprüche wegen des Verdachts anmelden.

Hierin sogleich die notwendige Kenntnis zu sehen würde bedeuten, dass jedes Aufsuchen eines arzthaftungsrechtlich versierten Anwalts wegen dessen Erfahrungen sogleich zur einer positiven Kenntnis führen würde, obwohl doch zunächst nur der Verdacht im Raum steht und überprüft werden soll. Hieran knüpft die Frage an, ob das nicht gilt, wenn der Patient einen arzthaftungsrechtlich unerfahrenen Anwalt aufsucht, was auf eine – abzulehnende – Prüfung der arzthaftungsrechtlichen Fachkenntnisse und Erfahrungen des Anwalts hinausliefe.

Der BGH hatte deswegen zurückverwiesen, damit das Oberlandesgericht aufklärt, wann der Anwalt die seinen Thesen zugrunde liegende Kenntnis hatte. Dieses erscheint umso fragwürdiger, als der BGH schließlich selbst ausführt (Rn. 14), dass der Patient und dessen Anwalt gerade keine Pflicht haben, sich medizinisches Fachwissen anzueignen (BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05). Hiernach kann sich aber nicht die Frage stellen, ob und ab wann der Anwalt einen Behandlungsfehlerverdacht thesenhaft formulieren kann, sondern ob und wann er das medizinische (!) Fachwissen hatte, um eine unzureichende Aufklärung oder eine Abweichung vom Facharztstandard beurteilen zu können, und das wird kaum vor Kenntnis eines Gutachtens der Fall sein.

D. Auswirkungen für die Praxis

Zuweilen ist in der Rechtsprechung ein Trend zur Überbeschleunigung zu erkennen, indem die positive Kenntnis des Patienten unverhältnismäßig früh angenommen wird. Beispielsweise soll schon ein Hinweis eines Arztes, der vorbehandelnde Arzt „gehöre in den Arsch getreten“ eine positive Kenntnis auslösen, weil damit hinreichend deutlich gemacht werde, dass vom Facharztstandard abgewichen wurde (OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.05.2016 – 1 U 121/15).

Hierbei verwaschen die Grenzen zwischen positiver Kenntnis und grobfahrlässiger Unkenntnis immer mehr, weil bereits der Verdacht eines Behandlungsfehlers zu einer positiven Kenntnis hochstilisiert wird. Diese unscharfe Abgrenzung liegt sicherlich auch daran, dass der BGH sich zur Definition des Begriffs der positiven Kenntnis noch an der früheren Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform 2002 orientiert, wofür es ausreichte, dass ein Behandlungsfehler „nahe liegt“ (BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08 Rn. 6 m.w.N.). Ein „Naheliegen“ stellt aber gerade keine positive Kenntnis vom Facharztstandard dar und sollte seit der Reform 2002 der typische Fall der Unkenntnis sein, bei der näher zu prüfen ist, ab wann diese auf grober Fahrlässigkeit beruht.

Es wäre daher wesentlich einfacher, eine positive Kenntnis nur dann anzunehmen, wenn der Aufklärungsbedarf bzw. der Facharztstandard und die Umstände der (pflichtwidrigen) Abweichung hiervon genau bekannt sind, was regelmäßig nur dann der Fall ist, wenn ein Gutachten vorliegt. Wird die Erstellung oder Vervollständigung des Gutachtens unnötig verzögert, dann kann dies zu einer grobfahrlässigen Unkenntnis führen (OLG Bamberg, Urt. v. 14.02.2014 – 4 U 62/13).

Zu beachten ist hierbei, dass der Gesetzgeber mittlerweile ein eigenes Begutachtungssystem für geschädigte Patienten geschaffen hat. Nach der 2013 erfolgten Neuregelung des § 66 SGB V sollen die Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen unterstützen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Aufklärungs- und Behandlungsfehlern entstanden sind. Die Krankenkassen waren hiernach grundsätzlich verpflichtet, Unterstützungsleistungen zu gewähren (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-​Drs. 17/10488, S. 32, zusammenfassend BSG, Urt. v. 08.09.2015 – B 1 KR 36/14 R Rn. 21). Die Krankenkassen holten daher gemäß § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) entsprechende Gutachten ein, die sie dann den Geschädigten zukommen ließen. § 66 SGB V wurde nunmehr durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) mit Wirkung zum 11.04.2017 geändert und zwingt jetzt die Krankenkassen, den vom Patienten mitgeteilten Verdacht eines Behandlungsfehlers auch dann prüfen zu müssen, wenn die Krankenkasse selbst gar keine eigenen Ansprüche wegen des Behandlungsfehlers geltend machen kann.

Einem Patienten, der sich dieses genau dafür vorgesehenen und oftmals sehr langwierigen gesetzlichen Begutachtungssystems bedient, kann in Hinblick auf das Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht von einer anderen staatlichen Stelle – Gerichtsbarkeit – vorgehalten werden, dass er sich dieses vom Gesetzgeber geschaffenen Systems bediente. Dann kann aber seine Vermutung eines Behandlungsfehlers nicht für den Verjährungsbeginn auslösend sein, da dies dem Patienten erst Anlass gibt, den Verdacht nach § 66 SGB V prüfen zu lassen.

