Zur Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemäß § 116 Abs. 6 SGB X (a.F.) neben einer bestehender Ehe - OLG Karlsruhe, Urteil vom 7. Februar 2023 – 25 U 46/21 (Fundstellen: juris, NJW-RR 2023, 944 ff., DAR 2023, 565)

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 10.12.2020, Az. 2 O 127/18, wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Konstanz ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Endurteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
  4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Parteien, zwei Versicherungsunternehmen, streiten sich nach einem Verkehrsunfall zwischen ihren jeweiligen versicherten Personen über den Eintritt eines Forderungsübergangs nach § 116 Abs. 1 SGB X a.F.

Am 16.09.2016 beabsichtigte der zwischenzeitlich am 10.04.2019 verstorbene Herr T. mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Fahrzeug gemeinsam mit der Zeugin L., die bei der Beklagten krankenversichert ist, eine Fahrt zu unternehmen. Während Herr T. mit laufendem Motor vor dem Hausanwesen in B. wartete, setzte er mit seinem Fahrzeug zurück und erfasste hierbei die sich dem Fahrzeug nähernde Zeugin L..

Die Zeugin L. wurde durch den Anstoß zu Boden geworfen. Sie erlitt hierdurch mehrere schwere Verletzungen, insbesondere ein Schädelhirntrauma und einen Schädelbasisbruch. Sie wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus verbracht und in ein künstliches Koma versetzt. In der Folge wurden verschiedene hochinvasive Behandlungen vorgenommen.

Aufgrund dieser Maßnahmen leistete die Beklagte als Krankenversicherer der Zeugin L. insgesamt 71.208,97 €.

Diesen Betrag forderte sie gemäß § 116 SGB X a.F. aus vermeintlich übergegangenem Recht von der Klägerin als Kfz-​Haftpflichtversicherung des Herrn T. an und erhielt diesen auch von der Klägerin mit Zahlung vom 03.01.2017 erstattet.

Mit Schreiben vom 29.08.2017 (Anlage BLD 2) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, dass sie den Betrag zu Unrecht geleistet habe, weil Herr T. und die Zeugin L. zum Unfallzeitpunkt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt hätten, und forderte die Beklagte bis zum 30.09.2017 auf, den Betrag zurückzuerstatten.

Nachdem die Beklagte auch auf ein Schreiben vom 24.01.2017 (Anlage BLD 3) nicht geleistet hatte, beauftragte sie ihre Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche (Anlage BLD 4).

Herr T. heiratete im Jahr 1975 die Zeugin Carola T.; aus der Ehe gingen zwei zwischenzeitlich erwachsene gemeinsame Kinder hervor, die wiederum eigene Kinder haben.

Er betrieb bis zu seinem Tod am 10.04.2019 mit der Zeugin T. verschiedene Handelsfirmen, die im Unfallzeitpunkt im Jahr 2016 ihren jeweiligen Sitz in B. hatten. In diesem Zusammenhang führten die Eheleute bis zum Tod des Herrn T. gemeinsame Konten und veranlagten sich steuerlich gemeinsam. Auch hatte Herr T. der Zeugin T. eine Generalvollmacht erteilt.

Die Zeugin L. hatte am 26.09.2004 den deutschen Staatsangehörigen Herrn L. geheiratet, von dem sie aber mit Urteil des Amtsgerichts W. am 03.08.2010 (Anlage B 6) rechtskräftig geschieden wurde.

Am 08.08.2009 brachte die Zeugin L. das Kind C. T. zur Welt, dessen Vater nach dem Auszug aus dem Geburtseintrag Nr. G xxx des Standesamts der Stadt W. vom 29.11.2011 (AS. I 465) Herr T. ist.

Die Zeugin L. war als Angestellte der von Herrn T. (zumindest mit-​) betriebenen Handelsfirmen M. Service GmbH (Zeitraum 2014 bis 2016) und M. Express GmbH (Zeitraum ab 2016) sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Zum Unfallzeitpunkt war Herr T. polizeilich unter der Anschrift X 24 in B. gemeldet, während die Zeugin L. polizeilich unter der Anschrift Y 2 in B. gemeldet war. Diese beiden Anschriften wurden von Herrn T. bei der Unfallaufnahme auch gegenüber der Polizei angegeben und so auf dem Unfallfragebogen erfasst.

Beide Grundstücke standen im Unfallzeitpunkt im Eigentum von Herrn T. und der Zeugin T.. Auch ihre gemeinsamen Handelsfirmen waren unter diesen Adressen gemeldet.

Nach dem Tod von Herrn T. trat die gesetzliche Erbfolge ein.

Die Klägerin hat gemeint, ihre Zahlung an die Beklagte sei ohne Rechtsgrund erfolgt, da Herr T. und die Zeugin L. zum Unfallzeitpunkt bereits seit ca. neun Jahren eine nichteheliche Lebensgemeinschaft gebildet hätten und deshalb das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X greife.

Die Klägerin hat behauptet, Herr T. und die Zeugin L. hätten im Unfallzeitpunkt bereits seit drei Jahren mit ihrer gemeinsamen neunjährigen Tochter unter der Anschrift Y 2 in B. in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, eine Abmeldung des Herrn T. von seiner früheren Anschrift X 24 in B. sei lediglich aus Nachlässigkeit unterblieben. Herr T. und die Zeugin L. hätten beide nach ihren Möglichkeiten wirtschaftlich zu der gemeinsamen Lebensführung beigetragen.

Von der nichtehelichen Lebensgemeinschaft habe die Klägerin erst am 12.06.2017 durch ein Schreiben eines anwaltlichen Vertreters der Zeugin L. erfahren.

Die Klägerin hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 71,208,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 71.208,97 € seit dem 01.10.2017, hilfsweise seit dem 16.02.2018 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.062,15 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2018 zu bezahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Im Wege der Widerklage hat die Beklagte weiter beantragt:

Es wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten sämtliche weiteren über die bisherigen Zahlungen hinausgehenden Schäden zu ersetzen, die der Beklagten aus dem Schadensereignis vom 16.09.2016 gegen 15:45 Uhr auf dem Anwesen Y 2, B., OT M., durch die Verletzung der Frau L., Y 2, B., entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Klägerin hat beantragt: Die Widerklage wird abgewiesen.

 

Die Beklagte hat gemeint, dass zwischen Herrn T. und der Zeugin L. keine nichteheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe.

Entgegen der Behauptungen der Klägerin sei Herr T. nicht der biologische Vater der neunjährigen Tochter der Zeugin L.. Herr T. habe zum Unfallzeitpunkt auch nicht im Hausanwesen Y 2 in B. gewohnt, sondern gemeinsam mit der Zeugin T. und einer ehelichen Tochter in der gemeinsamen ehelichen Wohnung im Hausanwesen X 24 in B., wo sich auch sein Briefkasten befunden habe. Ein gemeinsames Wirtschaften mit der Zeugin L. habe nicht vorgelegen.

Die Beklagte hat zudem die Ansicht vertreten, dass gegen eine nichteheliche Lebensgemeinschaft auch die getrennte steuerliche Veranlagung und das Fehlen eines gemeinsamen Kontos sprächen. Auch sei im Zeitpunkt des Ablebens von Herrn T. keine Altersvorsorge für die Zeugin L. geschaffen gewesen, was ebenfalls gegen eine nichteheliche Lebensgemeinschaft spreche.

Eine Anwendung des § 116 Abs. 6 SGB X a.F. sei auch deshalb ausgeschlossen, weil Herr T. den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, was sich aus den Umständen des Unfalls ergebe.

Außerdem sei eine Rückforderung der geleisteten Zahlungen gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, weil der Klägerin das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft bei Zahlung bekannt gewesen sei.

Schließlich habe die Klägerin mit der Zahlung zugleich ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben und damit den Haftpflichtanspruch verbindlich anerkannt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeuginnen T. und L.. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 13.08.2020 (AS. I 471 ff.) und 30.10.2020 (AS. I 571 ff.) Bezug genommen.

Des Weiteren hat es die Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft - Az.: xxx Js xxx/16 - beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Feststellungen wird gem. § 540 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Leistungen der Klägerin an die Beklagte ohne Rechtsgrund erfolgt und daher gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurück zu gewähren seien. Schadensersatzansprüche der Zeugin L. gegen die Beklagte gem. §§ 7, 18 StVG seien gem. § 116 Abs. 1 SGB X a.F. analog nicht auf die Klägerin übergangen, weil zum Unfallzeitpunkt zwischen Herrn T. und der Zeugin L. eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe und beide in einer häuslichen Gemeinschaft gelebt hätten. Künftige Zahlungspflichten der Klägerin gegenüber der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Unfall würden deshalb ebenfalls ausscheiden.

Dies stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Aus den glaubhaften Angaben der Zeuginnen T. und L. ergebe sich, dass Herr T. bereits im Jahr 2008 eine Beziehung zu der Zeugin L. aufgenommen und diese im Juli 2008 seiner Ehefrau, der Zeugin T., offenbart habe. Die Zeugin T. habe sich darauf hin von Herrn T. getrennt, sei nach Österreich verzogen und nur noch selten in B. zu Besuch gewesen.

Die Zeugin L. und Herr T. hätten seit 2009 zusammen mit der gemeinsamen Tochter C. in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, und zwar zunächst in W. und später in dem Hausanwesen Y 2 in B.. Die Wohnung habe aus einem großen Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern, Küche und Bad bestanden. Eines der Schlafzimmer habe die Tochter C. T. genutzt, das andere Schlafzimmer hätten Herr T. und die Zeugin L. gemeinsam genutzt. Herr T. und die Zeugin L. hätten ihre Tochter gemeinsam erzogen und die Ausgaben für den Haushalt gemeinsam aus ihrem jeweiligen Einkommen bestritten.

Insgesamt habe sich das damalige Verhältnis zwischen Herrn T. und der Zeugin L. als Lebensgemeinschaft dargestellt, die sich von einer Ehe nur durch die fehlende rechtliche Bindung unterschieden habe. Dem stehe der rein formale Fortbestand der Ehe zwischen Herrn T. und der Zeugin T. nicht entgegen, da zwischen ihnen seit der Trennung im Jahr 2008 keine Lebensgemeinschaft mehr bestanden habe.

Die von der Beklagten behaupteten Unstimmigkeiten hinsichtlich der Klingel- und Briefkastenschilder an den Anschriften Y 2 und X 24 in B. gäben ebenso wenig wie die unterschiedlichen Meldeadressen Aufschluss über die tatsächlichen Wohn- und Lebensumstände des Herrn T. und der Zeugin L.. Da beide Anwesen ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Luftbildes in fußläufiger Entfernung lägen, sei es unproblematisch, wenn die Post teilweise an die eine, teilweise an die andere Anschrift gesendet worden sei. Es habe auch keine zwingende Notwendigkeit bestanden, dass Herr T. seine Meldeadresse habe ändern müssen.

Für die Annahme einer vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalls würden jegliche Anhaltspunkte fehlen, der dahingehende Vortrag der Beklagten erfolge ins Blaue hinein und sei in sich widersprüchlich, wenn in dem Schriftsatz vom 04.01.2019 von der Beklagten auf Seite 6 oben mitgeteilt werde, dass auch sie von einem fahrlässigen Ereignis ausgehe. Um einen Fall des zulässigen Haupt- und Hilfsvorbringens handele es sich insoweit gerade nicht. Letztlich ergäben sich aber auch aus der beigezogenen Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Annahme.

Ein Ausschluss der Forderung der Klägerin nach § 814 BGB scheide aus, da die Beklagte eine positive Kenntnis der Klägerin von dem Nichtbestehen einer Zahlungspflicht nicht nachgewiesen habe.

Schließlich liege in der Zahlung der Klägerin auch kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das einen Rückforderungsanspruch ausschließen könnte.

Gegen das ihr am 21.12.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 30.12.2020 eingegangenen Berufung, die innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist am 18.03.2021 begründet worden ist.

Die Beklagte rügt, das Landgericht habe zu Unrecht das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen Herrn T. und der Zeugin L. angenommen.

Das Landgericht habe bei seiner Beurteilung nicht ausreichend berücksichtigt, dass Herr T. und die Zeugin L. über kein gemeinsames Konto verfügt hätten und keine gemeinsame steuerliche Veranlagung stattgefunden habe. Auch die Tatsachen, dass Herr T. die Zeugin L. weder im Rahmen eines Testaments als Erbin eingesetzt habe, noch sie in sonstiger Weise wirtschaftlich über seinen Tod hinaus abgesichert habe, sprächen deutlich gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Auch der Umstand, ein gemeinsames Kind zu haben, genüge noch nicht, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft anzunehmen. Insoweit habe das Landgericht nicht ausreichend gewürdigt, dass C. T. mit Blick auf das Scheidungsurteil vom 15.04.2010 zeitlich noch innerhalb der nach § 1592 Nr. 1 BGB zugunsten des Herrn L., dem früheren Ehemann der Zeugin L., geltenden Vaterschaftsvermutung geboren worden sei. Auch sei der Behauptung der Beklagten, dass Herr T. nicht der biologische Vater der C. T. gewesen sei, vom Landgericht verfahrensfehlerhaft nicht nachgegangen worden, obwohl die Zeugin L. erst drei Monate vor der Geburt aus Thailand zurückgekommen sei, das Kind also in Thailand gezeugt worden sein müsse.

Auch die Tatsache, dass Einkommen gemeinsam für die Ausgaben des Haushalts verwendet worden seien, genüge nicht für die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Das Landgericht habe auch nicht ausreichend die Höhe des Einkommens der Zeugin L. sowie deren genaue Quelle aufgeklärt. Die Angaben der Zeugin L. seien insoweit widersprüchlich gewesen, so habe sie zum einen angegeben, zusammen mit Herrn T. zuerst in E. und dann in B. ein Massage-​Studio betrieben zu haben, dann habe sie wieder angegeben, bei Herrn T. angestellt gewesen zu sein. Die unstreitig erfolgte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit der Zeugin L. bei den Firmen des Herrn T., also bei der M. Service GmbH im Zeitraum von 2014 bis 2016 und bei der M. Express GmbH im Zeitraum ab 2016, weise die Unrichtigkeit der Angaben der Zeugin L. nachdrücklich auf.

Das Landgericht habe auch nicht näher aufgeklärt, welche Schulden des Herrn T. die Beiden laut der Zeugin L. gemeinsam mit ihrem jeweiligen Einkommen zurückgeführt haben wollen.

Schließlich stehe die zum Unfallzeitpunkt weiter bestehende Ehe des Herrn T. mit der Zeugin T. der Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft entgegen. Herr T. habe bis zu seinem Tod mit der Zeugin T. weiterhin bewusst eine wirtschaftliche Gemeinschaft gebildet. Die Zeugin T. habe von ihm eine Generalvollmacht erhalten und nach seinem Tod die gesamte Liquidation durchgeführt. Die gemeinsamen Firmen und Häuser hätten den Lebensunterhalt des Herrn T., der Zeugin T. sowie ihrer gemeinsamen Kinder und Enkel sichern sollen, weshalb Herr T. auch kein Testament zugunsten der Zeugin L. errichtet habe. Herr T. habe auch noch mit der Zeugin T. im Hausanwesen X 24 in B. zusammen gewohnt; auch seine private Post und die Post für die Firma M. Express GmbH seien an diese Anschrift gegangen, was die Briefkastenschilder dokumentieren würden.

Die Beklagte beantragt:

Unter Abänderung des am 10.12.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Konstanz, Az. E 2 O 127/18, wird das Urteil wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Auf die Widerklage hin wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten sämtliche weiteren über die bisherigen Zahlungen hinausgehenden Schäden zu ersetzen, die der Beklagten aus dem Schadensereignis vom 16.09.2016 gegen 15.45 Uhr auf dem Anwesen Y 2, B., OT M., durch die Verletzung der Frau L., Y 2, B., entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Klägerin beantragt: Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Die mit den Berufungsangriffen vorgetragenen Erwägungen der Beklagten seien unzutreffend. Die Würdigung der Angaben der Zeuginnen T. und L. durch das Landgericht sei nicht zu beanstanden. Anhand deren glaubhafter Angaben und weiterer Indizien sei das Landgericht zutreffend zu der Annahme gelangt, dass zwischen Herrn T. und der Zeugin L. im Unfallzeitpunkt sowohl eine nichteheliche Lebensgemeinschaft als auch eine häusliche Gemeinschaft bestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das Landgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage begründet ist, die Widerklage dagegen unbegründet.

A.

Die Klage ist in der vom Landgericht ausgesprochenen Form begründet. Der Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB die Rückzahlung von 71.208,97 € verlangen, da sie diese Leistung an die Beklagte ohne Rechtsgrund erbrachte.

1.

Eine Leistung der Klägerin an die Beklagte liegt vor.

Die Klägerin zahlte auf das Anforderungsschreiben der Beklagten vom 03.01.2017, mit dem diese die Erstattung von in Zusammenhang mit dem Unfall der Zeugin L. erbrachten Sozialversicherungsleistungen in Höhe von 71.208,97 € geltend machte, den darin geforderten Betrag an die Beklagte.

2.

Die Leistung erfolgte ohne Rechtsgrund, da eine Forderung der Beklagten gegenüber der Klägerin nicht bestand.

Die Beklagte ist nach § 116 Abs. 1 SGB X a.F. nicht Inhaberin von Schadensersatzansprüchen der Zeugin L. geworden, da nach den analog anzuwendenden Grundsätzen des § 116 Abs. 6 SGB X a.F. ein gesetzlicher Forderungsübergang nicht stattgefunden hat.

a)

Nach § 120 Abs. 1 Satz 3 SGB X ist für das vorliegende Unfallereignis die Fassung des § 116 Abs. 6 SGB X anzuwenden, die bis zum 31.12.2020 gegolten hat (im Folgenden a.F.).

Nach dessen Wortlaut ist ein Anspruchsübergang bei einer nicht vorsätzlichen Schädigung dann ausgeschlossen, wenn die Schädigung durch einen Familienangehörigen erfolgt ist, der im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung ist das Haftungsprivileg zumindest in einer analogen Anwendung über den Wortlaut hinaus aber auch auf den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anzuwenden. Die Vergleichbarkeit der Schutzwürdigkeit erfordert im Bereich des Sozialversicherungsrechts ebenso wie im Versicherungsvertragsrecht, das insoweit durch die Neufassung des § 86 Abs. 3 VVG bereits zum 01.01.2008 eine entsprechende Erweiterung erfuhr, zumindest eine analoge Anwendung des Haftungsprivilegs. Ein unterschiedliches Verständnis des Angehörigenprivilegs im Bereich des Versicherungsvertragsrechts einerseits und des Sozialversicherungsrechts andererseits ist weder geboten noch gerechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 05. Februar 2013 - VI ZR 274/12 -, BGHZ 196, 122-130, juris Rn. 18 ff.).

b)

Vorliegend scheidet ein gesetzlicher Übergang von Schadensersatzansprüchen der Zeugin L. auf die Beklagte nach der analogen Anwendung der Grundsätze des § 116 Abs. 1 SGB X a.F. aus, weil nach den zugrundeliegenden Feststellungen Herr T. und die Zeugin L. zum Unfallzeitpunkt als nichteheliche Lebensgemeinschaft zusammen in einer häuslichen Gemeinschaft lebten und der Unfall von Herrn T. nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2018 - VII ZR 170/17 -, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 04. September 2019 - VII ZR 69/17 -, juris Rn. 11). Bei der Berufungsinstanz handelt es sich daher um eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2016 - VIII ZR 191/15 -, juris; BGH, Beschluss vom 04. September 2019 - VII ZR 69/17 -, juris Rn. 11 ff.). Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2016 - VIII ZR 300/15 -, juris; BGH, Beschluss vom 04. September 2019 - VII ZR 69/17 -, juris Rn. 11 ff.).

bb) Soweit das Landgericht im Zusammenhang mit dem Unfall das Vorliegen von Anknüpfungstatsachen einer vorsätzlichen Schädigungshandlung des Herrn T. verneint hat, werden von der Beklagten insoweit keine Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit aufgezeigt. Im Gegenteil wird von der Beklagten eine Unrichtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen im Rahmen ihrer Berufungsbegründung gar nicht gerügt.

