Zum Zweifelsfall bei Teilungsabkommen - LG München II, Urteil vom 25.09.2019 - 11 O 2462/18


 Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.265,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 05.05.2017 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens bis zu einem Höchstbetrag von 25.000,- € mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund des Schadensfalles vom 08.01.2016 … aufgrund der Verletzung des Herrn … entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 526,58 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
  4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Beschluss

 Der Streitwert wird auf 13.750 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht mit der Klage u. a. nach § 116 SGB X auf sie übergegangene und durch ein zwischen den Parteien bestehendes Teilungsabkommen (TA) modifizierte Ansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten geschädigten Person … aus dem nachfolgend dargestellten Vorfall geltend.

Das streitgegenständliche Geschehen ereignete sich am 08.01.2016 … im Landkreis Fürstenfeldbruck. Bei der Beklagten handelt es sich um die Kfz-​Haftpflichtversicherung des betroffenen Fahrzeugs des Unfallgeschädigten … . Der Versicherungsnehmer der Beklagten … fuhr am 08.01.2016 in Richtung Olching, obwohl er in Folge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Auf Höhe der Abzweigung B471 kam er nach links auf die Abbiegespur des Gegenverkehrs und fuhr fast frontal in den dort stehenden Pkw … des Geschädigten … . Durch den Aufprall wurde dessen Fahrzeug gedreht und auf das hinter ihm stehende Fahrzeug geschoben. Der Geschädigte verspürte bereits am nächsten Tag Schmerzen im Rücken und am Knie und begab sich in ärztliche Behandlung.

Durch den Vorfall erlitt der Geschädigte eine Vielzahl von Verletzungen. Im Arztbericht des Herrn Dr. … vom 09.01.2016 wurden folgende Verletzungen festgehalten: „HWS-​Distorsion, Prellung der LWS, Prellung des linken Handgelenks sowie eine Prellung des rechten Knies.“

Der Geschädigte war in der Folgezeit arbeitsunfähig geschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit begründeten ICD-​Diagnosen waren u. a. M 23.33RG, M 23.33.RZ (Anlage K4). Bei der ICD-​Diagnose M 23.33 handelt es sich um die Diagnose: sonstige Meniskusschädigung rechts.

Am 26.02.2016 wurde die Klägerin darüber informiert, dass sich der Geschädigte in der Kernspintomographie begeben hatte und dort ein Riss im Innenmeniskus diagnostiziert wurde. Das MRT wurde am 25.02.2016 durchgeführt. Es wurde ein "nicht frisch imponierender Meniskusriss" festgestellt (Anlage K 6).

Zwischen den Parteien besteht ein Rahmenteilungsabkommen (Anlage K 8). Die Haftung der Beklagten ist auf einen Höchstbetrag von 25.000 € mit einer Quote von 55 % begrenzt.

Dort ist u. a. unter § 1 (1) folgendes geregelt:

Kann eine diesem Abkommen beigetretene Krankenkasse "K" gegen eine natürliche oder juristische Person, die bei der "H" haftpflichtversichert ist, gemäß § 116 SGB X Ersatzansprüche aus Schadenfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen, Geschädigten) geltend machen, so verzichtet die "H" auf die Prüfung der Haftungsfragen.“

§ 3 enthält folgende Regelung:

„Die "K" hat auf Verlangen der " H " im Zweifelsfall die Ursächlichkeit des fraglichen Schadensfalles für den der Kostenanforderung zugrunde liegenden Krankheitsfall nachzuweisen.“

Mit Schreiben vom 20.04.2017 wurden die bis dahin angefallenen Heilbehandlungskosten abgerechnet. Sie ergaben einen Betrag von 8.091.49 € (Anlage K 7). Nach der Quote von 55 % aus dem Teilungsankommen werden daher 4.450,32 € geltend gemacht. Mit Schreiben vom 28.04.2017 - zugegangen am 04.05.2017 - verweigerte die Beklagte die Zahlung (Anlage K 4).

Die Klagepartei ist der Auffassung, § 1 Abs. 1 TA umfasse bereits den Verzicht der Prüfung auf die immateriell-​rechtlichen Haftungsfragen, den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung, somit auch die weiteren objektiven Tatbestandsmerkmale des materiell-​rechtlichen Anspruchs und erst recht des Verschuldens. Der Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage beziehe sich zudem auch auf die haftungsausfüllende Kausalität. Ob Vorerkrankungen oder Reserveursachen bestünden, sei unerheblich. Der im TA verwendete Begriff "Schadensfair sei nicht mit dem Begriff "Verletzung" identisch. Auf Grund der fortlaufenden Schmerzen des Patienten bestünden aus objektiver Sicht keine Zweifel an der Ursächlichkeit. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, bei fortlaufender Schadensentwicklung sei ein Kläger nicht gehalten eine Leistung in eine Leistungs- oder Feststellungsklage aufzuspalten. Dies sei allerdings auf den Höchstbetrag aus dem TA begrenzt. Vorgerichtliche Anwaltskosten werden in Höhe von einer gekürzten 1,5 Rechtsanwaltsgebühr geltend gemacht.

Die Klagepartei beantragt:

 

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.265,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 05.05.2017 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens bis zu einem Höchstbetrag von 25.000,- € mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund des Schadensfalles vom 08.01.2016 … im Landkreis Fürstenfeldbruck Richtung Olching aufgrund der Verletzung des Herrn … entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 526,58 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 02.08.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt: Klageabweisung

Beklagtenpartei ist der Auffassung, es liege ein Zweifelsfall im Sinne von § 3 TA vor. Typische Begleiterscheinung einer akuten Meniskusverletzung sei nach dem Unfallereignis nicht vorhanden gewesen. Der Meniskusriss sei am 25.02.2016 als nicht frisch imponierend klassifiziert worden. Streitig sei die Frage, ob die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen für einen Meniskusschaden.

Das Gericht hat am 26.06.2019 mündlich verhandelt. Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus der Höhe des Zuständigkeitsstreitwerts. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem Ort des ursprünglichen Unfallgeschehens, jedenfalls aber aus der rügelosen Einlassung der Beklagten.

Auch der Feststellungsantrag ist zulässig. Es ist plausibel, dass aufgrund der streitgegenständlichen Verletzungen noch weitere Kosten entstehen können, die ebenfalls unter die streitgegenständliche Erstattungspflicht fallen.

II.

Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Forderungen in der geltend gemachten Höhe zu. Auch der Feststellungsantrag ist begründet.

Die Klagepartei hat Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund des zugrundeliegenden Teilungsabkommens.

Die Bedingungen des Teilungsabkommens sind unstreitig, ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs i.S.d. § 1 (2) TA liegt ebenfalls unstreitig vor.

Der Begriff des "Schadenfall" ist im Teilungsabkommen im Zusammenhang mit dem versicherten Wagnis zu verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.1967, II ZR 138/64, Urteil vom 06.07.1977 - VI ZR 147/76).

 Gemäß § 1 (1) TA hat die Beklagte auf die Prüfung der Haftungsfrage verzichtet.

Danach ist nicht Voraussetzung für den "Schadenfall" i.S.d. § 1 (1) TA, dass die Krankenkasse unter den zu beweisenden rechtlichen Voraussetzungen des § 116 SGB X aufgrund ihrer Aufwendungen für den Geschädigten Ausgleich verlangen kann und demzufolge jedenfalls eine durch den Unfall verursachte Körperverletzung nachzuweisen hat. Vielmehr reicht aus, dass nach einem Unfall durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs, sei es auch aufgrund einer fehlerhaften Diagnose, eine Verletzung (Abänderung des Gerichts, Originaltest: ein Schleudertrauma) festgestellt wurde und die Krankenkasse dafür Kosten aufgewendet hat.(vgl. BGH Entscheidung vom 12.06.2007 - VI ZR 110/06 Rdnr. 12).

Die Bestimmung im Teilungsabkommen, wonach eine Erstattung "ohne Prüfung der Haftungsfrage erfolgt" bezieht sich sowohl auf die haftungsbegründende als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität (vgl. OLG Koblenz, Entscheidung vom 21.08.2017 - 12 U 1102/16).

Bei den streitgegenständlichen Verletzungen, insbesondere aber auch dem Knieschaden handelt es sich um eine solche Verletzung.

Die Regelungen des § 1 (1) und (2) TA werden ergänzt durch die Klausel in § 3 TA. Nach dieser kann der Haftpflichtversicherer von der Krankenkasse im Zweifelsfall den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Schadenfall und dem der Kostenanforderung zugrundeliegenden Krankheitsfall verlangen.

Nach ihrem Wortlaut schränkt § 3 TA den unbedingten Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage in § 1 (1) TA ein. Damit stellen die Regelungen ein geschlossenes System dar (vgl. BGH aaO).

In Zweifelsfällen kann die Beklagte den Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schadensfall und den Aufwendungen für den konkreten Krankheitsfall von der Klägerin verlangen.

Zu sehen ist, dass § 3 TA eine Ausnahmeregelung von dem Grundsatz des § 1 (1) darstellt.

Die Beklagte hat daher darzulegen und zu beweisen, dass es sich um einen Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA handelt (so auch BGH aaO).

Im konkreten Fall begründet die Beklagte ihre Zweifel an der Frage, ob die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen für einen Meniskusschaden dem Unfallereignis vom 08.01.2016 zuzurechnen sind damit, dass beim Geschädigten nach dem Unfall eine Knieprellung diagnostiziert wurde, diese aber nicht zu einem Meniskusschaden führen könne, wie es Gegenstand der Behandlung gewesen sei. Typische Begleiterscheinungen einer akuten Meniskusverletzung seien nach dem Unfallereignis nicht vorhanden gewesen. Eine leichte Knieprellung sei als solche nicht geeignet den Meniskus zu verletzen. Damit seien der Meniskusriss und die hiermit verbundenen Behandlungskosten, die Gegenstand der Klage seien, unfallfremd.

Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Ein Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA liegt nicht vor.

Der Geschädigte hat nach unstreitigem Vortrag der Klagepartei sich u.a. am Tag nach dem Unfall u.a. wegen Knieschmerzen in ärztliche Behandlung begeben. Das wird u.a. auch durch das ärztliche Attest (Anlage K 3) bestätigt, wenngleich nur eine "Knieprellung" diagnostiziert wurde und eine Röntgenaufnahme keinen Befund ergab.

Der Geschädigte unterzog sich (unstreitig) aufgrund andauernder Knieschmerzen am 25.02.2016 einem MRT, bei dem ein Riss des Innenminiskus im schmerzhaften Knie festgestellt wurde. Des liegt auch der anschließenden AU vom 09.03.2016 (Anlagenkonvolut K4) zugrunde.

Ein Nachweis zwischen Schadensfall und Krankheitsfall ist - von der Beklagten - nur dann zu erbringen, wenn auch der Sicht eines verständigen Dritten sachliche und stichhaltige Gründe für ein solches Verlangen vorgebracht werden (vgl. OLG Zweibrücken Entscheidung vom 25.08.2010 -1 U 31/10). Für eine solche einschränkende Auslegung des § 3 TA spricht der Grundgedanke des Teilungsabkommens, insbesondere der Regelungen § 1 (1) und (2) wonach insbesondere angesichts der Vorprüfung i.R.d. § 116 SGB X eine weitere singuläre Prüfung nicht stattfinden soll. Auch § 1 (3) TA, wonach die Leistungspflicht der Beklagten in den Fällen entfällt, in denen schon aufgrund des unstreitigen Sachverhalts unzweifelhaft und offensichtlich ist, dass eine Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers nicht in Frage kommt, spricht für diese einschränkende Auslegung. Diese Beschränkung wäre überflüssig, wenn die Beklagte ohnedies gemäß § 3 TA nach Belieben einen diesbezüglichen Ursächlichkeitsnachweis von der Klägerin verlangen könnte (vgl. OLG Zweibrücken aaO).

 Aus der Sicht eines verständigen Dritten ergeben sich aber im vorliegenden Fall aufgrund des festgestellten Sachverhalts keine Zweifel i.S.d. § 3 TA.

 Der Geschädigte hat sich am Tag nach dem Unfall wegen Knieschmerzen im ärztliche Behandlung begeben. Die Schmerzen dauerten fort. Nur knapp 6 Wochen nach dem Unfall wurde im Rahmen eines MRT der Meniskusriss festgestellt.

Die Diagnose Knieprellung am Tag nach dem Unfall vermag keine Zweifel zu begründen auch unter Berücksichtigung des Röntgenbefundes. Es ist - aus eigener Erfahrung - gerichtsbekannt, dass ein Röntgenbefund bzgl. eines Meniskusschadens keine zuverlässige Diagnose ermöglicht. Es gibt auch keinen zeitlichen Bruch, der begründeten Anlass dazu gäbe, ein schadensauslösen- des weiteres Ereignis zu vermuten. Die Schmerzen des Patienten dauerten an. Der zeitliche Abstand zum MRT ist relativ gering. Das der Meniskusschaden als nicht "frisch imponierend." eingeordnet wurde, lässt ebenfalls keinen objektiven Rückschluss auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses zu, da jedenfalls ca. 6 Wochen vergangen waren.

 Die Frage, ob ein Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA vorliegt ist auch nicht durch die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu überprüfen. Nach der o.g. engen Auslegung ist nicht auf einen objektiven Beobachter unter Heranziehung eines Sachverständigen abzustellen.

 Dies würde die Regelung geradezu konterkarieren. Wären an die Frage, ob ein Zweifelsfall vorliegt die Maßstäbe eines Sachverständigen anzulegen, so liefe die Regelung faktisch leer, da die Frage nach dem Zweifelsfall dann im Ergebnis identisch wäre mit der Prüfung der haftungsaus- füllenden Kausalität, die, wie bereits ausgeführt, gerade nicht nachgewiesen werden muss.

Aus diesem Grunde sind die geltend gemachten Ansprüche gegeben. Der Höhe nach wurden keine Einwände erhoben.

Auch dem Feststellungsantrag war daher zu entsprechen, er wurde der Höhe nach auch nur nach dem Umfang der Haftung im Rahmen des TA geltend gemacht.

 

III.

Die Klage ist auch in den Nebenforderungen begründet.

Mit Schreiben vom 20.04.2017 wurden die bis dahin angefallenen Heilbehandlungskosten abgerechnet. Sie ergaben einen Betrag von 8.091.49 € (Anlage K 7). Nach der Quote von 55 % aus dem Teilungsankommen werden daher 4.450,32 € geltend gemacht. Zahlungsfrist wurde bis zum 18.05.2017 gesetzt. Mit Schreiben vom 28.04.2017 - zugegangen am 04.05.2017 - verweigerte die Beklagte die Zahlung (Anlage K 4). Die Beklagte befand sich damit ab 05.05.2017 in Verzug, so dass ab diesem Zeitraum Verzugszinsen zu bezahlen sind, § 286 II Nr. 3 BGB.

Der Rechtsanwalt war nach Verzugseintritt vorgerichtlich tätig. Aufgrund der Zahlungsverweigerung hat sich der Freistellungsanspruch in einen Leistungsanspruch umgewandelt, auf die Frage der tatsächlichen Zahlung kommt es daher nicht an.

Der Anspruch erscheint auch in Höhe einer 1,5 Gebühr gerechtfertigt.

Auch insoweit ist eine Zahlungsfrist der Klagepartei fristlos abgelaufen, so dass ab Zustellung der Klage Verzugszinsen zu erstatten sind.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

C.

 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S.1,2, ZPO.

D.

 Bei der Streitwertfestsetzung war zu der in Höhe von € 4.265,10 bezifferten Forderung für den Feststellungsantrag 9.484,90 € zu addieren. Die maximale Haftung der Beklagten beträgt 55 % aus 25.000 €, mithin 13.750 €. Unter Berücksichtigung der bezifferten Forderung bleibt daher eine maximale weitere Forderung von 9.484,90 €. Ein Abschlag für die positive Feststellungsklage war nicht vorzunehmen, da zu erwarten ist, dass sich die Beklagte an ein gerichtliches Urteil hält und kein Vollstreckungsrisiko besteht.