Das muss auch dann gelten, wenn ein Behandlungsfehler bereits „nahe liegt“, da der durchschnittliche Patient, der sich des gesetzlichen Systems nach § 66 SGB V bedient, darauf vertraut, dass er das Gutachten abwarten darf. Ein juristischer Laie kommt angesichts dieses Systems gar nicht auf den Gedanken, dass die Rechtsprechung einen viel früheren Fristenbeginn annehmen könnte.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Zur Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen gemäß § 203 Satz 1 BGB bestätigte der BGH seine bisherige Rechtsprechung, dass Verhandlungen auch durch ein „Einschlafenlassen“ enden können. Die Hemmung endet daher spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Reaktion hätte erfolgen müssen (BGH, Urt. v. 06.11.2008 – IX ZR 158/07).

Fraglich war allerdings, ob nur der Gläubiger die Verhandlungen einschlafen lassen kann, indem er auf ein die Verhandlungen aufrechterhaltendes Ansinnen des Schuldners nicht reagiert, oder ob auch der Schuldner die Verhandlungen einschlafen lassen kann. Der BGH erkannte daher mit Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren und die aktuelle instanzgerichtliche Rechtsprechung, dass beide Parteien die Verhandlungen einschlafen lassen können (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 23.10.2008 – 9 U 19/08 Rn. 51 ff.; OLG Frankfurt, Urt. v. 19.09.2013 – 15 U 11/12 – MDR 2014, 75, 76; OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2014 – 19 U 19/14 – RuS 2015, 371, 372; OLG Hamm, Urt. v. 24.02.2015 – 24 U 94/13 – BauR 2015, 1676, 1679; OLG Koblenz, Urt. v. 16.03.2016 – 10 U 557/15 Rn. 79).

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Sturz im Pflegeheim - LG Marburg, Beschluss vom 31.07.2017 - 5 S 48/17

Tenor

Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Gründe

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Denn das angefochtene Urteil beruht im Ergebnis weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO). Es ist daher beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen begründen, sind nicht ersichtlich. Neue, in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähige Tatsachen bezeichnet die Berufungsschrift nicht, § 529 ZPO.

Die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Amtsgericht ist im Ergebnis überzeugend.

 

Im Einzelnen:

Der Klägerin dürfte - wie das Amtsgericht zutreffend entschieden hat - gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 611, 280 Abs. 1, S. 1, 241 Abs. 2, 278 BGB zustehen.

Das Amtsgericht Ist bei seiner Entscheidung von zutreffenden rechtlichen Grundsätzen zur Haftung für Schäden von Heimbewohnern bei Pflegemaßnahmen ausgegangen.

Nach den Grundsätzen des vollbeherrschbaren Risikos ist vorliegend von einer Pflichtverletzung des Beklagten bzw. seines Pflegepersonals auszugehen.

Ein vollbeherrschbares Risiko liegt vor, wenn die Schadensursache dem Organisationsbereich des Pflegeheims zuzuordnen ist und nicht aus der Sphäre des Patienten stammt. Allein daraus, dass ein Patient im Bereich eines Krankenhauses stürzt, ergibt sich für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals nichts; kommt es aber im Zusammenhang mit einer konkret geschuldeten Hilfeleistung zu einem Sturz des Patienten, so hat der Betreiber des Krankenhauses darzulegen und zu beweisen, dass dieser Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruht (KG, Hinweisbeschluss vom 10.09.2007 - 12 U 145/06 -, NJOZ 2008, 2794). Anders als der normale alltägliche Gefahrenbereich im Heim, der grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners fällt und bei dem dieser im Schadensfall für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist, greift in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte (erfolgsbezogene) Obhutspflichten bezüglich des Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist, eine Beweislastumkehr analog § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss (OLG Hamm, Urteil vom 27.01.2014 - 17 U 35/13 -, BeckRS 2014, 04746).

Nach diesen Grundsätzen zählt ein begleiteter Toilettengang eines sturzgefährdeten Heimbewohners zu dem vom Pflegeheim voll beherrschbaren Gefahren- und Verantwortungsbereich (OLG Hamm, Urteil vom 27.01.2014 - 17 U 35/13 -, aaO; vgl. auch Martis, MDR 2007, 12, 18).

Diese Grundsätze greifen auch im Nachgang zu einem Toilettengang ein, wenn sich ein Begleiten des Heimbewohners aufgrund seiner körperlichen Konstitution als pflegerische Maßnahme darstellt, die gerade auch dazu dient, Sturzereignisse zu verhindern.