Es ergeben sich auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine unrichtige Feststellung. Selbst wenn Position und Laufrichtung der Zeugin L. bei dem Unfall im Detail anders gewesen wären als von Herrn T. geschildert, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln des Herrn T..

cc) Anhand einer Gesamtschau der unstreitigen Tatsachen und der aufgrund der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen ist davon auszugehen, dass Herr T. und die Zeugin L. im Zeitpunkt des Unfallgeschehens als nichteheliche Lebensgemeinschaft zusammen in einer häuslichen Gemeinschaft lebten.

(1) Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Als Hinweistatsachen, die sich nicht erschöpfend aufzählen lassen, für das Bestehen einer solchen Gemeinschaft kommen etwa in Betracht die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, juris Rn. 92 ff.).

(2) Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Maßstäbe ist in einer Gesamtschau sowohl der unstreitigen Tatsachen als auch der vom Landgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen das Vorliegen sowohl einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch einer häuslichen Gemeinschaft zwischen dem Unfallverursacher T. und der Zeugin L. zu bejahen.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Landgericht die entscheidungserheblichen Tatsachen unrichtig oder unvollständig festgestellt hat. Entgegen dem Berufungsvorbringen ist das Landgericht fehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, aufgrund der Angaben der Zeuginnen L. und T. in einer Gesamtschau mit weiteren Indizien wie der Dauer des Zusammenlebens, dem gemeinsam geführten Haushalt mit Erziehung eines gemeinsamen Kindes, den konkreten Wohnverhältnissen und Lebensumständen sowie dem Verhalten nach dem Unfall das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen der Zeugin L. und dem verstorbenen Herrn T. zum Unfallzeitpunkt als bewiesen anzusehen.

Das Landgericht hat hierbei die Angaben der Zeuginnen sowie die weiteren objektiven Indizien überzeugend und widerspruchsfrei gewürdigt, die von der Beklagten hiergegen erhobenen Rügen gehen fehl.

Anhand der Angaben der Zeuginnen L. und T. ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Herr T. und die Zeugin L. im Zeitpunkt des Unfalls bereits über mehrere Jahre hinweg mit der gemeinsamen Tochter C. T. in einer häuslichen Gemeinschaft lebten, zuerst seit 2009 in einem gemeinsamen Haushalt in W. und später in dem Hausanwesen Y 2 in B.. Die Zeugin L. hat detailliert und nachvollziehbar anhand der unterschiedlichen Räume der Wohnung in B. die auf Dauer angelegte gemeinsame Nutzung der Wohnung dargelegt, so hat sie u.a. anhand der Nutzung der beiden Schlafzimmer und der übrigen Räume sowie des allgemeinen Tagesablaufs anschaulich und glaubhaft das alltägliche gemeinsame Leben einer Familie bestehend aus Vater, Mutter und Kind in einer gemeinsamen Wohnung geschildert. Diese Angaben der Zeugin L. sind von der Zeugin T. - soweit ihre Erkenntnismöglichkeiten gereicht haben - bestätigt worden. Sie hat so insbesondere darauf hingewiesen, dass sich Herr T. bei ihren wenigen jährlichen Besuchen in B. immer in der Wohnung in dem Hausanwesen Y 2 in B. zum Essen und Schlafen aufgehalten habe. Für die Richtigkeit der Gegenbehauptung der Beklagten, Herr T. habe im Unfallzeitpunkt nicht mit der Zeugin L., sondern in einem getrennten Haushalt gemeinsam mit der Zeugin T. im Hausanwesen X 24 in B. gelebt, haben sich dagegen gar keine Anhaltspunkte ergeben. Die Zeugin T. hat eindrücklich ihre dauerhafte Trennung „von Tisch und Bett“ mit Herrn T. im Jahr 2008 beschrieben, die sie durch ihren Umzug nach Österreich vollzogen habe, nachdem ihr Herr T. sein Verhältnis mit der Zeugin L. offengelegt habe. An dieser Trennung „von Tisch und Bett“ habe sich auch bis zum Tod des Herrn T. nichts verändert.

Soweit die Beklagte rügt, das Landgericht hätte eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft von Herrn T. und der Zeugin L. erst annehmen dürfen, wenn es die widersprüchlichen Angaben der Zeugin L. zu ihren Einkommens- und Beschäftigungsverhältnissen vollständig aufgeklärt hätte, ist darauf hinzuweisen, dass die von der Zeugin L. geäußerten Angaben, sie habe zusammen mit Herrn T. ein Massage-​Studio betrieben, nicht im Widerspruch zu den unstreitig zeitlich nacheinander folgenden Anstellungsverhältnissen der Zeugin L. bei den beiden Firmen des Herrn T. steht. Es ist weder in einer Ehe noch in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ungewöhnlich, dass ein gemeinsames Geschäftsprojekt in der Weise umgesetzt wird, dass der eine Partner der Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens ist und der andere Partner bei dem Unternehmen angestellt ist, um - wie vorliegend offenkundig geschehen - sozialversicherungsrechtlich abgesichert zu sein. Insoweit begründen auch die Ausführungen der Zeugin L., man habe nicht nur die Kosten des gemeinsamen Haushalts, sondern auch die Schulden des Herrn T. gemeinsam zurückgeführt, keine vernünftigen Zweifel an der generellen Glaubhaftigkeit ihrer Angaben, da bei einer solchen Geschäftskonstruktion sich der sozialversicherungsrechtlich angestellte Partnernatürlich in gleicher Weise mit dem gemeinsam gesteckten Ziel eines besseren wirtschaftlichen Fortkommens identifiziert wie der Partner, der als Anteilseigner und Geschäftsführer der jeweiligen Firma agiert.

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zu Recht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände das Zusammenleben des Herrn T. und der Zeugin L. dahingehend gewertet, dass es sich um eine Lebensgemeinschaft im Sinn einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau handelte, die auf Dauer angelegt war, daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zuließ und sich durch Bindungen auszeichnete, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründeten und explizit über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausging.

Diese Annahme gründet insbesondere auf dem oben bereits angeführten langjährigen Zusammenleben der beiden in einem gemeinschaftlich geführten Haushalt und der Erziehung des gemeinsamen Kindes C. T..

Soweit von der Beklagten die „biologische Vaterschaft“ des Herrn T. für die am 08.08.2009 geborene gemeinsame Tochter C. T. in Frage gestellt wird, stellt dies die Annahme einer Verantwortungsgemeinschaft von Herrn T. und der Zeugin L. gegenüber dem Kind nicht in Frage. Soweit Herr T. nach dem Inhalt des Auszugs aus dem Geburtseintrag Nr. G xxx des Standesamts der Stadt W. vom 29.11.2011 als Vater genannt wird, erbringt diese öffentliche Urkunde nach den Grundsätzen der §§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis über den beurkundeten Vorgang und die darin bezeugten Tatsachen, so dass die Vaterschaft des Herrn T. hierdurch als bewiesen anzusehen ist. Der bloße Hinweis der Beklagten auf den Aufenthalt der Zeugin L. in Thailand bis drei Monate vor der Geburt des Kindes in W. oder der Verweis auf die „Vaterschaftsvermutung“ des § 1592 Nr. 1 BGB genügen mit Blick auf die Regelungen des § 1592 Nr. 2 und Nr. 3 BGB insoweit nicht den Anforderungen der §§ 415 Abs. 2, 418 Abs. 2 ZPO. Weder wird von der Beklagten dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Vaterschaft des Herrn T. nach § 1592 Nr. 2 und Nr. 3 BGB nicht gegeben sind, noch wird ein entsprechendes Beweismittel zum Gegenbeweis angeführt. Das Bestreiten der biologischen Vaterschaft reicht insoweit jedenfalls nicht aus, da im Gegensatz zur Mutterschaft das Vorliegen einer Vaterschaft nach den Grundsätzen der § 1592 BGB auf rechtlichen Annahmen gründet und nicht auf der biologischen Zeugung des

Eine Verantwortungsgemeinschaft zwischen Herrn T. und der Zeugin L. ist auch nicht mit Blick auf die Tatsache, dass er die Zeugin L. nicht im Rahmen eines Testaments bedachte, in Frage zu stellen. Im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge sind gem. § 1924 BGB nämlich in erster Linie die Abkömmlinge des Herrn T. begünstigt, also auch die gemeinsame Tochter C. T., deren künftiges wirtschaftliches Fortkommen dadurch gesichert worden ist. Das für die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft sprechende Indiz einer Versorgung der gemeinsamen Kinder ist insoweit also gewahrt.

Soweit die Beklagte anführt, Herr T. habe keine Vorsorge für die Zeugin L. geschaffen, ist dem zu widersprechen. Nach dem unstreitigen Parteivortrag beschäftigte Herr T. die Zeugin L. in seinen Firmen als Mitarbeiterin, die Zeugin L. erhielt so über die gesetzlichen Renten-​, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen eine soziale Absicherung, was das vorliegende Verfahren augenscheinlich dokumentiert. Die weitere Tatsache, dass Herr T. es schaffte, dass die Zeugin L. mit ihm und dem gemeinsamen Kind in einem Haus leben konnte, das auch im Miteigentum seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, der Zeugin T., stand, zeigt nachdrücklich auf, dass er sowohl für die Zeugin L. als auch für das gemeinsame Kind ein hohes Maß an Verantwortung zeigte.

Im Übrigen ist es nach der allgemeinen Lebensanschauung für eine nichtehelichen Lebensgemeinschaft auch nicht prägend, dass der eine Partner aus eigenen Mitteln für den anderen Partner eine gesicherte Altersvorsorge schafft. Grundsätzlich bleiben die Partner einer nichtehelichen Gemeinschaft in ihren wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten eigenständig und schaffen gerade keine umfassende Rechtsverbindlichkeit. Insoweit spricht auch die Tatsache, dass Herr T. und die Zeugin L. über keine gemeinsamen Konten verfügten, nicht gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft.

Die Tatsache, dass die Zeugin L. über den Mitbesitz und die Nutzung des Hausanwesens Y 2 in B. sowie die Mitarbeit als Angestellte in den jeweiligen Firmen des Herrn T. keine Befugnis erhielt, über die weiteren Vermögensgegenstände des Herrn T. zu verfügen, spricht insoweit ebenfalls nicht gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Unstreitig befanden sich die Hausanwesen und verschiedene Firmen im Miteigentum von Herrn T. und der Zeugin T., seiner getrennt lebenden Ehefrau; ein weitergehender Zugriff war - über die bereits beschriebenen Maßnahmen hinaus - weder sozialadäquat noch sinnvoll und ohne die rechtliche Mitwirkung der Zeugin T. wohl auch gar nicht möglich.

Auch die Tatsache, dass Herr T. und die Zeugin L. keine gemeinsame steuerliche Veranlagung vorgenommen haben, spricht nicht gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, da eine solche Zusammenveranlagung nach § 2 Abs. 8 EStG aktuell von den Finanzgerichten gar nicht zugelassen wird (vgl. BFH, Beschluss vom 26. April 2017 - III B 100/16 -, BFHE 257, 424, BStBl II 2017, 903).

Soweit die Beklagte anführt, dass die fortbestehende Ehe zwischen Herrn T. und der Zeugin T. die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft generell ausschließe, ist dem zu widersprechen (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-​Württemberg, Beschluss vom 16. November 1995 - 6 S 3171/94 -, juris Rn. 15 ff.; Götz in Grüneberg; BGB, 82. Auflage 2023, Einf. v. § 1297 BGB Rn. 11). Eine fortdauernde Ehe würde nur dann die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ausschließen, wenn sie nach den obigen Grundsätzen eine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art darstellen würde.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie oben bereits ausgeführt, hat die Zeugin T. glaubhaft und detailliert ihre dauerhafte Trennung „von Tisch und Bett“ im Jahr 2008 und ihren später folgenden Umzug nach Österreich beschrieben. Die Tatsache, dass sich die beiden Ehepartner nicht vermögensrechtlich auseinandergesetzt haben, spricht nicht gegen ein Getrenntleben i.S.v. § 1567 BGB. Im Hinblick auf die hohen Kosten eines Scheidungsverfahrens und die wirtschaftlichen Nachteile einer Auseinandersetzung der gemeinsamen Vermögenswerte im Rahmen eines Zugewinnausgleichs, vermeiden viele getrennt lebende Paare - wie im vorliegenden Fall - eine Scheidung und führen ein gemeinsam begründetes Geschäft bzw. verwalten das gemeinsame Immobilienvermögen einverständlich weiter. Vor diesem Hintergrund verwundert auch nicht die Tatsache, dass die Zeugin T. über eine Generalvollmacht des Herrn T. verfügte, um in dessen Krankheitsfall die notwendigen Maßnahmen zum Erhalt und Fortbestehen der gemeinsamen Vermögenswerte vornehmen zu können. Hierauf kann aber keinesfalls die Annahme einer fortbestehenden ehelichen Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft aufgebaut werden. Ebenso wenig kann auf der von der Beklagten angeführten von Herrn T. und der Zeugin T. gewählten Gestaltung des geschäftlichen und privaten Postverkehrs eine solche Annahme aufgebaut werden.

Letztlich sprechen in einer Gesamtbetrachtung die angeführten Indizien eindeutig für die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen Herrn T. und der Zeugin L. im Zeitpunkt des Unfalls. Anhand der glaubhaften Angaben der Zeuginnen ist davon auszugehen, dass seit dem Jahr 2008 zwischen Herrn T. und der Zeugin L. eine geschlechtliche Beziehung bestand, die zur dauerhaften Trennung der ehelichen Gemeinschaft von Herrn T. mit der Zeugin T. führte. Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter C. T. im Jahr 2009 begründeten beide eine dauerhafte nichteheliche Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft und einen gemeinsamen Haushalt. Durch die Anstellung der Zeugin L. folgte eine Verknüpfung der wechselseitigen wirtschaftlichen und beruflichen Ambitionen und mit dem Zutun von Herrn T. eine ausreichende soziale Absicherung der Zeugin L.. Die von den Zeuginnen glaubhaft geschilderten Bemühungen von Herrn T., die nach dem Unfall bei der Zeugin L. eingetretenen gesundheitlichen Schäden durch viel Zuwendung wiedergutzumachen, runden dieses Bild insoweit nur weiter ab.

3.

Eine Anwendung von § 814 BGB scheidet mangels einer positiven Kenntnis der Klägerin vom Nichtbestehen der Schuld aus.

Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Zahlung keine positive Kenntnis über das Bestehen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft hatte, werden von der Beklagten insoweit keine Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der getroffenen Feststellungen aufgezeigt. Im Gegenteil wird von der Beklagten eine Unrichtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen im Rahmen ihrer Berufungsbegründung gar nicht gerügt.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen. Es reicht vorliegend für die Annahme einer positiven Kenntnis jedenfalls nicht aus, dass der Klägerin im Verlauf der Schadensbearbeitung Unterlagen zugingen, aus denen sich Anhaltspunkte für das Vorliegen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ergaben, ohne dass diese Information bewusst zur Kenntnis genommen und ein entsprechender Schluss gezogen wurde.

4.

Die Klägerin hat durch die Zahlung des von der Beklagten geltend gemachten Betrages auch kein deklaratorisches Schuldanerkenntnis abgegeben, was einer Rückzahlung entgegenstehen würde. Es wird insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

5.

Der Zahlungsanspruch ist nach den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB mit dem gesetzlichen Satz zu verzinsen.

Die Beklagte ist mit der Zahlung in Verzug geraten. Mit Schreiben vorn 29.08.2017 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis 30.09.2017 unmissverständlich auf, den Betrag von 71.208,97 € zurückzuzahlen, so dass der Betrag ab dem 01.10.2017 zu verzinsen ist.

6.

Der Klägerin steht nach § 286 BGB auch der Ersatz der vom Landgericht ausgesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten zu.

Nachdem die Beklagte auf die mehrmaligen Leistungsaufforderungen der Klägerin unstreitig nicht geleistet hatte, durfte die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Durchsetzung ihrer Ansprüche beauftragen.

Die Höhe der zugesprochenen Rechtsanwaltsgebühren sowie ihre Verzinsung ab Rechtshängigkeit der Klage nach § 291 BGB sind nicht zu beanstanden. Es wird insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

B.

Die Widerklage ist unbegründet. Die Beklagte ist - wie oben ausgeführt - nicht nach § 116 Abs. 1 SGB X a.F. Inhaberin von Schadensersatzansprüchen der Zeugin L. geworden, da nach den analog anzuwendenden Grundsätzen des § 116 Abs. 6 SGB X a.F. ein gesetzlicher Forderungsübergang insoweit ausscheidet. Die Beklagte hat deshalb keinen Anspruch auf den von ihr verfolgten Feststellungsausspruch.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

 

 

 

 

 


Im Regress der Krankenkasse nach § 116 SGB X muss eine schlüssig vorgetragene Forderung vorprozessual nicht belegt werden - Landgericht Stuttgart, Beschluss vom 30. Juni 2023 – 18 O 412/20, juris

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 60.692,30 € seit dem 22.12.2016 zu zahlen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 60.692,30 €.

Tatbestand

Die Klägerin macht mit der Klage auf sie gem. § 116 SGB X übergegangene Ansprüche von ... geltend. Dieser wurde bei einem Unfall am 14.11.2019 verletzt. Die Haftung des Unfallverursachers gegenüber Herrn ... zu 100 % ist unstreitig. Das Fahrzeug war im Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversichert.

Die Beklagte hat zunächst die unfallbedingten Beeinträchtigungen und Verletzungen bestritten und dabei u.a. ausgeführt:

Selbst für Sekundärschäden, für die der Beweismaßstab gem. § 287 ZPO gelte, müsse die überwiegende Wahrscheinlichkeit bewiesen werden.

Des Weiteren hat die Beklagte geltend gemacht, dass ihr keine ausreichenden Unterlagen vorliegen würden, um die Notwendigkeit der Heilbehandlung überprüfen zu können.