Fundstelle bei der Bayerischen Staatskanzlei: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2019-N-34317?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1

Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190013034


Beweisführung durch Ausdrucke elektronisch übermittelter Abrechnungsdaten im Regress nach § 116 SGB X - Prelinger, jurisPR-Medizinrecht 12/2019, Anm. 3

Beweisführung durch Ausdrucke elektronisch übermittelter Abrechnungsdaten im Regress nach § 116 SGB X

Orientierungssatz

Bei Regressen nach § 116 SGB X kann die klagende Krankenkasse die Schadenshöhe durch Vorlage einer Auflistung der Schadenspositionen unter Beilage der ihr nach den §§ 284 Abs. 1 Nr. 11, 295, 300 ff. SGB V elektronisch übersandten Abrechnungsdaten der jeweiligen Leistungserbringer beweisen.

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

20.12.2019


Anmerkung zu


Quelle


Normen


Fundstelle

jurisPR-Medizinrecht 12/2019, Anm. 3


Herausgeber

Möller und Partner – Kanzlei für Medizin­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-MedizinR 12/2019, Anm. 3


Beweisführung durch EDV-Ausdrucke im Regress nach § 116 SGB X / sekundäre Darlegungslast des Verkehrssicherungspflichtigen - LG Bremen, Urteil vom 10.07.2019 - 1 O 2112/16

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.182,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.09.2015 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin 70 % der weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der … vom 06.02.2013 gegen 8.00 Uhr im Bereich der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen noch entstehen werden.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 30 % und die Beklagte 70 %.
  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  6. Der Streitwert wird auf 12.688,84 € festgelegt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Schadensersatz nach einem behaupteten Sturz ihrer Versicherungsnehmerin auf einer von der Beklagten nicht gestreuten Straße.

Am 06.02.2013 herrschten auf der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen winterliche Verhältnisse. Dieser Bereich wurde durch die für den Gehweg verkehrssicherungspflichtige Beklagte erst gegen 14:45 Uhr gestreut.

Die Klägerin behauptet, ihre Versicherungsnehmerin, die Zeugin … sei gegen 8:30 Uhr auf dem stark vereisten Fußweg ausgerutscht und auf die linke Hand gefallen. Es habe auf der ganzen Gehwegfläche Glatteis geherrscht. Die Zeugin habe eine distale Radiusfraktur erlitten, infolge derer eine Plattenosteosynthese erfolgt sei. Für die aufgrund des Vorfalls erbrachten Leistungen der Klägerin wird auf ein Anlagenkonvolut verwiesen. Danach seien Leistungen erbracht worden für drei stationäre Krankenhausbehandlungen, den Einsatz eines Rettungswagens, acht Verordnungen von Physiotherapie, Krankengeldzahlungen und Trägerbeiträge zur Renten-​/Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, zudem seien Krankenversicherungsbeiträge entgangen. Die Klägerin ist der Ansicht, es läge ein Organisationsverschulden der Beklagten vor, da der Unfallbereich - was unstreitig ist - über 5 Stunden nicht gesichert gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.688,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.09.2015 zu zahlen;
  2. festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der … vom 06.02.2013, gegen 8.00 Uhr im Bereich der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen entstanden sind und noch entstehen werden;
  3. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 490,99 € vorgerichtlicher Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass bei normalem Verlauf der Dinge eine Streuung der Unfallstelle gegen 7:00 Uhr erfolgt wäre. Lediglich aufgrund eines nicht vorhersehbaren Maschinenausfalls hätte die Unfallstelle nicht gestreut werden können. Um 6:30 Uhr sei der Frontbesen des Streufahrzeugs gebrochen, woraufhin die Tour hätte abgebrochen werden müssen. Unter Berücksichtigung der erforderlichen weiteren Maßnahmen (Personalrekrutierung und Verbringung zum Einsatzort) dürfe auch ausgeschlossen werden, dass um 8:30 Uhr die Unfallstelle hätte gereinigt werden können. An dem Unfalltag seien alle Streufahrzeuge im Einsatz gewesen und es könne ihr auch nicht abverlangt werden, den Streudienst so zu organisieren, dass jederzeit unverzüglich ein Ersatzfahrzeug mit Ersatzpersonal zur Verfügung gestellt werden könne. Auf dem betroffenen Fußweg finde lediglich unbedeutender Fußverkehr statt. Der Zeugin … sei zudem ein Mitverschulden vorzuwerfen, denn sie hätte bei erkannter Glätte auch auf dem Grünstreifen oder dem gegenüberliegenden Fußweg gehen können. Der Schaden werde vorsorglich bestritten, es fehle aber bereits an einer auch nur im Ansatz substantiierten Schadensdarlegung, die einer Erwiderung zugänglich wäre.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.06.2019 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Wesentlichen zulässig und zum Teil begründet.

Es besteht ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) bezogen auf zukünftige Schäden, denn der Eintritt weiterer Schäden ist möglich. Die Zeugin … gab an, dass sie noch immer bei Belastung teilweise Schmerzen habe und ganz selten auch ein Anschwellen feststelle. Hinsichtlich bereits entstandener Schäden ist jedoch nicht ersichtlich, um welche Schäden es sich handeln soll und warum diese nicht beziffert werden können, da hier auch ein Leistungsantrag gestellt wurde. Für diesen Teil des Feststellungantrags besteht daher kein Feststellunginteresse.

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 BGB, Art. 34 GG i.V.m. §116 SGB X zu.

 

Die Beklagte hat eine ihr obliegende Amtspflicht (Streupflicht) schuldhaft verletzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Versicherte der Klägerin auf einem verkehrssicherungspflichtwidrig nicht gestreuten Gehweg gestürzt ist.

1. Die Beklagte war streupflichtig.

Für den Gehweg, auf dem sich der Unfall ereignete, obliegt der Beklagten unstreitig die Verkehrssicherungspflicht. Zwar besteht nicht auf ausnahmslos allen Gehwegen innerhalb der geschlossenen Ortschaft eine Verpflichtung zur Abstumpfung. Denn es dürfte unmöglich sein, sie etwa in ihrer Gesamtheit bei Winterwetter völlig gefahrlos zu halten. Eine Streupflicht besteht aber im Rahmen des Notwendigen und des Zumutbaren. Sie besteht auf jeden Fall auf für den Fußgängerverkehr wichtigen Wegen. Es ist entscheidend darauf abzustellen, ob der Fußgänger bei vernünftigen Sicherheitserwartungen mit der Räumung des Gehweges rechnen darf. Von der Streupflicht auszunehmen sind daher tatsächlich entbehrliche Wege, für die ein echtes, jederzeit zu befriedigendes Verkehrsbedürfnis nicht besteht, so z.B. bei Gehwegen, die durch Park- oder Grünanlagen führen oder in reinen Industriegebieten (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 09. März 2005, 4 U 646/04, juris, m.w.N.). Nach dem sich aus den Vorträgen der Parteien und den Zeugenaussagen ergebenen Gesamteindruck erachtet das Gericht die Unfallstelle als einen für den Fußgängerverkehr wichtigen Weg. Denn schon nach dem Vortrag der Beklagten war der betreffende Platz in einen Winterdienstplan integriert. So trägt die Beklagte selbst vor, dass der Unfallort am Vortrag sogar dreimal geräumt und zweimal gestreut worden sei. Auch befanden sich nach dem Vortrag der Beklagten mehrere Geschäfte in dem Unfallbereich. Die Zeugin … führte aus, dass sie von einem Rewe-​Markt auf dem Weg zu einer Volksbank-​Filiale gewesen sei. Auch eine Tankstelle sei auf diesem Weg belegen. Demnach handelt es sich mitnichten um lediglich unbedeutenden Fußverkehr, bzw. einen tatsächlich entbehrlichen Weg.

Zwar besteht eine Streupflicht nicht bei jeglichen Witterungsverhältnissen; Grundvoraussetzung für das Einsetzen der Räum- und Streupflicht ist vielmehr das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 14.02.2017, VI ZR 254/16, juris, m.w.N.). Nach der Aussage der Zeugin … ist jedoch eine allgemeine Glätte festzustellen. Die Zeugin führt glaubhaft aus, dass der Weg vereist und überall glatt gewesen sei.

2. Die Beklagte hat ihre Streupflicht schuldhaft verletzt.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte fahrlässig ihrer Streupflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Eine zeitnahe Streuung des Unfallbereichs wäre möglich gewesen.

Die Klägerin kann keinen Einblick in die Organisationsstruktur des Winterdienstes der Beklagten haben. Es obliegt dieser im Rahmen einer sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzustellen, warum ein Streuen der Unfallstelle zu der Zeit des Sturzes (zwei Stunden nach Bruch des Frontbesens) nicht möglich gewesen wäre. Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.

Zwar stellt sich das Gericht der Einschätzung der Beklagten, dass ein Maschinenausfall nicht stets konkret vorhersehbar sei und ein solcher auch zu zeitlichen Verzögerungen führen könne, auf die die Streupflichtige nicht mit einem sofortigen Ersatz reagieren könne und müsse, nicht generell entgegen. Ein Vorhalten von Ersatzfahrzeugen wird von der Beklagten nicht für jeden Fall verlangt werden können. Auch muss wohl nicht mit umfangreichen Defekten, z.B. im Sinne eines Motorschadens gerechnet werden. Jedoch handelt es sich in dem hier vorliegenden Fall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mitnichten um einen umfangreichen Defekt, der eine Verzögerung von mehreren Stunden (gestreut wurde die Unfallstelle erst gegen 14:45 Uhr) rechtfertigen könnte Denn der Zeuge …, der Fahrer des Streufahrzeuges, führte insoweit aus, dass es sich bei dem Bruch eines Frontbesens um eine nicht unübliche Begebenheit handle. Auch daher sei ihm das Geschehen nicht mehr im Gedächtnis. Weiter führte er aus, dass der Besen mit einer einfachen Dreipunktaufhängung befestigt und daher einfach ausgetauscht werden könne, sofern ein Ersatzbesen vorhanden sei.

Da es sich nach Aussage des Zeugen … bei dem Bruch eines Frontbesens um ein nicht unübliches Geschehen handele, sind jedenfalls entsprechende Ersatzbesen vorzuhalten. Die Beklagte hat zwar ausgeführt, dass sie es für ausgeschlossen halte, dass um 8:30 Uhr die Unfallstelle selbst dann hätte gereinigt werden können, wenn ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestanden hätte, da auch eine Personalrekrutierung erforderlich gewesen wäre. Angesichts der glaubhaften und nachvollziehbaren Aussage des Zeugen … teilt das Gericht diese Auffassung jedoch nicht. Der Zeuge führte aus, dass er für den Zeitraum, in dem er eingesetzt war, zur Verfügung gestanden habe; dass er wenn ihm gesagt werde, dass er anderweitig Weiterarbeiten solle, dies auch mache. Vorliegend war es auch mitnichten so, dass ein Ersatzfahrzeug aufgetrieben werden musste. Denn eine kurzfristige Reparatur ist nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen in einem solchen Fall möglich gewesen. Warum dies nicht innerhalb von zwei Stunden möglich gewesen wäre, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Zwar war sich der Zeuge … bezüglich der Öffnungszeiten der Werkstatt unsicher und schätzte diese auf 7:00/7:15 Uhr, der Zeuge …,  der Einsatzleiter, gab insoweit jedoch an, dass die Werkstatt etwa um 6:00 Uhr öffne, sodass auch dies einer kurzfristigen Reparatur nicht im Wege gestanden haben dürfte.

3. Der Klägerin ist dadurch ein ersatzfähiger Schaden entstanden. Dieser ist nicht substantiiert bestritten.

Die Zeugin … ist nach der freien Überzeugung des Gerichts aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten auf dem Fußweg der Bremerhavener Heerstraße gestürzt und erlitt eine distale Radiusfraktur, welche u.a. stationär behandelt werden musste. Dadurch sind der Klägerin Kosten entstanden. Das erkennende Gericht hat schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass von der Auffassung der Vordezernentin abgewichen werde, wonach die Klageforderung zu unsubstantiiert sei. Zwar ist zutreffend, dass sich der Klagevortrag nur marginal zu dem tatsächlichen Geschehensablauf verhält. Jedoch ist die Klageforderung aufgrund der Aufstellung aus dem Schreiben vom 24.03.2015 (Anl. K1, Bl. 41 d.A.) hinreichend konkret dargelegt. Anhand dieser Aufschlüsselung der Einzelbeträge mit entsprechender Erklärung, hätte es der Beklagten möglich seien müssen, zu den Schadenspositionen vorzutragen und diese ggf. konkret zu bestreiten. Insbesondere sind auch die errechneten Betragspositionen, entgegen den Ausführungen der Beklagten, nachvollziehbar. Bezüglich der Krankengeldzahlungen ist in dem besagten Schreiben der betreffende Zeitraum angegeben, auch der Tagessatz wird genannt und mit den Tagen multipliziert. Auch die übrigen Positionen lassen sich anhand des (zugegebenermaßen ungeordneten) Anlagenkonvolutes nachvollziehen. So werden Heilmittelverordnungen für die Physiotherapie eingereicht oder das Einsatzprotokoll mit Gebührenbescheid für den Rettungswageneinsatz. Nach alledem wäre der Beklagten ein substantiiertes Bestreiten möglich gewesen, dies hat sie aber auch nach dem gerichtlichen Hinweis unterlassen.

4. Es ist jedoch ein Mitverschulden der Geschädigten zu berücksichtigen. Vorliegend ist eine Mitverschuldensquote von 30 % sachgerecht.

Zwar besteht kein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass bei Stürzen in Folge von Glätte stets ein Mitverschulden des Fußgängers anzusetzen wäre. Denn dies ist eine Frage des Einzelfalls, nämlich ob der geschädigten Person in dem konkreten Fall vorgeworfen werden kann, sie habe durch ein eigenes Verhalten den winterlichen Verhältnissen nicht genügend Rechnung getragen und damit selbst zur Schadensentstehung beigetragen.

Es kann der Zeugin … schwerlich angelastet werden, dass sie bei winterlichen Verhältnissen nicht davon Abstand nahm, sich zu Fuß zu bewegen. Auch kann die Zeugin nicht darauf verwiesen werden, auf dem angrenzenden Grünstreifen weiterzugehen. Es steht schon nicht fest, dass ein Begehen des Grünstreifens sicherer gewesen wäre. Gesicherte Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Es ist auch nicht offenkundig, dass eine Vereisung auf Grünflächen seltener auftreten würde. Auch führte die Zeugin … aus, dass ein kleiner Zaun am Rande des Grünstreifens gewesen sei. Insoweit ist es auch nachvollziehbar, dass die Zeugin diesen nicht überschreiten wollte. Dass auf der anderen Straßenseite ein gefahrloser Weg zur Verfügung gestanden hätte, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Die Zeugin … sagte vielmehr aus, dass Sie ein Stück weiter auf dem gegenüberliegenden Fußweg ebenfalls Eisglätte festgestellt habe, als sie zum Krankenwagen geführt worden sei. Die Zeugin hat diese Begebenheit glaubhaft geschildert. Dies war ihr noch gut im Gedächtnis, sie schilderte glaubhaft, dass sie Angst vor einem erneuten Sturz gehabt habe.

Ein besonderer Umstand, der es rechtfertigt in dem vorliegenden Fall ein Mitverschulden anzunehmen, liegt jedoch darin, dass die Zeugin … die Glätte erkannt hat. Sie hat sich damit sehenden Auges in die Gefahr begeben und damit das Risiko einer Selbstgefährdung in Kauf genommen. Ein Mitverschulden würde nur dann gänzlich entfallen, wenn eine Erkennbarkeit der Gefährlichkeit des Sturzbereiches nicht gegeben wäre (vgl. LG Itzehoe, Urteil vom 12.12.2012, Az. 2 O 195/12, juris, m.w.N.). Vorliegend gibt die Zeugin … an, dass ihr schon zuvor aufgefallen war, dass die Straßen glatt gewesen seien. Auch sei ihr auf dem von ihr begangenen Weg keinerlei Streugut aufgefallen. Ist aber zu erkennen, dass eine Gehwegfläche nicht geräumt oder gestreut ist, hat der Benutzer des Weges Anlass zu gesteigerter Aufmerksamkeit und Vorsicht. Kommt er zu Fall, so spricht dies in der Regel dafür, dass er die gebotene Vorsicht außer Acht gelassen hat und ihm ein Mitverschulden anzurechnen ist (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. August 2013, 3 W 20/13, juris, m.w.N.).

III.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat die Beklagte nach erfolgloser Zahlungsaufforderung mit Schreiben vom 08.09.2015 angemahnt.

IV.

Der Feststellungsantrag ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Wie bereits ausgeführt, muss sich die Klägerin ein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin von 30 % anrechnen lassen.