Für eine Zuordnung des vorliegenden Sturzereignisses zu dem vollbeherrschbaren Risiko des Pflegeheims spricht vorliegend, dass auch der Gang zur Toilette und von der Toilette zum Bett aufgrund der Konstitution des Geschädigten mit einer hinreichend konkreten Sturzgefahr verbunden war, zu deren Abwendung das Heim auch verpflichtet war. So hatte die Zeugin - mit Blick auf die ihr bekannte Sturzgefahr - auch konkrete Schutzmaßnahmen beschrieben, etwa, dass sie Sturzmatten vor das Bett des Herrn ... gelegt und ihm Schuhe angezogen habe und dass er Hüftprotektoren getragen habe (Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, Bl. 104 d.A.). Eine Begleitung beim Gehen, so lautet es im Pflegebericht, sei tagesformabhängig erforderlich mit Blick auf die Schwäche der unteren Extremitäten des Geschädigten (Pflegebericht vom 17.11.2011, dort S. 6, Bl. 14 d.A.). Vom vollbeherrschbaren Bereich des Pflegeheims ist damit auch die Begleitung zur Toilette und zurück ins Bett erfasst mit Blick auf die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten.

Die vorliegende Situation nach dem Toilettengang dürfte nicht mit dem allgemeinen Risiko des Heimbewohners vergleichbar sein, in das sich dieser begibt, wenn er aus freien Stücken, d.h. ohne im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen zum Aufstehen aufgefordert worden zu sein, aus dem Bett aufsteht und ohne fremde Hilfe umherläuft.

Das Amtsgericht hat hierbei nicht verkannt, dass die Abgrenzung der Risikoreiche und der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen nicht pauschal vorzunehmen ist.

Der Inhalt der Pflegeleistungen richtet sich u.a. nach dem im Einzelfall erforderlichen Tätigkeiten zur Unterstützung der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Der Umfang der pflegerischen Leistungen richtet sich dabei nach dem jeweiligen Gesundheitszustand und Pflegezustand der Bewohner und ist auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2005 - III ZR 399/04 -, NJW 2005, 1937, 1938). Zu beachten ist schließlich, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 16.02.2010 - 24 U 141/09 - NJW-​RR 2010, 1533). Würde man generell fordern, Demenzkranken, sofern sie die Möglichkeit zu freier Bewegung haben, durchgängig einen „Aufpasser“ zur Seite zu stellen, so würde dies nur dazu führen, dass eine Mobilisierung unterlassen werden müsste. Dies widerspräche aber dem § 11 Abs. 1 Nr. 2 HeimG niedergelegten Postulat, dass die Selbstständigkeit und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern sind, wobei bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde gewährleistet werden muss, um den Heimbewohnern eine angemessene Lebensgestaltung zu ermöglichen ist (OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 18.05.2016 - 1-​24 U 7/16 - BeckRS 2016, 17595 [Rn. 19]).

Vorliegend ist nach diesen Grundsätzen zwar keine Pflege und Überwachung rund um die Uhr zu fordern. Es bestand jedoch - wie das Amtsgericht wohl zutreffend erkannt hat - im Zusammenhang mit Toilettengängen eine erhöhte Sturzgefahr, deren Abwendung dem Beklagte bzw. seinem Pflegepersonal oblag.

Dem Beklagten ist es vorliegend nicht gelungen, zu beweisen, dass bei der Ausführung der konkreten Pflegemaßnahmen keine Pflichten verletzt worden sind.

Die Beweisaufnahme war nicht ergiebig. Zwar hat die Zeugin ... ausgeführt, dass sie eine Sturzmatte ausgelegt, Herrn ... feste Schuhe angezogen und ihm einen Hüftprotektor angelegt habe. Dies geschah in Ausübung ihrer pflegerischen Pflichten. Überdies ist jedoch fraglich, ob weitere pflegerische Schutzmaßnahmen in der Phase des Bettbeziehens nach dem nächtlichen von der Zeugin ... begleiteten Toilettengang erforderlich gewesen sind. So hätte es - wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat - etwa nahegelegen, Herrn ... auf einen Sessel bzw. auf einen Stuhl zu setzen, um einen Sturz zu verhindern.

Es ist grundsätzlich zwar nicht fehlerhaft, einen gangunsicheren Heimbewohner sich frei bewegen zu lassen. Dem Pflegepersonal kommt insofern ein Einschätzungsspielraum zu bei der Frage, ob und welche Spielräume dem Heimbewohner bei der Ausführung pflegerischen Maßnahmen belassen werden.

Vorliegend kann die Kammer jedoch nicht erkennen, ob der Geschädigte überhaupt mit Blick auf seinen damaligen körperlichen Zustand in der Lage gewesen ist, frei zu stehen bzw. sich ohne Stütze fortzubewegen. Die Zeugin Frau ... konnte nicht mehr angeben, in welcher Tagesform sich Herr ... am Unfalltag befunden hat (vgl. Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, Abs. 2, Bl. 104 d.A.). Sie konnte insbesondere nicht angeben, ob Herr ... zum Unfallzeitpunkt (in den frühen Morgenstunden um 5.30 Uhr) schläfrig gewesen ist oder nicht (vgl. Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, vorletzter Abs., Bl. 104 d.A.). Diese Sachverhaltsungewissheiten gehen vorliegend zu Lasten des Beklagten.