Vorprozessual hat die Klägerin einen Anspruch in Höhe von 124.489,81 € geltend gemacht. Die Beklagte zahlte hierauf lediglich 63.797,51 €. Die Beklagte wurde mit Schreiben vom 19.12.2019 zur Zahlung gemahnt. Mit Schreiben vom 20.12.19 hat die Beklagte die Leistung abgelehnt.

Die Beklagte schrieb in einem Schreiben vom 13.08.2019:

„Senden Sie uns bitte - unverbindlich, da die Haftung noch nicht geklärt ist - folgende Unterlagen zu:

- Belege und Verordnungen

- Auszug DRG-​Grupa.“

Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 07.10.2019 wie folgt:

„Als Anlage erhalten Sie alle uns vorliegenden Unterlagen einschließlich DRG, Belege und Verordnungen zu Ihrer internen Verwendung.“

Die Beklagte hat nach Prüfung der Unterlagen wie dargelegt, den Betrag von 63.797,15 € erstattet, entsprechend eines Prüfberichtes, der weitere Unterlagen anfordert.

Das Gericht hat darüber Beweis Beweis erhoben, ob Herr ... eine Gehirnblutung, Frakturen beider Beine, Fraktur des linken Arms, Prellungen erlitten habe, so dass die Behandlungen, die in den Anlagen zur Klageschrift von der Klägerin mit insgesamt 124.489,91 € in Rechnung gestellt wurden, ursächlich auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Im Rahmen einer verlängerten Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten hat die Beklagte die Hauptforderung sodann anerkannt, so dass am 27.04.23 ein Teil-​Anerkenntnisurteil erging.

Die Klägerin ist der Auffassung, es liege kein sofortiges Anerkenntnis vor und der Verzug sei im Jahr 2019 eingetreten.

Die Klägerin beantragt, wie tenoriert.

Die Beklagte beantragt, die weitergehende Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es liege ein sofortiges Anerkenntnis vor, da ihr erst im April 2023 die erforderlichen Unterlagen zur Überprüfung der Berechtigung der Forderungen vorgelegen hätten.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Insofern wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 14.02.23 (…).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat auch bezüglich der Verzugszinsen Erfolg.

Dem Grunde nach kann die Klägerin von der Beklagten Ersatz der unfallbedingten Schäden gem. §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG und 116 SGB V beanspruchen.

Die Hauptforderung war, was durch das Teilanerkenntnis unstreitig geworden ist, und durch das überzeugende und nachvollziehbare Gutachten zur Überzeugung des Gerichts feststeht, § 286 ZPO, berechtigt. Die Beklagte befand sich auch in Verzug, so dass die Klägerin Verzugszinsen, §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB zustehen.

Ein etwaiges Nichtvertretenmüssen im Rahmen des Verzuges müsste die Beklagte darlegen und beweisen. Der Beklagten wurden ausreichend Unterlagen zur Überprüfung des Anspruchs vorgelegt. Die Klägerin hat ihr sämtliche vorliegenden Informationen zukommen lassen.

Die Beklagte hat es insofern selbst in der Klageerwiderung zutreffend auf den Punkt gebracht:

„Tabellarische Übersichten mögen für Zahlungen der Klägerin ausreichend sein, beweisen jedoch nicht einen übergegangenen Schadensersatzanspruch.“

Somit hat die Beklagte selbst ausgeführt, dass die Übersichten für die Nachvollziehbarkeit der Zahlungen ausreichend und hinreichend sind. Hinzu kommt, dass dies die Unterlagen waren, die die Beklagte in ihrem aller ersten Schreiben angefordert hatte. Dagegen überspannt die Beklagte die Anforderungen an die vorprozessualen Pflichten zur Vorlage von Unterlagen dahingehend, dass diese den Anspruch - wohl für die Beklagte - auch beweisen müssten. Des Weiteren hat die Beklagte auch nicht einmal im Ansatz irgendetwas dahingehend vorgetragen, dass bei dem auf den Unfall folgenden Krankenhausbesuchen beim Geschädigten eine andere Erkrankung festgestellt wurde, die sozusagen bei der Gelegenheit mitbehandelt wurde. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte sich sicher auch aus dem der Beklagten übersandten Unterlagen ergeben. Des Weiteren verkennt die Beklagte rechtlich im Ansatz, dass soweit unfallbedingte Verletzungen behandelt werden, die behandelnden Personen grundsätzlich Erfüllungsgehilfen des Schädigers sind und eine Anspruchskürzung lediglich dann in Betracht kommt, wenn der Geschädigte die erfolgten Maßnahmen als aussichtslos ansehen durfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Bereits entsprechend der gemachten Ausführungen, dass sich die Beklagte in Verzug befand, scheidet ein sofortiges Anerkenntnis gem. § 93 ZPO aus. Des Weiteren hat Veranlassung zur Klage gegeben, dessen Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage dem Kläger bei objektiver Würdigung, zu der Annahme veranlasst hat, ohne Klage werde er nicht zu seinem Recht kommen. Davon ist auszugehen, wenn die Beklagte die Forderung ablehnt, obwohl die Forderung im vorgerichtlichen Schreiben geltend gemacht wurde, fällig und durchsetzbar ist, genau bezeichnet wurde und sämtliche Angaben für den Forderungsbestand enthält. Eine schlüssig vorgetragene Forderung muss vorprozessual nicht belegt werden (vgl. OLG Karlsruhe, 3 W 5/17). Auch lagen die Behandlungsunterlagen hier spätestens durch den Schriftsatz vom 11.08.22 vor, so dass ein Anerkenntnis im April 2023 ebenfalls nicht sofortig war. Die Auffassung der Beklagten liefe darauf hinaus, dass ein sofortiges Anerkenntnis möglich wäre, wenn der Anspruch unzweifelhaft nachgewiesen ist. Insofern ist offensichtlich, dass diese Rechtsposition nicht haltbar ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO. Der Gebührenstreitwert war gem. § 63 Abs. 2 GKG festzusetzen.


Rechtsprechungsänderung zu sog. Schockschäden (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 06.12.2022 - VI ZR 168/21, in: jurisPraxisreport-Medizinrecht 5/2023, Anm. 2)

Auszug aus Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2023 Anm. 2 :
Bei sog. „Schockschäden“ wurde … bei der Prüfung des Gesundheitsschadens bislang ein zusätzlicher wertender Aspekt der Zurechnung gefordert. Der BGH erkannte nämlich in jahrzehntelanger Rechtsprechung, dass seelische Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz, denen Hinterbliebene beim (Unfall-)Tod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne weiteres eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB begründen, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die auf die Rechtsgutverletzung eines anderen bei Dritten zurückzuführen sind, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen (BGH, Urt. v. 11.05.1971 – VI ZR 78/70; BGH, Urt. v. 31.01.1984 – VI ZR 56/82; BGH, Urt. v. 04.04.1989 – VI ZR 97/88; BGH, Urt. v. 27.01.2015 – VI ZR 548/12).
Psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, könnten vielmehr nur dann als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und (!) über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (BGH, Urt. v. 13.01.1976 – VI ZR 58/74; BGH, Urt. v. 31.01.1984 – VI ZR 56/82; BGH, Urt. v. 04.04.1989 – VI ZR 97/88; BGH, Urt. v. 06.02.2007 – VI ZR 55/06; BGH, Urt. v. 20.03.2012 – VI ZR 114/11; BGH, Urt. v. 27.01.2015 – VI ZR 548/12).
Wegen des mit Wirkung zum 22.07.2017 eingeführten Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in § 844 Abs. 3 BGB hatte die Fragestellung ihre praktische Bedeutung teilweise eingebüßt und Härten abgeschwächt. Von Bedeutung blieb die Problematik aber, wenn der Schockschaden nicht durch den Tod eines Menschen, sondern durch dessen Verletzung eingetreten ist, da Verletzungen vom Hinterbliebenengeld nicht erfasst werden (BT-Drs. 18/11397, 9; zusf. Oetker in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 249 Rn. 151).
Nunmehr wurde auch hinsichtlich des psychischen Gesundheitsschadens auf das Erfordernis, dass die Beeinträchtigung über eine solche hinausgehen muss, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, verzichtet, und somit eine Gleichstellung mit der üblichen haftungsrechtlichen Anspruchs- bzw. Primärschadensprüfung vollzogen. …
© juris GmbH

Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

25.05.2023


Anmerkung zu

Anmerkung zu BGH, Urteil vom 06.12.2022 – VI ZR 168/21



Quelle


Fundstelle

jurisPR-MedizinR 5/2023, Anm. 2


Herausgeber

Möller und Partner – Kanzlei für Medizinrecht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2023, Anm. 2


Im Regress der Krankenkasse nach § 116 SGB X wird die Richtigkeit der Krankenhausabrechnung grundsätzlich nicht mehr überprüft - LG Magdeburg, Urteil vom 14. März 2023 - 2 O 1150/21 (veröffentlicht bei juris und beck-online)

LG Magdeburg, Urteil vom 14. März 2023 – 2 O 1150/21 –, juris

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1. einen Betrag in Höhe von 221.567,72 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 204.073,10 € für den Zeitraum vom 24.04.2021 bis 24.05.2021 sowie aus 221.567,72 € seit dem 25.05.2021 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 1. sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 1. aus dem Schadensereignis des ..., vom 26.06.2020 gegen 7:55 Uhr an der Kreuzung der B. Straße/ W.-Straße in ... G. entstanden sind und noch entstehen werden.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 2. sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 2. aus dem Schadensereignis des ..., vom 26.06.2020 gegen 7:55 Uhr an der Kreuzung der B. Straße/W.-Straße in ... G. entstehen werden.

4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1.3449,81 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.09.2021 zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: Stufe bis 440.000,- €

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1. nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X) auf Ersatz stationärer Krankenhaus- und Heilbehandlungskosten und weiterer Kosten wie Krankengeld, Transportkosten, Kosten für Hilfsmittel und einer stationären Rehabilitationsbehandlung in Anspruch, die sie für ihren Versicherungsnehmer ... (folgend Geschädigter) aufgewandt hat. Zudem begehren die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 2. die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner darüber hinaus verpflichtet sind, weitere Schäden zu ersetzen, die durch das nachfolgend geschilderte Schadensereignis entstanden sind und noch entstehen werden.

Am 26.06.2020 gegen 7:55 Uhr befuhr ... mit seinem Motorrad mit dem amtlichen Kennzeichen ... die bevorrechtigte B. Straße in 3. G.. An der Kreuzung W.-Straße kam aus der W.-Straße aus Sicht des Geschädigten von rechts der von dem Beklagten zu 1. geführte und gehaltene und bei der Beklagten zu 2. Kfz-haftpflichtversicherte Pkw vom Typ VW Tiguan mit dem amtlichen Kennzeichen .... Der Beklagte zu 1. wollte nach links abbiegen und hatte gegenüber dem Geschädigten das Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren) zu beachten, fuhr aber trotzdem unachtsam weiter, sodass es zur Kollision kam. Der Geschädigte flog über den linken Kotflügel des Pkw und stürzte auf die Straße, wo er schwerstverletzt liegen blieb. Der Beklagte zu 1. wurde vom Amtsgericht Bernburg wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu 2. mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 24.08.2020 (Bl. 21 ff. Bd. I d.A.) aufgefordert, die streitgegenständlichen Kosten für die Krankenhausbehandlung vom 26.06.2020 in der A. Klinik Aschersleben i.H.v. 1.438,74 € zu begleichen. Hierauf zahlte die Beklagte zu 2. 1.428,74 €, also den abgerechneten Betrag abzüglich 10 € für behauptete ersparte Aufwendungen.

Die Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu 2. fruchtlos mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 05.10.2020 (Bl. 32 f. Bd. I d.A.) aufgefordert, einen Betrag i.H.v. 6.870,25 € zu begleichen. Hierbei handelt es sich um das Krankengeld für den Zeitraum 07.08.2020 bis 30.09.2020.

Die Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu 2. fruchtlos mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 13.11.2020 (Bl. 34 ff. Bd. I d.A.) aufgefordert, einen Betrag i.H.v. 8.808,07 € zu begleichen. Hierbei handelt es sich um Fahrtkosten vom 26.06.2020 (Unfalltransport ins Klinikum Aschersleben sowie Weitertransport ins BG-Klinikum B. in H.) sowie um das Krankengeld für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 26.10.2020. Beigefügt war der EDV-Beleg über das Krankengeld sowie das für die Berechnung des Krankengeldes gemäß § 47 SGB V maßgebliche in den letzten 3 vor Monaten vor dem Unfall gezahlte Gehalt.

Die Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu 2. fruchtlos mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 27.11.2020 (Bl. 38 ff. Bd. I d.A.) aufgefordert, einen Betrag i.H.v. 188.447,78 € zu begleichen. Hierbei handelt es sich um die Kosten für die Krankenhausbehandlung des Geschädigten im Zeitraum vom 26.06.2020 bis 06.10.2020 im BG-Klinikum B. in H. von 188.727,78 € abzüglich der Zuzahlung von 280,00 €. Der Abrechnung wurden die Abrechnungsbelege des Krankenhauses, insbesondere der Datensatz nach § 301 SGB V, beigefügt. Mit Schreiben vom 28.12.2020 wurden diese Unterlagen nochmals sowie weitere Unterlagen überreicht.

Mit Schreiben vom 13.01.2021 (Bl. 56 Bd. I d.A.) bat der von der Beklagten zu 2. mit der Schadensregulierung beauftragte und bevollmächtigte Dienstleister A. um weitere Unterlagen, woraufhin die Klägerin mit Schreiben vom 01.04.2021 die Radiologiebefunde vom 13.08.2020, 11.09.2020 und 21.09.2020; die OP-Berichte vom 31.08.2020, 17.08.2020, 14.08.2020, 01.08.2020, 27.07.2020, 24.07.2020, 22.07.2020, 20.07.2020 und 19.07.2020; die Reha-Anträge vom 25.08.2020 und 08.09.2020; den Arztbericht vom 07.07.2020 sowie die Schwerstverletztendokumentation vom 26.06.2020 überreichte (Bl. 57-107 Bd. I).

Mit Schreiben vom 13.04.2021 (Bl. 108 Bd. I d.A.) forderte die A. GmbH weitere Unterlagen ab. Dieser Aufforderung kam die Klägerin zu 1. nicht nach.

Die Klägerin zu 1. mahnte die A. GmbH mit Schreiben vom 22.04.2021 (Bl. 109 f. Bd. I) und setzte eine Zahlungsfrist bezüglich aller Außenstände bis zum 06.05.2021. Zahlungen wurden daraufhin nicht geleistet.

Die Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu 2. zudem fruchtlos mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 22.04.2021 (Bl. 111 f. Bd. I d.A.) aufgefordert, Kosten i.H.v. 17.494,62 € zu begleichen. Hierbei handelt es sich um diverse Hilfsmittel, Fahrkosten, eine stationärer Reha-Frührehabilitation sowie um Krankengeld im Zeitraum vom 27.10.2020 bis 25.11.2020.

Die Klägerin zu 1. behauptet, dass der Geschädigte ... unter anderem folgende Verletzungen erlitten habe:

- Polytrauma
- anoxische Hirnschädigung
- Hirninfarkt
- Aszites
- Rektumverletzung
- Ileostoma
- Septischer Schock
- Querfortsatzfrakturen LWK 4/5
- Deckenplattenimpressionsfraktur BWK 2
- diffuser axonaler Schaden
- Fraktur des os sacrum
- Candida-Sepsis
- Rippenserienfraktur 4-10
- Pleuraerguss
- traumatischer Pneumothorax
- Spondylose
- Ulna- und Radiusfraktur
- Fraktur des os pubis
- Streptokokkenpneumonie

Die Klägerin zu 1. habe daher aufgrund des Vorfalls bzw. des dadurch entstandenen Gesundheitsschadens des Geschädigten Leistungen i.H.v. 221.577,72 € erbracht.

Sie ist der Auffassung, dass keine Pflicht bestehe, den Beklagten bzw. der von der Beklagten zu 2. beauftragten A. GmbH weitere Unterlagen aus der Patientenakte zum Krankenhausaufenthalt vom 26.06.2020 bis 06.10.2020 zukommen zu lassen.

Die Klägerinnen beantragen zu erkennen:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1. 221.577,72 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 24.04.2021 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner darüber hinaus verpflichtet sind, der Klägerin zu 1. sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 1. aus dem Schadensereignis des ..., vom 26.06.2020 gegen 7:55 Uhr an der Kreuzung der B. Straße/ W.-Straße in ... G. entstanden sind und noch entstehen werden.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1. 3.449,81 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner darüber hinaus verpflichtet sind, der Klägerin zu 2. sämtliche Schäden zu ersetzen, die der Klägerin zu 2. aus dem Schadensereignis des ... vom 26.06.2020 gegen 7:55 Uhr an der Kreuzung der B. Straße/ W.-Straße in ... G. entstehen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten erklären sich zu den von der Klägerin behaupteten Aufwendungen, zu der Höhe und dazu, dass die Klägerin den Betrag tatsächlich aufgewandt hat, die Leistung erbracht worden ist, sowie zu den den Aufwendungen zugrunde liegenden Verletzungsfolgen und den (vermeintlich) erforderlichen Behandlungsregimen sowie zu allen Umständen mit Nichtwissen, die weder eigene Handlungen noch eigene Wahrnehmungen der Beklagten betreffen und sind der Auffassung, dass dies ausreichend sei.

Sie behaupten, es fehle an der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität.

Sie sind zudem der Auffassung, dass es an der Fälligkeit fehle, weil der A. GmbH nicht die abgeforderten Unterlagen überreicht worden seien.

Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Magdeburg mit dem Az. ... ist zu Beweiszwecken beigezogen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen sowie auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 26.04.2022 und 31.01.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung eines Betrages in Höhe von 221.567,72 €.

1. Die Beklagten haften für die materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 26.06.2020 dem Grunde nach mit einer Haftungsquote von 100 %. Dies ergibt sich aus § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 11, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Der Verkehrsunfall wurde durch ein vorwerfbares Verhalten des Beklagten zu 1) verursacht, so dass die Beklagten dem Grunde nach für entstandene Schäden haften. Ein mitwirkendes Verschulden nach §§ 9 StVG, 254 BGB des Geschädigten ... wird von den Beklagten schon nicht behauptet.

Durch das Unfallereignis am 26.06.2020 wurden Körper und Gesundheit des Geschädigten ... bei Betrieb des Kraftfahrzeugs des Beklagten zu 1. verletzt. Dieses Fahrzeug war bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert.

Der Beklagte zu 1. hätte bei Beachtung der gebotenen Aufmerksamkeit den Unfall vermeiden können. Er hat gegen das Vorfahrtsgebot des § 8 StVO verstoßen.

Ein Fall höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG nicht vor.

Auch die haftungsbegründende Kausalität liegt vor. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Betrieb des von dem Beklagten zu 1. gesteuerten Kraftfahrzeugs in einer Weise auf das geschützte Rechtsgut in Form des Körpers und der Gesundheit des Geschädigten ... eingewirkt hat, die nachteilige Folgen auslösen kann. Es ist nämlich unstreitig, dass der Beklagte zu 1. dem Geschädigten ... die Vorfahrt genommen hat und dieser durch das Unfallereignis verletzt wurde.