V.

Ein Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten besteht nicht. Die Beklagte hat das vorgerichtliche Tätigwerden des jetzigen Klägervertreters mehrfach bestritten. Ein behauptetes Regulierungsschreiben vom 21.12.2016 wurde von der beweisbelasteten Klägerin jedoch nicht vorgelegt.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, 708 Nr. 11,711 ZPO.

 

Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190013034

 

 


Zum Urlaubsgeld im Arbeitgeberregress - AG Tübingen, Urteil vom 04.04.2019 - 9 C 876/17

Tenor

  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.031,14 Euro nebst Zinsen hieraus im Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14. Oktober 2013 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten darüber hinaus gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn ... aus dem Schadenereignis vom 30.6.2012 gegen 07.45 Uhr in Tübingen entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin 216,95 Euro vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.01.2018.
  4. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf 4.031,14 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht Ansprüche ihres Arbeitnehmers aus einem Unfallereignis geltend.

Der zu diesem Zeitpunkt bei der Klägerin beschäftigte Geschädigte ... fuhr am 30.06.2012 in Tübingen mit seinem Fahrrad und kollidierte bedingt durch einen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1), der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, mit dessen Pkw mit dem Kennzeichen .... Der Geschädigte erlitt bei dem Unfall eine Fraktur des LWK 1 und war infolgedessen für den Zeitraum 30.06.2012 bis 10.08.2012, sowie 11.08.2012 bis 01.10.2012 arbeitsunfähig. Die Haftungsquote von 100% zu Lasten der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von restlichen Schadensersatzes aus Entgeltfortzahlung. Die Klägerin forderte von den Beklagten insgesamt 14.319,57 Euro aus Entgeltfortzahlungsaufwendungen, wobei für die Einzelheiten auf die Berechnungen K1 (Bl. 16 ff. d.A. und 26 ff. d.A.) verwiesen wird. Die Beklagte zu 2 regulierte davon 12.377,64 Euro in mehreren Zahlungen. Offen blieb die Forderung der Klägerin für Urlaubsentgelt im Zeitraum vom 11.08.2012 bis 01.10.2012 in Höhe von 1.302,70 Euro, wobei die Klägerin diese bis zu dem geforderten Betrag von 1.031,14 Euro mit vorherigen Zahlungen der Beklagten zu 2) verrechnete. Die Klägerin forderte die Beklagten mit Schreiben vom 9.10.2012 und 26.09.2013 zur Zahlung auf, die Beklagte zu 2 erklärte mit Schreiben vom 14.10.2013, dass sie keine weitere Erstattung von Urlaubsentgelt vornehmen könne.

Die Klägerin begehrt zudem von den Beklagten die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden aus dem Unfall vom 30.06.2012. Mit Schreiben vom 30.08.2012 gab die Beklagte zu 2 gegenüber dem Geschädigten ... eine Haftungserklärung ab, dahingehend, dass der Schaden unter Annahme einer 100%-​Haftung reguliert wird und bezahlte an diesen mit letzter Zahlung am 21.08.2013, insgesamt eine Summe von 4.086,63 Euro an Schmerzensgeld und Anwaltsgebühren.

Mit Schreiben vom 03.09.2015 erklärte die Zeugen ... für die Beklagte zu 2 gegenüber der Klägerin einen Verjährungsverzicht bis 30.06.2016 mit folgendem Wortlaut:

"Wir erklären uns im Rahmen des bei unserer Gesellschaft bestehenden Versicherungsvertrages und der dort vorgegebenen Deckungssumme bereits, bis zum 30.06.2016 auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich künftiger Ansprüche zu verzichten, sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist."

Eine entsprechende Erklärung gab die Zeugin ... für die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 31.05.2016 bis zum 30.06.2017 ab. Am 28.06.2017 wandte sich der Klägervertreter telefonisch an die sachbearbeitende Mitarbeiterin der Beklagten zu 2, die Zeugin ... und bestellte sich außergerichtlich für die offenen Entgeltansprüche der Klägerin. Die Zeugin ... sagte telefonisch die Abgabe eines weiteren Verjährungsverzichts zu und erklärte gegenüber dem Klägervertreter mit Fax vom 28.06.2017 einen Verjährungsverzicht mit einem den vorigen Erklärungen entsprechenden Wortlaut bis zum 31.12.2017.

Die Klägerin hat am 15.12.2017, eingegangen beim Amtsgericht Tübingen am 18.12.2017 Klage erhoben. Sie ist mit Verfügung vom 20.12.2017 zur Einzahlung des Vorschusses aufgefordert worden und hat diesem am 09.01.2018 eingezahlt, woraufhin die Klage den Beklagten am 23.01.2018 zugestellt wurde.

Die Klägerin behauptet, sie habe aufgrund des Verkehrsunfalls in Höhe von 1.302,70 Euro Aufwendungen für Urlaubsvergütung ihres Arbeitnehmers gehabt. Der Geschädigte ... habe seinen gesamten Jahresurlaub für das Jahr 2012 genommen. Er habe von seinem Urlaubsanspruch von 30 Tagen 17 Tage Urlaub im Jahr 2012 und 13 Tage Urlaub bis zum 07.03.2013 genommen, wobei für die Einzelheiten auf die Aufstellungen der Fehlzeitenübersicht (Bl. 213, 214 und 215 d.A.) verwiesen wird. Die Klägerin meint, dass sich der erstattungsfähige Urlaubsvergütungsanspruch unter Berücksichtigung des gesamten Jahresurlaubs des Geschädigten ergibt. Die Arbeitgeberin habe infolge des Unfalls ihres Beschäftigten Anspruch auf eine adäquate Gegenleistung für ihre Urlaubsentgelt- und Urlaubsgeldzahlungen. Daher sei ihr die Zahlungen anteilig für die unfallbedingte Fehlzeit zu erstatten. Es komme nicht darauf an, ob bis zum Schadensereignis bereits Urlaubstage aus diesem Jahr genommen wurden.

Die Klägerin behauptet, es seien auf künftig weitere Folgeschäden aus dem Unfallereignis möglich, da aufgrund der Art der unfallbedingten Verletzungen damit gerechnet werden könne, dass weitere Heilbehandlungen notwendig werden und weitere Kosten, Aufwendungen und Krankengeldzahlungen zu erbringen sind. Diese wären von der Klägerin aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zu tragen. Die Klägerin meint, dass die Entgeltfortzahlungsansprüche zwar verjährt seien, das Berufen der Beklagten auf die Verjährung aber rechtsmissbräuchlich sei. Die Klägerin habe auf den Verzicht vertraut und nur deswegen nicht sofort Klage erhoben, weil seitens der Beklagten ein weiterer Verjährungsverzicht abgegeben worden sei. Mit der Erklärung vom 28.06.2017 sei für sie erkennbar ein Verzicht auf die Verjährungseinrede bis zum 31.12.2017 gewollt gewesen.

Die Klägerin beantragt

  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.031,14 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14. Oktober 2013 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten darüber hinaus gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn ... aus dem Schadenereignis vom 30.6.2012 gegen 07.45 Uhr in Tübingen entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin 216,95 Euro vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie meinen, dass es bei der Berechnung des vom Schädiger zu erstattenden anteiligen Urlaubsentgelts maßgeblich auf die konkret genommenen Urlaubstage des Arbeitnehmers ankomme. Das Urlaubsentgelt sei anteilig nur für den Teil der die Urlaubstage zu erstatten, die der Geschädigte ... im Jahr 2012 vordem streitgegenständlichen Unfallereignis bereits genommen hatte.

Die Beklagten haben sich bezüglich der Klagforderung Ziffer 2 auf Verjährung berufen. Die Beklagten meinen, dass die am 28.06.2017 abgegebene Verjährungsverzichtserklärung ins Leere ging, da sie unter dem zulässigen inhaltlichen Vorbehalt stand, dass Verjährung bisher noch nicht eingetreten sei. Tatsächlich seinen die Ansprüche der Klägerin und des Geschädigten ... bereits mit Ablauf des 21.08.2016 verjährt gewesen. Sie meinen, dass die Berufung auf die Einrede der Verjährung keine unzulässige Rechtsausübung darstelle, da die rechtskundige Klägerin nur dann auf einen Verjährungsverzicht vertrauen könne, wenn dieser vorbehaltlos erklärt wird.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin .... Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 12.07.2018 und vom 28.02.2018 verwiesen. Die Klägerin hat nach der mündlichen Verhandlung mit nachgelassenem Schriftsatzrecht zum 7.3.2019 weitere Fehlzeitenansichten des Zeugen ... vorgelegt. Die Beklagten und die Klägerin haben zudem am 19.03.2019 respektive am 1.4.2019 weitere Schriftsätze zu den Akten gereicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Das Amtsgericht Tübingen ist nach § 20 StVG und 32 ZPO örtlich zuständig, auch soweit Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend gemacht werden.

 

2.

Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 6 EFZG, bezüglich der Beklagten zu 2 iVm § 115 VVG restlichen Schadenersatz in Form der Erstattung von Aufwendungen für Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.031,14 Euro verlangen. Für die Zeit der unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ihres Arbeitnehmers hat die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz des anteilig von ihr durch bezahlten Urlaub gewährten Urlaubsentgelts. Der Anspruch auf Zahlung von Urlaubsentgelt geht gemäß § 6 Abs. 1 EntgFG auf den Arbeitgeber über, soweit dieser dem bei ihm abhängig beschäftigten Geschädigten für die Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bezahlten Urlaub gewährt hat (vgl. BGH v. 4. Juli 1972 - VI ZR 114/71, BGHZ 59, 109, 111 ff.; vom 13. Mai 1986 -VI ZR 80/85, VersR 1986, 968, 969; vom 7. Mai 1996 - VI ZR 102/95, BGHZ 133, 1, 9).

a) Für die Berechnung der Anspruchshöhe ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesamtjahresverdienst auf die Jahresarbeitstage unter Abzug der Urlaubstage umzulegen (vgl. BGH, Urteil v. 04.07.1972, VI ZR 114/71, BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12). Dem liegt zugrunde, dass während der Urlaubszeit nicht gearbeitet wird und der Jahresverdienst daher an den restlichen Arbeitstagen zu verdienen ist. War der Arbeitnehmer in einem Urlaubsjahr nur zeitweilig arbeitsunfähig, muss das Urlaubsentgelt auf das ganze Jahr verrechnet und entsprechend auf die Jahresarbeitstage aufgeteilt werden, wobei die Urlaubszeit in Abzug zu bringen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12, - juris Rn. 17; BGH, 4. Juli 1972 - VI ZR 114/71, juris, Rn. 14).

Zunächst ist zur Berechnung das jährliche Urlaubsentgelt zu bestimmen. Dann wird in einem zweiten Schritt der Anteil bestimmt, der auf die zeitweilige Arbeitsunfähigkeit entfällt. Der BGH stellt für diesen zweiten Schritt die folgende Berechnungsformel auf, die unfallbedingt ausgefallene Arbeitstage und Jahresarbeitstage ins Verhältnis setzt:

 jährliches Urlaub­sentgelt x unfall­be­dingt ausge­fallene Arbeitstage

Jahresarbeitstage - Jahres­ur­laubstage

 

Ebenfalls anerkannt (vgl. LG Limburg, Urteil v. 10.08.2012 - 3 S 86/12; Jahnke, NZV 1996, 175) ist folgende Formel:

Urlaub­sentgelt brutto x Krank­heitskalen­dertage

365 Kalen­dertage - Urlaubstage

 

Gegen diese Berechnungsmethode hat der BGH in seiner Entscheidung vom 13.08.2013 nichts erinnert. Er hat es lediglich als rechtsfehlerhaft angesehen, dass das angefochtene Urteil des Landgerichts Limburg in seiner Berechnung krankheitsbedingt ausgefallene Arbeitstage mit Kalendertagen ins Verhältnis gesetzt hat (BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12, - juris, Rn. 23).

Die gesamte Urlaubsvergütung wird von der Klägerin in ihrer Berechnung mit 8.091,79 Euro angegeben. Die Beklagten haben dies nicht bestritten. Die Klägerin berechnet sodann das anteilige Urlaubsentgelt nach der auf Kalendertage abstellenden Formel (vgl. Bl. 27 d.A.). Sie setzt für den Zeitraum vom 11.08.2012 bis 01.10.2012 insoweit konsequent Kalendertagen der Arbeitsunfähigkeit und Kalendertagen des Jahresurlaubs ins Verhältnis und kommt so zur geltend gemachten Summe von 1.302,70 Euro:

 
 8.091,79 x 52 Kalen­dertage AU = 1.302,70
 365 - 42 Kalen­dertage des Jahres­ur­laubs

Der Arbeitnehmer der Klägerin war vom 11.08.2012 bis zum 01.10.2012 arbeitsunfähig, was 52 Kalendertagen und bei einer 5-​Tage-​Woche in Baden-​Württemberg 36 Arbeitstagen entspricht. Im Jahr 2012 waren von 365 Kalendertagen in Baden-​Württemberg 250 Arbeitstage. Dem Arbeitnehmer der Klägerin stehen jährlich 30 Urlaubstage zu. Demnach wäre das auf die Fehlzeit entfallene Urlaubsentgelt nach der Formel des BGH mit 8.091,79 x 36 / 220 = 1.324,11 Euro zu berechnen. Somit ist der Klägerin aus der von der Formel des BGH abweichenden Berechnungsweise jedenfalls kein Vorteil entstanden.

 

b) Die angeführten Berechnungen gehen davon aus, dass der Geschädigte den gesamten ihm zustehenden Jahresurlaub genommen hat. Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Geschädigt ... den gesamten Jahresurlaub von 30 Tagen für 2012 genommen hat.

Die Klägerin hat die vom Geschädigten ... genommenen 30 Urlaubstage in 2012 und bis zum 07.03.2013 taggenau dargelegt und durch korrespondierende Fehlzeitenübersichten (Bl. 29, 214 f.) und Entgeltabrechnungen (K11 Bl. 30-​40 und 155-​158 d.A.) belegt. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass auf den Entgeltabrechnungen nicht gesondert der Urlaub auf dem laufenden Jahr oder der Resturlaub aus dem Vorjahr ausgewiesen sind. Der Einwand der Beklagten, dass aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich sei, ob der Anfang 2013 genommene Urlaub Resturlaub aus 2012 oder "neuer" Urlaub aus 2013 sei, verfängt dennoch nicht. Es erscheint dem Gericht vielmehr einzig lebensnah, dass ein Arbeitnehmer - ohne dass es dazu einer Anzeige oder näheren Bestimmung bedürfe - stets zuerst den Resturlaub aus dem vorigen Jahr in Anspruch nehmen wird, bevor dieser üblicherweise zum 31.03. des Folgejahres verfällt. Die Beklagten können daher den Vortrag der Klägerin nicht in dieser Weise pauschal bestreiten.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es für die anteilige Berechnung nicht darauf an, ob der Urlaub vor oder nach dem Schadensereignis genommen wurden. Vielmehr ist der Betrag nur zu reduzieren, wenn ein Teil des Urlaubs nicht in Anspruch genommen wird (vgl. BGH v. 13.08.2013, aaO, Rn. 19 und 21). Dies ist hier nicht der Fall.

 

3.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

 

II.

Auch der Feststellungsantrag Ziff. 2 ist zulässig und begründet.

 

1.

Für das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse genügt es, insbesondere wenn ein absolut geschütztes Rechtsgut bereits verletzt oder dem Geschädigten ein Teilschaden schon entstanden ist, wenn die spätere Verwirklichung eines weiteren Schadens in absehbarer Zeit nach der Art der Verletzung möglich erscheint (BGH NJW 1993, 648 m. w. N.). Nach der Lebenserfahrung können alle Knochenverletzungen zu Komplikationen und Folgeschäden führen (BGH, NJW 1973, 702, beck-​online). Dies kann hier angesichts der Schwere des Geschädigten ... erlittenen Verletzungen angenommen werden. Unstreitig hat sich der Geschädigte bei dem Unfall einen Lendenwirbelkörper gebrochen. Er war zudem mehrere Monate arbeitsunfähig. Dies begründet deshalb bei der Klägerin als Arbeitnehmerin des Geschädigten die Befürchtung, dass der Verletzte auch in Zukunft noch unter Folgen des Unfalls zu leiden haben würde, die weitere Aufwendungen im Wege der Entgeltfortzahlung nach sich ziehen.