Zur Vermeidung einer Zurückweisung der Berufung durch einen Beschluss, dessen Begründung sich in der Bezugnahme auf diesen Hinweisbeschluss erschöpfen könnte, wird empfohlen, eine Rücknahme des Rechtsmittels zu erwägen. Eventuellem neuem Vortrag setzt die Zivilprozessordnung enge Grenzen.

Eine Rücknahme der Berufung hätte eine erhebliche Reduzierung der Gerichtskosten zur Folge, da die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren im Allgemeinen von vier auf zwei Gerichtsgebühren halbiert würden.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats.

 

Anmerkung des Verfassers: Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.

 

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

https://www.juris.de/perma?d=JURE170038455


Teilungsabkommen: grundsätzliche Maßgeblichkeit, ob die Haftpflichtversicherung Deckungsschutz zu gewähren hat - Prelinger, jurisPR-VersicherungsR 10/2017, Anm. 3 (Anmerkung zu OLG Koblenz, Urteil vom 21.08.2017 - 12 U 1102/16)

Bei Teilungsabkommen wird nicht die haftungsausfüllende Kausalität zwischen den unfallbedingten Verletzungen und den Aufwendungen der Krankenkasse geprüft, sondern zwischen dem Schadensereignis (Unfallgeschehen) und den Aufwendungen. Die genaue Verletzung braucht somit nicht nachgewiesen zu werden. Daher ist es auch unerheblich, dass der Geschädigte in seinem Haftungsprozess die haftungsausfüllende Kausalität nicht nachweisen konnte (OLG Koblenz, Urteil vom 21.08.2017, Az. 12 U 1102/16).

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

10.12.2017


Anmerkung zu

OLG Koblenz 12. Zivil­senat, Urteil vom 21.08.2017, Az. 12 U 1102/16


Quelle


Normen

§ 17 StVG, § 7 StVG, § 2 KfzPflVV, § 116 SGB X


Fundstelle

jurisPraxisReport-Versicherungsrecht 10/2017, Anm. 3


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VersR 10/2017, Anm. 3


Der voll beherrschbare Gefahrenbereich gemäß § 630h Abs. 1 BGB - Vortrag zur 17. Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Arzthaftungsrecht im Deutschen Anwaltsverein am 13.10.2017

17. Herbsttagung Medizinrecht der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltsvereins (vom 13. bis 14. Oktober 2017 in Berlin)

Arbeitsgruppe Arzthaftungsrecht

Referent: Rechtsanwalt Prelinger, Berlin, Fachanwalt für Medizin-, Verkehrs- und Versicherungsrecht

Thema: Voll beherrschbarer Gefahrenbereich, § 630h Abs. 1 BGB

I. Historie

1. Urteil des BGH vom 18.12.1990 – VI ZR 169/90

Verliert ein Patient im Krankenhaus bei einer Bewegungs- und Transportmaßnahme der ihn betreuenden Krankenschwester aus ungeklärten Gründen das Gleichgewicht und stürzt, ist es Sache des Krankenhausträgers, aufzuzeigen und nachzuweisen, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Pflegekraft beruht.

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

16.10.2017


Verjährung der Rückzahlungsansprüche von Haftpflichtversicherern bei überhöhten Schadensersatzleistungen - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 16/2017, Anm. 2 (Anmerkung zu LG Hannover, Urteil vom 14.03.2017 - 72 O 3/16)

Hat eine Haftpflichtversicherung einen Schadensfall mit einer zu hohen Haftungsquote bedient und sind ihr sonst alle relevanten Umstände des Schadensfalles bekannt, beginnt die Verjährungsfrist ihres Rückforderungsanspruchs sogleich mit Schluss des Jahres, in dem sie die Zahlung erbrachte (Landgericht Hannover, Urteil vom 14.03.2017, Aktenzeichen 72 O 3/16).

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

26.7.2017


Anmerkung zu

Landgericht Hannover, Urteil vom 14.03.2017, Aktenzeichen 72 O 3/16


Quelle


Normen

§ 116 SGB X, § 195 BGB, § 199 BGB, § 812 BGB


Fundstelle

jurisPraxisReport-Verkehrsrecht 16/2017 Anm. 2


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 16/2017 Anm. 2


Rückforderung bei Teilungsabkommen - LG Bremen, Urteil vom 04.07.2017 - 4 O 1904/16

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 311,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2014 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 95% und die Beklagte zu 5%.
  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die gegen sie gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf die gegen sie gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin als Haftpflichtversicherer begehrt die Rückzahlung für aus ihrer Sicht an die Beklagte als Krankenkasse zuviel geleisteter Erstattung nach Abrechnung eines Schadensfalles auf Grundlage eines Teilungsabkommens. Die Klägerin ist Betriebshaftpflichtversicherer des …, der in … eine Tankstelle unterhält. Die Beklagte ist Krankenversicherer des Herrn … .

Die Klägerin und die Beklagte sind dem Volksfürsorge-Rahmen-Teilungsabkommen mit dem BKK-Bundesverband vom 01.09.1984 beigetreten, in dem unter anderem folgende Vereinbarungen enthalten sind:

§ 1

Kann eine diesem Abkommen beigetretene Krankenkasse „K" gegen eine natürliche oder juristische Person, die bei der „H” haftpflichtversichert ist, gemäß § 116 SGB X Ersatzansprüche aus Schadensfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen (Geschädigte) geltend machen, so verzichtet die "H“ auf die Prüfung der Haftungsfrage.