Die haftungsausfüllende Kausalität steht ebenfalls zur Überzeugung der Kammer fest. Die haftungsausfüllende Kausalität ist der Ursachenzusammenhang zwischen dem Haftungsgrund (Rechtsgutverletzung) und dem entstandenen Schaden (Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, Vorb v § 249, Rn. 24).

Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO ist festzustellen, dass die bei Herrn ... aufgetretenen Schäden in ihrer Gesamtheit bei diesem Unfall entstanden sind. Der Geschädigte wurde bei dem Unfallereignis schwer verletzt. Die diversen Verletzungen ergeben sich insbesondere aus der Krankenhausrechnung zur Behandlung im Zeitraum vom 26.06.2020 bis 06.10.2020 im BG-Klinikum B. in H.. Aus dieser Abrechnung ergeben sich auch die durchgeführten zahlreichen Prozeduren. Entsprechendes kann zudem den als Anl. K8 vorgelegten Radiologiebefunden vom 13.08.2020,11.09.2020 und 21.09.2020, den OP-Berichten vom 31.08.2020, 17.08.2020,14.08.2020, 01.08.2020, 27.07.2020, 24.07.2020, 22.07.2020, 20.07.2020 und 19.07.2020, den Reha-Anträgen vom 25.08.2020 und 08.09.2020 sowie insbesondere dem Arztbericht vom 07.10.2020 entnommen werden. Diese Unterlagen lagen auch bereits vorgerichtlich der von der Beklagten zu 2. eingeschalteten A. GmbH vor. Aus dem Arztbericht vom 07.10.2020 ergibt sich, dass die Aufnahme am 26.06.2020 erfolgte, nachdem der Geschädigte ... als Motorradfahrer einen Verkehrsunfall mit Polytrauma erlitten hat. Sodann heißt es, dass sich in der Primärdiagnostik vor allem eine traumatische Rektumperforation, eine Rippenserienfraktur rechts, ein Pneumothorax und Weichteilemphysem rechts, eine grob dislozierte Trümmerfraktur des Unterarm rechts, Querfortsatzfrakturen LWK 4/5 rechts und eine Deckenplattenimpressionsfraktur BWK 2 ergaben. In sämtlichen Unterlagen findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass einer der Schäden nicht auf den Unfall zurückzuführen war.

Die Beklagten erklären sich zu allem pauschal mit Nichtwissen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2022 wurde auch darauf hingewiesen, dass ein solches Bestreiten nicht hinreichend ist. Im nachgelassenen Schriftsatz vom 07.06.2022 beschränken sich die Beklagten jedoch darauf weiterhin alles mit Nichtwissen zu bestreiten und zu begründen, warum sie dies für zulässig erachtet. Dabei verkennen sie jedoch, dass die Klägerin zu 1) bereits mit der Klageschrift entsprechenden Nachweise erbracht hat. Hinzu kommt, dass sie sich auch das Wissen der von ihr eingesetzten A. GmbH zurechnen lassen muss. Ein pauschales Bestreiten mit Nichtwissen ist aufgrund der vorliegenden Nachweise unsubstantiiert und der Vortrag der Klägerin zu 1. nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu werten.

2.
a) Die Klägerin zu 1. hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von 10,00 € aus der Rechnung zum Krankenhausaufenthalt am 26.06.2020 im A. Klinikum Aschersleben. Von den abgerechneten 1.438,74 € hat die Beklagte zu 2. bereits 1.428,74 € gezahlt. Die Klägerin muss sich ersparte Aufwendungen des Geschädigten anrechnen lassen. Ersparte Aufwendungen sind wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem entstandenen Nachteil nach der Differenzhypothese grundsätzlich anzurechnen. Anzurechnen sind bei Krankenhaus-, Pflegeheim- oder Kuraufenthalt die ersparten häuslichen Verpflegungskosten von 5-10 € pro Tag und zwar auf die Heilbehandlungskosten (Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, Vorb v § 249, Rn. 93). Die Beklagte war daher berechtigt 10,00 € für ersparte Aufwendungen abzuziehen.

b) Die Klägerin zu 1. hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 6.817,25 € für gezahltes Krankengeld für den Zeitraum vom 07.08.2020-30.09.2020. Das für die Berechnung des Krankengeldes gemäß § 47 SGB V maßgebliche in den letzten drei Vormonaten vor dem Unfall gezahlte Gehalt von März 2020: 4.268,37 € brutto/ 2.622,35 € netto, April 2020: 4.003,03 € brutto/ 2.491,45 € netto, Mai 2020: 4.250,08 € brutto/2.613,42 € netto (Bl. 37 Bd. I) wurde der Beklagten mit am Folgetag zugegangenem Schreiben vom 13.11.2020 übermittelt. Substantiierte Einwendungen werden nicht geltend gemacht.

c) Die Klägerin zu 1. hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 8.808,07 € für Fahrkosten vom 26.06.2020 (Unfalltransport in das A. Klinikum Aschersleben sowie Weitertransport in das BG-Klinikum B. in H.) sowie gezahltem Krankengeld für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 26.10.2020. Mit Schriftsatz vom 10.04.2022 hat die Klägerin die entsprechenden Verordnungen einer Krankenbeförderung des Geschädigten ... sowie die Abrechnungen der R. Rechenzentrum f. H. GmbH vorgelegt. Es handelt sich hierbei um Sammelrechnungen, wobei sich aus den darüber hinaus überreichten Unterlagen die dem Geschädigten zugeordneten Einzelbeträge ergeben. Substantiierte Einwendungen werden nicht geltend gemacht.

d) Die Klägerin zu 1. hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 188.447,78 € für die stationäre Krankenhausbehandlung im Zeitraum vom 26.06.2020 bis 06.10.2020 im BG-Klinikum H. B.. Dabei wurde bereits die Zuzahlung des Geschädigten i.H.v. 280,00 € berücksichtigt.
Die Klägerin zu 1. war nicht gegenüber den Beklagten bzw. der von der Beklagten zu 2.eingeschalteten A. GmbH verpflichtet, weitere Behandlungsunterlagen beizubringen. Die bereits zur Verfügung gestellten Unterlagen waren ausreichend, um zu beurteilen, dass der Krankenhausaufenthalt auf dem Unfallereignis vom 26.06.2020 beruhte.

Die Rechnung des Krankenhauses ist hingegen im zivilrechtlichen Regress nicht mehr zu überprüfen. Das Krankenhaus hat gegenüber der Klägerin zu 1. als gesetzliche Krankenversicherung des Geschädigten abgerechnet. Die Klägerin zu 1. selbst hatte bei Zweifeln an der sachlich-rechnerischen Richtigkeit die Möglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes (MD) einzuholen. Dabei ist zu beachten, dass sie diese Entscheidung lediglich anhand der ihr übermittelten Daten nach § 301 SGB V zu treffen hat. Nur der MD ist im Falle der Abrechnungsprüfung nach § 276 Abs. 2 S. 1 HS 2 SGB V ermächtigt, die erforderlichen Sozialdaten bei dem Krankenhaus anzufordern. Die Krankenkasse selbst hat kein Einsichtsrechts in die Behandlungsunterlagen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass seit dem 01.01.2020 die Rechnungsprüfung durch die Krankenkassen stark eingeschränkt wurde. Seitdem ist es Krankenkassen gemäß § 275c Abs. 2 SGB V in der Fassung ab dem 01.01.2020 nur noch möglich, Rechnungen im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Prüfquoten zu überprüfen. Korrespondierend wurde in § 17c Abs. 2 a) S. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) geregelt, dass nach Übermittlung der Abrechnung an die Krankenkasse eine Korrektur ausgeschlossen ist, es sei denn, dass die Korrektur zur Umsetzung eines Prüfergebnisses des MDK oder eines rechtskräftigen Urteils erforderlich ist. Nach Abschluss einer Prüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfolgen gemäß § 17c Abs. 2a) S. 2 KHG keine weiteren Prüfungen der Krankenhausabrechnung durch die Krankenkasse oder den Medizinischen Dienst. Gemäß § 17c Abs. 2 b) S. 1 KHG findet eine gerichtliche Überprüfung einer Krankenhausabrechnung über die Versorgung von Patientinnen und Patienten zudem nur statt, wenn vor der Klageerhebung die Rechtmäßigkeit der Abrechnung einzelfallbezogen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus erörtert worden ist, wobei die Krankenkasse und das Krankenhaus eine bestehende Ungewissheit über die Rechtmäßigkeit der Abrechnung durch Abschluss eines einzelfallbezogenen Vergleichsbetrages beseitigen können (§ 17c Abs. 2 b) S. 2 KHG). Einwendungen und Tatsachenvortrag in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Krankenhausabrechnung können im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht werden, wenn sie im Rahmen der Erörterung nach Satz 1 nicht oder nicht innerhalb der in der Verfahrensregelung nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 8 vorgesehenen Frist, deren Lauf frühestens mit dem Inkrafttreten der Verfahrensregelung beginnt, schriftlich oder elektronisch gegenüber der anderen Partei geltend gemacht worden sind, und die nicht fristgemäße Geltendmachung auf von der Krankenkasse oder vom Krankenhaus zu vertretenden Gründen beruht (§ 17c Abs. 2 b) S. 3 KHG).

Die Abrechnung kann insoweit nicht mehr nachgelagerten Regress zwischen Krankenkasse und Schädiger angegriffen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine offensichtlichen Abrechnungsfehler vorliegen, denen die klagende Krankenkasse nicht nachgegangen ist. Anhaltspunkte für offensichtliche Abrechnungsfehler sind nicht ersichtlich und insbesondere auch von den Beklagten nicht vorgetragen.
Sofern man den Beklagten ein umfassendes Prüfungsrecht für die Krankenhausrechnung zugestehen würde und diese im Rahmen der Prüfung eine Rechnungskorrektur geltend machen würden, würde dies dazu führen, dass im hiesigen Verfahren die Krankenhausabrechnung umfassend zu überprüfen wäre. Im Falle der Rechnungskürzung könnte die Krankenkasse jedoch nicht mehr vom Krankenhaus die Korrektur der Abrechnung verlangen und die Kosten würden bei ihr und damit der Versichertengemeinschaft, deren Gelder die Krankenkasse verwaltet, verbleiben. Es ist jedoch nicht einzusehen, weshalb das Risiko einer nicht offensichtlich unzutreffend abgerechneten Krankenhausbehandlung von der Klägerin/ dem Geschädigten zu tragen ist.

Die A. GmbH hatte von der Klägerin zu 1. u.a. bereits folgende Unterlagen erhalten: die Radiologiebefunde vom 13.08.2020, 11.09.2020 und 21.09.2020; die OP-Berichte vom 31.08.2020, 17.08.2020, 14.08.2020, 01.08.2020, 27.07.2020, 24.07.2020, 22.07.2020, 20.07.2020 und 19.07.2020; die Reha-Anträge vom 25.08.2020 und 08.09.2020; den Arztbericht vom 07.07.2020 sowie die Schwerstverletztendokumentation vom 26.06.2020.

Sie forderte darüber hinaus das Beratungsprotokoll, die TISS/SAPS-Dokumentation, die Intensivkurve, Transfusionsprotokolle, die Fieberkurve (Normalstation) sowie ärztliche und pflegerische Dokumentation. Auch wenn konkrete Unterlagen abgefordert wurden, dürfte dies nahezu die gesamte Patientenakte sein. Die Anforderung zielt auf eine Abrechnungsprüfung ab und diente nicht mehr der Überprüfung, ob die Krankenhausbehandlung des Geschädigten im Hinblick auf das Unfallereignis am 26.06.2020 erfolgte. Das war bereits anhand der vorliegenden Unterlagen beurteilbar. Jedenfalls wurden keine substantiierten Einwendungen unter Berücksichtigung dieser Unterlagen erhoben. Im Schriftsatz der Beklagten vom 07.06.2022, Seite 4 f. wird eine Abrechnungsprüfung auch eingeräumt, in dem u.a. darauf abgestellt wird, dass für die DRG A11A mindestens 96 Behandlungsstunden, mindestens 1656 intensivmedizinische Punkte und bestimmte Prozeduren erforderlich seien.

Auch aus § 294 a SGB V ergibt sich nichts anderes. Dort wird von „erforderlichen Daten“ gesprochen. Dabei muss es sich nicht zwingend um sämtliche Behandlungsunterlagen handeln, sondern nur um solche, die eben erforderlich sind, um zu überprüfen, ob beispielsweise drittverursachte Gesundheitsschäden vorliegen.
Der Hinweis auf das BGH-Urteil vom 23.06.2020, Az. VI ZR 435/19 führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Zwar hat der BGH in seinem Urteil vom 23.06.2020, Az. VI ZR 435/19, unter Rn. 10 (juris) entschieden, dass keine anderen Grundsätze gelten, als wenn die Zeugin ihren Schadensersatz selbst geltend machen würde. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch auf den Forderungsübergang gemäß § 6 EFZG. Konkret wurde festgestellt, dass der Arbeitgeber außer der Entgeltfortzahlung auch darzulegen und zu beweisen hat, dass der Zeugin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1, § 11 S. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG zusteht. Streitgegenständlich war insbesondere, ob sich die Zeugin bei dem Unfall überhaupt eine entsprechende Verletzung zugezogen hat. Dass sich der Geschädigte im vorliegenden Verfahren schwer verletzt hat, steht jedoch fest. Zur Problematik der Überprüfung einer Krankenhausrechnung in ihrer Gesamtheit, wie sie sonst den Sozialgerichten vorbehalten ist, macht der BGH in dem o.g. Urteil keinerlei Ausführungen.
Insbesondere darf nicht verkannt werden, dass die Klägerin zu 1. gerade nicht nur eine selbst gefertigte Kostenaufstellung vorgelegt, sondern konkrete Abrechnungsunterlagen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Unterlagen fand durch die Beklagten jedoch nicht und schon gar nicht in substantiierter Form statt.
Soweit die Beklagte zu 1. die Auffassung vertritt, es fehle an der Fälligkeit, geht dies fehl. Die Erteilung oder das Vorliegen einer Rechnung ist grundsätzlich keine Fälligkeitsvoraussetzung, auch dann nicht, wenn der Schuldner nach der Verkehrssitte einen Anspruch auf eine spezifizierte Abrechnung hat (Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 15.05.2012, Az. 4 U 661/11, Rn. 57, juris). Beim Schadensersatzanspruch, auch bei einem übergegangenen, liegt die Rechnungserteilung als Fälligkeitsvoraussetzung dogmatisch fern (Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 15.05.2012, Az. 4 U 661/11, Rn. 58, juris). Auch die unterbliebene Zusendung der weiteren Dokumentation führt nicht dazu, dass die Fälligkeit nachträglich entfällt.
e) Die Klägerin zu 1. hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 17.494,62 € für gezahlte Hilfsmittel (Prothesen/ Schienen i.H.v. 146,06 €, Toilettenhilfen i.H.v. 48,26 €, Adaptionshilfen i.H.v. 25,24 €, Stomaartikel i.H.v. 233,70 €), Fahrkosten (148,70 €), Kosten für die stationäre Rehabilitationsbehandlung – Frührehabilitation im Zeitraum vom 07.10.2020 bis 25.11.2020 (13.298,11 €), Krankengeld für den Zeitraum vom 27.10.2020 bis 25.11.2020 (2.398,88 €) sowie entgangene Krankenversicherungsbeiträge, Trägeranteile und den Zusatzbeitrag während der Zeit des empfangenen Krankengeldes (588,99 € + 558,25 € + 48,43 € = 1.195,67 €). Hinsichtlich der Hilfsmittel wurden Verordnungen bzw. Hilfsmittelempfehlungen und die jeweilige Rechnung vorgelegt. Auch für die Fahrtkosten liegt eine Verordnung vor nebst Bestätigung des Transporteurs und eine entsprechende Zuordnung zu dem Geschädigten. Für die stationäre Rehabilitationsbehandlung im Zeitraum vom 07.10.2020 bis 25.11.2020 wird die entsprechende Rechnung vorgelegt. Substantiierte Einwendungen werden nicht geltend gemacht.

Die Beklagten führten lediglich allgemein aus, dass die geltend gemachten Aufwendungen i.H.v. 111.644,15 € möglicherweise berechtigt seien, aber auch das anhand der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne. Ein substantiiertes Bestreiten erfolgte somit nicht, sodass die Tatsachen nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu werten sind.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1, 2 BGB. Die Klägerin hat Anspruch auf Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 204.073,10 € für den Zeitraum vom 24.04.2021 bis 24.05.2021 sowie aus 221.567,72 € seit dem 25.05.2021.

Die Klägerin zu 1. hat der Beklagten zu 2. Schadensersatzrechnungen über die jeweiligen Beträge gestellt, in denen es heißt: „Wir erwarten Ihre Zahlung bis zum ...“.

Somit war zwar auf den Schadensersatzrechnungen ein Zahlungsziel angegeben. Es liegt jedoch kein Fall von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor, der eine Mahnung entbehrlich machen könnte. Eine Mahnung ist nur entbehrlich, wenn für die Leistung durch Gesetz, Rechtsgeschäft oder Urteil eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Das Rechtsgeschäft erfordert eine vertragliche Vereinbarung. Eine einseitige Bestimmung durch den Gläubiger genügt hingegen nicht (Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 286 Rn. 22). Insofern konnte die einseitige Angabe eines Zahlungszieles von der Klägerin vorliegend eine Mahnung nicht ersetzen.
Verzug ist gemäß § 286 Abs. 3 BGB 30 Tage nach dem jeweiligen Rechnungszugang eingetreten. Die Schadensersatzrechnung der Klägerin zu 1. vom 05.10.2020 über 6.817,25 € ist der Beklagten zu 2. am 06.10.2020 zugegangen, sodass Verzug am 06.11.2020 eingetreten ist. Die Schadensersatzrechnung der Klägerin zu 1. vom 13.11.2020 über 8.808,07 € ist der Beklagten zu 2. am 14.11.2020 zugegangen, sodass Verzug am 15.12.2020 eingetreten ist. Die Schadensersatzrechnung der Klägerin zu 1. vom 27.11.2020 über 188.447,78 € ist der Beklagten zu 2. am 28.11.2020 zugegangen. Ergänzende Unterlagen wurden mit Schreiben vom 28.12.2020 und 01.04.2021 übersandt. Verzug spätestens am 01.04.2021 eingetreten. Die Schadensersatzrechnung der Klägerin zu 1. vom 22.04.2021 über 17.494,62 € ist der Beklagten zu 2. Am 23.04.2021 zugegangen, sodass Verzug am 25.05.2021 eingetreten ist.

III.
Die Feststellungsanträge - Antrag zu 2. und zu 4. - sind zulässig und begründet.

Eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen (BGH, Urteil vom 20.03.2001, Az. VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876 f.; BGH, Urteil vom 16.01.2001, Az. VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874 f.).