 

2.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet.

a) Unstreitig erlitt der Geschädigten ... durch den Unfall einen Bruch des Lendenwirbelkörpers. Dies stellt eine Verletzung dar, nach deren Art und Schwere nach Dafürhalten des Gerichts mit Spätfolgen und dem Eintritt weiterer Schadenspositionen bei der Klägerin gerechnet werden kann.

b) Im vorliegenden Fall ist es den Beklagten nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

aa) Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Eintrittspflicht ist verjährt.

Die Verjährung von Ansprüchen auf Ersatz von Unfallschäden erstreckt sich auch auf Spätfolgen, deren Eintritt im Zeitpunkt der allgemeinen Schadenkenntnis als möglich voraussehbar war. Dieser Grundsatz gilt auch für die nach § 4 LFZG, § 6 EFZG übergehenden Ansprüche (NZV 1996, 169; BGH, Urteil vom 20. April 1982 - VI ZR 197/80 -, juris). Die von der Beklagten zu 2) abgegebenen Verzichtserklärungen vom 03.09.2015 und vom 31.05.2016 hemmten nicht die Verjährung. Nach der Rechtsprechung des BGH wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung nicht beeinflusst. Die Forderung verjährte daher trotz Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen spätestens mit Ablauf des 21.08.2016, mithin drei Jahre nach der letzten Schadensersatzzahlung durch die Beklagte zu 2) an den Geschädigten ....

bb) Die Beklagte zu 2) ist jedoch aufgrund der von ihr abgegeben Verjährungsverzichtserklärung vom 28.06.2017 aus Treu und Glauben daran gehindert, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

Folge eines Verjährungsverzichts ist regelmäßig, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, für den genannten Zeitraum ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW 2009, 1598 Rn. 22 mwN). Die Verzichtserklärung hat üblicherweise zum Inhalt, dass der Schuldner bis zum Ablauf der von ihm eingeräumten Frist die Einrede der Verjährung nicht erheben wird. Da der Verzicht den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben soll, bleibt er auch nach Ablauf der vom Schuldner eingeräumten Frist wirksam, wenn der Gläubiger die Streitsache vor Ablauf der Frist rechtshängig macht, wobei die Zustellung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO auf den Eingang des Antrags zurückwirkt (vgl. BGH, NJW 2009, 1598 = NZI 2009, 486 = NZG 2009, 582 Rn. 22 mwN).

Vorliegend wurde am 28.06.2017, also bereits nach Eintritt der Verjährung, aber zwei Tage vor Ablauf der Frist der letzten Verzichtserklärung ein weiterer Verjährungsverzicht bis zum 31.12.2017 erklärt. Die Klägerin hat mit Eingang bei Gericht am 15.12.2017 Klage erhoben, wobei die erst am 23.01.2018 erfolgte Zustellung an die Beklagten zurückwirkt. Diese ist in Sinne des § 167 ZPO "demnächst" erfolgt, nachdem der Klägervertreter unter Abgabe einer Kosteneinstandserklärung Klage erhoben hat, die Zahlungsaufforderung erst am 20.12.2017 erging und der Vorschuss bereits am 09.01.2018 einbezahlt wurde.

cc) Die Beklagten müssen sich im vorliegenden Fall daran festhalten lassen, bis zum 31.12.2017 auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.

Die Reichweite eines Verjährungsverzichts ist durch Auslegung der Verzichtserklärung zu ermitteln. Die Verzichtserklärung der Beklagten zu 2 vom 28.6.2018 wurde unter dem zulässigen Vorbehalt erklärt, dass die Ansprüche nur umfasst sind, "sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist." Nach dem Wortlaut der Erklärung könnte damit naheliegend gemeint sein, dass nur bezüglich solcher Ansprüche ein Verzicht erklärt werden soll, für die zum Zeitpunkt der Abgabe nicht bereits Verjährung eingetreten ist. Allerdings ist auch der Kontext der abgegebenen Erklärung zu beachten. Die Beklagte gab insgesamt drei Erklärungen mit dem identischen Vorbehalt und ab, die sich jeweils nur hinsichtlich der Frist unterschieden. Daher konnte die Erklärung aus Sicht der Klägerin auch so verstanden werden, dass mit dem neuen Verjährungsverzicht an die bisherigen Verzichtserklärungen angeknüpft werden sollte und sich die Beklagte bis zum Ablauf dieser Frist nicht auf Verjährung berufen werde.

Die Berufung auf die Einrede der Verjährung kann treuwidrig sein, wenn der Schuldner bei dem Gläubiger den Eindruck erweckt oder aufrechterhalten hat, dessen Ansprüche befriedigen oder doch nur mit sachlichen Einwendungen bekämpfen zu wollen, und den Gläubiger dadurch von der rechtzeitigen Erhebung einer Klage abgehalten hat (BGH Urt. v. 1.7.2014 - VI ZR 391/13, BeckRS 2014, 17219, beck-​online, mit Verweis auf Senatsurteile vom 12. Dezember 1978 - VI ZR 159/77, VersR 1979, 284 f.; vom 4. November 1997 - VI ZR 375/96, VersR 1998, 124, 125; vom 17. Juni 2008 - VI ZR 197/07, VersR 2008, 1350 Rn. 28, 31; BGH, Urteile vom 3. Februar 1953 - I ZR 61/52, BGHZ 9, 1, 5 f.; vom 14. November 2013 - IX ZR 215/12, DB 2014, 479 Rn. 15 jeweils mwN).

Vorliegend hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin durch die Abgabe der Verzichtserklärung vom 28.06.2017 von der rechtzeitigen Erhebung der Klage abgehalten wurde. Die Zeugin ... gab an, dass sie als Sachbearbeiterin für die Beklagte den Verjährungsverzicht erklärte, zwei Tage bevor die bisherige Verjährungsfrist abgelaufen wäre. Da sich der jetzige Klägervertreter erst so kurzfristig vor Ablauf der Frist aus dem vorhergehenden Verjährungsverzicht bestellt habe, habe sie erneut einen Verzicht erklärt, da er sonst sogleich Klage hätte erheben müssen.

Die Abgabe einer Verzichtserklärung und das Berufen auf eine in dieser Zeit eingetretene Verjährung stellen sich vorliegend als widersprüchliches Verhalten dar. Ein widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen vgl. BGH Urt. v. 1.7.2014 - VI ZR 391/13, BeckRS 2014, 17219, beck-​online); Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 242 Rn. 55).

Die Beklagte zu 2) beruft sich darauf, dass es an der rechtskundigen Klägerin gewesen wäre, sich zu versichern, dass ein vorbehaltloser Verjährungsverzicht vorliege, bevor man von einer Klageerhebung absieht. Dies überzeugt nicht. Die Zeugin ... gab an, dass für die Beklagte zu 2) stets die identische Verzichtserklärung - also stets mit dem Vorbehalt - abgegeben werde. Vorher werde auch seitens der Beklagten zu 2) nicht geprüft, ob die Ansprüche tatsächlich bereits verjährt seien. Im vorliegenden Fall wäre für die Klägerin ihrerseits eine komplexere Verjährungsprüfung erforderlich gewesen, um festzustellen, wann nach Ablauf der Verjährungsfrist nach letztmaliger Zahlungen an den Zeugen ... Verjährung eingetreten ist und ob somit der beklagtenseits erklärte Verjährungsverzicht womöglich ins Leere geht. Eine solche Prüfung hätte einige Zeit in Anspruch genommen, sodann hätte auf die Beklagte zu 2) eingewirkt werden müssen, um einen vorbehaltlosen Verzicht zu erzielen. Es liegt nahe, dass die Klägerin stattdessen innerhalb der verbleibenden zwei Tage Klage erhoben hätte. Eine vorschnelle Klageerhebung sollte im Interesse beider Parteien durch die Verzichtserklärung bis zum 31.12.2017 verhindert werden. Es ist gerade Sinn der Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen beiderseits Klarheit über die Frist zur Klagerhebung zu schaffen. Wenn die Beklagte zu 2) die Klägerin durch die fristgemäße Verlängerung eines Verjährungsverzichts von einer Klage innerhalb der noch laufenden Frist abhält und auch abhalten wollte, kann sie sich nicht nachträglich auf die Einrede der Verjährung berufen.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708, 711 ZPO.

 

Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190008303

 

 


Verletzung des Willkürverbots durch Abweisung eines Folgeschäden-Feststellungsantrags - Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2019, Anm. 3 (Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.03.2019 - 1 BvR 1235/17)

Verletzung des Willkürverbots durch unvertretbare Teilabweisung einer Schadensersatzklage

Leitsatz

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen erst und nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich.

A. Problemstellung

Besteht infolge eines Schadensereignisses die entfernte Möglichkeit, dass weitere Personenschäden eintreten, so kann der Anspruchsteller im Schadensersatzprozess die Feststellung der Eintrittspflicht des Schädigers für sämtliche Schäden aus dem Schadensereignis feststellen lassen. Leider wird aber oftmals verkannt, dass der Geschädigte ein Feststellungsinteresse auch hinsichtlich der bisherigen noch nicht bezifferten materiellen Schäden hat, da hier gerade nicht der Vorrang der Leistungsklage gilt (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 19.04.2016 – VI ZR 506/14). Wenn das Berufungsgericht von dieser höchstrichterlich gefestigten Rechtsprechung abweichen möchte, dann bedarf es hierzu einer dezidierten und nachvollziehbaren Begründung.

Das BVerfG erkannte es daher als willkürlich, wenn keine bzw. keine nachvollziehbare Begründung für die Abweichung von der – vom Berufungsgericht zudem selbst erkannten – höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beschwerdeführer wurde vom Fahrzeug einer Versicherungsnehmerin der beklagten KFZ-​Haftpflichtversicherung erfasst, wodurch er schwere Verletzungen am Bein erlitt. Nach rechtskräftiger Verurteilung der Beklagten zum Ersatz erlittener Verdienstausfallschäden für den Zeitraum bis zum 30.09.2009 in einem ersten Prozess machte er in dem hier gegenständlichen weiteren Prozess unter anderem den Ersatz von konkret bezifferten Verdienstausfallschäden für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis zum 31.12.2012 und den Ersatz immaterieller Schäden für den Zeitraum ab dem 01.10.2009 geltend. Zugleich begehrte er im Wege einer Klageerweiterung die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm jeden weiteren, ab dem 01.01.2013 entstehenden oder entstandenen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf dem Verkehrsunfall vom 02.06.2009 beruht.

Das Landgericht erkannte mit Urteil vom 21.08.2014 hinsichtlich des Feststellungsantrags lediglich, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Beschwerdeführer alle weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 02.06.2009 „künftig“ entstünden, nicht also weitere, bislang unbezifferte Schäden aus dem bisherigen Zeitraum.

Das OLG Frankfurt erkannte infolge der Berufung hierzu späterhin ebenfalls nur: „Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 02.06.2009 ‚künftig‘ entstehen wird. …“.

Dabei sprach das Oberlandesgericht dem Geschädigten den bezifferten Verdienstausfall vollständig zu. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes hatte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass der bezifferte Anspruch für bereits eingetretene und zukünftige bereits erkennbare Beeinträchtigungen abschließend sein solle. Bezüglich des Feststellungsantrags wurde lediglich an die Ausführungen zum Schmerzensgeld angeknüpft und ausgeführt, dass eine erneute willkürliche zeitliche Begrenzung unzulässig sei, da die beklagten Schmerzen permanent und die dauerhafte sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei. Mit dem Feststellungsantrag bleibe daher angeblich nur Raum für „ungewisse, noch nicht erkennbare“ Zukunftsschäden. Nur mit diesen könne auch der materielle Vorbehalt korrelieren. Eine weitergehende Begründung der Klageabweisung hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für die bisherigen Schäden im Zeitraum vom 01.01.2013 bis zur Entscheidung des Gerichts enthielt die Entscheidung nicht.

Das BVerfG erkannte hierin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liege bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst und nur dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sei und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhe (BVerfG, Beschl. v. 01.07.1954 – 1 BvR 361/52 – BVerfGE 4, 1, 7; BVerfG. Beschl. v. 13.01.1987 – 2 BvR 209/84 – BVerfGE 74, 102, 127; BVerfG, Beschl. v. 13.11.1990 – 1 BvR 275/90 – BVerfGE 83, 82, 84; BVerfG, Beschl. v. 03.11.1992 – 1 BvR 1243/88 – BVerfGE 87, 273, 278 f.). Das sei anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters sei nicht erforderlich. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein mache eine Gerichtsentscheidung noch nicht willkürlich. Willkür liege vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt werde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.05.1993 – 1 BvR 208/93 – BVerfGE 89, 1, 13 f.).

Dieses sei hier der Fall, da das Berufungsgericht die festzustellenden Ansprüche des Beschwerdeführers unter Hinweis auf die Feststellung „künftiger“ Ansprüche beschränkt habe, dass die beklagten Schmerzen permanent seien und die dauerhaft sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei, so dass das ausgeurteilte Schmerzensgeld diese Schmerzen abschließend abdecke und mit dem Feststellungsantrag nur Raum für ungewisse – immaterielle – Zukunftsschäden verbleibe.

Die Begründung, dass der materielle Vorbehalt nur mit dem Schmerzensgeld korrelieren könne, sei bei objektiver Betrachtung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Die Ausführungen tragen zwar die Beschränkung des Feststellungsausspruchs für immaterielle Schäden auf solche, die ungewiss in der Zukunft liegen. Warum dies aber auch eine Einstandspflicht für materielle Schäden aus dem Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts am 08.07.2016 ausschließen soll, lasse sich der Begründung nicht entnehmen. Der Beschwerdeführer hatte die beziffert geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche ausdrücklich auf den Zeitraum bis einschließlich 31.12.2012 beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist unverständlich, dass das Oberlandesgericht einen zukünftigen Verdienstausfall des Beschwerdeführers zwar ausdrücklich für möglich gehalten, die Klage aber dennoch für die Zeit ab dem 01.01.2013 teilweise abgewiesen hat. Der Hinweis auf einen Gleichlauf materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche sei nicht nachvollziehbar.

Dies gelte erst Recht, weil das Oberlandesgericht den Feststellungsanspruch nicht als unzulässig, sondern als unbegründet angesehen habe, ohne zu konkreten Verdienstausfällen des Beschwerdeführers im Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung Feststellungen zu treffen.

C. Kontext der Entscheidung

Das BVerfG bezog sich auf seine bisherige gleichlautende Rechtsprechung zum Willkürverbot.

Auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (Beschl. v. 12.04.2019 – 25/18) erkannte jüngst dem folgend, dass ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliege, wenn sich ein Gericht mit seiner rechtlichen Beurteilung ohne nachvollziehbare Begründung in Widerspruch zu einer durch Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Rechtslage setzt oder das Gericht den Inhalt einer Norm krass missdeute, so dass sich der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (VerfG Potsdam, Beschl. v. 21.09.2018 – VfGBbg 180/17). Auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts komme es nicht an (BVerfG, Beschl. v. 18.03.2005 – 1 BvR 113/01). Eine Begründung der Entscheidung sei verfassungsrechtlich dann geboten, wenn ein Gericht von der höchstrichterlichen Auslegung einer Norm abweicht, weil die Gerichte nur dem Gesetz unterworfen sind und bei der Auslegung und Anwendung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zugrunde legen müssen, sondern ihre eigene Rechtsauffassung vertreten können. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 2 Abs. 5 LV Brdbg.) verlange das Willkürverbot jedoch, dass die eigene Auffassung begründet wird (BVerfG, Beschl. v. 07.07.2014 – 1 BvR 1063/14).

Diesem Begründungserfordernis entsprach das Oberlandesgericht vorliegend nicht. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen Schäden bei noch nicht abgeschlossener Schadensentwicklung nicht fortlaufend beziffert werden. Der Geschädigte kann einfach nur eine Feststellungsklage erheben, er kann aber auch eine kombinierte Leistungs- und Feststellungsklage erheben, braucht aber nicht die bezifferbaren Schäden abschließend bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zu beziffern (kein Vorrang der Leistungsklage, vgl. BGH, Urt. v. 04.12.1986 – III ZR 205/85; BGH, Urt. v. 21.02.1991 – III ZR 204/89; BGH, Urt. v. 04.06.1996 – VI ZR 123/95; BGH, Urt. v. 28.09.1999 – VI ZR 195/98; BGH, Urt. v. 08.07.2003 – VI ZR 304/02; BGH, Urt. v. 17.10.2003 – V ZR 84/02; BGH, Urt. v. 19.04.2016 – VI ZR 506/14; Prelinger, jurisPR-​VerkR 11/2015 Anm. 1, und Prelinger, jurisPR-​MedizinR 6/2016 Anm.4). Diese Rechtsprechung hätte daher eindeutig zu der Erkenntnis führen müssen, dass auch die Eintrittspflicht der Beklagten für sämtliche weiteren bisherigen, noch nicht bezifferten Schäden hätte festgestellt werden müssen und somit auch diejenigen (materiellen) Verdienstausfallschäden erfasst gewesen wären, die ab dem 01.01.2013 entstanden.