Voraussetzung für die Anwendung des Abkommens ist in der Kraftfahrt- Haftpflichtversicherung ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges; bei der Allgemeinen Haftpflichtversicherung ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Haftpflichtbereich

Die Leistungspflicht der "H" entfällt, wenn schon aufgrund des unstreitigen Sachverhalts unzweifelhaft und offensichtlich ist, daß eine Schadenersatzpflicht des Haftpflichtversicherten gar nicht in Frage kommt. Dies gilt nicht für den Einwand des unabwendbaren Ereignisses (§ 7 Abs.2 StVG) und für den Fall, daß der Schaden durch eigenes Verschulden - jedoch nicht durch Vorsatz - des Geschädigten entstanden ist.

Die “H“ ersetzt der „K“… in übrigen Fällen der Allgemeinen Haftpflichtversicherung 45% der von ihr zu gewährenden Leistungen im Rahmen des § 4 dieses Abkommens.

 

§ 3

Die „K” hat auf Verlangen der ”H“ Im Zweifel die Ursächlichkeit des fraglichen Schadensfalles für den der Kostenanforderung zugrunde liegenden Krankheitsfall nachzuweisen. …

Die "H“ zahlt die abkommensgemäße Leistung an die „K" innerhalb eines Monats nach Eingang der Kostenrechnung, jedoch nicht vor einwandfreier Klärung des Versicherungsschutzes. Eventuelle Einwendungen der "H" sollen möglichst innerhalb der vorgenannten Frist gegenüber der "K“ dargelegt werden. ...

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in Kopie zur Akte gereichte Teilungsabkommen Bezug genommen (vgl. Bl. 16 ff. d.A.).

Der Versicherungsnehmer der Beklagten rutschte am 24.02.2013 auf dem Tankstellengelände des Versicherungsnehmers der Klägerin auf eisglatter Fläche aus und fiel dabei auf die rechte Seite. Sturzbedingt zog er sich eine Bänderdehnung im rechten Sprunggelenk, eine Beckenprellung rechts, eine Ellenbogenprellung rechts, eine Handprellung rechts und eine Schulterluxation zu, wobei wegen der weiteren Einzelheiten auf die zur Akte gereichten Arztberichte etc. Bezug genommen wird.

Mit der Abrechnung der unfallbedingten Aufwendungen auf Grundlage des Teilungsabkommens beauftragte die Beklagte die …, die mit Schreiben vom 09.12.2013 Aufwendungen der Beklagten von insgesamt 21.393,28 € (geltend gemachte Forderung nach dem Teilungsabkommen: 9.626,98 €) angab und mit weiterem Schreiben vom 09.07.2014 Aufwendungen in Höhe von 1.340,06 € (geltend gemachte Forderung nach dem Teilungsabkommen: 603,03 €) mitteilte (vgl. Bl.6 ff. d.A. und 11 d.A.).

Die Forderung aus dem Abrechnungsschreiben vom 09.12.2013 beglich die Klägerin am 09.05.2014. Am 21.08.2014 teilte die Klägerin der Beklagten dann mit, dass in dem Abrechnungsschreiben vom 09.12.2013 unfallfremde Behandlungen enthalten seien und forderte die Beklagte fruchtlos auf, 7.666,58 € zu erstatten (vgl. Bl. 25). Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter.

Die Klägerin trägt vor: Die Forderung aus dem ersten Abrechnungsschreiben sei nach kursorischer Prüfung beglichen worden. Anlässlich der Prüfung des zweiten Abrechnungsschreibens sei ihrem neuen Sachbearbeiter aufgefallen, dass Aufwendungen in der ersten Abrechnung abgerechnet worden seien, die nicht im Zusammenhang mit dem Sturz am 24.02.2013 stünden. Die Aufwendungen stünden vielmehr im Zusammenhang mit einer degenerativen LWS-Erkrankung des Versicherungsnehmers der Beklagten. Aus den angeforderten ärztlichen Auskünften ergebe sich, dass die Behandlung der unfallbedingten Verletzungen am 07.05.2013 bereits abgeschlossen gewesen sei. Aus dem Forderungsschreiben vom 09.12.2013 seien daher mehrere Positionen zu streichen

  • Krankengeld Zeitraum: 06.06.-06.10.2013
  • Pflegeversicherungsbeiträge Zeitraum: 06.06.-06.10.2013,
  • KV Beiträge aus dem Zeitraum: 06.06.-06.10.2013,
  • Heilgymnastik VO vom 04.04.2013,
  • Elektrophysikalische Leistungen gemäß VO vom 14.03.2013,
  • TENS-Gerät gemäß VO vom 24.04.2013,
  • Schiene gemäß VO vom 04.04.2013,
  • Stützapparat gemäß VO vom 24.04.2013.