Bei dem Geschädigten ... sind weitere materielle Schäden nicht auszuschließen. Er wurde bei dem Unfallereignis sehr schwer verletzt, was sich sowohl aus der Vielzahl der erlittenen Verletzungen und der hiermit verbundenen Operationen und der langen Krankenhausbehandlungsnotwendigkeit einschließlich intensivmedizinischer Behandlung ergibt. Insoweit wird Bezug genommen auf den 11-seitigen Arztbrief zur Krankenhausbehandlung vom 25.08.2020 bis zum 07.10.2020 (Bl. 91-101 Bd. I d.A.), gerichtet an den Chefarzt Dr. med. ... des M. Reha-Zentrum B. D.. Aufgrund der Vielzahl der erlittenen Verletzungen könnten weitere Behandlungsmaßnahmen erforderlich werden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend erkennbar sind. Alle schweren Verletzungen können zu Folgeschäden führen. Der Geschädigte hat insbesondere auch zahlreiche Knochenbrüche erlitten. Diese können zu einer Arthrose führen. Es besteht somit die Möglichkeit, dass der Geschädigte weitere Leistungen der Klägerin zu 1. in Anspruch nimmt, insbesondere medizinische Behandlungen notwendig werden. Dadurch können weitere Kosten anfallen. Insofern besteht auch die Möglichkeit, dass erneut Krankengeldzahlungen zu erbringen sind und der Klägerin zu 1. Beiträge entgehen.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass die erlittenen schweren Verletzungen zur Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI führen, sodass auch der Feststellungsantrag der Klägerin zu 2. begründet ist.

IV.
Die Beklagten haben der Klägerin zu 1. auch die entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der beantragten Höhe von 3449,81 € zu erstatten.

Der für die Gebühr (hier die Geschäftsgebühr) maßgebliche Gegenstandswert (§ 13 RVG) bestimmt sich nach der objektiv berechtigten Forderungshöhe. Im Schreiben vom 08.06.2021 (Anlage K 12, Bl. 113 Bd. I der Akte) macht der Klägervertreter einen Betrag von 221.567,72 € geltend, welcher in diesem Verfahren auch zugesprochen wird. Somit sind vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.660,80 € (1,3 Geschäftsgebühr aus Streitwert Stufe bis 230.000 € i.H.v. 3056,30 € + Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen i.H.v. 20,00 € = 3076,30 € + 19 % Mwst. i.H.v. 584,50 € = 3660,80 €) entstanden.

Die Klägerin war auch berechtigt einen Rechtsanwalt zu beauftragen, zumal sich die Beklagte zu 1. zu diesem Zeitpunkt bereits in Verzug befand.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 BGB und berücksichtigt, dass die Zuvielforderung der Klägerin von 10,00 € sowie im Hinblick auf die Zinsen verhältnismäßig geringfügig war und keine Mehrkosten verursacht hat.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

VI.
Der Streitwert war auf die Stufe bis 440.000,- € festzusetzen (Antrag zu 1.: 221.577,72 €, Antrag zu 2.: 150.000,00 €, Antrag zu 4.: 50.000,00 €).


Mit dem Begriff "Schadensfall" ist bei Teilungsabkommen das versicherte Risiko und nicht ein Gesundheitsschaden gemeint - OLG Bamberg, Urteil vom 21. März 2023 – 5 U 54/22 – (veröffentlicht in Recht+Schaden 2023, S. 426 sowie bei juris und beck-online)

OLG Bamberg, Urteil vom 21. März 2023 – 5 U 54/22 –, juris

(vorgehend LG Bamberg 1. Zivilkammer, 2. Februar 2022, 11 O 160/20 V

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 02.02.2022, Az. 11 O 160/20 V, abgeändert:

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 9.543,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. aus 8.116,62 € seit dem 18.12.2017 und im Übrigen seit 02.07.2020 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Aufwendungen innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund der Frau ..., entstanden sind und noch entstehen werden.

3. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, der Klägerin 887,03 € vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 02.07.2020 zu zahlen.

II. Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen die Klägerin 59 %, die Beklagte zu 1) 41 %. Von den außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz haben zu tragen: von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin die Beklagte zu 1) 41 %; von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) die Klägerin 17 %; die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) die Klägerin. Im Übrigen tragen die Parteien die ihnen in der 1. Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 1).

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, verlangt - gestützt auf das am 30.07/09.08.1984 zwischen ihr und der Beklagten zu 1) abgeschlossene Rahmen-Teilungsabkommen (TA) von der Beklagten zu 1), einem Kfz-Haftpflichtversicherer, 55 % der Aufwendungen, die ihr aus Anlass eines Unfalls der bei ihr Versicherten ... entstanden sind sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Aufwendungen in Höhe von 55 %. Zu dem Verkehrsunfall am 19.11.2016 kam es, weil der Fahrer des bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeugs auf das verkehrsbedingt anhaltende Fahrzeug, das von der Versicherten geführt wurde, auffuhr. Die Versicherte hatte das Beklagtenfahrzeug im Rückspiegel näher kommen sehen und sich in Erwartung eines Aufpralls am Lenkrad abgestützt. Sie verspürte unmittelbar nach dem Unfall keine Beschwerden und begab sich nicht in ärztliche Behandlung. 2 Tage später traten Schmerzen im Bereich des rechten Armes bzw. der rechten Hand auf. Die Versicherte begab sich am 22.11.2016 erstmals in ärztliche Behandlung. Bei einer Untersuchung am 29.11.2016 wurde ein posttraumatischer Abriss des Tiefenblatts des triangulären fibrocartilaginären Komplexes diagnostiziert. Die Aufwendungen der Klägerin für Krankenhausaufenthalte, ärztliche Behandlungen, Therapien, Hilfsmittel, Krankengeld und Lohnersatzleistungen betragen bisher 17.366,43 €. Die Beklagte zu 1) lehnt den Ausgleich ab, weil der nach § 1a Abs. 3 TA erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der diagnostizierten Verletzung und dem Unfall nicht vorliege. Es habe sich bei dem Unfall um einen Bagatellunfall gehandelt, bei dem nur äußerst geringe Kräfte auf den Körper der Versicherten eingewirkt hätten. Beweispflichtig sei für die Kausalität nach dem Teilungsabkommen die Klägerin.
Die maßgeblichen Regelungen des Teilungsabkommens (Anlage zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.08.2020) lauten wie folgt:

㤠1a
für Schadenfälle der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung

(1) Erhebt eine diesem Abkommen beigetretene Betriebskrankenkasse („K“) Schadensersatzansprüche nach § 116 SGB X gegen Kraftfahrzeughalter und -führer, die aus dem Schadenfall bei der „H“ Versicherungsschutz genießen, so erstattet die „H“ der „K“ ohne Prüfung der Haftungsfrage namens der haftpflichtversicherten Personen im Rahmen des bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrages und nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen 55 % ihrer anlässlich des Schadensfalls aufgrund Gesetzes erwachsenen Aufwendungen.
(2) Eigenes Verschulden des Geschädigten oder das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses (§ 7 Abs. 2 StVG) schließt die Erstattungspflicht der „H“ nicht aus.

(3) Voraussetzung für die abkommensgemäße Beteiligung ist jedoch das Bestehen eines adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Gebrauch des Kraftfahrzeuges und dem Eintritt des Schadenfalles. (...)
§ 2
Die Aufwendungen der "K" unterliegen der Erstattung nach §§ 1a und 1b nur insoweit und solange, als sie sich mit dem sachlich und zeitlich kongruenten Schaden des Verletzten decken (Übergang nach § 116 SGB X).

§ 3
(1) Das Abkommen findet Anwendung, wenn und soweit die ”H" aus dem den Regreßansprüchen zugrundeliegenden Schadenfall Versicherungsschutz zu gewähren hat. In Fällen der Leistungsfreiheit nach § 7 V AKB ist das Teilungsabkommen anzuwenden, soweit die Aufwendungen der ”K" den jeweiligen Leistungsfreibetrag überschreiten.
(2) Unterlassene, verspätete oder nicht ordnungsgemäße Anzeige des Schadenfalles durch die haftpflichtversicherte Person bei der „H“ oder durch den Krankenversicherten bei der "K" schließt die Anwendung des Abkommens nicht aus.

(3) § 156 Abs. 3 VVG wird durch das Abkommen nicht berührt. (...)

§ 6
(...)
(3) Alle anderen durch den Schadenfall verursachten Aufwendungen der "K” wie z. B. für:
(...) werden in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, wenn und soweit die zugrundeliegenden Regreßansprüche nach § 2 auf die ”K” übergegangen sind.“

Die Klägerin hat nach Rücknahme ihrer gegen den Beklagten zu 2) als Fahrer des bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeugs und nach Teilrücknahme ihrer gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage die im Ersturteil wiedergegebenen Anträge gestellt. Es wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Bamberg vom 02.02.2022 verwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach dem Teilungsabkommen die Klägerin den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der diagnostizierten Verletzung und dem Unfall zu beweisen habe. Diesen Beweis habe sie nicht angetreten, sie sei beweisfällig geblieben. Es wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin die erstinstanzlich zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Sie wendet sich gegen die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Teilungsabkommens. Das Landgericht habe das Trennungsprinzip zwischen der Deckungspflicht und der Haftpflichtfrage nicht hinreichend beachtet und deshalb Sinn und Zweck des Teilungsabkommens nicht zutreffend erfasst. Dieser liege in der Kosten- und Zeitersparnis in Massenverfahren durch den Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage. Auch dem streitgegenständlichen Teilungsabkommen liege ein umfassender Haftungsprüfungsverzicht zugrunde. Hierzu gehöre auch die haftungsausfüllende Kausalität. Müsste in Massengeschäften das Vorliegen der haftungsausfüllenden Kausalität jeweils kosten- und zeitintensiv geprüft werden, wäre das Teilungsabkommen sinnlos. Das Teilungsabkommen sei im Streitfall bereits dann anwendbar, wenn der Schadenfall seiner Art nach zum versicherten Wagnis gehöre und der Versicherer im konkreten Fall Versicherungsschutz zu gewähren habe. Beide Voraussetzungen seien erfüllt. Damit bestünde ein Anspruch der Klägerin auf 55 % der aufgewendeten Kosten. Die Auslegung des Landgerichts, der Schadenfall im Sinne von § 1a Abs. 3 TA betreffe das Vorliegen einer Körperverletzung, sei fehlerhaft. Hiermit hätten die Parteien vielmehr das versicherte Risiko gemeint. Es wird auf die Berufungsbegründung vom 03.05.2022 (Bl. 189 ff. d. A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt:

1. Das am 02.02.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Bamberg, Az. 11 O 160/20 V wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.543,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. aus 8.116,62 € seit dem 18.12.2017 und im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Aufwendungen innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund ..., entstanden sind und noch entstehen werden.

4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 887,03 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das Ersturteil. Das Teilungsabkommen sei als zwischen Versicherern geschlossener Vertrag auslegungsbedürftig. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 12.06.2007 - VI ZR 110/06 zur Frage, was unter dem Begriff „Schadenfall“ zu verstehen sei, seien auf den Streitfall nicht zu übertragen, weil Gegenstand der dortigen Auslegung ein anderes Teilungsabkommen gewesen sei. Die von der Klägerin gewünschte Auslegung des Teilungsabkommens sei nicht interessengerecht. Sie laufe auf Zahlungsverpflichtungen der Beklagten zu 1) auf „Zuruf“ hinaus. Diese könne - abgesehen von Groteskfällen - auch offensichtlich unbegründete Forderungen nicht abwehren. Für die Auffassung der Beklagten zu 1), wonach die Klägerin gemäß § 1a Abs. 3 TA eine durch den Unfall verursachte Körperverletzung nachzuweisen habe, spreche die systematische Ausgestaltung des Teilungsabkommens. Während in § 2 ausgeführt werde, dass der Erstattung nach den §§ 1a und 1b TA Aufwendungen der Krankenkasse nur insoweit unterliegen, als sie sich mit dem sachlichen und zeitlichen kongruenten Schaden des Verletzten decken, enthalte § 6 Abs. 3 TA die Regelung, dass die dort genannten Aufwendungen der Krankenkasse nur dann berücksichtigt würden, wenn und soweit die zugrunde liegenden Regressansprüche nach § 2 TA auf die Krankenkasse übergegangen seien. Die Formulierung zeige deutlich, dass die Parteien davon ausgegangen seien, dass eine Kausalität nachzuweisen sei. Anders lasse sich die Verwendung des Indikativs nicht erklären. Hätten die Parteien in § 1a Abs. 1 TA einen umfassenden Haftungsprüfungsverzicht regeln wollen, wären auch die Regelungen in § 1a Abs. 3 TA zur adäquaten Kausalität und § 1a Abs. 2 TA zur Unabwendbarkeit und zum Verschulden des Geschädigten überflüssig. Gegen einen umfassenden Haftungsprüfungsverzicht spreche darüber hinaus die Regelung in § 3 TA, wonach das Teilungsabkommen Anwendung finde, solange und soweit Versicherungsschutz besteht. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn die Haftung der Beklagten zu 1) keine Rolle spielen würde. Es wird auf die Berufungserwiderung vom 22.07.2022 (Bl. 218 ff. d. A.) und die weiteren im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 9.543,07 € nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € jeweils nebst Zinsen sowie Feststellung aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Teilungsabkommen.

I.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist das Teilungsabkommen nicht dahingehend auszulegen, dass der Eintritt des adäquat kausalen Schadensfalls den Nachweis einer unfallbedingten Verletzung der Versicherten erfordert. Das Teilungsabkommen ist dahingehend auszulegen, dass ein Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage vereinbart wurde, von dem auch der Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Unfallereignis und Verletzung umfasst ist.

Das hier vorliegende Teilungsabkommen ist ein Vertrag, der der Auslegung dahingehend unterliegt, dass vom Wortlaut ausgehend der Sinngehalt der Regelungen unter Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ermittelt wird (BGH, Urt. v. 12.06.2007 - VI ZR 110/06, Rn. 10).
Der Senat geht bei seiner Auslegung davon aus, dass die Wortwahl im Teilungsabkommen dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses üblichen Sprachgebrauch im Rechtsverkehr zwischen Versicherern entspricht. Danach ist der Begriff "Schadenfall" in Teilungsabkommen im Zusammenhang mit dem versicherten Wagnis zu verstehen (vgl. BGH, Urt. v. 12. Juni 2007 aaO, Rn. 11). Bei Kraftfahrzeugunfällen umfasst das versicherte Wagnis nach § 10 AKB die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Schadensersatzansprüche, die aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts gegen den Versicherungsnehmer oder gegen mitversicherte Personen erhoben werden, wenn durch den Gebrauch des Fahrzeugs Personen-, Sach- oder Vermögensschäden herbeigeführt werden. Dementsprechend ist im Streitfall nach § 1a Abs. 3 TA Voraussetzung für die Anwendung des Teilungsabkommens der adäquate Kausalzusammenhang zwischen "dem Schadenfall und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs". Hierdurch soll gewährleistet sein, dass der Haftpflichtversicherer nur in Fällen zu zahlen hat, in denen er zur Deckung verpflichtet sein kann. Andererseits kann die Krankenkasse Ausgleichsansprüche geltend machen, sofern es im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs zu einem Personenschaden des Krankenversicherten gekommen ist, für den die Krankenkasse Kosten aufgewendet hat (vgl. BGH, Urt. v. 12. Juni 2007 aaO, Rn. 11). Der Begriff des Schadenfalles bezieht sich somit ausschließlich auf das Schadensereignis als solches und ist nicht gleichzusetzen mit den unfallbedingt hervorgerufenen Folgen und Auswirkungen, die das Unfallgeschehen nach sich zieht.
Gegen das Verständnis des Landgerichts und der Berufungserwiderung spricht, dass die Parteien den Begriff „Schadenfall“ im Teilungsabkommen an verschiedenen Stellen verwenden (vgl. z. B. § 1a in der Überschrift, § 1a Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 3 und § 9 Abs. 1). Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragsparteien unter dem Begriff „Schadenfall“ dabei unterschiedliches verstanden hätten, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht behauptet. An diesen Stellen wird der Begriff aber unzweifelhaft im Sinne des versicherten Wagnisses verwendet und nicht im Sinne von Körperverletzung oder dem Eintritt eines Gesundheitsschadens. Diese Begriffe würden zahlreichen der oben genannten Regelungen keinen Sinn verleihen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) enthalten § 3 Abs. 1 und § 6 Abs. 3 TA keine Einschränkung des Verzichts auf die Prüfung der Haftungsfrage. Nach § 3 Abs. 1 TA, auf den § 6 Abs. 3 TA Bezug nimmt, unterliegen die Aufwendungen der Klägerin der Erstattung nach §§ 1a und 1b nur insoweit und so lange, als sie sich mit dem sachlich und zeitlich kongruenten Schaden des Verletzten decken (Übergang nach §§ 116 SGB X). Dies ist so zu verstehen, dass damit der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit behandelt wird. Dies betrifft weder die Haftungsfrage noch die Deckungsfrage, sondern die Frage, ob der Sozialversicherungsträger gemäß § 116 SGB X zur Geltendmachung des Anspruchs des Geschädigten berechtigt ist. Zu prüfen ist deshalb nur, ob der Anspruch, wenn er bestünde, gemäß § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangen wäre (BGH, Beschl. v. 20.09.2011 - VI ZR 337/10).

Auch der systematische Aufbau des Teilungsabkommens spricht nicht für die Auslegung der Beklagten zu 1). Die Regelung in § 2 TA, wonach eigenes Verschulden des Geschädigten oder die Unabwendbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG die Erstattungspflicht der Beklagten zu 1) nicht ausschließt, ist im Kontext mit § 1a Abs. 3 TA zu sehen. Die Parteien haben mit der dortigen Regelung und der Begrenzung auf adäquat kausale Schadenfälle offensichtlich die „Groteskfälle“ von der Erstattungspflicht ausgenommen. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um Fälle, die schon aufgrund des unstreitigen Sachverhalts unzweifelhaft und offensichtlich eine Schadensersatzpflicht des Versicherungsnehmers nicht hervorrufen können und daher gemäß § 242 BGB von der Erstattungspflicht ausgenommen sind (BGH NJW 1956, 1237). Die Gegenausnahme ist in § 2 TA enthalten und dient ersichtlich nur der Klarstellung. Der Bundesgerichtshof hat bereits mit Urteil vom 23.09.1963 - II ZR 118/60 entschieden, dass durch den im dortigen Teilungsabkommen vereinbarten Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage nach dem Willen der Vertragsschließenden auch ein auf § 7 Abs. 2 StVG gestützter Einwand des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers ausgeschlossen sein soll. Dies haben die Parteien im Streitfall klargestellt. Weiter haben sie in § 2 TA klargestellt, dass auch eigenes Verschulden des Geschädigten die Erstattungspflicht der Beklagten zu 1) nicht ausschließt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) sprechen gegen den in § 1a Abs. 1 TA geregelten umfassenden Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage auch nicht die Regelungen in § 3 TA. Diese sind auch bei Annahme eines umfassenden Verzichts auf die Prüfung der Haftungsfrage nicht überflüssig. Vielmehr werden an dieser Stelle die weiteren Voraussetzungen der Deckungspflicht, insbesondere die Leistungsfreiheit nach § 7 Abs. 5 AKB und die Auswirkungen von Obliegenheitsverletzungen behandelt.