Die falsche Rechtsanwendung allein führt aber noch nicht zu einem Verstoß gegen das Willkürverbot. Das Oberlandesgericht erkannte die vorstehend zitierte Rechtsprechung sogar und zog sie zutreffend in seine Erwägungen mit ein, aber verwarf sie dann plötzlich ohne jede nachvollziehbare Begründung. Es hat stattdessen einfach die festzustellenden Ansprüche des Beschwerdeführers auf die Feststellung „künftiger“ Ansprüche beschränkt mit der Begründung, dass die Schmerzen permanent und die dauerhaft sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei, so dass das ausgeurteilte Schmerzensgeld diese Schmerzen abschließend abdecke und mit dem Feststellungsantrag daher angeblich nur Raum für ungewisse immaterielle Zukunftsschäden verbleibe. Es hat dann weiter nur ausgeführt, dass auch der materielle Vorbehalt nur mit diesem korrelieren könne. Es hat damit in einer völlig unverständlichen Weise entgegen der dargestellten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne jede verständliche Begründung der Erkenntnis entzogen, dass mit dem Feststellungsantrag sehr wohl auch bisherige materielle Schäden geltend gemacht werden können.

Erschwerend kam hinzu, dass das Oberlandesgericht den Feststellungsantrag teilweise als unzulässig hätte abweisen müssen, ihn aber sogar als unbegründet abwies, ohne zuvor überhaupt den mit dem Feststellungsantrag geltend gemachten Verdienstausfall zu prüfen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Bedeutung der Entscheidung ist für die Praxis erheblich; sie setzt ein deutliches Signal an die Instanzgerichte, nicht nachlässig und nach Gutdünken ohne nachvollziehbare Begründung zu entscheiden.

Die Entscheidung schützt somit auch die Prozessparteien davor, dass die Gerichte gefestigte Rechtsprechung leichtfertig übergehen und damit gerichtliche Entscheidungen gar nicht mehr prognostizierbar sind. Jeder Anwalt muss sich bereits bei der vorgerichtlichen Beratung an der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren. Umso mehr darf die vertretene Partei erwarten, dass sich das Gericht mit dieser dezidiert auseinandersetzt und nicht völlig an den Haaren herbeigezogene und unvorhersehbare Erwägungen anstellt.

Kein Richter sollte leichtfertig mit diesem wichtigen Grundrecht umgehen. Denn ein Verstoß gegen das Willkürverbot bringt die zuständigen Richter auch dem Verdacht der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB gefährlich nahe, da diese ebenfalls die unvertretbare Rechtsanwendung und insbesondere auch die Verletzung von Verfahrensregeln umfasst (BGH, Beschl. v. 15.08.2018 – 2 StR 474/17). Auch wurden die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand 2014 deutlich herabgesetzt, da bereits bedingter Vorsatz für das Vorliegen eines Rechtsverstoßes ausreicht. Direkter Vorsatz ist nur für die Bedeutungskenntnis erforderlich, also hinsichtlich der Schwere des Rechtsverstoßes. Damit soll ein sachwidriges Privileg für Richter ausgeschlossen werden, die unter bedingt vorsätzlicher Anwendung objektiv unvertretbarer Rechtsansichten bei der Entscheidung von Rechtssachen Normen verletzen, deren grundlegende materiell-​rechtliche oder verfahrensrechtliche Bedeutung für die Rechtsordnung im Allgemeinen oder für die zu entscheidende Sache ihnen bewusst ist (BGH, Urt. v. 22.01.2014 – 2 StR 479/13). Vereinzelt bekommt man den Eindruck, dass sich manche Richter dessen nicht bewusst sind und immer noch davon ausgehen, eine Rechtsbeugung sei nur in dem extrem seltenen Fall einschlägig, dass der Richter mit direktem Vorsatz das Recht wissentlich falsch anwendet.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Gericht zwar – insbesondere in Hinblick auf Art. 97 GG – von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen kann. Er kann diese nicht aber einfach ohne oder ohne nachvollziehbare Begründung übergehen, sondern muss sich mit dieser auseinandersetzen, eine Abweichung davon nachvollziehbar begründen und wird dann auch wegen Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Zugang in eine höhere Instanz ermöglichen müssen, §§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 511 Abs. 4 Nr. 1, 574 ZPO (Divergenzvorlage).

© juris GmbH


Anwendbarkeit des § 287 ZPO bei sekundären Gesundheitsschäden - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 12/2019 Anm. 1 (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 113/17 )

Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet Anwendung, soweit es um die Frage geht, ob eine haftungsbegründende Primärverletzung weitere vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität). Werden unabhängig davon aus der zugrundeliegenden Verletzungshandlung weitere unfallursächliche Primärverletzungen geltend gemacht, unterfallen diese dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität) (Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 14.10.2008 – VI ZR 7/08 Rn. 7 – VersR 2009, 69).

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

12.6.2019


Anmerkung zu

BGH 6. Zivil­senat, Urteil vom 29.01.2019 – VI ZR 113/17


Anmerkung zu


Quelle


Fundstelle

jurisPR-VerkR 12/2019 Anm. 1


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 12/2019 Anm. 1


Betriebliche Altersvorsorge im Arbeitgeberregress - LG Rottweil, Urteil vom 15.02.2019 - 3 O 293/16

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.500,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.862,77 € seit dem 20.12.2015, aus 6.856,03 € seit 24.06.2017 und aus dem übrigen Betrag seit dem 05.07.2017 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für zukünftige Schäden in der Hauptsache (Klageantrag Ziffer 2) erledigt ist.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  5. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht des bei ihr angestellten … (nachfolgend: Geschädigter) Ansprüche im Hinblick auf einen Verkehrsunfall geltend, der sich am 12.09.2011 auf der B294 bei … ereignete.

Unfallbeteiligt war das von dem Versicherungsnehmer der Beklagten, …, geführte Fahrzeug, das von diesem gehalten und bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Bei dem Unfall erlitt der Geschädigte diverse Verletzungen. Die Beklagte erkannte ihre Haftung dem Grunde nach zu 100 % an. Im Anschluss an den Unfall befand der Geschädigte sich für sechs Wochen in der BG Klinik. Anschließend wurde er als arbeitsunfähig entlassen. Der Geschädigte befand sich vom Unfalltag bis zum 24.10.11 in der BG Klinik in Tübingen, wo er stationär behandelt wurde (Entlassungsbericht, Anl. K3, Bl. 18 der beigezogenen Akte). Anschließend wurde er als arbeitsunfähig entlassen. Vom 16.11.11 bis zum 14.12.11 befand sich der Geschädigte unfallbedingt in einer weiteren stationären Behandlung (Anl. K4, Bl. 92 der beigezogenen Akte).

Am 19.01.12 unterschrieb der Geschädigte eine Abtretungserklärung gegenüber seinem Arbeitgeber, der … AG, mit folgendem Inhalt:

"Der unterzeichnende Arbeitnehmer erklärt hiermit - unabhängig vom gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 6 EFZG - wegen und in Höhe der gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Verpflichtung bereits geleisteten oder zukünftig noch zu leistenden Zahlungen durch die … AG seine Ansprüche gegen …(Schädiger) aus dem Schadenfall vom 12.09.11 an die … AG abzutreten. Er verpflichtet sich, über die abgetretenen Ansprüche der … AG keinen Vergleich abzuschließen oder sonst über sie zu verfügen."

Weiter heißt es in einer E-​Mail vom 22.10.2015 "1. Der Regress der … AG [...] bezieht sich ausschließlich auf Beiträge, die von der … AG an Ihren Mandanten tatsächlich gezahlt wurden bzw. künftig (ggf.) noch gezahlt werden. Nur insoweit ist der … AG ein regressiver Schaden entstanden und nur auf diese Punkte erstreckt sich unsere Abtretungserklärung ihrem eindeutigen Wortlaute nach ("Zahlungen"). [...]

Über die genannten Positionen hinaus macht die … AG von der Abtretungserklärung ausdrücklich keinen Gebrauch. [...] Die Abtretung bezieht sich ausschließlich auf Zahlungen des Arbeitgebers, die Ihrem Mandanten zugeflossen sind und gerade nicht auf seine materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche, die selbstverständlich bei ihm verbleiben und von ihm geltend zu machen sind." Für den weiteren Inhalt wird auf die E-​Mail vom 22.10.15 (Anlage K3, Bl. 37 der Akte) verwiesen.

In der Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorge (Bl. 119-​153 der Akte) ist unter Nr. 3.1 bestimmt: "Das Unternehmen stellt für jeden unbefristet Beschäftigten ab Vollendung des 20. Lebensjahres für jedes Jahr (Beitragsjahr) in der Beitragszeit (3.3) jährlich einen Beitrag zum VORSORGE KAPITAL EINS bereit." Unter 3.2.1 "Die Höhe des Beitrages richtet sich nach der jeweils aktuellen Beitragstabelle gemäß Anl. 1.". Für den weiteren Inhalt wird auf die Anlagen verwiesen.

Die 1. Klageerweiterung um 6.856,03 vom 02.06.17 wurde der Beklagten zugestellt am 23.06.17, die weitere Klageerweiterung wurde der Beklagten zugestellt am 04.07.17.

Die Klägerin behauptet,

ihr seien in dem von ihr an den Arbeitnehmer gezahlten Umfang die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen die Beklagte abgetreten worden. Für den Inhalt der Abtretung wird auf Anlage K 3 (Bl. 37 d. A.) verwiesen. Der Arbeitnehmer sei seit dem Unfall dauerhaft arbeitsunfähig. Die Klägerin habe weiterhin ein Entgelt an den Geschädigten in folgendem Umfang geleistet:

2011   
Entgelt­fort­zahlung8.573,37 €
Sonder­zahlung3.897,27 €
Summe12.470.64 €

 

2012   
Kranken­geld­zu­schüsse159,60 €
Abschlags­zahlung Urlaubsgeld Mai 20122.325,93 €
Zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil455,30 €
Weihnachtsgeld im November 20122.060,53 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil403,35 €
Ergeb­nis­be­tei­ligung April 20133.200,00 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil626,40 €
Summe9.231,11 €

 

2013   
Abschlags­zahlung Urlaubsgeld Mai 20132.425,75 €
Zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil467,56 €
Weihnachtsgeld im November 20132.130,85 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil410,72 €
Ergeb­nis­be­tei­ligung April 2014760,24 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil146,54 €
Summe6.349,66 €

 

2014   
Abschlags­zahlung Urlaubsgeld Mai 20122.563,39 €
Zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil494,09 €
Weihnachtsgeld im November 20142.177,36 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil419,69 €
Summe5.654,53 €

 

2015   
Abschlags­zahlung Urlaubsgeld Mai 20152.650,50 €
Zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil512,21 €
Weihnachtsgeld im November 20152.251,33 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil435,07 €
Abschlags­zahlung Urlaubsgeld Nachzahlung2.072,70 €
zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil400,55 €
Summe8.322,36 €

 

2016
Urlaubsgeld Mai 20163.669,90 €
Zuzüglich Sozial­ver­si­che­rungs­anteil159,60 €
Summe4.372,78 €
2011 - 2013
Rückstellung betriebl. Alters­vor­sorge1.782 €

Wegen der Zusammensetzung der einzelnen Beträge wird auf die Anl. K1 (BI.12-​21 d. A.), sowie die Bl. 64, 72 ff. d. A. verwiesen.

Im Jahr 2011 habe die Klägerin 12.470,27 € an den Arbeitnehmer geleistet, 2012 9.231,11 €. Für das Jahr 2013 habe sie 6.349,66 €, für das Jahr 2014 5.654,53 € und für das Jahr 2015 8.322,36 €, sowie Rückstellungen für betriebliche Altersvorsorge in Höhe von 1.782,00 € geleistet. Die Beklagte habe an die Klägerin 32.532,68 € gezahlt. Die Beträge setzten sich zusammen aus fortgezahltem Entgelt, Krankengeld-​Zuschüssen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, sowie Ergebnisbeteiligungen, jeweils zuzüglich Sozialversicherungsanteilen.

Ursprünglich beantragte die Klägerin,

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.022,37 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 20.12.2015 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn … vom 12.09.2011 auf der B 294 bei … entstanden sind und noch entstehen werden.

Nach zweifacher Klageerweiterung und einseitiger Erledigungserklärung beantragt die Klägerin zuletzt

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.660,40 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.022,37 € p. a. Seit dem 20.12.2015, aus weiteren 6.856,03 € seit Zustellung des Schriftsatzes vom 02.06.2017 und im Übrigen seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass der ursprüngliche Klageantrag Ziffer 2 erledigt ist.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Die Beklagte behauptet, Zahlungen in genannter Höhe seien nicht an den Arbeitnehmer erfolgt. Vielmehr handele es sich bei den genannten Beträgen um Bruttobeträge, die als solche nicht an Arbeitnehmer ausgezahlt würden. Das Arbeitsverhältnis des Geschädigten bei der Klägerin habe mit Ablauf des Jahres 2011 geendet. Die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, Leistungen an den Geschädigten zu erbringen.

Sie ist der Rechtsauffassung, die Ansprüche für das Jahr 2011 seien jedenfalls verjährt. Die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, weil die Abtretung unklar sei. Sie erfasse nicht die geltend gemachten Zahlungsansprüche. Der Feststellungsantrag sei von vornherein unbegründet gewesen, da dem Kläger eigene Ansprüche aus dem Unfallereignis nicht zugestanden hätten. Ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der Ergebnisbeteiligung bestehe nicht, da der Arbeitnehmer darauf keinen Anspruch habe und diesen somit nicht habe abtreten können. Ferner habe ein pauschaler Abzug für ersparte Aufwendungen zu erfolgen.

Die Zahlungen für Altersvorsorge seien nicht über einen vom EFZG umfassten Zeitraum erfasst. Auch ein Anspruch auf Ergänzung betrieblicher Altersvorsorge bestünden nicht.

Am 15.10.2016 erhob die Klägerin Klage vor dem Landgericht Rottweil. Eine mündliche Verhandlung fand am 29.11.2000 statt. Für den Inhalt wird auf das Protokoll (Bl. 88-​95 d. A.) verwiesen. Die Akten aus dem Verfahren 3 O 176/15 wurden beigezogen und die Verfahren gemeinsam verhandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 20.11.2017 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen gemäß § 348 Abs. 1 ZPO.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist zulässig und im bewilligten Umfang begründet.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Aktivlegitimiert ist der Inhaber eines Rechts (Zöller/Vollkommer, 31. Aufl., Vor § 50 ZPO Rn. 19). Nach § 6 EFZG gehen die Ansprüche des Arbeitnehmers in dem Umfang, in dem Entgeltfortzahlung gewährt wurde, auf den Arbeitgeber über. Unabhängig hiervon erklärt der Arbeitnehmer am 19.01.2012 die Abtretung seiner Ansprüche gegen den Schädiger in der Höhe, in der die Klägerin eine Zahlungsverpflichtung trifft oder treffen wird (Anl. K3, Bl. 37 d. A.). Die Abtretungserklärung des Geschädigten vom 19.01.12 umfasst die geltend gemachten Ansprüche. Welche Forderungen die Abtretung erfasst, ist durch Auslegung zu bestimmen (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl., § 398 BGB, Rn. 8).