Daher seien für die Abrechnung anstatt 21.393,28 € nur 4.356,65 € anzusetzen. Hiervon seien 45% mithin 1.960,49 € zu erstatten gewesen. In Ansehung der erbrachten Zahlung von 9.626,98 € ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 7.666,58 €. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 7.666,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte trägt vor: Bei Berücksichtigung der Quote von 45% ergäbe sich allenfalls ein Rückerstattungsbetrag von 311,97 € für nicht kausale Behandlungen der Unfallfolgen, nämlich der Verordnung vom 13.02.2013, der Verordnung Heilgymnastik vom 04.04.2013, den Kosten für das elektrophysikalische Gerät und das TENS-Gerät sowie hinsichtlich der „Heilmittel“ Schiene und des Stützapparates aus den Verordnungen vom 04.04.2013 und 24.04.2013. Im Übrigen sei hinsichtlich der anderen Aufwendungen zumindest von einer Mitursächlichkeit des Sturzes vom 24.02.2013 auszugehen. Da der Zahlung der Klägerin auf die erste Abrechnung bei der Abwicklung auf Grundlage des Teilungsabkommens eine Abschlusswirkung zukomme, könne die Klägerin jedoch insgesamt keine Zahlungen zurückfordern. Mit dem Teilungsabkommen hätten sich die Parteien verglichen. Diese vergleichsweise Einigung führe dazu, dass das Teilungsabkommen den Rechtsgrund für die erfolgte Zahlung darstellen würde. Zudem sei in der Zahlung ein deklaratorisches Anerkenntnis zu sehen. Letztlich stehe der Rückforderung auch § 814 BGB sowie der Sinn und Zweck des Teilungsabkommens entgegen. Die Klägerin habe - unstreitig - entgegen § 3 des Teilungsabkommens vor der Zahlung gerade keine Zweifel angemeldet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat zu Informationszwecken die Akte der StA Stuttgart, Az.: … beigezogen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet.

 

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 311,97 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB.

 

1. Die Klägerin hat an die Beklagte - unstreitig - 9.626,98 € gezahlt und damit eine Leistung iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB erbracht. Ebenfalls steht nicht im Streit, dass damit die Beklagte diese Leistung erlangt hat.

 

2. In Höhe eines Anteils von 311,97 € ist diese Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt und rückforderbar.

a) Zahlt ein Haftpflichtversicherer nach einem Schadensfall, bei dem eine Haftpflichtschuld des Versicherungsnehmers besteht, an den Krankenversicherer den quotalen Anteil für geltend gemachte Leistungen, die für den Geschädigten aufgewendet wurden, ist alleiniger Rechtsgrund für die Leistung zwischen den Versicherungen das Teilungsabkommen, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen (Schadensfall und Deckungspflicht) gegeben sind (vgl. BGH, Urteil vom 8.10.1696, Az. IV ZR 633/68, Rz.: 18; Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 86 Rn. 186). Zahlt eine Versicherung die vereinbarte Quote, erfüllt diese damit die eigene Schuld aus dem Teilungsabkommen (vgl. Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl., § 86 Rn. 77).

b) Zahlt ein Haftpflichtversicherer nach einem Schadensfall auf Grundlage eines Teilungsabkommens an einen Krankenversicherer, der auf Grundlage des Teilungsabkommens Ansprüche geltend gemacht hat, so sind die Leistungen nach Auffassung der Kammer aber nicht ohne Weiteres kondizierbar, selbst wenn sich für die Haftpflichtversicherer im Nachgang heraussteilen sollte, dass möglicherweise keine Verpflichtung bestanden hat.

c) Das vorliegende Teilungsabkommen differenziert zunächst zwischen dem grundsätzlichen Eingreifen der Verpflichtung der Haftpflichtversicherung nach einem Schadensfall quotal der Krankenversicherung Leistungen an den Versicherungsnehmer zu erstatten, nämlich § 1 des Teilungsabkommens und dann hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Einzelleistungen, hier unter § 3 des Teilungsabkommens.

d) Die erste Voraussetzung ist nach § 1 Abs. 2 des Teilungsabkommens bei der Allgemeinen Haftpflichtversicherung erfüllt, wenn zwischen dem Schadensfall und dem versicherten Haftpflichtbereich ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn das Schadenereignis seiner Art nach in den Gefahrenbereich fällt, für den der Haftpflichtversicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat (BGH, Urteil vom 1.10.2008, Az. VI ZR 285/06, juris). Versicherungsschutz hat der Haftpflichtversicherer nicht nur zur Befriedigung begründeter, sondern auch zur Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche zu gewähren, die gegen den Versicherungsnehmer erhoben werden. Deshalb ist der Anwendungsbereich des Teilungsabkommens bereits dann eröffnet, wenn der Anspruch, sein Bestehen unterstellt, unter das versicherte Wagnis fallen würde (BGH, aaO, m.w.N.). Ob der Anspruch begründet ist, also dem Versicherungsnehmer u.a. eine objektive Pflichtverletzung anzulasten ist, ist dagegen unerheblich, weil es dabei um. die Haftungsfrage geht, auf deren Prüfung die Parteien verzichtet haben, und weil jede andere Auslegung dem Wortlaut und dem Zweck des Teilungsabkommens widersprechen würde (vgl. BGH, aaO, m.w.N.). Die Voraussetzung des § 1 Abs. 2 des Teilungsabkommens ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft gegeben gewesen und wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Dass sich der Versicherungsnehmer der Beklagten bei dem Sturz auf eisglattem Boden auf der Tankstelle des Versicherungsnehmers der Klägerin verletzt hat und damit ein typischer Vorgang gegeben war, der vom Versicherungsschutz der Klägerin umfasst war, liegt auf der Hand und ist dem Grunde nach unstreitig.

e) Ist die erste Voraussetzung aus dem Teilungsabkommen gegeben, so hat die Krankenversicherung zunächst grundsätzlich einen Anspruch auf Leistung nach den Regelungen des Teilungsabkommens gegen den Haftpflichtversicherer. Im Hinblick auf die einzelnen Kosten wird § 1 des Teilungsabkommens ergänzt durch die Regelungen aus § 3 des Teilungsabkommens. Nach dieser kann der Haftpflichtversicherer von der Krankenkasse im Zweifelsfall den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Schadensfall und dem der Kostenanforderung zugrundeliegenden Krankheitsfall verlangen. Nach ihrem Wortlaut schränkt § 3 des Teilungsabkommens den unbedingten Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage in § 1 des Teilungsabkommens ein. Damit stellen die Regelungen ein geschlossenes System dar (BGH, Urteil vom 12.06.2007, Az.: VI ZR 110/06, Rn. 13, juris). Die Krankenkasse hat nach § 1 Abs. 2 des Teilungsabkommens den Kausalzusammenhang zwischen Schadensfall und versicherter Risikoquelle zu beweisen, was gemäß § 1 Abs. 1 des Teilungsabkommens grundsätzlich zu einem umfassenden Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage durch den Haftpflichtversicherer führt. Hingegen kann in Zweifelsfällen der Haftpflichtversicherer den Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schadensfall und den Aufwendungen für den konkreten Krankheitsfall von der Krankenkasse verlangen. Allerdings hat der Haftpflichtversicherer, da es sich um eine für ihn günstige Ausnahme von dem umfassenden Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage in § 1 Abs. 1 des Teilungsabkommens handelt, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass ein solcher Zweifelsfall gegeben ist (BGH, Urteil vom 12.6.2007, VI ZR 110/06, juris).

f) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die von der Beklagten mit der ersten Abrechnung vom 09.12.2013 angezeigten Aufwendungen, die auf dem Tankstellensturz beruhen sollen, nach kursorischer Prüfung am 09.05.2013 ausgeglichen, ohne dass ein Zweifelsfall iSd § 3 des Teilungsabkommens angemeldet worden ist. In dem kommentarlosen Ausgleich einer angemeldeten Forderung ist zwar - entgegen der Ansicht der Beklagten - kein einwendungsausschließendes Anerkenntnis zu sehen, weil diesem rein faktischen Verhalten, anders als z.B. einer erklärten Deckungszusage oder der Mitteilung einer Rechnungsprüfung, kein rechtsgeschäftlicher Erklärungswille zu entnehmen ist. Auch ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - mangels positiver Kenntnis von der Nichtschuld kein Fall des § 814 BGB anzunehmen. Gleichwohl kann die Klägerin - mit Ausnahme des Betrages von 311,97 € - die Leistung nicht zurück verlangen.

Nach Auffassung der Kammer ist ein etwaiger Bereicherungsanspruch zwar nicht kraft ausdrücklicher Regelung im Teilungsabkommen selbst bzw. kraft Gesetzes (§ 814 BGB) ausgeschlossen. Jedoch ergibt sich der Ausschluss aufgrund des Sinn und Zwecks des Teilungsabkommens in Zusammenhang mit dem Grundsatz der Risikoverteilung. Nach letzterem kann ein Bereicherungsanspruch ausgeschlossen sein, wenn sich in dem konkreten Fall bei Auslegung der Ausgleichsregelungen ergibt, dass eine Partei in einer bestimmten Konstellation das Risiko tragen soll (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 812 Rn. 68). So liegt es auch hier. Teilungsabkommen sind Rahmenabkommen, mit denen die Abwicklung auftretender Schadensfälle erleichtert werden soll (Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 86 Rn. 184). Arbeitsaufwand und die finanzielle Belastung durch die genaue Aufklärung der jeweiligen Verantwortungsbereiche der Versicherer sowie die Unsicherheit und die Kosten einer gerichtlichen Klärung sollen vermieden werden (Bruck/Möller, aaO; MüKo zum VVG/Möller/Seger, § 86, Rn. 248; Dr. A. Kunte, VersR 2011, 307). Daher werden die Quoten in den Teilungsabkommen so bemessen, dass die beteiligten Versicherer so stehen, wie sie stünden, wenn die Einzelfälle nach Sach- und Rechtslage entschieden worden wären (Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl., § 86 Rn. 79). Diese auf den allgemeinen Erfahrungswerten der Versicherungswirtschaft beruhende Quote führen über das Gesetz der großen Zahl zum Ausgleich der Vor- und Nachteile (MüKo zum VVG/Möller/Seger, aaO). Teilungsabkommen dienen damit in erster Linie der Rationalisierung des kollektiven Schadensausgleiches (Looschelders/Pohlmann, aaO, Rn. 82).

Da die Klägerin entgegen der Regelung aus § 3 des Teilungsabkommens ihr mögliche Zweifel nicht vor der Zahlung bei der Beklagten angemeldet hat oder die Zahlung zumindest unter den Vorbehalt einer Nachprüfung binnen 1 Monat nach Eingang weiterer Unterlagen gestellt hat, ist sie nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall mit der Rückforderung nach dem Bereicherungsrecht aufgrund des Sinn und Zwecks des Teilungsabkommens und der vertraglichen Risikoverteilung, die dem Teilungsabkommen an sich und den einzelnen Regelungen des Teilungsabkommens zu entnehmen ist, ausgeschlossen.

g) Im Hinblick auf die Positionen, die zu einem Zahlungsanteil von 311,97 € führen, kann sich die Beklagte nach Treu und Glauben ( 242 BGB) nicht auf diesen Rückzahlungsausschluss berufen. Da das Teilungsabkommen ein geschlossenes System darstellt, bei dem nur in engen Grenzen „Zweifelsfälle“ angemeldet werden können bzw. Bereicherungsansprüche denkbar sind, z.B. im Fall einer irrtümlichen Leistung (vgl. BGH, Urteil vom 08.10.1969, Az.: IV ZR 633/68, Rn. 19/20, juris), ist von dem anmeldenden Krankenversicherer eine sorgsame Vorprüfung der angemeldeten Aufwendungen zu verlangen, so wie von der Haftpflichtversicherung auch eine sorgsame Prüfung im Hinblick auf mögliche Zweifelsfälle (§ 3 des Teilungsabkommens) zu verlangen ist. Hätte die Beklagte - ohne dass die Kammer hier eine bewusste Falschanmeldung unterstellen will - bei der Anzeige am 09.12.2013 mit der gebotenen Sorgfalt gearbeitet, hätte sie diese Aufwendungen, nämlich die Kosten der Verordnung vom 13.02.2013, die Kosten der Verordnung Heilgymnastik vom 04.04.2013, die Kosten für das elektrophysikalische Gerät und das TENS-Gerät sowie die Kosten hinsichtlich der „Heilmittel“ Schiene und Stützapparat aus den Verordnungen vom 04.04.2013 und 24.04.2013 nicht angemeldet. Daher kann sie sich aufgrund des Umstandes, dass sie die gebotene Sorgfalt bei Anmeldung der Aufwendungen nicht hat walten lassen, nunmehr aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, dass die Klägerin nun mit der Rückforderung ausgeschlossen ist, weil diese entgegen § 3 des Teilungsabkommens keinen Zweifelsfall angemeldet bzw. einen Vorbehalt erklärt hat und daher nach dem Grundsatz des Risikoausschlusses nicht zur Rückforderung berechtigt ist.

 

II. Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

 

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 1, 711 ZPO. Wegen der Möglichkeit eine unselbstständigen Abschlussberufung war § 713 ZPO nicht anzuwenden (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 713 Rn. 3 a.E.; Hk-ZPO/Kindl, 6. Aufl., § 713 Rn. 2 a.E.; BeckOK ZPO/Ulrici ZPO § 713 Rn. 3; Musielak/Voit ZPO/Lackmann ZPO § 713 Rn. 3).

 

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

https://www.juris.de/jportal/?quelle=jlink&docid=JURE160009490&psml=jurisw.psml&max=true


Wirksamer Abschluss eines Versicherungsvertrages trotz nicht eingehaltener Informationspflichten des Versicherers - Prelinger, jurisPR-VersicherungsR 8/2017, Anm. 1 (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 28.06.2017 - IV ZR 440/14)

Auch wenn die Versicherung nicht ihre Informationspflichten aus § 7 Absatz 1 Satz 1 VVG erfüllt kann ein wirksamer Versicherungsvertrag zustande kommen. Die Widerrufsfrist beginnt erst mit Zugang der geschuldeten Informationen. Daneben kann ein Schadensersatzanspruch bestehen, wenn der Versicherungsnehmer bei Kenntnis der Informationen den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte (BGH, Urteil vom 28.6.2017 – IV ZR 440/14)

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

10.8.2017


Anmerkung zu

BGH, Urteil vom 28.6.2017 – IV ZR 440/14


Quelle


Normen

§ 1 VVG-InfoV, § 2 VVG-InfoV, § 5a VVG, § 152 VVG, § 116 BGB, § 145 BGB, § 169 VVG, § 305 BGB, § 241 BGB, § 311 BGB, § 8 VVG, § 9 VVG, § 7 VVG, § 280 BGB


Fundstelle

jurisPraxisReport-Versicherungsrecht 8/2017, Anm. 1


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VersR 8/2017, Anm. 1