Die Auslegung des Teilungsabkommens ergibt somit, dass dessen Anwendungsbereich bereits dann eröffnet ist, wenn der Anspruch, sein Bestehen unterstellt, unter das versicherte Wagnis fallen würde (vgl. auch BGH, Urt. v. 01.10.2008 - IV ZR 285/06). Ob der Anspruch begründet ist, also der Geschädigte unfallbedingte Verletzungen davongetragen hat, ist dagegen unerheblich, weil es dabei um die Haftungsfrage geht, auf deren Prüfung die Parteien verzichtet haben. Der in § 1a Abs. 3 TA geregelte adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Schadenfall und dem versicherten Haftpflichtbereich betrifft allein die Deckungspflicht.

Der ermittelte Sinngehalt des Teilungsabkommens wird auch der Interessenlage der Parteien gerecht. Zur Herbeiführung einer Haftungseinschränkung hätte es den Parteien freigestanden, entsprechend dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt (BGH, Urt. v. 12.06.2007 - VI ZR 110/06) eine Vereinbarung dergestalt in das Teilungsabkommen aufzunehmen, dass die Beklagte zu 1) berechtigt ist, von der Klägerin im Zweifelsfall den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schadensfall und dem der Kostenforderung zugrunde liegenden Krankheitsfall zu verlangen. Eine solche Einschränkung enthält das Teilungsabkommen vorliegend indes nicht. Wäre es der Beklagten zu 1) gleichwohl gestattet, sich auf das Fehlen eines Ursachenzusammenhangs zwischen Schadensereignis und körperlicher Beeinträchtigung zu berufen, würde das Abkommen letztlich konterkariert werden, da die Beklagte zu 1) durch die Behauptung, die zu regressierenden Aufwendungen beinhalteten keinen unfallbedingt hervorgerufenen Ersatzanspruch, stets auf die Einholung eines Gutachtens hinwirken und ihre Zahlung von dem Nachweis der Ursächlichkeit abhängig machen könnte. Der Sinn der Vereinbarung, die Kosten einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Prüfung der Haftpflicht zu vermeiden, indem allen zwischen den Beteiligten vorzunehmenden Schadensregulierungen eine einheitliche, der Erfahrung nach als Durchschnittswert anzusehende Quote zugrunde gelegt wird, wäre damit infrage gestellt. Eine ohne Prüfung der Haftungsfrage bestehende Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers führt auch nicht zu einer massiven Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts, die das Leistungsvermögen der Beklagten zu 1) als Haftpflichtversicherer gefährden könnte. Die Tatsache, dass die Haftungsfrage bei Eingreifen des Teilungsankommens nicht geprüft wird, wirkt sich je nach Fallgestaltung auch zu Gunsten der Beklagten zu 1) aus. Selbst wenn der bei der Beklagten zu 1) Haftpflichtversicherte den Unfall zu 100 % verursacht hätte, hat die Klägerin lediglich die Möglichkeit, 55 % der ihr entstandenen Aufwendungen zu regressieren.

II.

Die Voraussetzungen für die Anwendung des Teilungsabkommens liegen im Streitfall vor. Der in § 1a Abs. 3 TA genannte Zusammenhang ist gegeben. Das bei der Beklagten zu 1) versicherte Fahrzeug fuhr auf das verkehrsbedingt stehen gebliebene Fahrzeug der Versicherten auf. Ein solcher Verkehrsvorgang liegt auch nicht außerhalb der allgemeinen Verkehrserfahrung, sondern ist typisch. Das von der Versicherungsnehmerin gefahrene Fahrzeug war nach der Verkehrsauffassung an diesem Verkehrsvorgang aktuell und unmittelbar, zeit- und ortsnah beteiligt. Für die Anwendung des § 10 AKB sowie des TA kommt es auch nicht darauf an, ob der Fahrer des haftpflichtversicherten Wagens sich verkehrsgerecht verhalten hat.
Auch die weiteren Voraussetzungen der Deckungspflicht nach § 3 TA liegen vor.

III.

Die Beklagte zu 1) hat im Rahmen des § 1a TA 55 % der erbrachten Aufwendungen zu tragen. Dies sind unstreitig 9.551,54 €. Bei den geltend gemachten, in der Regresskostenaufstellung der Klägerin gelisteten Kosten handelt es sich auch um übergangsfähige Kosten im Sinne des § 116 Abs. 1 SGB X.

Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht. Dieser Anspruch besteht nicht unbegrenzt und unbedingt, sondern - wie beantragt - nur im vertraglich vorgesehenen Umfang.

IV.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) auch einen Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte zu 1) hat durch ihr Schreiben vom 13.12.2017 die Begleichung der zum damaligen Zeitpunkt geltend gemachten Kosten in Höhe von 8.116,62 und eine Einstandspflicht abgelehnt. Sie befindet sich daher spätestens seit Zugang dieses Schreibens bei der Klägerin in Höhe von 8.116,62 € in Verzug.
Im Übrigen stehen der Klägerin ab 02.07.2020 Prozesszinsen gem. §§ 291 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu.
Aufgrund der Erfüllungsverweigerung konnte die Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung auch ihre Prozessbevollmächtigten bereits vorgerichtlich beauftragen. Hinsichtlich der zutreffenden Berechnung der Anwaltskosten nach dem RVG wird auf die Klageschrift (Bl. 34 d. A.) verwiesen.

Der Anspruch auf die Prozesszinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 291 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1, § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


Prelinger - Aktuelle Probleme in der Regulierungspraxis zwischen Krankenkassen und Haftpflichtversicherungen im Regress nach § 116 SGB X, in: Versicherungsrecht 2022, S. 1337 - 1347

Der sofortige Forderungsübergang dem Grunde nach dient als Ausgleich für die von ihr erbrachten Sozialleistungen. Gesetzlich Krankenversicherte erhalten Leistungen der Krankenkasse, insbesondere Heilbehandlungsleistungen als Sach- und Dienstleistungen (Sachleistungsprinzip), wobei die Kassen Leistungserbringer beauftragen, die den gesetzlich Versicherten Behandlungsleistungen zur Verfügung zu stellen. Infolgedessen bemisst sich der Schaden der Kasse nach dem Wert der Sachleistungen, der sich nach dem Geldbetrag bemisst, den die Kasse an ihre jeweiligen Leistungserbringer entrichtete.

Gesundheitsdaten, insbesondere Arztberichte dürfen nur verwendet werden, wenn dies erforderlich ist.

Für den Regress stellt § 284 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.V.m. §§ 295 ff. SGB V die nötige Rechtsgrundlage für die Verwendung der erhaltenen Abrechnungsdaten der Leistungserbringer dar. Weitere Abrechnungsdaten existieren nicht. Bei den EDV-Belegen handelt es sich um öffentliche Dateien gemäß §§ 416a, 418 ZPO, da diese aus dem sozialrechtlichen Gesetzessystem entstammen und ausdrücklich deren Verwendung für den Regress vorgesehen ist und daher voller Beweis darüber erbracht wird, dass es sich um die der Kasse übersandten (fremden) Abrechnungsdaten des ausstellenden Leistungserbringers handelt.

Die Daten gemäß § 301 SGB V erhalten hierbei die für die Prüfung der Kodierung und damit der Höhe des Leistungsbetrags wesentlichen Daten und ermöglichen somit eine rechnerische Überprüfung der Krankenhausabrechnungen. Die Schadenshöhe wird daher durch eine tabellarische Aufstellung der Schadenspositionen unter Beifügung entsprechender EDV-Ausdrucke der nach §§ 295, 300 ff. SGB V übermittelten Rechnungsdaten der Leistungserbringer nachgewiesen. Dem Schädiger steht in Hinblick auf §§ 275, 275c SGB V, § 17c KHG grundsätzlich kein Prüfungsrecht bezüglich der Krankenhausabrechnungen zu.

Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

30.11.2022


Fundstelle

Versicherungsrecht 2022, 1337 ff.


Zitiervorschlag

Prelinger, VersR 2022, 1337 ff.


Bei Teilungsabkommen sind die Behandlungskosten nur glaubhaft zu machen - LG München I, Urteil vom 15.09.2022, Az. 3 O 2000/22 (veröffentlicht bei juris und beck-online)

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.750,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.06.2021 zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 289,17 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.03.2022 zu zahlen.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Beschluss: Der Streitwert des Verfahrens wird auf 6.750,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um vertragliche Ansprüche aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen Teilungsabkommen. Die Klägerin ist die Krankenversicherung der Geschädigten ... Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung der Stiftung ... Am 17.10.1984/26.10.1984 schlossen die Klägerin (bezeichnet als "K") und die Beklagte (bezeichnet als "H") ein Teilungsabkommen in dem das Folgende vereinbart wurde:

"§ 1

Abs. 1. Kann die "K" gegen eine bei der "H" haftpflichtversicherte natürliche oder juristische Person gemäß § 116 SGB X Ersatzansprüche aus Schadensfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen (Geschädigte) geltend machen, so verzichtet die "H" auf die Prüfung der Haftungsfrage und ersetzt der "K" (...)

b) in übrigen Fällen der Allgemeinen Haftpflichtversicherung 45 %

der von dieser nach Gesetz und Satzung zu erbringenden Leistungen im Rahmen des § 3 dieses Abkommens.

Abs. 2. Voraussetzung dafür ist, dass dem oder den Geschädigten in der gleichen Zeit ein gleichartiger Schadensersatzanspruch entstanden und auf die "K" übergegangen sein könnte.

Abs. 3. Voraussetzung ist ferner, dass nach dem feststehenden Tatbestand objektiv die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherten gegeben ist. Erforderlich ist also ein Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Wagnis und dem Eintritt des Schadensereignisses. (...) Die "H" verzichtet auf den Einwand des unabwendbaren Ereignisses. Das Abkommen gilt auch, wenn der Schaden durch eigenes Verschulden, jedoch nicht durch Vorsatz des Geschädigten entstanden ist.

Abs. 4. Das Abkommen erstreckt sich nur auf solche Fälle, für die die "H" Versicherungsschutz zu gewähren hat (...).

§ 2 Abs. 4. Die "K" hat auf Verlangen der "H" die Ursächlichkeit zwischen den geltend gemachten Kosten und dem Schadensfall glaubhaft zu machen.

§ 6: Das Abkommen findet Anwendung, soweit in einem Schadensfall der Gesamtbetrag, den die "K nach § 3 berechnen kann, DM 30.000,-​- für jeden Geschädigten nicht überschreitet (Limit). Übersteigt der Gesamtbetrag DM 30.000,-​- so ist bis zu dieser Summe abkommensgemäß zu verfahren."

§ 9: Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Abkommen ist M..

Die Geschädigte hatte aufgrund Heimvertrages mit der Versicherungsnehmerin der Beklagten, ein Zimmer im Gast- und Krankenhaus H. ..., angemietet. Am Morgen des 12.11.2020 knickte die Geschädigte in ihrem Zimmer um und fiel zu Boden. Die Geschädigte wurde in der Zeit vom 12.11.2020 bis 17.12.2020 wegen eines Oberschenkelbruchs im Evangelischen A.-​S.-​Krankenhaus in H. behandelt. Das Krankenhaus stellte der Klägerin dafür einen Betrag in Höhe von 15.843,96 € in Rechnung.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten vorgerichtlich Erstattung der Behandlungskosten in Höhe von 6.750,00 € aufgrund des Teilungsabkommens (45 % aus 15.000,-​- €). Die Klägerin ist der Meinung, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin aufgrund des Teilungsabkommens auf die Prüfung der Frage, ob ihre Versicherungsnehmerin, die Stiftung Gast- und Krankenhaus H., für den Unfall der Geschädigten ... haftet, verzichtet habe. Es sei sowohl auf die Prüfung der haftungsbegründenden-​, als auch haftungsausfüllenden Kausalität verzichtet worden. Die Höhe des Schadens habe die Klägerin der Beklagten durch Vorlage des der Klägerin im Wege der elektronischen Datenübertragung gemäß §§ 295, 300 ff SGB V vom Krankenhaus übermittelten Datensatzes dargelegt und nachgewiesen.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.750,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 22.06.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 554,54 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Die Beklagte ist der Meinung, dass der Klägerin kein Anspruch aus dem Teilungsabkommen zustünde, da ein bei der Beklagten versichertes Schadensereignis nicht stattgefunden habe. Zwar bestreitet die Beklagte nicht, dass die Geschädigte umknickte und zu Boden fiel, sie ist jedoch der Meinung, dass ein haftungsbegründender Sturz nicht stattgefunden habe. Der Anwendungsbereich des Teilungsabkommens sei nicht eröffnet, zumal weder eine Verkehrssicherungspflichtverletzung - wie etwa aufgrund eines rutschigen Fußbodens - oder die Verwirklichung eines sog. "voll beherrschbaren Risikos" der Versicherungsnehmerin der Beklagten im Raum stünde. Frühere Stürze der Geschädigten seien nicht bekannt gewesen, weshalb auch keine gesteigerten Überwachungspflichten bestanden hätten. Ein Sturz habe nicht stattgefunden. Selbst wenn ein Sturz stattgefunden hätte, wäre nach der gefestigten Rechtsprechung zum voll beherrschbaren Risiko eine Haftung der Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht gegeben, da eine Dauerüberwachung von Patienten weder geschuldet sei, noch im üblichen Krankenhaus-​, Pflegeheimalltag gewährleistet werden könne. Ein versichertes Schadensereignis läge nicht vor, da nicht ersichtlich sei, wie ein von der Patientin selbst herbeigeführtes "Umknicken" zu einer Haftung der Versicherungsnehmer der Beklagten führen könne. Überdies sei nicht ausgeschlossen, dass die Geschädigte, welche unter einer schweren Osteoporose gelitten habe, eine pathologisch dislozierte Fraktur erlitten haben könnte, die bereits nachts aufgetreten sei, sich dann aber erst durch die Bewegung am Morgen verschoben habe und zum Umknicken geführt habe. Des Weiteren wendet die Beklagte ein, die Klägerin habe nicht substantiiert dargelegt, welche genauen Behandlungen und damit einhergehenden Kosten durch den vermeintlichen "Sturz" erforderlich geworden sein sollen. Die Beklagte bestreitet, dass es sich bei den behaupteten Behandlungskosten allein um die Kosten handeln solle, welche bei der Versicherten im Rahmen der frakturbedingten Behandlung hätten aufgewendet werden müssen. Alleine anhand der vorgelegten Kostenübersicht könne nicht nachvollzogen werden, welche Maßnahme aufgrund des behaupteten Sturzes ergriffen worden seien. Darüber hinaus seien nur notwendige, durch das Ereignis bedingte Heilbehandlungs- und Rehabilitationskosten erstattungsfähig, hingegen nicht die Kosten für eine anschließende multimodale Komplexbehandlung zur "Generalüberholung" einer multimorbiden Patientin. Rechtsanwaltsgebühren seien nur in Höhe einer 1,3 Gebühr erstattungsfähig.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, samt Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 25.08.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus §§ 1, 3, 6 des Teilungsabkommens (im Folgenden TA) vom 17.10.1984/26.10.1984 Anspruch auf Ersatz der für die Heilbehandlung der verletzten Geschädigten aufgewendeten Kosten in Höhe von 6.750,00 €.

Nach dem Teilungsabkommen besteht ein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten, wenn der Schadensfall seiner Art nach zum versicherten Wagnis gehört, § 1 Nr. 3 TA und der Versicherer die Beklagte im Einzelfall Versicherungsschutz zu gewähren hat, § 1 Nr. 4 TA.

Das Gericht hat seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BGH zu Teilungsabkommen in BGH IV ZR 285/06, BGH IV ZR 157/07, BGH IV ZR 133/07, BGH IV ZR 114/07 zugrunde gelegt.

Im Einzelnen:

1. Nach dem Teilungsabkommen ist nicht die Frage zu entscheiden, ob der Versicherungsnehmer der Beklagten der Geschädigten gegenüber haftet. Nach § 1 Nr. 1 TA wird auf die Prüfung der Haftungsfrage mit Ausnahme der nicht einschlägigen Ausnahmefälle, § 1 Nr. 3 3. Satz TA und § 1 Nr. 5 TA, die von der Beklagten nicht geltend gemacht werden, verzichtet. Die Frage nach der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität ist also zwischen den Parteien nicht mehr streitig auszutragen. Dieser Verzicht umfasst auch den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung und das Verschulden. Selbst ein im Haftpflichtprozess ergangenes klageabweisendes Urteil zwischen der Geschädigten und der Stiftung wäre ohne Bedeutung.

Damit kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mehr darauf an, ob die Stiftung eine Verkehrssicherungspflichtverletzung begangen habe, weil gegenüber der Geschädigten eine gesteigerte Überwachungspflicht im Hinblick auf früher bekannte Stürze bestanden hätten und ob gegenüber der Geschädigten eine Dauerüberwachung von Seiten der Stiftung geschuldet gewesen sei, die nach Auffassung der Beklagten im üblichen Krankenhaus- und Pflegeheimalltag nicht gewährleistet werden könne.

2. Eine Deckungspflicht der Beklagten gegenüber der Stiftung besteht. Voraussetzung ist, dass der Schadensfall seiner Art nach zum versicherten Wagnis gehört, § 1 Nr. 3 2. Satz TA und der Versicherer im Einzelfall Versicherungsschutz zu gewähren hat, § 1 Nr. 4 TA.

a) Nach § 1 Nr. 3 TA muss nach dem feststehenden Tatbestand objektiv die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherten, also der Stiftung, gegeben sein. Erforderlich ist demnach ein Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Wagnis und dem Eintritt des Schadensereignisses. Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn das Schadensereignis seiner Art nach in den Gefahrenbereich fällt, für den der Haftpflichtversicherer Versicherungsschutz zu gewähren hat. Versicherungsschutz hat der Haftpflichtversicherer nicht zur Befriedung begründeter, sondern auch zur Abwehrung berechtigter Schadensersatzansprüche zu gewähren, die gegen den Versicherungsnehmer erhoben werden. Deshalb ist der Anwendungsbereich des Teilungsabkommens bereits dann eröffnet, wenn der Anspruch sein Bestehen unterstellt, unter das versicherte Wagnis fallen würde. Ob der Anspruch begründet ist, dem Versicherungsnehmer der Beklagten eine objektive Pflichtverletzung anzulasten ist, ist dagegen unerheblich, weil in dem Teilungsabkommen auf die Prüfung der Haftungsfrage zwischen den Parteien verzichtet wurde und da jede andere Auslegung dem Wortlaut und dem Zweck des Teilungsabkommens widersprechen würde.

Dabei liegt bei einem Sturz nach der Rechtsprechung des BGH eine adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadenfall und dem versicherten Haftpflichtbereich auf der Hand. Verletzt sich ein pflegebedürftiger Bewohner bei einem Sturz im Pflegeheim und nimmt er oder ein gesetzlicher Krankenversicherer den Betreiber des Pflegeheims auf Schadensersatz in Anspruch, handelt es sich um einen typischen, vom Versicherungsschutz umfassten Vorgang.

Die Geschädigte ist in ihrem Heimzimmer gestürzt. Zwar stellt die Beklagte einen Sturz in Abrede, hat jedoch unstreitig gestellt, dass die Geschädigte umgeknickt und zu Boden gefallen ist. Es erschließt sich dem Gericht nicht, warum es sich bei diesem Vorgang - umknicken und zu Boden fallen - nicht um einen Sturz handeln soll.

b) Darüber hinaus liegen auch die weiteren Voraussetzungen der Deckungspflicht gemäß § 1 Nr. 4 Teilungsabkommen vor. Einwendungen, dass keine Deckungspflicht für den Schadensfall besteht, zum Beispiel nach § 2 Nr. 2 TA (nicht rechtzeitige Anzeige des Schadensfalles), werden seitens der Beklagten nicht geltend gemacht.

3. Dabei umfasst der Verzicht auf die Klärung der Haftungsfrage nicht nur die haftungsbegründende Kausalität, sondern auch die haftungsausfüllende Kausalität. Allerdings haben die Parteien in § 2 Nr. 4 TA vereinbart, dass die Klägerin auf Verlangen der Beklagten die Ursächlichkeit zwischen den geltend gemachten Kosten und dem Schadenfall glaubhaft zu machen hat. Die Beklagte bestreitet, dass die behaupteten Behandlungskosten alleine Kosten sind, welche bei der Versicherten im Rahmen der frakturbedingten Behandlung hätten aufgewendet werden müssen. Die Klägerin habe schon nicht substantiiert dargelegt, welche genauen Behandlungen und damit einhergehenden Kosten durch den vermeintlichen Sturz erforderlich gewesen sein sollen. Dieses Bestreiten kann dahingehend ausgelegt werden, dass die Beklagte eine Glaubhaftmachung gem. § 2 Nr. 4 TA begehrt.

Die Parteien haben dabei in § 2 Nr. 4 TA nicht formuliert, die Klägerin müsse der Beklagten auf Verlangen die Ursächlichkeit zwischen den geltend gemachten Kosten und dem Schadenfall nachweisen, sondern glaubhaft machen. Da das Teilungsabkommen der Vereinfachung der Schadensabwicklung zwischen den Parteien dienen soll, kann entgegen des Wortlauts nicht angenommen werden, die Parteien hätten vereinbaren wollen, dass es ins Belieben der Beklagten gestellt wird, ob sie den vereinbarten Verzicht auf den Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität gegen sich gelten lässt oder nicht und nach Gutdünken einen Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität von der Klägerin verlangen kann, auch wenn keine Zweifelsfälle oder Anhaltspunkte für Abrechnungen von Behandlungskosten, die nicht auf das Schadensereignis zurückzuführen sind, vorliegen. Der Begriff "glaubhaft machen" ist deshalb im Sinne einer erleichterten Beweisführung wie er in vielen Einzelvorschriften der ZPO und anderer Gesetzen vorgesehen ist, zu verstehen. Die Glaubhaftmachung erfordert dabei keine volle Beweisführung der behaupteten Tatsachen, sondern die Tatsachen müssen lediglich in einer Weise dargelegt und bewiesen werden, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihr Vorliegen spricht.

Die Klägerin hat die behaupteten unfallbedingten Behandlungskosten mit der Vorlage der ihr von dem behandelnden Krankenhaus elektronisch übermittelten Daten zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gemäß §§ 284 Abs. 1 Nr. 11, 295, 300 ff SGB V, von denen der Gesetzgeber in §§ 275ff SGB V davon ausgeht, dass diese im Regelfall richtig sind, glaubhaft gemacht. Nach diesen Unterlagen ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Behandlungskosten auf den Sturz beruhen und nicht auf anderweitigen Erkrankungen der Geschädigten. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den Unterlagen nicht nur um eine reine aus Zahlen bestehende Kostenübersicht, sondern es ergibt sich daraus die Primärverletzung und die deshalb durchgeführte Operation (geschlossene Reposition einer Fraktur oder Epiphysenlösung mit Osteosynthese: Durch Marknagel mit Gelenkkomponenten: Fermur proximal). Des Weiteren ist - auch aufgrund des zeitlichen Zusammenhanges zwischen Sturz und Operation und Krankenhausaufenthalt - nachvollziehbar und schlüssig, dass die Geschädigte wegen der Fraktur operiert wurde und sich an die Operation ein Krankenhausaufenthalt von mehreren Wochen angeschlossen hat, in denen Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt wurden. Es wird angegeben, dass eine "geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung mit bestimmter OR-​Prozedur bei Krankheiten und Störungen am Muskelskelett-​System und Bindegewebe" durchgeführt wurde. Anhaltspunkte für eine, wie die Beklagte behauptet, "multimodale Komplexbehandlung zur Generalüberholung einer multimorbiden Patientin" ergeben sich weder aus der Verweildauer der Geschädigten im Krankenhaus, noch aus der Höhe der Behandlungskosten und dem Vortrag der Parteien. Tatsächlich hat die Geschädigte einen Oberschenkelbruch in einem Alter erlitten, in dem eine solche Fraktur ohne rechtzeitiger Operation mit einer hohen Sterblichkeit verbunden ist. Es ist nachvollziehbar, dass aufgrund des operativ versorgten Oberschenkelbruchs, um eine Mobilität der hochbetagten Patientin wieder herzustellen, eine geriatrische, frührehabilitative Maßnahme durchgeführt werden musste. Die Beklagte hingegen hat keinerlei substantiierte Einwendungen gegen die Krankenhausabrechnung erhoben, sondern die haftungsausfüllenden Kausalität lediglich pauschal bestritten. Die Klägerin hat mit den inhaltlich aussagekräftigen Unterlagen die Kausalität zwischen geltend gemachten Behandlungskosten und Schadensereignis glaubhaft gemacht.

4. Die Klägerin hat einen Anspruch in Höhe von 6.750,-​- € gemäß §§ 1,6 TA. Die Parteien haben ein Limit für den Anspruch aus den Teilungsabkommen festgelegt, nämlich in Höhe von 15.000,-​- €. Die Heilbehandlungskosten beliefen sich auf 15.843,96 €. Die Klägerin kann also nur 45 % aus 15.000,-​- € von der Beklagten verlangen.

5. Mit Schreiben vom 19.04.2021 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung bis zum 17.05.2021 auf. Zahlung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 21.06.2021 endgültig und ernsthaft ab. Verzugszinsen waren damit antragsgemäß zu gewähren.

6. Der Klägerin stehen zudem vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als Schaden unter dem Gesichtspunkt des Verzugs, § 286 BGB, zu. Allerdings ist der Ansatz einer 1,8 Gebühr nicht gerechtfertigt. Gerade im Hinblick auf das Teilungsabkommen und die gefestigte Rechtsprechung des BGH zu Teilungsabkommen bei Stürzen von Bewohnern in Pflegeheimen bestanden keine, wie der Klägervertreter meint, schwierigen Fragen zu Kausalzusammenhängen und schwierige Fragen der Beweislast. Weder liegt ein komplexer Sachverhalt vor, noch ist die Sache umfangreich, weder was Sachverhalt, noch die mit der Beklagten geführte Korrespondenz anlangt. Eine Geschäftsgebühr von 1,3 ist damit angemessen. Die Klägerin macht dabei eine um 0,75 gekürzte Geschäftsgebühr gelten, womit es bei einem bereinigten Satz von 0,5 verbleibt. Eine 0,5 Gebühr aus 446,00 € zzgl. Unkostenpauschale in Höhe von 20,00 €, zzgl Mehrwertsteuer, ergibt 289,17€.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.


Eine einmalige Aufforderung zur Abgabe eines titelersetzenden Anerkenntnisses genügt - OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.04.2022, Az. 8 W 13/22 (veröffentlicht bei juris und beck-online)

Tenor

  1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerinnen wird die Kostenentscheidung in dem Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 28. Februar 2022 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
  1. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 99 Abs. 2 Satz 1, § 567 Abs. 1 ZPO) ist begründet, da der Beklagten die Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits aufzuerlegen sind, soweit diese die geltend gemachten Ansprüche teilweise anerkannt hat (hierzu unter Ziffer 1.). Dies führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Kostengrundentscheidung dahin, dass die Beklagte die gesamten Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits zu tragen hat (hierzu unter Ziffer 11.).

I. Der Beklagten waren die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, soweit die Beklagte die mit den ursprünglichen Klageanträgen zu den Ziffern 1.1. und II. geltend gemachten Feststellungsansprüche anerkannt hat. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lässt sich eine andere Kostenverteilung nicht auf die Regelung des § 93 ZPO stützen, da es sich bei dem mit dem Schriftsatz vom 3. November 2021 erklärten Teilanerkenntnis (GA 32) nicht um ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO handelt.

Nach § 93 ZPO fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Veranlassung zur Erhebung einer Klage gibt man durch ein Verhalten, das vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit eines Prozesses rechtfertigt. Daraus folgt, dass es für die Frage, ob der Beklagte Anlass zur Klage gegeben hat, auf sein Verhalten vor dem Prozess ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2005 -VIII ZB 3/04, juris, Rn. 5). Insoweit gilt der Grundsatz, dass eine Klageveranlassung immer dann gegeben ist, wenn der Beklagte vorprozessual die später anerkannte Klageforderung nicht erfüllt hat, obwohl die Forderung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB fällig und durchsetzbar gewesen ist und der Kläger die Erfüllung angemahnt hat beziehungsweise eine Mahnung gem. § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich gewesen ist: Die objektiven Voraussetzungen des Verzuges implizieren grundsätzlich die Klageveranlassung (vgl. BeckOK ZPO/Jaspersen, 44. Ed. 1.3.2022, § 93 Rn. 28 mwN).

Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte Anlass zur Erhebung der Klage gegeben. Denn die Klägerinnen hatten ihre den Feststellungsanträgen zu Grunde liegenden Feststellungsansprüche bereits vorgerichtlich unter Fristsetzung erfolglos geltend gemacht, indem sie durch das vorgerichtliche Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2021 (Anlage 10, Anlagenband „Kläger“) die Beklagte unmissverständlich dazu aufgefordert haben, titelersetzend anzuerkennen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen sämtliche weitere Schäden aus dem Schadensereignis zu ersetzen. Wörtlich heißt es zu Beginn des letzten Absatzes des Schreibens:

„Ich habe Sie daher aufzufordern, den geschuldeten Betrag unverzüglich, spätestens binnen 14 Tagen nach dem Ausstellungsdatum dieses Schreibens, auf mein Anderkonto zu zahlen und titelersetzend anzuerkennen, dass Sie meinen Mandantinnen sämtliche weitere Schäden aus dem Schadensereignis ersetzen."

Dass sich die Fristsetzung nicht nur auf eine Handlung (Zahlung), sondern auf beide geforderten Handlungen (Zahlung und Erklärung des Anerkenntnisses) bezog, ergab sich jedenfalls aus dem letzten Satz des Absatzes:

„Ungeachtet dessen können die erbetenen Handlungen fristgemäß jedenfalls direkt gegenüber meiner Mandantschaft erbracht werden, bitte setzen Sie uns zur Vermeidung von Überschneidungen zeitgleich in Kenntnis."

Insoweit kann auch dahinstehen, ob das Zahlungsverlangen (erheblich) im Vordergrund stand, wie das Landgericht gemeint hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte ohne weiteres erkennen konnte, dass die Klägerinnen nicht nur die Zahlung, sondern auch die Abgabe der Erklärung binnen der gesetzten Frist verlangt haben. Die Klägerinnen konnten auch davon ausgehen, dass der Beklagten, bei der es sich um ein Versicherungsunternehmen handelt, das unter anderem als Krafthaftpflichtversicherung tätig ist, der Begriff des sogenannten titelersetzenden Anerkenntnisses bekannt und diese deshalb in der Lage ist, das Begehren der Klägerinnen auch inhaltlich vollständig zu erfassen.

Da die Beklagte das titelersetzende Anerkenntnis nicht binnen der gesetzten Frist abgegeben hat und auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass sie irgendwelche Hinderungsgründe benannt hätte, durften die Klägerinnen nach den oben genannten Maßstäben davon ausgehen, dass die Geltendmachung des Feststellungsbegehrens im Wege der Klage erforderlich ist (vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 23. April 2014 -4 W 16/14, juris, Rn. 10; Doukoff in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 14 StVG (Stand: 01.12.2021), Rn. 78). Ebenso wie der Gläubiger bei einer vergeblichen Aufforderung zur Zahlung einer unstreitigen Forderung in der Regel nicht verpflichtet ist, den Schuldner vor Klageerhebung erneut zur Zahlung aufzufordern, mussten die Klägerinnen die Beklagte nicht im Hinblick auf deren unstreitige Haftung dem Grunde nach erneut zur Abgabe der Anerkenntniserklärung auffordern. Schon im Hinblick auf die gesetzte Frist mussten die Klägerinnen auch nicht bis zum drohenden Ablauf der Verjährungsfrist zuwarten, ob die Beklagte noch die geforderte außerprozessuale Erklärung abgeben wird.

Es kommt in diesem Zusammenhang - anders als die Beklagte ausweislich ihrer Ausführungen in dem Schriftsatz vom 12. April 2022 (GA 1 11 f.) offenbar meint - auch nicht darauf an, ob die Klägerin zu 1 der Beklagten bereits vorprozessual die zur Prüfung der Erforderlichkeit der mit dem Klageantrag zu Ziffer 1.1. geltend gemachten Behandlungskosten erforderlichen Belege zur Verfügung gestellt hatte. Denn jedenfalls zur Prüfung der Haftung dem Grunde nach, die Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist, waren diese Belege nicht erforderlich.

II. Da die Anwendung des § 93 ZPO ausscheidet, hat die Beklagte nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 91, 92 ZPO) die Kosten hinsichtlich des anerkannten Teils der Klage (Anträge aus der Klageschrift zu den Ziffern 1.2. und II.) zu tragen. Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage (Antrag aus der Klageschrift zu der Ziffer 1.1.) folgt die Kostenlast der Beklagten aus § 91a Abs. 1 ZPO und der diesbezüglichen (nicht angegriffenen) Kostengrundentscheidung des Landgerichts.

Hinsichtlich des weiteren Antrags (Ziffer 1.3. der Klageschrift), mit dem die Klägerinnen die Beklagte auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Anspruch genommen haben, ist die Klage zwar abgewiesen worden. Da die hierauf beruhende Zuvielforderung aber verhältnismäßig geringfügig ist und keine höheren Kosten veranlasst hat, waren der Beklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 91a Abs. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

III. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG kam nicht in Betracht. Gemäß § 63 Abs. 2 GKG ist der Streitwert von Amts wegen für die zu erhebenden Gerichtsgebühren festzusetzen, so dass eine Wertfestsetzung zu unterbleiben hat, soweit die Gerichtsgebühren nicht von dem Streitwert des Verfahrens abhängig sind (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 4. November 2016 - 9 C 16.1684, juris, Rn. 7; OLG Nürnberg, Beschluss vom 1. August 2018 - 3 W 1010/18, juris, Rn. 7; NK-​GK/Schneider, 3. Aufl., § 63 GKG Rn. 6). Letzteres ist hier der Fall, da es sich bei der Gebühr für das Verfahren über eine Beschwerde im Sinne des § 99 Abs. 2 ZPO um eine wertunabhängige Festgebühr handelt (Nr. 1810 KV GKG).


Ein aussagekräftiger Beleg genügt als Schadensnachweis - OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Mai 2022 - Az. 1 W 9/22 (veröffentlicht bei juris und beck-online)

Entscheidung als PDF:

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Tenor

  1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Kostenentscheidung des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 27.04.2022, Az. 4 O 82/21, wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und im Übrigen auch bei der angefochtenen Mischendentscheidung - durch die die Beklagten in der Hauptsache nicht beschwert sind - zulässige (vgl. Zöller/Herget , ZPO, 34. Aufl. 2022, § 99 Rn. 9) sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der Vorderrichter hat im Ergebnis zutreffend den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die Beklagten haben Veranlassung zur Klageerhebung gegeben und den geltend gemachten Anspruch nicht sofort anerkannt. Nach ihrem Anerkenntnis sind ihnen die Kosten des Verfahrens gemäß § 93 ZPO aufzuerlegen.

a) Eine Partei gibt Veranlassung zur Klageerhebung, wenn ihr Verhalten vor dem Prozess aus der Sicht des Anspruchstellers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (BGH, Beschluss vom 16.01.2020, Az. V ZB 93/18, Juris). Hiervon ist zulasten der Beklagten auszugehen. Insoweit ist bereits zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 2 den fälligen Anspruch der Klägerin trotz mehrfacher vorgerichtlicher Aufforderungen nicht erfüllt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2015, Az. V ZB 93/13, Juris). Hiermit befand sie sich im Verzug. Der Senat lässt insoweit dahinstehen, ob und ggfl. in welchem Umfang die Beklagte zu 2 verpflichtet war, ihr fehlende, zur Prüfung indes für erforderlich gehaltene Unterlagen mit zumutbaren Anstrengungen selbst herbeizuschaffen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.02.2011, Az. VII ZR 53/10, Juris). Denn soweit sie mit Schreiben vom 22.01.2021 (Anlage K 2) Unterlagen über die Heilbehandlung des Versicherten … erbeten hatte, wurden ihr solche in der Anlage zum Schreiben der Klägerin vom 03.02.2021 (Anlage K 3) überlassen. Diese ermöglichten der Beklagten zu 2 grundsätzlich die Prüfung, in welcher Weise der Versicherte durch den streitgegenständlichen Unfall verletzt worden war und welche Leistungen die Klägerin insoweit aufgewendet hatte. Namentlich ergaben sich bereits aus den Ausdrucken über die Krankenhausbehandlungen in der Zeit vom 16.09.2020 bis zum 24.09.2020 und vom 24.09.2020 bis zum 30.09.2020 die behandelten Primärverletzungen des Versicherten; deren Unfallbedingtheit ließ sich vor allem aus dem zeitlichen Zusammenhang erschließen. Entsprechendes gilt für die zweimaligen Krankentransporte und das an den Versicherten gezahlte Krankengeld, hierauf aufgewendete Sozialversicherungsentgelte und entgangene Krankenversicherungsbeiträge.