Der Geschädigte hat solche Ansprüche abgetreten, die wegen und in Höhe der gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Verpflichtung der Arbeitgeberin von dieser geleistet wurden und werden. Anders als die Beklagte, hält das Gericht die Abtretungserklärung nach Auslegung des Willens der Parteien gemäß §§ 133,157 BGB nicht für unklar. Dies bestätigt auch die E-​Mail der Arbeitgeberin vom 22.10.2015 (Anl. K23, Bl. 100 der beigezogenen Akte) noch einmal, in der sie betont, dass die Abtretung sich nur auf tatsächliche vergangene und gegebenenfalls zukünftige Zahlungen der Arbeitgeberin an den Geschädigten beziehen. Insbesondere beziehe sich die Abtretung nicht auf immateriellen Schaden des Geschädigten. Dem ist zu folgen. Es wird für das Gericht deutlich, dass die Abtretung den Schaden der Klägerin abfangen soll, den diese dadurch hat, dass sie Zahlungen an den Geschädigten erbringt, ohne eine Gegenleistung hierfür durch seine Arbeitskraft zu erhalten. Die Arbeitgeberin orientiert sich, wie sich schon aus der Abtretung ergibt, an der cessio legis aus § 6 EFZG. Diese Regelung will die Arbeitgeberin mit der Abtretung insoweit erweitert haben, als dass sie über die gesetzliche Verpflichtung hinaus aus anderen Gründen zu einer Zahlung verpflichtet ist. Soweit die Klägerin Leistungen an den Geschädigten erbracht hat, für die sie aufgrund des Unfalls keine Gegenleistung durch Arbeitskraft erhält, ist sie in dem sich aus der Abtretung ergebenden Umfang aktivlegitimiert.

B.

Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Zahlung von 15.550,80 € gegen die Beklagte. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.

1.

Der Klägerin steht kein originär eigener Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Ein der Klägerin zustehendes Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist nicht verletzt (siehe auch BGH, Beschluss vom 10.12.02 -VI ZR 171/02).

2.

Die Klägerin ist jedoch Inhaberin des geltend gemachten Anspruchs aus abgetretenem Recht. Zunächst stand dem Geschädigten der Schadensersatzanspruch aus den §§ 7, 18 StVG und § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG zu. Bezüglich der ersten sechs Wochen nach dem Unfall war die Klägerin gem. § 3 Abs. 1 EFZG zur Fortzahlung der Bezüge verpflichtet. Der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger ist gem. § 6 EFZG durch die cessio legis auf die Klägerin übergegangen. Zwar hat der Geschädigte aufgrund der Zahlung seiner Arbeitgeberin bei Anwendung der Differenzhypothese keinen Schaden. Nach ständiger Rechtsprechung ist hier jedoch der normative Schadensbegriff anzuwenden, nachdem die Leistung des Arbeitgebers den Schädiger nicht entlasten soll (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 12. Aufl. Rn. 106). Dies gilt auch für nach diesem Zeitraum aufgrund vertraglicher Verpflichtungen des Arbeitgebers geleistete Zahlungen. Für Grund und Höhe trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast. Ersatz besteht nur insoweit, als der Arbeitnehmer ohne den Unfall das fortgezahlte Entgelt erhalten hätte, weshalb jeglicher Einwand, der dem Arbeitnehmer gegenüber geltend gemacht werden kann, auch dem Arbeitgeber gegenüber gilt gem. § 404 BGB. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten welcher auf die Klägerin übergegangen ist, umfasst den anteiligen Ersatz von Ergebnisbeteiligung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Rückstellungen zur betrieblichen Altersvorsorge (hinsichtlich Ergebnisbeteiligung BGH, Urteil vom 22.11.16, Az: VI ZR 40/16).

a)

Für die Jahre 2011 - 2013 hat die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der an den Geschädigten geleisteten Zahlungen. Ausgenommen hiervon sind Rückstellungen zur betrieblichen Altersvorsorge für diesen Zeitraum (siehe unter 2. d.). Der klägerseits vorgetragenen Zahlung von 28.051,41 € stehen unstreitige Zahlungen der Beklagten in Höhe von 32.532,68 € gegenüber.

Das bloße Bestreiten der Beklagten hinsichtlich des fiktiven Nettoverdienstes des Geschädigten und der erhaltenen Leistungen vermag den klägerischen Vortrag allein nicht zu erschüttern. Der Umfang der Darlegungslast richtet sich nach der Einlassung des Gegners. Der Tatsachenvortrag bedarf nur dann der Ergänzung, wenn er infolge der Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt (BGH, Urteil vom 23.04.91, Az: X ZR 77/89). Die Klägerin hat unter Vorlage der Bescheinigungen über den Bezug von Entgeltersatzleistungen an den Geschädigten (Anlage K1, Bl. 12-​21, 64 der Akte), konkrete Anhaltspunkte genannt, die die Höhe der jedenfalls erhaltenen Leistungen belegen. Anhaltspunkte für die Zahlung eines Krankengeldzuschusses in Höhe von 159,60 € liegen jedoch nicht vor. Um die bloße Behauptung der Klägerin dieser Zahlung zu erschüttern, reicht vorliegend wiederum das einfache Bestreiten der Klägerin. Ein Zahlungsbeleg oder ähnliches wurde trotz Ergänzungsbedürftigkeit nicht vorgelegt. Unter Berücksichtigung der §§ 252 S. 2 BGB, 287 ZPO hält das Gericht die fiktiven Verdienstangaben und eine Auszahlung der Netto-​Beträge an den Geschädigten in Höhe von 9.071,51 € für das Jahre 2012 und somit in Höhe von 27.891,81 € für die Jahre 2011 bis einschließlich 2013 für ausreichend wahrscheinlich.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Bruttolohn zu ersetzen (BGH, Urteil vom 27.04.65, AZ: VI ZR 124/64 m.w.N.). Hierbei kann die Beklagte nicht mit Erfolg gegenüber der Arbeitgeberin den Abzug von berufsbedingten Aufwendungen gelten machen, nachdem ein solcher Abzug bereits gegenüber dem Geschädigten erfolgt ist, wie sich aus dem beigezogenen Verfahren ergibt. Die Ersatzfähigkeit richtet sich auch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, sowie Ergebnisbeteiligung (BGH, Urteil vom 07.05.96, Az: VI ZR 102/95 für Urlaubs- und Weihnachtsgeld; hinsichtlich Ergebnisbeteiligung BGH, Urteil vom 22.11.16, Az: VI ZR 40/16). Diese stellen jedenfalls für das allgemeine Zivilrecht regelmäßig ein Entgelt für geleistete Arbeit dar, weshalb sie als Schaden zu ersetzen sind.

Nachdem eine Tilgungsbestimmung nicht erkennbar ist, gelten die gesetzlichen Regelungen. Die Tilgung erfolgt gem. § 366 Abs. 2 BGB jeweils zunächst auf die älteste Schuld. Bei Verrechnung der geleisteten 32.532,68 € verbleibt somit kein Rest.

b)

Für das Jahr 2014 hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von 1.013,66 € gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht.

Die Klägerin hat nach substantiiertem und durch die Beklagte nur pauschal bestrittenem Vortrag im Jahr 2014 brutto 5.654,53 € an den Geschädigten als Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt. Nach Verrechnung mit der noch nicht verrechneten Zahlung der Beklagten in Höhe von 4.640,87 € gem. § 366 Abs. 2 BGB verbleibt noch ein Restanspruch in Höhe von 1.013,66 €.

Nach Maßgabe der §§ 286, 288 Abs. 1 BGB ist dieser Betrag antragsgemäß seit 20.12.2015 zu verzinsen.

c)

Für die Jahre 2015 bis 2016 hat die Klägerin einen Zahlungsanspruch 12.705,14 € gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht. Die Klägerin hat substantiiert die angegebenen Zahlungen für Urlaubs- und Weihnachtsgeld in den Jahren 2015 und 2016 dargetan und Nachweise hierzu vorgelegt (Bl. 20, 21, 63, 64 d. A.). Das Gericht ist überzeugt, dass die Netto-​Beträge an den Geschädigten ausgezahlt wurden und der Sozialversicherungsanteil abgeführt wurde. Das pauschale Bestreiten der Beklagten erschüttert den klägerischen Vortrag nicht. Aus der Anl (Bl. 63 d. A.) ergibt sich eine Abfindungszahlung. Dies korreliert mit dem klägerischen Vortrag, dass das Arbeitsverhältnis im Jahr 2016 beendet wurde. Wie bereits ausgeführt sind Urlaubs- und Weihnachtsgeld als Entgelt zu betrachten und stellen damit einen ersatzfähigen Schaden dar, den der Geschädigte an die Klägerin abgetreten hat.

Nach Maßgabe der §§ 286, 288 Abs. 1 BGB ist der Betrag in Höhe von 5.849,11 € antragsgemäß seit 20.12.2015 und der Betrag in Höhe von 6.856,03 € antragsgemäß seit dem 24.06.17 zu verzinsen.

d)

Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz der Rückstellungen zur betrieblichen Altersvorsorge in Höhe von 1.782,00 € für den Zeitraum vom 12.09.2011 bis 10.03.2013.

Gem. § 5.6.5 Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorge, die Teil des Arbeitsvertrages mit dem Geschädigten ist, ist eine Abtretung des Ersatzanspruches vorgesehen. Diese stellt in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag auch die Rechtsgrundlage für die erfolgten Rückstellungen dar. Bei den Aufwendungen zur Rückstellung im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge handelt es sich um einen Bestandteil der Arbeitsvergütung. Sie sind dem Regress gegen den Schädiger zugänglich (BGH, Urteil vom 07.07.98, Az: VI ZR 241/97). Die Höhe der Rückstellung ergibt sich aus dem substantiierten Vortrag der Klägerin. Das Bestreiten der Beklagten ist nicht substantiiert.

Nach Maßgabe der §§ 286,288 Abs. 1 BGB ist dieser Betrag antragsgemäß seit 05.07.17 zu verzinsen.

e)

Die Beklagte kann sich nicht erfolgreich auf eine Verjährung berufen. Der Anspruch der Klägerin entstand in dem Zeitpunkt, in dem alle Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sind, aus der sich der Anspruch ergibt. Dazu gehört der Eintritt des Schadens, nicht jedoch schon in seinem gesamten Umfang (Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, Kap. 11 RN 11). Im Jahr 2011 begann die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 1 BGB. Der Geschädigte kannte den Schuldner, die anspruchsbegründenden Tatsachen und ein Schaden ist eingetreten. Alle aus dieser Verletzung resultierende Schadensfolgen bilden einen einheitlichen Schaden (Geigel aaO). Der Verdienstausfallschaden ist als einheitlicher Schaden zu bewerten. Der Anspruch ist nicht verjährt. Auf die geleisteten Zahlungen aus dem Jahr 2011 hat die Beklagte gem. § 366 Abs. 2 BGB bereits geleistet. Die erste Zahlung datiert aus dem Jahr 2013 und stellt eine Abschlagszahlung im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar.

2.

Der Feststellungsantrag der Klägerin in Ziffer 2 ist begründet. Der Antrag der Klägerin auf Feststellung, dass die Beklagte zum Ersatz zukünftiger Schäden verpflichtet ist, ist erledigt. Der ursprüngliche Antrag war zulässig und begründet. Durch Umstellung auf Leistungsantrag wurde der Feststellungsantrag nachträglich unzulässig. Der Feststellungsantrag war ursprünglich zulässig. Insbesondere war ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO gegeben. Eine Leistungsklage im Zeitpunkt der Klageerhebung war noch nicht erforderlich, nachdem der Schaden sich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in der Entwicklung befand (Musielak/Voit/Foerste, 15. Aufl. 2018, ZPO § 256 RN 29).

a)

Der Antrag war begründet. Die Möglichkeit eines zukünftigen Schadens reicht aus. Diese darf nur verneint werden, wenn aus der Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit einem Schadenseintritt wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 16.01.01, Az: VI ZR 381/99). Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Geschädigten war zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht beendet. Die Klägerin war zur Leistung weiterhin für einen zu diesem Zeitpunkt nicht absehbaren Zeitpunkt verpflichtet.

b)

Der Antrag hat sich erledigt, ist also nach Rechtshängigkeit unzulässig geworden. Erledigendes Ereignis kann auch der Wegfall des Feststellungsinteresses sein (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 91a ZPO, RN 58). Dieses ist vorliegend nach Rechtshängigkeit aufgrund der Bezifferbarkeit und Bezifferung durch die Klageerweiterung weggefallen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den § 709 ZPO.

 


Beweisführung durch EDV-Ausdrucke im Regress nach § 116 SGB X - LG Stade, Urteil vom 05.03.2019 - 4 O 430/16

Tenor

1.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.660,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 01.11.2013 zu zahlen.

2.) Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der ... 61, am 03.05.2013, gegen 11.00 Uhr, im Bereich des Reitbetriebes ... entstanden sind und noch entstehen werden.

3.) Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 258,17 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.01.2017 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4.) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus übergegangenem Recht nach § 116 Abs. 1 SGB X geltend.

Die Geschädigte, Frau …, ist bei der Klägerin als Arbeitnehmerin angestellt. Am 03.05.2013 ritt die Geschädigte gegen 11.00 Uhr mit dem Pferd "…", deren Eigentümerin und Halterin die Beklagte ist, außerhalb des Unterrichts auf dem Außendressurplatz der Reitanlage … im freien Dressur-​Training. Das weitere Geschehen ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin hatte der Geschädigten als Versicherte aufgrund des Vorfalls im Zeitraum vom 03.05.2013 bis 25.06.2013 im Rahmen der Krankenversicherung Behandlungskosten und Krankengeld in Höhe von insgesamt ... € erbracht. Die geleisteten Beiträge zu den Pflichtversicherungen und entgangene Krankenversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 15.06.2013 bis zum 25.06.2013 beziffert sie auf ... €. Mit Schreiben vom 24.09.2013 (Anlage K1) forderte sie die Haftpflichtversicherung der Beklagten erfolglos zum Ausgleich der genannten Kosten auf. Mit Schreiben vom 29.10.2013 (Anlage K2, Bl. 19 d.A.) wies diese die geltend gemachten Regressansprüche zurück. Die Klageschrift des vorliegenden Rechtsstreits ging am 29.12.2016 per Fax bei Gericht ein und wurde der Beklagten am 21.01.2017 zugestellt (Bl. 22 d.A.).

Die Klägerin trägt vor, die Geschädigte sei am 03.05.2013 ruhig und entspannt geritten, es habe keinerlei erkennbare Spannungen gegeben. Nach ca. 15 Minuten im leichten Trab sei das Pferd dann plötzlich gestolpert, die Vorderbeine seien weggeknickt. Es habe sich sofort wieder erhoben, sei vorne hochgesprungen und unmittelbar mit hohem Tempo los galoppiert, bevor sich die Geschädigte wieder fest im Sattel habe positionieren können. Die Geschädigte sei zur rechten Seite massiv auf ihre rechte Brustkorbseite gestürzt, habe sofort heftige Schmerzen gehabt und habe sich nicht bewegen können. Sie sei mit dem Rettungswagen in das Zentralkrankenhaus … verbracht worden, wo eine Rippenserienfraktur der 2. bis 11. Rippe rechts, eine Lungenkontusion rechts und ein Hautemphysem rechts diagnostiziert worden seien. Die von ihr dargelegten Schadenspositionen seien durch die Verletzungen, die die Geschädigte aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls erlitten hat, verursacht worden. Ihrer Auffassung nach reiche die Bezugnahme auf EDV-​Ausdrucke aus, da die maschinenlesbare Übermittlung der eingepflegten Daten nach den §§ 301 - 303 SGB V verpflichtend sei.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ... € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 01.11.2013 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Verletzung der Frau …, am 03.05.2013, gegen 11.00 Uhr im Bereich des Reitbetriebes … entstanden sind und noch entstehen werden;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihr 258,17 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie erhebt die Einrede der Verjährung und behauptet, der von der Klägerin behauptete Unfallhergang werde ebenso wie die von der Geschädigten behaupteten Verletzungen mit Nichtwissen bestritten. Außerdem seien Ansprüche aus Tierhalterhaftung aus rechtlichen Gründen nicht gegeben. Zumindest müsse sich die Geschädigte und damit auch die Klägerin ein Mitverschulden zurechnen lassen. Darüber hinaus werde die Ursächlichkeit des streitgegenständlichen Vorfalls für den geltend gemachten Schadensersatz bestritten. In Hinblick auf einen Teilbetrag über 255,64 € fehle es an einem Nachweis.