Genügen dem Schuldner die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Prüfung der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche nicht aus, darf er nicht untätig bleiben; vielmehr obliegt ihm, dem Gläubiger Mitteilung von Leistungshindernis zu machen und die aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen zu benennen und dies zu erläutern (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2011, Az. VII ZR 53/10, Juris). Die Klägerin hatte auf dieses Erfordernis mit Schreiben vom 03.02.2021 (Anlage K 3) ausdrücklich hingewiesen ("Eine Notwendigkeit zur generellen Anforderung sämtlicher Unterlagen ohne konkrete Begründung oder Angabe zur zweckmäßigen Nutzung können wir hier nicht erkennen.") Demgegenüber beschränkte sich die Beklagte zu 2 mit Schreiben vom 12.02.2021 (Anlage K 4) darauf, zu wiederholen, dass ihr "keine ärztlichen Unterlagen zu den Verletzungen" vorliegen würden - tatsächlich lagen ihr ärztliche Unterlagen in Form der Krankenhausberichte vor -, und sie forderte nochmals zu Nachweisen über "Aufnahme- und Entlassungsanzeigen sowie ggf. OP-​Berichte" auf - auch diese Umstände ergaben sich bereits aus den vorgelegten Krankenhausberichten.

b) Die Beklagten haben zudem den geltend gemachten Anspruch auch nicht sofort i.S.v. § 93 ZPO anerkannt.

Wurde - wie im Streitfall - das schriftliche Vorverfahren angeordnet, kann die beklagte Partei, sofern mit der Verteidigungserklärung kein Sachantrag angekündigt oder das Klagevorbringen bestritten wird, noch in der fristgerecht eingereichten Klageerwiderung den geltend gemachten Anspruch anerkennen (BGH, Beschluss vom 16.01.2020, Az. V ZB 93/18, Juris). Die Beklagten haben indes erst mit Schriftsatz vom 15.12.2021 - eingegangen bei Gericht am 16.12.2021 - ein Anerkenntnis erklärt. Selbst wenn man einen Ausnahmefall, nach dem die Kosten des Rechtsstreits dennoch nach § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen wären, darin erblicken würde, dass den Beklagten bei Klageerhebung noch keine ausreichenden Unterlagen zur Prüfung der Primärverletzungen des Versicherten Ackermann und deren Unfallbedingtheit vorlagen (vgl. BGH, für den Fall, dass die Klage im Zeitpunkt des Anerkenntnisses nicht schlüssig und nicht begründet gewesen ist), wäre eine solche Kenntnisnahme- und Überprüfungsmöglichkeit spätestens im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter am 01.12.2021 vorhanden gewesen, mit der der ursprüngliche Mangel der Klage behoben worden wäre und sich damit die Prozesslage geändert hätte. Auch unter Berücksichtigung einer Sichtungs- und Prüfungsfrist für die Beklagten hinsichtlich der in der Ermittlungsakte der StA Frankenthal (Pfalz), Az. …, enthaltenen - ihrerseits schnell und ohne besonderen Aufwand zu beurteilenden - Anlagen wäre der Zeitraum vom 16 Tagen bis zur Prozesserklärung deutlich zu lang für ein sofortiges Anerkenntnis.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die diesbezüglichen Voraussetzungen i.S.v. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor, mit der der Senat weder von höchstrichterlicher noch von obergerichtlicher Rechtsprechung abweicht.

 

 


Zum vollbeherrschbaren Gefahrenbereich bei Mobilisierungsmaßnahmen - OLG Rostock, Beschluss vom 15. März 2022 - Az. 6 U 7/19 (veröffentlicht in: NJW-RR 2022, 1187, juris und beck-online)

Tenor

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 06.02.2019, Az. 3 O 32/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
  2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
  3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 7.235,10 € festgesetzt.

Gründe

Die Berufung hat nach Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die zulässige Berufung ist unbegründet (I.). Der Beklagten wird die Rücknahme der Berufung nahegelegt (II.).

I.

Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte haftet für die Folgen des Sturzes der Frau ... in Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Mobilisierungsmaßnahme aus übergegangenem Recht wegen einer Vertragsverletzung (§§ 241 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB) des für Frau ... abgeschlossenen Heimunterbringungsvertrags in der durch das Landgericht festgestellten (durch die Berufung nicht angegriffenen) Höhe.

Der Sturz beruhte auf einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten. In dem Sturz hat sich ein Risiko verwirklicht, dass von der Beklagten als Betreiberin der Pflegeeinrichtung vollständig hätte beherrscht werden können und müssen (1.), so dass die Beklagte hätte darlegen und beweisen müssen, dass der Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruht; dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen (2.).

1.

Wenn sich bei einer ärztlichen Behandlung ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, so muss sie darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden. Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden, dass schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würden (BGH vom 16.08.2016, VI ZR 634/15, juris Rz. 6 m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Beweislastverteilung für die Haftung im Rahmen der Betreuung pflegebedürftiger Menschen in Heimen: zwar fällt der normale alltägliche Gefahrenbereich im Heim grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners, so dass dieser im Schadensfall für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist. Im Bereich der voll beherrschbaren Risiken liegt aber andererseits eine konkrete Gefahrensituation vor, die gesteigerte (erfolgsbezogene) Obhutspflichten bezüglich des Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist. Deshalb greift eine Beweislastumkehr analog § 280 Abs. 1 S. 2 ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss (OLG Hamm vom 27.01.2014, 17 U 35/13, juris Rz. 8; KG vom 10.09.2007, 12 U 145/06, juris Rz. 5; LG Marburg vom 31.07.2017, 5 S 48/17, juris Rz. 9). In diesen Fällen obliegt es deshalb der Behandlungsseite, sich von der Annahme zu entlasten, der eingetretene Gesundheitsschaden, der zu dem geltend gemachten Schaden geführt hat, sei auf ein Verschulden des Pflegepersonals zurückzuführen (KG a.a.O., LG Marburg a.a.O.).

Eine vergleichbare Situation hat im Streitfall vorgelegen. Das voll beherrschbare Risiko ist dadurch entstanden, dass die Leitung des Pflegezentrums ... deren Handeln sich die Beklagte zurechnen lassen muss, am Unfalltag eine Mobilisierung der Frau ... mit Hilfe eines Gehwagens durchgeführt hat. Angesichts der im unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils dargestellten und durch die Berufung nicht angegriffenen gesundheitlichen Situation von J. (insbesondere: fast vollständige, demenzbedingte Desorientiertheit; Neigung zu Fehlhandlungen und motorischer Unruhe; "Läufer" mit Hinlauftendenz; Sturzgefahr bei erschwerter Geh- und Stehfähigkeit; Unfähigkeit, Aufforderungen umzusetzen und verständlich verbal zu kommunizieren; bereits Stürze in der Vorgeschichte der Patientin) liegt es nach Auffassung des Senats auf der Hand, dass durch die Mobilisierung insgesamt (nicht bloß durch das Ein- und Aussteigen in den bzw. aus dem Gehwagen) eine gesteigerte und erfolgsbezogene Obhutspflicht der Beklagten wirksam geworden ist, die über den allgemeinen alltäglichen Gefahrenbereich im Heim hinausgeht.

Die gegen das Bestehen einer besonderen Obhutspflicht während der Mobilisierung vorgebrachte Argumentation der Berufung, es sei seitens der Pflegekräfte nicht damit zu rechnen gewesen, dass sich Frau ...während der Mobilisierung plötzlich entfernen und den Flur des Wohnbereichs verlassen würde, überzeugt nicht. Es kann angesichts des unstreitigen Gesundheitszustands von Frau ... nicht überraschen, dass sie sich in einem Moment des Unbeobachtetseins entfernt hat. Auch die Möglichkeit eines Verlassens des geschützten Flurbereichs in den Bereich des Treppenhauses ist nicht allzu unwahrscheinlich gewesen, wenn die aus dem Flur hinausführende Tür - wie hier - nicht gesichert ist und außer durch qualifiziertes Personal auch mittels einfachem Öffner durch jeden Patienten geöffnet werden kann. Das Durchschreiten der zu öffnenden Tür durch Mitpatienten mit der zwangsläufigen Folge einer Möglichkeit des mobilisierten Patienten, ebenfalls hinauszugelangen, ist bei dieser Sachlage keine außergewöhnliche Besonderheit, sondern als Möglichkeit in die Überlegungen zur Sicherung des mobilisierten Patienten einzubeziehen. Letztlich erscheint gerade auch der streitgegenständliche Ablauf angesichts der örtlichen Gegebenheiten nicht als besonders unwahrscheinlich und bestätigt letztlich, dass die Situation bei Durchführung der Mobilisation von ... von Vorneherein eine besondere Obhutspflicht begründet hat.

Konkreter Gegenstand dieser Obhutspflicht ist es gewesen, etwa durch ständige Anwesenheit einer Pflegekraft sicherzustellen, dass Frau ... nicht unbeobachtet bleibt und es deshalb zu einem Entweichen aus dem Flur und folgend zu einem Unfall kommen kann.

Das Vorliegen einer solchen Obhutspflicht ist der Beklagten auch bewusst gewesen, weshalb die Mobilisierung der Frau ... ja auch mit einer Einzelbetreuung durch die Zeugin ... durchgeführt worden ist.

2.

Der Beklagten ist nicht der Beweis gelungen, dass sie dieser Obhutspflicht nachgekommen ist.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme festgestellt, dass der mit der Durchführung der Mobilisierung betrauten Zeugin ... in individuelles Verschulden vorzuwerfen ist, das für den Unfall ursächlich geworden ist und das die Beklagte sich gem. § 278 BGB zurechnen lassen muss. Die Zeugin sei nicht rechtzeitig tätig geworden, als sie wahrgenommen habe, dass der Türöffner im Flur durch die weitere Patientin ... betätigt worden sei, obwohl sie die geschädigte Frau ... zu diesem Zeitpunkt nicht habe sehen können.

An diese landgerichtlichen Feststellungen ist der Senat gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 314 Satz 1 ZPO soweit gebunden, wie keine Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit zu erkennen sind, die eine Neufeststellung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebieten könnten. Seit der Reform der Zivilprozessordnung zum 1. Januar 2002 ist die Berufungsinstanz zudem nicht mehr Wiederholung der erstinstanzlichen Tatsacheninstanz, sondern dient der Fehlerkontrolle und -beseitigung. Deshalb bestimmt § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass das Berufungsgericht an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden ist, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Konkrete Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, wenn etwa die vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Beweiswürdigung nicht den von der Rechtsprechung zu § 286 ZPO entwickelten Grundsätzen genügt. Dies ist der Fall, wenn das Gericht die von einer Partei unter Beweis gestellten Behauptungen nicht berücksichtigt oder die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – VI ZR 261/08, juris Rn. 5; Urteil vom 6. Juli 2010 – VI ZR 198/09, juris Rn. 14).

Derartige Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sind in der landgerichtlichen Beweiswürdigung nicht zu erkennen. Die Beweiswürdigung ist nebst der hieraus abgeleiteten rechtlichen Schlussfolgerungen nicht nur vertretbar, sondern auch überzeugend. Im einzelnen gilt Folgendes:

a)

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist bereits nicht festzustellen, dass die Zeugin ... sich ohne Verletzung ihrer gegenüber der Frau ... bestehenden Obhutspflichten überhaupt in den Toilettenbereich begeben und Frau ... auf dem Flur alleine lassen durfte, als sie von ihrer Kollegin, der Zeugin ... gerufen wurde, um dieser bei der Betreuung des auf der Toilette befindlichen weiteren Patienten zu helfen. Denn bereits hierdurch hat sie die im Rahmen der vorliegenden Obliegenheitspflicht geschuldete ständige Aufsicht über Frau ... "aus der Hand gegeben". Selbst dann, wenn sie - wie sie in ihrer Zeugenaussage bekundet hat - zunächst dafür Sorge getragen hat, dass sie Frau ... durch den geöffneten Spalt der Toilettentür im Blick behält, durfte sie sich hierauf nicht verlassen. Aufgrund des gesundheitlichen Zustandes der Frau ... und dem Umstand, dass Frau ...an dem betroffenen Tag auch nach eigener Bekundung der Zeugin "gut gelaufen" und "mit zügigem Schriftt unterwegs" war, musste die Zeugin damit rechnen, dass Frau ... sich von der Toilette weg und in andere Bereiche des Flures bewegen würde, wo ihre Bewegungen von dem Toilettenraum aus nicht mehr kontrollierbar waren.

Hiergegen wendet die Beklagte ohne Erfolg ein, es habe sich bei der Situation auf der Toilette um einen Notfall gehandelt, der zur Vermeidung eines Sturzes des dort befindlichen Patienten dringend einer sofortigen Unterstützung durch die Zeugin ... bedurft hätte. Das Vorliegen eines solchen Notfalls hat jedoch keine der beiden Zeuginnen bestätigt, die Beklagte es mithin nicht bewiesen.

Vielmehr ist nach ihren Bekundungen davon auszugehen, dass der auf der Toilette befindliche Patient auf der Toilette saß, als die Zeugin hinzukam. Auch wenn der Patient - entsprechend der Behauptung der Beklagten - in der Situation ein "erhebliches Abwehrverhalten" an den Tag gelegt haben und möglicherweise nicht durch die Zeugin ... sofort alleine von der Toilette zurück in den Rollstuhl hätte bewegt werden können, ergibt sich aus der Schilderung beider Zeuginnen doch keine Situation, die eine sofortige Unterstützung durch die Zeugin ... zur Vermeidung der Gefährdung anderer Rechtsgüter so dringend erforderlich gemacht hätte, dass dies das Zurücklassen der Frau ... auf dem Flur rechtfertigen würde.

b)

Jedenfalls hat die Zeugin ... dann allerdings gegen die der Frau ... gegenüber bestehenden Obhutspflichten verstoßen, als sie zunächst mit der Zeugin ... und dem weiteren Patienten im Toilettenbereich geblieben ist, obwohl sie wahrgenommen hat, dass die weitere Patientin Frau ... auf dem Flur den Türöffner betätigt hatte und Frau ... deshalb ein Verlassen des Flurbereichs möglich war.

Der durch die Zeuginnen, insbesondere die Zeugin ... selbst bekundete Verlauf belegt, dass die Zeugin nach Wahrnehmung des Türöffners nicht sofort nach Frau ... gesehen hat, sondern hiermit zunächst gewartet hat. Auch was diesen Zeitpunkt betrifft, ist nicht zu erkennen, dass ein sofortiges Verlassen der Toilette durch die Zeugin wegen der dort gegebenen Situation zu einer konkreten Gefährdung des dort befindlichen Patienten oder der Zeugin ... geführt und deshalb das Verbleiben in den Toilettenräumlichkeiten gerechtfertigt hätte.

Insoweit hat die Zeugin selber bekundet, dass sie den Türöffner gehört und daraus sofort geschlussfolgert hat, dass Frau ... den Flurbereich verließ. Damit musste ihr klar sein, dass auch Frau ... den Flur durch die offene Tür verlassen konnte. Dies gilt angesichts der unstreitig festgestellten demenzbedingten Neigungen von Frau ... unabhängig davon, ob sie mit Frau ... bekannt / befreundet war oder nicht.

Ob die Zeugin ... in diesem Moment (wenigstens) geschaut hat, ob Frau ... sich noch vor der Toilettentür befand, konnte die Zeugin genauso wenig erinnern, wie die Dauer des Zeitraums zwischen der Wahrnehmung des Türöffners und dem Moment, in dem sie letztlich feststellte, dass Frau ... sich nicht mehr vor der Toilettentür befand. Zwar hat die Zeugin bekundet, sie habe dann - als sie Frau ... nicht mehr erblicken konnte - "unverzüglich" das WC verlassen, um nach Frau ... zu schauen. Ob dies allerdings bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt die Betreuung des auf der Toilette befindlichen Patienten durch die Zeugin ... abgebrochen oder noch abgeschlossen wurde, konnte die Zeugin ... nicht erinnern. Die Zeugin ... hat hierzu bekundet, die Zeugin ... habe die Toilette erst verlassen, als der Patient wieder in seinem Rollstuhl saß.

Dass das Verlassen der Toilette durch die Zeugin ... jedenfalls zu spät und der zeitliche Abstand zu dem von der Zeugin vorher wahrgenommenen Öffnen der Flurtür zu groß war, ergibt sich schon aus der weiteren Bekundung der Zeugin, sie habe, als sie aus dem Toilettenraum auf den Flur kam, weder Frau ... noch Frau ... noch sehen können. Beide müssen also zu diesem Zeitpunkt die - nach Bekunden der Zeugin - ca. 3 m zwischen Toiletten- und Flurtür und die Strecke über das sich anschließende Podest bereits zurückgelegt haben. Als die Zeugin ... dann durch die Flurtür getreten ist, hatte sich Frau ... bereits so weit wegbewegt, dass die Zeugin sie nach eigenem Bekunden überhaupt nicht mehr gesehen hat und Frau ... war - ebenfalls so bekundet - zu diesem Zeitpunkt bereits gestürzt, ohne dass die Zeugin den Sturz noch mitbekommen hat.

Dieser zeitliche Ablauf belegt - ohne dass er in Sekunden ausgedrückt werden müsste -, dass in vermeidbarer Weise genau der Ablauf eingetreten ist und zu dem streitgegenständlichen Schaden geführt hat, der im Rahmen der der Beklagten obliegenden Obhutspflicht gerade hätte vermieden werden sollen.

c)

Dem Senat ist bewusst, dass von Pflegekräften in derartigen Situationen schwierige Interessenabwägungen erwartet werden, die in sehr kurzer Zeit durchzuführen sind und bei denen oftmals nicht unerhebliche Gefahren gegeneinander abgewogen werden müssen. Auch hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Zeugin ... vorliegend in einer für sie schwierigen Situation nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Gleichwohl scheint das Vorliegen einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung hier eindeutig: Die Zeugin ... hätte in der gegebenen Situation nicht sofort zur Unterstützung der Zeugin ... eilen dürfen oder hätte jedenfalls nach dem ihr möglichen Erkennen, dass in den Toilettenräumlichkeiten - wie von ihr selbst bekundet - offenbar keine erhebliche Gefährdung von Rechtsgütern konkret drohte, sofort zu Frau ... rückkehren müssen. Wenn sie dennoch bei der Zeugin ... lieb, hätte sie wenigstens sofort bei Wahrnehmung des Türöffners im Flur sofort zu Frau ... zurückkehren müssen. Diese Abwägung beruht darauf, dass der Zeugin der völlig hilflose Zustand von Frau ... bekannt war, ebenso wie deren Neigung, sich unkontrolliert und mit einer gewissen Geschwindigkeit fortzubewegen.

Die Gewährleistung der geschuldeten Sorgfalt wäre der Beklagten auch mit den von ihr geschuldeten vernünftigen finanziellen und personellen Aufwänden möglich gewesen (vgl. BGH vom 28.04.2005, III ZR 399/04, juris Rz. 7). Schließlich war richtigerweise eine Einzelbetreuung für die Mobilisierung angeordnet (und damit offensichtlich finanziell und personell möglich). Diese hätte mit vertretbaren Mitteln auch in der konkreten Situation beibehalten werden können, denn ein Zuwarten mit der Beförderung des auf der Toilette sitzenden Patienten in seinen Rollstuhl bis zu einer "Sicherung" der Frau ... oder bis zum Eintreffen einer weiteren Pflegekraft hätte erkennbar keine mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbare Rechtsgutsverletzung verursacht.

d)

Auf die von der Berufung aufgeworfene Frage, ob die Mobilisierung mittels Gehwagen im Fall von Frau ... fehlerhaft gewesen ist, kommt es nach alledem nicht an.

II.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).