Unter dem Az. 4 O 431/16 ist ein weiterer Rechtsstreit hinsichtlich des von der Klägerin behaupteten Unfalls vom 03.05.2013 anhängig. Das Gericht hat in beiden Verfahren Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … und gemäß dem Beweisbeschluss vom 07.11.2017 (Bl. 56 f. d.A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2017 (Bl. 45 ff. d.A.) sowie die Gutachten des Sachverständigen Dr. med. … vom 14.04.2017, 13.07.2018 und 31.10.2018 Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig. Hinsichtlich des Antrags zu 2. ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Ein Feststellungsinteresse besteht, wenn dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte es ernstlich bestreitet, und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 256 Rdnr. 7 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

1.) Die Klage ist mit dem Klageantrag zu 1. auch überwiegend begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht nach § 833 Satz 1 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X Schadensersatz in Höhe von 4.660,46 € zu.

Nach § 116 Abs. 1 SGB X in der am 03.05.2013 geltenden Fassung geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf den Versicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. Dazu gehören auch die Beiträge, die von Sozialleistungen zu zahlen sind, und die Beiträge zur Krankenversicherung, die für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld unbeschadet des § 224 Abs. 1 des Fünften Buches zu zahlen wären.

a) Die Geschädigte, die Zeugin …, ist unstreitig zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Klägerin krankenversichert gewesen. Ihr steht gegen die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Reitunfalls nach den §§ 833 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Ersatz ihres Schadens zu. Die Voraussetzungen dieses Anspruchs sind gegeben. Nach § 833 Satz 1, ist dann, wenn durch ein Tier der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Vorschrift begründet eine Gefährdungshaftung des Tierhalters für typische Tiergefahren. Auch wenn sich der Geschädigte bewusst und freiwillig der normalen Tiergefahr ausgesetzt hat, schließt dies die Haftung grundsätzlich nicht aus. Einschränkungen können sich jedoch ergeben bei Handeln auf eigene Gefahr, so dass die Haftung ausgeschlossen ist, wenn sie nach dem Normzweck unangemessen erscheint, weil der Schaden nicht der Tiergefahr, sondern dem Handeln des Geschädigten selbst zuzurechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2009, Az.: VI ZR 166/08, m.w.N.). Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass zu derartigen ungewöhnlichen Risiken, bei denen die Haftung aus dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen sein kann, auch das Dressurreiten gehört (vgl. BGH, Urteil vom 09.06.1992, Az.: VI ZR 49/91; Urteil vom 14.07.1977, Az.: VI ZR 234/75). Die Beweislast für die Voraussetzungen eines derartigen Mitverschuldens obliegt dem Tierhalter (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl., § 833 Rdnr. 21, m.w.N.).

b) Das Gericht hat zum Unfallgeschehen vom 03.05.2013 die Geschädigte als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, dass sie an dem Tag im Mai, als der Vorfall passiert sei, mit dem Pferd entspannt und ruhig leicht getrabt sei. In einer Kurve sei das Pferd ganz plötzlich gestolpert und quasi mit dem Kopf in den Sand eingetaucht. Es habe sich dann wieder erhoben, sei dann jedoch plötzlich vorne hochgestiegen und losgerannt. Sie habe die Zügel nicht so schnell zu fassen bekommen. Sie sei aus dem Sattel auf dem Brustkorb auf den Boden gefallen. Das Pferd sei stehen geblieben. Eine Auszubildende, die auf dem Reiterhof arbeite, sei zu ihr gekommen und habe dann im weiteren Verlauf den Krankenwagen gerufen.

Sie sei Freizeitreiterin und habe sich zu dem Zeitpunkt des Unfalls mit dem Pferd zunächst nur aufgewärmt. Sie habe noch keine Lektion geritten und keine höheren Anforderungen an das Pferd gestellt. Als das Pferd vorne weggetaucht sei, sei sie aus ihrer regulären Sitzposition heraus geraten. Sie sei eigentlich ziemlich sattelfest. Sie habe aber überhaupt nichts machen können. Das Pferd sei, nachdem es vorne hochgesprungen sei, fluchtartig weggerannt.

Sie habe sich 10 Rippen gebrochen. Der Krankenwagen sei erst nach einer Weile gekommen, der Notarzt habe nachbestellt werden müssen, um sie transportfähig zu machen. Sie habe dann gegen die Schmerzen Medikamente bekommen. Sie sei 3 Tage auf der Intensivstation gewesen. Insgesamt sei sie ungefähr zwei Wochen im Krankenhaus geblieben. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus habe sie wegen der Wundversorgung von der Drainage noch zum Arzt gehen müssen. In der Folgezeit habe sie auch Krankengymnastik bekommen, weil die Rippen in Fehlstellung verheilt seien. Sie spüre immer noch Beeinträchtigungen, bei bestimmten Bewegungen, insbesondere bei Drehungen des oberen Bereichs und Druck auf den Thorax, merke sie, dass dies dann weh tue. Sie sei bis Ende Juli 2013 arbeitsunfähig gewesen. Im Juli 2013 seien dann Nachkontrollen gewesen. Auch ein Jahr später sei sie noch beim Lungenarzt gewesen.

Sie habe zum Zeitpunkt des Unfalls schon einige Jahre Reiterfahrung gehabt. Im Teenageralter habe sie angefangen zu reiten und auch Dressurunterricht bekommen. Später habe sie dann wieder Reitstunden genommen und sich auch ein Pferd gekauft.

Mit dem Pferd "…" sei sie öfters geritten, nach Möglichkeit zweimal die Woche, und zwar über einen Zeitraum von etwa ein bis zwei Jahren.

c) Aufgrund dieser Aussage sieht das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass von einer eingeschränkten Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr ausgegangen werden kann. Es steht im Gegenteil fest, dass sich mit dem Unfall eine typische Tiergefahr realisiert hat, ohne dass die Geschädigte hierauf hätte Einfluss nehmen können. Denn die Geschädigte war nach ihren Angaben zu dem Zeitpunkt, als der Unfall passierte, mit dem Pferd entspannt und ruhig geritten. Anlass für den Unfall war sodann, dass das Tier plötzlich gestolpert war und offenbar in Panik geriet. Bei Zugrundelegung dieses Sachverhalts vermag das Gericht ungewöhnliche Risiken, die die Geschädigte eingegangen wäre, nicht zu erkennen, so dass die Beklagte für den streitgegenständlichen Reitunfall uneingeschränkt haftet. Weitere Beweismittel, die möglicherweise auch im Widerspruch zur Aussage der Zeugin stehen, sind nicht vorhanden.

d) Das Gericht hat des Weiteren zu den Verletzungen der Geschädigten ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige Dr. med. …, dessen Ausführungen sich das Gericht ausdrücklich zu eigen macht, führt in seinen Gutachten aus, dass die von der Geschädigten zum Zeitpunkt der klinischen und radiologischen Untersuchung vom 12.04.2018 geäußerten Beschwerden auf den streitgegenständlichen Reitunfall vom 03.05.2013 zurückzuführen seien. Die Beschwerden und Rippenbrüche seien unfallbedingt entstanden. Die Geschädigte habe bei dem Unfall eine Rippenserienfraktur der 2. bis 11. Rippe rechts und - als fast zwangsläufige Folge bei derartigen multiplen Rippenfrakturen - eine Lungenkontusion erlitten. Sämtliche vorliegende Untersuchungs- und Behandlungsunterlagen wiesen auf ein schweres Thoraxtrauma mit der erlittenen Rippenserienfraktur hin. Rippenserienbrüche in dieser Vielzahl seien selten und akut lebensbedrohlich. Es hätten sich zwar am Tag der Untersuchung verheilte Brüche gezeigt. Diese seien allerdings in Fehlstellung verheilt und könnten daher weiterhin bei bestimmten Bewegungen, insbesondere auch beim tiefen Einatmen und Verdrehung des Brustkorbs, Schmerzen hervorrufen. Außerdem könne es bei Rippenserienfrakturen zu einem instabilen Thorax kommen, der erhebliche weitere Risikofaktoren einschließlich der Schädigung der Lunge und von Blutgefäßen bedingen könne. Daher sei eine sog. Bülau-​Drainage notwendig gewesen. Ein Hautemphysem deute auf einen Pneumothorax oder eine Verletzung anderer lufthaltiger Organe hin.

Die Dauer der Behandlung sei aufgrund der Schwere des Unfalls nachvollziehbar. Der stationäre Aufenthalt der Geschädigten habe vom 03.05.2013 bis zum 17.05.2013 gedauert. Vom 03.05.2013 bis zum 05.05.2013 habe die Geschädigte aufgrund der Lungenkontusion intensivmedizinisch therapiert werden müssen. Nach einer Woche habe die Bülau-​Drainage entfernt werden können, durch die sehr schwere Lungenverletzung sei die weitere stationäre Behandlung jedoch auch danach noch dringend medizinisch indiziert gewesen. Denn besonders in den ersten Tagen nach dem Ziehen einer Lungendrainage könne es jederzeit wieder zu einem Lungenkollaps kommen. Der Prozess der Lungenentfaltung müsse medizinisch kontrolliert werden, da sonst die Gefahr einer Erstickung oder auch einer Lungenentzündung mit lebensgefährdenden weiteren Komplikationen bestehe. Von der notwendigen weiteren medizinischen Beobachtung zeugten auch die verschiedenen radiologischen Untersuchungen. Außerdem ließen auch die zunächst bestehenden erheblichen Schmerzen einen ambulanten Heilverlauf zu diesem Zeitpunkt nicht zu. Zum weiteren Verlauf sei zu sagen, dass sich die Lungenbefunde in der pulmonologischen Untersuchung vom 27.01.2015 zwar wieder normalisiert hätten. Allerdings seien schmerzhafte Beeinträchtigungen nachvollziehbar aufgrund des auch in der radiologischen Untersuchung verbleibenden Versatzes der Rippenbrüche verblieben.

Das chirurgische Gutachten vom 27.01.2015 im Auftrag der Unfallversicherung habe aus Sachverständigensicht nachvollziehbar eine Invalidität von 20 % aufgrund der Unfallfolgen festgelegt. Insgesamt seien die von der Geschädigten angegebenen Beschwerden nachvollziehbar auf das Unfallereignis zurückzuführen und würden voraussichtlich lebenslang anhalten.

e) Danach steht für das Gericht ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten dem Grunde nach fest. Insbesondere sieht es das Gericht aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen als erwiesen an, dass die Verletzungen der Geschädigten schwerwiegend waren und eine 2-​wöchige stationäre Behandlung notwendig war. In ihrer Zeugenvernehmung hatte die Geschädigte bestätigt, dass sie nach ihrer Erinnerung aufgrund des Unfalls bis Ende Juli 2013 arbeitsunfähig gewesen war.

f) Darüber hinaus begegnen auch die Darlegungen der Klägerin zur Schadenshöhe nach Überzeugung des Gerichts keinen durchgreifenden Bedenken. Die Ansprüche betreffend den Zeitraum vom 03.05.2013 bis zum 25.06.2013 (Anlage K1, Bl. 10 ff. d.A.). Im Einzelnen hat die Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche im Schreiben vom 24.09.2013 wie folgt beziffert:

stationäre Kranken­h­aus­be­handlung vom 03.05.2013 - 17.05.2013:2.917,65 €
Rettungs­wagen vom 03.05.2013:  519,94 €
Krankengeld vom 15.06.2013-25.06.2013:1.000,78 €
Träger­bei­träge zur Renten-, Arbeits­losen-und Pflege­ver­si­cherung vom 15.06.2013-25.06.2013:  222,09 €
entgangene Kranken­ver­si­che­rungs­bei­träge vom 15.06.2013 - 25.06.2013:  255,64 €
Gesamt­betrag:4.916.10 €

aa) Das Gericht teilt die Auffassung der Klägerin, dass die erbrachten Leistungen durch die Bezugnahme auf die bei den Leistungserbringern eingepflegten Daten und entsprechende Bildschirmausdrucke schlüssig dargelegt werden können. Die Bezugnahme auf diese Dateien ist in Hinblick auf die §§ 301 - 303 SGB V zulässig. Danach sind Krankenhäuser und sonstige Leistungserbringer verpflichtet, die eingepflegten Daten der Krankenkasse maschinenlesbar zu übermitteln, um den Bedingungen der Massenabrechnung von Krankenhausaufenthalten Rechnung tragen zu können. Die Abrechnungen und Zahlungen an die Leistungserbringer erfolgen deshalb aufgrund des hohen Datenanfalls bei den Krankenkassen üblicherweise auch nur noch auf diese Weise (vgl. LG Itzehoe, Urteil vom 30.04.2010, Az.: 6 O 210/08 mit Bezugnahme auf das Urteil des LG Augsburg vom 26. September 2007, Az. 7 S 1361/07).

Die von der Klägerin vorgelegten Ausdrucke können auch nachvollziehbar mit dem streitgegenständlichen Unfall vom 03.05.2013 in Übereinstimmung gebracht werden. Denn neben dem Namen der Geschädigten enthalten die Ausdrucke Angaben zu den jeweiligen Zeiträumen der Leistungserbringung, die jeweiligen in Ansatz gebrachten Einzelbeträge sowie etwaige Zuzahlungen der Geschädigten.

bb) Die Beklagte hat nach Vernehmung der Geschädigten als Zeugin in der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2017 lediglich noch bestritten, dass der streitgegenständliche Unfall für den geltend gemachten Schadensersatz ursächlich gewesen ist. Diesen Beweis hält das Gericht demgegenüber für erbracht. Angesichts der Aussage der Zeugin … sowie der Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. … steht für das Gericht fest, dass die Geschädigte nach dem Unfall am 03.05.2013 mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden musste und sie sich in der Folgezeit tatsächlich vom 03.05.2013 bis zum 17.05.2013 dort in stationärer Behandlung befand. Das Gericht hat auch in Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkte keine Zweifel daran, dass diese stationäre Behandlung erforderlich war, um die erheblichen Verletzungen der Geschädigten zu heilen. Dass die Geschädigte nach ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung weiterer ambulanter Behandlung bedurfte und krankgeschrieben war, hat diese im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung ebenfalls bestätigt. Im Übrigen entspricht dies der allgemeinen Lebenserfahrung. Die in diesem Zusammenhang angesetzten Beträge für Krankengeld (11 Tage zu je 90,98 € = 1.000,78 €) und Beiträge zur Sozialversicherung (222,09 €) hat die Beklagte der Höhe nach nicht konkret bestritten. Das Gericht hält deshalb die Klage insgesamt in Höhe von 4660,46 € für begründet.

cc) In Hinblick auf den Teilbetrag von 255,64 € ist die Klage indes abzuweisen, da die Klägerin die in dem Schreiben vom 24.09.2013 in Bezug genommene Anlage K3 nicht zu den Akten gereicht hat. Hierauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.10.2017 ausdrücklich hingewiesen, die Anlage wurde jedoch nicht nachgereicht. Eines gerichtlichen Hinweises bedurfte es insoweit nicht (vgl. Zöller, a.a.O., § 139 Rdnr. 6a mit Hinweis auf BGH, NJW-​RR 2008, 581).

2.) Der Feststellungsantrag (Antrag zu 2.) ist ebenfalls begründet.

Eine Feststellungsklage ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann. (BGH, Beschluss vom 09.01.2007, Az.: VIZR 133/06). Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, ist fraglich (BGH, a.a.O.; Urteil vom 16.01.2001 - VI ZR 381/99, m.w.N.). Hieran wären jedenfalls keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, so dass der Feststellungsanspruch nur dann zu verneinen ist, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit zukünftigen Schäden wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 15.07.1997, Az.: VI ZR 184/96; Urteil vom 23.04.1991, Az.: X ZR 77/89).

Nach Überzeugung des Gerichts liegen bei verständiger Würdigung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. … die Voraussetzungen des geltend gemachten Feststellungsanspruchs vor. Denn der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Geschädigte mit den auf das Unfallereignis zurückzuführenden Beschwerden voraussichtlich lebenslang zu tun haben wird. Vor diesem Hintergrund ist auch mit zukünftigen Schäden der Klägerin zu rechnen, die dieser aufgrund ihrer Verpflichtung zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Fall der kausal auf den Reitunfall zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit der Geschädigten entstehen.

3.) Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach § 280 Abs. 1 BGB auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 258,17 €. In Anbetracht der Komplexität des vorliegenden Rechtsstreits war die Klägerin befugt, bereits vorgerichtlich einen Rechtsanwalt einzuschalten. Die Kosten sind im Klageantrag zu 3. mit 258,17 € zutreffend angegeben (0,65 Gebühr aus einem Streitwert von bis zu 5.000,00 €, zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer).

4.) Der geltend gemachte Zinsanspruch ist gemäß den §§ 286 Abs. 1,288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Aufgrund ihres Schreibens vom 29.10.2013 (Anlage K2, Bl. 19 d.A.), mit dem sie die geltend gemachten Regressansprüche zurückgewiesen hat, befand sich die Beklagte ab dem 01.11.2013 in Zahlungsverzug. Bei dem geltend gemachten Zinssatz handelt es sich um den gesetzlichen Zinssatz.

5.) Schließlich sind die Ansprüche der Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verjährt. Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich im Mai 2013, so dass die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) nach § 199 Abs. 1 BGB am 31.12.2013, 00.00 Uhr, begann. Durch die Erhebung der Klage wurde die Verjährung noch rechtzeitig nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Zwar erfolgte die Zustellung der Klageschrift und damit die Erhebung erst am 21.01.2017, jedoch wirkt vorliegend die Zustellung der Klageschrift auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung nach § 167 ZPO zurück, da die von der Klägerin am 02.01.2017 angeforderten Gerichtskosten am 09.01.2017 gebucht wurden und die Zustellung sodann demnächst erfolgte (vgl. Palandt, a.a.O., § 204 Rdnr. 7, m.w.N.; Zoller, a.a.O., § 167 Rdnr. 10).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.


Erhebung einer Klage auf Feststellung künftiger, noch nicht nach § 6 EntgFG übergegangener Schadensersatzansprüche - Prelinger, jurisPR-VerkehrsR 10/2018 Anm. 2 (Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 05.12.2018 - 9 U 76/18)

Bedingte und betagte Reche schließen das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage nicht aus. Daher kann auch der Arbeitgeber Feststellungsklage hinsichtlich noch nicht nach § 6 EntgFG auf ihn übergegangener Schadensersatzansprüche erheben, soweit Folgeschäden bzw. eine weitere Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entfernt möglich sind

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

1.4.2019


Anmerkung zu

OLG Stuttgart 9. Zivil­senat, Urteil vom 05.12.2018 – 9 U 76/18


Anmerkung zu


Quelle


Fundstelle

jurisPR-VerkR 6/2019 Anm. 4


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 10/2018 Anm. 2


Kein Mitverschulden bei Brandverletzungen - LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 28.12.2018 - 2 O 147/18

Tenor

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 20.756,62 € nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2015 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 1) aus dem Schadensereignis der … - vom 18.06.2015 auf dem Grundstück … entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 2) aus dem Schadensereignis der … entstehen.
  4. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen begehren Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen Verletzung ihrer Versicherten … .

Am 18.06.2015 begab sich die Versicherte aufgrund einer Einladung gegen 19:45 Uhr auf das Grundstück … . Auf dem Grundstück befand sich ein Grill, dessen Holzkohle zumindest bereits glühte. Der Beklagte nahm eine grüne längliche Plastikflasche, in der sich ein flüssiger Grillanzünder befand, und sprühte die Flüssigkeit in den Grill. Hierdurch entstand eine Stichflamme, welche die Kleidung der Versicherten erfasste. Nach Hinzuziehung eines Notarztes wurde die Versicherte mit einem Hubschrauber in die Klinik nach Leipzig geflogen und befand sich dort zur stationären Behandlung vom 18.06. bis 03.07.2015.

Infolge des Geschehens erlitt die Versicherte Verbrennungen des Grades 2b an beiden Oberschenkeln, des 3. Grades am linken Handgelenk und der linken Hand sowie des 2.-​3. Grades an insgesamt 8 % der Körperoberfläche. Zur Behandlung der Verbrennungen wurde die Haut an der Hand, den Oberschenkeln und am Knie abgetragen, die betroffenen Körperflächen wurden mit Fettgazeverband und antiseptischen Salbe mehrfach behandelt. Am 23.06.2015 folgten Hauttransplantationen an der Hand und an den Oberschenkeln, am 29.06.2015 erfolgte nochmals eine Revision eines freien Hauttransplantats. Zugleich wurde die Versicherte während des stationären Aufenthalts psychologisch betreut. Vom 17.07. bis 13.08.2015 befand sich die Versicherte in der neurologischen orthopädisch-​traumatischen Fachklinik für Rehabilitation in B. K., wo ein Narbenzug nach Verbrennung diagnostiziert wurde. Die Versicherte erlitt Funktionsbeeinträchtigungen der linken Hand und musste nach dem Vorfall Kompressionsbekleidung über 23 Stunden am Tag tragen.

Auf ein Schreiben der Klägerin zu 1) wies der Beklagte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 17.09.2015 eine Einstandspflicht zurück.

Die Klägerinnen behaupten, der Beklagte hätte - wie er später auch gegenüber dem Notarzt und den Sanitätern eingeräumt habe - Brennspiritus verwendet und diese Flüssigkeit ohne jede Vorankündigung in den Grill gesprüht. Hierbei habe er in Richtung der Versicherten gesprüht, deren Kleidung infolge der Stichflamme in Brand geraten sei. Über die unstreitigen Verletzungen hinaus habe die Versicherte auch eine Anpassungsstörung erlitten, des Weiteren sei die Funktionsfähigkeit der linken Hand dauerhaft beeinträchtigt. Die medizinischen Behandlungen der Beklagten seien infolge des Vorfalls erforderlich gewesen. Infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigungen habe die Klägerin zu 1) umfangreiche Aufwendungen für diese Behandlungen und Krankengeld erbracht bzw. Ausfälle für entgangene Krankenversicherungs-​Beiträge erlitten, die sich in der Summe auf insgesamt 20.756,62 € beliefen. Wegen der detaillierten Berechnung wird auf die von der Klägerin zu 1) eingereichten Anl. K1 und K2 (Bl. 13-​19 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerinnen beantragen:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) 20.756,62 € nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.09.2015 zu zahlen.
  2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin zu 1) sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 1) aus dem Schadensereignis der … vom 18.06.2015 auf dem Grundstück … entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2) sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 2) aus dem Schadensereignis der … vom 18.06.2015 …  Grundstück … entstehen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er behauptet, davon ausgegangen zu sein, dass sich entsprechend der Beschriftung in der Grillanzünderflasche ein dickflüssiger Grillanzünder befunden habe. Vor Verwendung des Grillanzünders habe er laut und deutlich geäußert, jetzt die Glut entzünden zu wollen. Daraufhin sei die Versicherte, die vorher näher am Grill gestanden habe, auch noch einmal einen bis anderthalb Meter weiter weg vom Grill gegangen. Wider Erwarten habe sich der Grillanzünder stark entzündet und sich eine Flamme mit erheblicher Hitze entwickelt. Diese Flamme habe aber nicht die Geschädigte erfasst, sondern es sei deren (Plastik-​) Kleidung geschmolzen. Offenbar habe die Geschädigte zu nah am Grill gestanden. Deshalb müsse sich die Geschädigte ein nicht unerhebliches Mitverschulden von mindestens 50 % anrechnen lassen.

Die Akten des zwischen der Versicherten und dem Beklagten geführten Rechtsstreits (Gesch.-​Nr. 2 O 530/15) sowie des zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung der Versicherten und dem Beklagten geführten Rechtsstreits (Gesch.-​Nr. 2 O 223/18) wurden beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Zahlungsklage ist begründet. Der Klägerin zu 1) steht ein Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht nach § 116 SGB X i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB zu.

Der Beklagte ist der bei der Klägerin zu 1) Versicherten … im vollen Umfang zum Schadensersatz aufgrund des Vorfalls vom 18.06.2015 nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet. Der Beklagte hat fahrlässig die Gesundheit der Versicherten verletzt.

Der Beklagte ist kausal für die Verletzungen der Versicherten verantwortlich. Unstreitig zog sich die Versicherte schwere Brandverletzungen zu, weil der Beklagte flüssigen Grillanzünder in einen bereits entzündeten Grill auf glühende Kohlen sprühte, es hierdurch zu einer Stichflamme kam und zumindest hitzebedingt die Kleidung der Versicherten schmolz. Ob diese zugleich in Brand geriet, ist vor diesem Hintergrund unerheblich.

Der Beklagte handelte auch schuldhaft, nämlich fahrlässig. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Diesen Tatbestand erfüllt das Sprühen von flüssigem Grillanzünder auf glühende Kohlen in einem Grill. Unerheblich ist hierbei, ob es sich um dickflüssigen oder dünnflüssigen Anzünder handelt. Dass es bei einer derartigen Verwendung von flüssigen Brennhilfen zu Verpuffungen und Stichflammen kommen kann, ergibt sich aus den deutlichen Warnhinweisen auf jeder Grillanzünderflasche und ist im Übrigen - nicht zuletzt aufgrund regelmäßig auftretender Unfälle, über die auch ständig in den Medien berichtet wird - allgemein bekannt (OLG Koblenz, Urteil vom 11. Januar 2000 - 1 U 1452/97 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. August 1990 - 10 U 7/90 -, juris). Dementsprechend musste auch der Beklagte über eine entsprechende Kenntnis verfügen und danach handeln.

Die Haftung des Beklagten vermindert sich nicht nach § 254 BGB aufgrund eines etwaigen Mitverschuldens der Versicherten. Ein derartiges Mitverschulden ist nicht erkennbar. Ein solches läge nur vor, wenn der Versicherten ihrerseits ein fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden könnte. Eine derartige Pflichtverletzung - gegen sich selbst - ist aber nicht erkennbar. Allein der Umstand, dass die Versicherte sich auf einen etwaigen Hinweis des Beklagten nicht schnell und weit genug vom Grill entfernt hätte, genügt hierfür nicht. Denn es war ausschließlich Sache des Beklagten, eine derart gefährliche Handlung grundsätzlich zu unterlassen. Wenn er dennoch meinte, den Grillanzünder in der ungeeigneten Situation durch unsachgemäße Handhabung benutzen zu müssen, war es allein seine Pflicht, sich von einem hinreichend Sicherheitsabstand der in der Nähe befindlichen Personen zu vergewissern.

Selbst wenn der Versicherten infolge der behaupteten Ankündigung des Beklagten ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sein sollte, wäre ihre Pflichtverletzung so gering, dass sie im Hinblick auf das schwere Verschulden des Beklagten zu vernachlässigen ist. Denn das Verschulden des Beklagten erreicht den Grad der groben Fahrlässigkeit, indem er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aus den vorgenannten Gründen in besonders schwerem Maße verletzt hat (Palandt/Grüneberg, Rn. 14 zu § 276 BGB). Vorliegend wiegt sein Verschuldensanteil so schwer, dass eine etwaige Mitverantwortung der Versicherten - die sich nach der Behauptung des Beklagten nicht schnell und weit genug entfernt hat - im Rahmen der Abwägung unberücksichtigt bliebe (zur Abwägung vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2015 - VI ZR 206/14 -, juris). Auf eine Beweisaufnahme zu einem etwaigen Mitverschulden der Versicherten durch Vernehmung der im Termin vom Beklagten benannten Zeugen kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Infolge des Geschehens erlitt die Versicherte Verbrennungen des Grades 2b an beiden Oberschenkeln, des 3. Grades am linken Handgelenk und der linken Hand sowie des 2.-​3. Grades insgesamt an 8 % der Körperoberfläche und litt zudem an einer Anpassungsstörung. Das Verletzungsbild ist unstreitig; die gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergeben sich zudem aus dem Arztbrief vom 03.07.2017 des … sowie … (Bl. 9 ff der beigezogenen Akte 2 O 530/15) den der Beklagte nicht angegriffen und an dessen Richtigkeit das Gericht keinerlei Zweifel hat. Die Verletzungen der Versicherten werden zudem belegt durch den ärztlichen Kurzbrief der Dr. med. … vom 12.08.2015 (Bl. 13 der beigezogenen Akte 2 O 223/18), den Befundbericht zum AHB-​Antrag des Assistenzarztes … vom 29.06.2015 (Bl. 19 der beigezogenen Akte 2 O 223/18) sowie dem Reha- Entlassungsbericht vom 19.08.2015 (Bl. 20 ff. der beigezogenen Akte 2 O 223/18). Auch die Richtigkeit dieser Unterlagen hat der Beklagte in keiner Weise angegriffen.

Der Beklagte haftet damit auf Ersatz sämtlicher Aufwendungen, die auf den Verbrennungen beruhen. Hierzu gehören u. a. die Kosten der unstreitigen und umfangreichen Heilbehandlung, die angesichts der vorgenannten Arztberichte zweifellos entstanden und auf das Geschehen kausal zurückzuführen sind.

Soweit die Klägerin zu 1) als gesetzliche Krankenversicherung der Versicherten hierzu Leistungen erbracht hat, ist der Schadenersatz der Versicherten in dieser Höhe nach § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin zu 1) übergegangen. Das Gericht ist deshalb nach § 118 SGB X hinsichtlich der Zuständigkeit der Krankenkasse, der Versicherteneigenschaft der Geschädigten sowie hinsichtlich Art und Höhe der Sozialleistung an die Entscheidung der Klägerin zu 1) gebunden (z. B. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011 - III ZR 252/10 -, juris). Dies gilt nach dieser Vorschrift jedenfalls unmittelbar, sofern der Sozialleistungsträger durch eine unanfechtbare Entscheidung entschieden hat. Zwar setzt dies grundsätzlich eine entsprechende Gerichtsentscheidung oder einen Verwaltungsakt voraus (Diering/Timme/Breitkreuz, Rdnr. 2 zu § 118 SGB X). Eine Leistungsgewährung durch Verwaltungsakt ist bei den von der Klägerin zu 1) erbrachten Leistungen ohne Weiteres nur für das gezahlte Krankengeld ersichtlich, dessen Gewährung immer ein Verwaltungsakt vorausgeht (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Schifferdecker, Rn. 91 zu § 44 SGB V). Hinsichtlich der ambulanten und stationären Behandlungen muss dies nicht zwingend der Fall sein (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Nolte, Rn. 85 zu § 27 SGB V). Indes ist das Gericht von der Notwendigkeit der dahingehenden Leistungserbringung gleichfalls überzeugt, da der Beklagte aufgrund seines lediglich pauschalen Bestreitens sämtlicher Haftungsvoraussetzungen den dahingehenden Vortrag der Klägerin zu 1) in keiner Weise substantiiert angegriffen hat und sich aus den umfangreich vorgelegten ärztlichen Unterlagen die umfassende Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten aufdrängt. Zu erstatten sind auch die - der Höhe nach gleichfalls nicht substantiiert angegriffenen - entgangenen Krankenversicherungsbeiträge, die auf die Klägerin zu 1) als Erwerbsschaden nach § 842 BGB gleichfalls übergangenen sind (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2013 - VI ZR 128/12 -, juris). Zur Zahlung dieser Beiträge wäre die Versicherte verpflichtet gewesen, da sie bereits zuvor - wie aus dem Verfahren 2 O 223/18 ersichtlich - in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden und Beiträge entrichtet hatte, woraus sich schließlich auch ihr - unstreitiger - Anspruch auf Krankengeld ergibt. Ein - wohl vom Beklagten unterstellter - Bezug von ALG II hätte diesen Anspruch nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V ausgeschlossen. Infolgedessen ist der Beklagte der Klägerin zu 1) zur Erstattung der von ihr aufgewandten Behandlungskosten sowie mit der Bezahlung des Krankengelds in Zusammenhang stehenden Aufwendungen in dem von ihr substantiiert bezifferten Umfang von 20.756,62 € verpflichtet. Zur Berechnung wird auf die von der Klägerin vorgelegten Anl. K1 und K2 (Bl. 13 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Zinsanspruch folgt aus Verzug infolge der Zurückweisung des klägerischen Anspruchs mit anwaltlichem Schreiben des Beklagten vom 17.09.2015 nach §§ 280, 286 BGB.

II.

Die Feststellungsanträge der Klägerinnen sind zulässig und begründet. Für die Zulässigkeit genügt es, wenn künftige Schadensfolgen wenn auch nur entfernt möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (Zöller/Greger, Rn. 9 zu § 256 ZPO m. w. N.). Dies ist angesichts des Verletzungsbildes der Versicherten ohne Weiteres der Fall. Die Begründetheit ergibt sich aus der dem Grunde nach - auch zugunsten der Klägerin zu 2) als gesetzlicher Pflegeversicherung - bestehenden Verpflichtung des Beklagten zum vollumfänglichen Schadensersatz aus übergegangenem Recht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerinnen vom 10.12.2018 hat dem Gericht vorgelegen. Er gibt jedoch keinen Anlass, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten.