Folgeschäden im Arbeitgeberregress - OLG Stuttgart, Urteil vom 5.12.2018 - 9 U 76/18

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.03.2018, Az. 14 O 235/17, abgeändert:
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu 50% zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn … entstanden sind und noch entstehen werden.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
  5. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Haftungsfolgen aus einem Verkehrsunfall vom 18.08.2014 auf der Bottroper Straße in Stuttgart.

Die Klägerin ist Arbeitgeberin des Zeugen … . Der Zeuge … befuhr am 18.08.2014 gegen 16:50 Uhr mit seinem Motorrad die Bottroper Straße aus Richtung der Löwentorstraße und bog nach rechts in die Stichstraße der Bottroper Straße ab, aus welcher sich der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Fahrzeug näherte. Der Zeuge … kam mit seinem Motorrad zu Fall und erlitt durch den Unfall eine Sprunggelenksfraktur rechts, eine Prellung des rechten Knies und zog sich Schürfwunden zu. Die Klägerin erbrachte an den Zeugen … Entgeltfortzahlungen in Höhe von unstreitig 17.834,16 €. Die Beklagte zu 2 hat den Unfall auf der Basis einer Haftungsquote von 50% reguliert und Zahlungen in Höhe von 8.917,08 € erbracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Haftungsabwägung führe zu einer vollen Einstandspflicht der Beklagten.

Die Beklagten beantragen, das am 16.03.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az. 14 O 235/17 dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, hilfsweise das am 16.03.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az. 14 O 235/17 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Az. 64 Js 85272/14, waren beigezogen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen … und durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-​Ing. (FH) … . …ich der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 21.11.2018 Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.

1.

Hinsichtlich des klägerischen Zahlungsantrags war die Klage abzuweisen, weil der klägerische Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 StVO, §§ 7, 17,18 StVG - bezüglich der Beklagten Ziff. 2 i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG - jeweils in Verbindung mit § 6 Abs. 1 EZFG aufgrund einer hälftigen Mithaftung des Zeugen … nur in Höhe von 50% des entstandenen Schadens, d.h. nur in Höhe von 8.917,08 € bestand und in dieser Höhe von der Beklagten Ziff. 2 bereits reguliert ist.

a.) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall bei dem Betrieb der unfallbeteiligten Fahrzeuge im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG verursacht wurde. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen sog. berührungslosen Unfall handelt, denn das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ umfasst alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe (vgl. BGH, Urt. v. 26.04.2005 - VI ZR 168/04; BGH Urt. v. 21.09.2010 - VI ZR 263/09; BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15).

b.) Der Beweis für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG wurde von keiner Partei erbracht. Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat vielmehr ergeben, dass der Verkehrsunfall auf einen Pflichtverstoß sowohl des Beklagten Ziff. 1 als auch des Zeugen … zurückzuführen ist. Der Sachverständige Dipl.-​Ing. (FH) … ist anhand zutreffender Anknüpfungstatsachen zu der plausiblen Schlussfolgerung gekommen, dass der Beklagte Ziff. 1 sein Fahrzeug im Bereich der gedachten Fahrbahnmittelinie bewegt und hierdurch die dem Zeugen … zur Verfügung stehende Fahrbahn verengt hat. Aus diesen Feststellungen, die der Senat sich zu eigen macht, und aus den in der beigezogenen Ermittlungsakte enthaltenen Fotos von der Unfallendstellung ergibt sich ein leichter Verstoß des Beklagten Ziff. 1 gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO.

Hinsichtlich des Zeugen … hat der Sachverständige festgestellt, dass von einer gefahrenen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des Bremsmanövers von ca. 20 km/h auszugehen ist und dass dem Zeugen … beim Einbiegen in die Stichstraße ein Anhalten seines Motorrades innerhalb der einsehbaren Fahrstrecke mit dieser Geschwindigkeit nicht möglich war. Auch diesbezüglich macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen zu eigen, was einen Verstoß des Zeugen … gegen § 3 Abs. 1 StVO begründet, der den Fahrzeugführer dazu verpflichtet, so zu fahren, dass er innerhalb der Sichtweite vor einem auf der Fahrbahn befindlichen Hindernis verkehrsgerecht, d.h. ohne eine Vollbremsung anhalten kann (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, Straßenverkehrsrecht 25. Auflage 2018, § 3 Rn. 4ff. m.w.N.).

c.) Die Haftungsverteilung für den Unfallschaden hat gemäß §§ 17, 18 StVG nach Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zu erfolgen, wobei nur unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen.

Hiernach haften die Beklagten lediglich zu 50% für das Unfallereignis. Der unfallursächliche leichte Verstoß des Beklagten Ziff. 1 gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO hat nach der aus der Beweisaufnahme gewonnenen Überzeugung des Senats in vergleichbarem Maß und mit vergleichbarer Vorwerfbarkeit zum Unfallereignis beigetragen wie der Umstand, dass der Zeuge … in Schräglage mit nicht angepasster Geschwindigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 StVO in die Stichstraße eingebogen ist. Entscheidend ist hierbei nach Auffassung des Senats, dass die Unfallstelle durch Sichtbeeinträchtigungen in beide Fahrtrichtungen und ihre Nähe zum Kreuzungsbereich gekennzeichnet ist mit daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verkehrsteilnehmer, die Unfallstelle aufmerksam, sorgfältig und rücksichtsvoll zu befahren. Diese Anforderungen haben beide Fahrzeugführer der unfallbeteiligten Fahrzeuge in vergleichbarem Maß missachtet. Durch den Verstoß des Beklagtenfahrzeugs wurde die Fahrbahn für den Gegenverkehr an einer Stelle verengt, die sich nur wenige Meter hinter der Einmündung in die Stichstraße befindet, so dass der Beklagte Ziff. 1 davon ausgehen musste, dass einem aus der Hauptstraße der Bottroper Straße in die Stichstraße einbiegenden Fahrzeug nur eine äußerst kurze Zeit zur Verfügung steht, um auf diese Fahrbahnverengung angemessen zu reagieren. Der Zeuge … hingegen musste beim Einbiegen in die an beiden Seitenrändern beparkte Stichstraße mit Sichtbeeinträchtigungen und dem Rangieren von Fahrzeugen und dadurch resultierenden Behinderungen auch seiner Fahrbahn rechnen. Gerade in solchen unübersichtlichen Verkehrslagen soll das vom Zeugen … missachtete Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 StVO die Gewähr dafür bieten, dass auf unvorhergesehene Ereignisse noch angemessen reagiert und ein Unfall vermieden werden kann. Weiter fällt ins Gewicht, dass die Betriebsgefahr des Motorrads in der Schräglage der Kurvenfahrt aufgrund der daraus resultierenden Instabilität und Sturzgefahr, die sich hier nachweislich als Unfallursache ausgewirkt hat, erhöht war (vgl. allg. BGH, Urt. v. 01.12.2009 - VI ZR 221/08).

2.

Die Haftungsverteilung von 50% führt dazu, dass Zahlungsansprüche der Klägerseite nicht mehr bestehen und die Klage daher abzuweisen war, weil bereits eine Regulierung der Beklagten Ziff. 2 auf Basis dieser Haftungsquote erfolgt ist. Der mit der Klage geltend gemachte Feststellungsantrag ist jedoch mit einer Quote von 50% begründet. Soweit die Berufung darauf hinweist, dass Gegenstand des Feststellungsantrags ein eigener künftiger Schaden der Klägerin und nicht künftige Schäden des Zeugen … sind, steht dies der Begründetheit nicht entgegen. Das Landgericht stellt diesbezüglich zutreffend darauf ab, dass wenn beim Zeugen … aufgrund der Schwere der Verletzungen, weitere Folgewirkungen möglich sind, auch für die Klägerin die Gefahr besteht, erneut Entgeltfortzahlung leisten zu müssen. Der Arbeitgeber kann daher die Eintrittspflicht des Schädigers feststellen lassen, auch wenn die Forderung erst zu einem späteren Zeitpunkt mit der Entgeltfortzahlung auf ihn übergeht (OLG Bremen, Teilurt. v. 23.01.2013 - 1 U 37/12 juris Rn. 8)

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Beklagten sind nur teilweise hinsichtlich des Feststellungsantrags unterlegen, auf den nur insgesamt ein Streitwertanteil von 1.000 € entfällt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Revisionsentscheidung. Das Urteil beruht im Wesentlichen auf den Umständen des Einzelfalls. Der Senat weicht nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen oder Entscheidungen anderer Obergerichte ab.

 

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Zur Höhe der erstattungsfähigen Kosten für eine Lasik-Operation - Prelinger, jurisPR-VersR 11/2018, Anm. 2 (Anmerkung zu OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2018 - I-6 U 127/16)

In der privaten Krankenversicherung gelten die Höchstsätze gemäß § 5 GOÄ auch für Analogleistungen nach § 6 Abs. 2 GOÄ

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

15.11.2018


Anmerkung zu

OLG Hamm 6. Zivil­senat, Beschluss vom 08.03.2018, Aktenzeichen I-6 U 127/16


Quelle


Normen

§ 192 VVG, § 307 BGB, § 305c BGB, § 5 GOZ 1987, § 6 GOÄ 1982


Fundstelle

jurisPR-VersR 11/2018, Anmerkung 2


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VersR 11/2018, Anm. 2


Voll beherrschbares Risiko bei Lagerungsfehlern während der OP - Prelinger, jurisPR-MedizinR 9/2018 Anm. 4 (Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 26.09.2017 - VI ZR 529/16)

Voll beherrschbares Risiko bei Lagerungsfehlern während OP

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

25.10.2018


Anmerkung zu


Quelle


Normen

§ 286 ZPO, Art 2 GG, Art 20 GG, § 630h BGB, § 282 BGB a.F., Art. 103 Abs. 1 GG


Fundstelle

jurisPR-MedizinR 9/2018 Anm. 4


Herausgeber

Möller und Partner – Kanzlei für Medizin­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-MedizinR 9/2018 Anm. 4


Abgrenzung zwischen der Deckungspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung und der Privat- und Betriebshaftpflichtversicherung

Ereignet sich ein Schaden, bei dem irgendwie ein Fahrzeug beteiligt war, stellt sich die Frage, ob dessen KfZ-Haftpflichtversicherung den Schaden decken muss. Bedeutung hat diese Frage insbesondere bei der Prüfung,

  • ob der Schädiger überhaupt Deckungsschutz durch eine Versicherung hat - und ggf., gegen welche,
  • ob gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung ein Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG besteht und
  • bei welcher Versicherung ein Sozialversicherungsträger nach Teilungsabkommen abrechnen kann.

Der „Betrieb“ gemäß § 7 Abs. 1 StVG unterfällt wie auch der „Gebrauch“ gemäß den Allgemeinen Bedingungen für die KfZ-Versicherung (AKB) der Deckungspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der es sich um eine Pflichtversicherung handelt, über die jeder Fahrzeughalter verfügen und die eine Mindestdeckungssumme von 7,5 Mio. € aufweisen muss (§§ 1, 4 Abs. 2 S. 1 PflichtversicherungsG). Der Begriff des "Gebrauchs" schließt hierbei den "Betrieb" im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG ein, geht aber noch deutlich darüber hinaus.

Hiervon abzugrenzen ist die Deckungspflicht der Privathaftpflichtversicherung nach den Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) oder der Betriebshaftpflichtversicherung des Unternehmers. Für den Abschluss dieser Versicherungen besteht keine gesetzliche Verpflichtung, so dass es nicht selten vorkommt, dass der Schädiger unversichert ist und den Schaden aus seinem oftmals nicht ausreichenden Privat- bzw. Firmenvermögen bezahlen muss.

Die Privat- und Betriebshaftpflichtversicherungen weisen in ihren Versicherungsbedingungen stets sogenannte „Benzinklauseln“ auf, mit denen alle Risiken aus dem Bereich des Gebrauchs des KFZ ausgeschlossen werden. Der Deckungsausschluss setzt voraus, dass das Fahrzeug im Zusammenhang mit der schadensstiftenden Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt wird, also sich dabei ein spezifisches Risiko des KfZ-Gebrauchs verwirklicht oder die Gefahr vom Fahrzeug selbst ausgeht.

Die oft schwierige und wirtschaftlich folgenreiche Abgrenzung der Risikosphären, die auch zu vielen höchstrichterlichen Entscheidungen des EuGH und des BGH führte, lässt sich oftmals mit einer recht einfachen Frage bewerkstelligen:

  • hätte sich das konkrete Schadensgeschehen auch ohne das Fahrzeug ereignen können (dann Privat- oder Betriebshaftpflichtversicherung) oder
  • war die Anwesenheit oder Mitwirkung für das genaue Schadensgeschen - nicht seine Vorgeschichte - unerlässlich (dann Kfz-Haftpflichtversicherung)?

Explodiert z.B. kurz nach dem Aussteigen aus einem Auto eine Bauschaumflasche, so hat sich darin nur das Risiko der Flasche verwirklicht, nicht das des Autos - die Flasche hätte überall explodieren können, das Fahrzeug hat damit nichts zu tun.

Die nachfolgende Übersicht soll einen Überblick über die Rechtsprechung zur Abgrenzung der Deckungsbereiche voneinander verschaffen, die im Wesentlichen davon abhängt, ob sich das Risiko des Gebrauchs des Fahrzeugs oder ein anderes Risiko verwirklich hat, das auch ohne Zusammenhang mit einem KFZ hätte eintreten können:

Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung:

Allein der Umstand, dass ein Sattelauflieger ordnungsgemäß abgestellt wurde, schließt eine Fortwirkung der Betriebsgefahr des Zugfahrzeugs noch nicht aus. Dies käme im Hinblick auf die hier verwirklichte Gefahr lediglich dann in Betracht, wenn sich der Unfall vollständig außerhalb des Verkehrsraums ereignet hätte oder der Anhänger nicht von einem Zugfahrzeug abgestellt worden wäre (BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19)

Wird ein Brand durch einen Kurzschluss am zum Kühlerlüfter-Motor führenden Leitungssatz des Pkw ausgelöst, der seinerseits auf ein vorangegangenes Unfallgeschehen vund die dabei aufgetretene mechanische Einwirkung auf die elektrischen Leiter im Frontbereich des Pkw zurückzuführen ist, wurde die schadensursächliche Gefahrenlage wurde unmittelbar durch den Unfall und bei dem Betrieb der am Unfall beteiligten Kraftfahrzeuge geschaffen. Dass der (Brand-)Folgeschaden sich erst nach einer zeitlichen Verzögerung von eineinhalb Tagen realisiert hat, vermag daran nichts zu ändern, da die einmal geschaffene Gefahrenlage fort- und nachwirkte (BGH, Urteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18)

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103 ist dahin auszulegen ist, dass ein Sachverhalt wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende – in dem ein in einer Privatgarage eines Hauses abgestelltes, entsprechend seiner Funktion als Beförderungsmittel verwendetes Fahrzeug Feuer fing, durch das ein Brand, dessen Ursache beim Schaltkreis des Fahrzeugs lag, ausgelöst und das Haus beschädigt wurde – unter den Begriff „Verwendung eines Fahrzeugs“ im Sinne der genannten Bestimmung zu subsumieren ist, auch wenn das Fahrzeug seit mehr als 24 Stunden vor Brandentstehung nicht bewegt worden war (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2019 – C-100/18)

Das Öffnen von Türen eines auf einem Parkplatz stehenden Fahrzeugs unterfällt dem "Verwenden". Zum einen schließt nämlich der Umstand, dass das an dem Unfall beteiligte Fahrzeug bei Eintritt des Unfalls stand, für sich allein nicht aus, dass die Benutzung dieses Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt unter seine Funktion als Transportmittel subsumiert werden kann und folglich vom Begriff „Benutzung eines Fahrzeugs“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie umfasst ist. Das Öffnen der Türen erfolgt im Allgemeinen nur, wenn die Fahrzeuge stehen. Darüber hinaus ist auch unerheblich, ob der Motor des betroffenen Fahrzeugs bei Eintritt des Unfalls lief oder nicht. Was zum anderen den Umstand betrifft, dass sich die im Ausgangsverfahren betroffenen Fahrzeuge auf einem Parkplatz befanden, ist festzustellen, dass die Tragweite des Begriffs „Benutzung eines Fahrzeugs“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie nicht von den Merkmalen des Geländes abhängig ist, auf dem dieses Fahrzeug benutzt wird (EuGH, Urteil vom 15. November 2018 – C-648/17)

Löst der mitversicherte Ehemann der Versicherungsnehmerin in der privaten Haftpflichtversicherung bei einem Pkw eines Dritten durch das geöffnete Fenster die Handbremse, um das Fahrzeug am Türrahmen um einige Zentimeter nach vorne zu verschieben, so besteht aufgrund der sog. Benzinklausel, die einen Leistungsausschluss für beim Gebrauch eines Kfz entstandene Schäden statuiert, keine Einstandspflicht des Versicherers, wenn der Ehemann der Versicherungsnehmerin danach vergisst, die Handbremse wieder anzuziehen und dann das unbeobachtete Fahrzeug gegen die Gartenmauer eines Nachbarn rollt und dabei beschädigt wird. Die private Haftpflichtversicherung ist nicht eintrittspflichtig für den Fahrzeugschaden und den Höherstufungsschaden des Kraftfahrzeugeigentümers in der Kfz-Haftpflichtversicherung, die den Schaden an der Gartenmauer des Nachbarn reguliert hat. Der Ehemann der Versicherungsnehmers war Führer des Pkws, als er es nach Lösen der Handbremse wegschob, um Platz für seinen Fahrzeuganhänger zu schaffen. Der Umstand, dass er das Fahrzeug nicht mittels dessen Motorkraft fortbewegte, schließt die Führereigenschaft nicht aus. Auch ist die Länge der zurückgelegten Strecke unerheblich für die Feststellungn (AG Saarlouis, Urteil vom 24. Juli 2017 – 28 C 250/17 (70)

Bei dem Einsatz eines Fahrzeugs als Arbeitsmaschine fallen demnach nicht nur die mit dem Fahren des Fahrzeugs verbundenen Gefahren sondern auch die mit der Arbeitsleistung verbundenen Gefahren unter das Kfz-Risiko, also wenn die für das Fahrzeug typischen Arbeitsfunktionen in Tätigkeit gesetzt werden, auch wenn das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Schadenseintritts steht. Etwas Anderes gilt nur, wenn von einem von dem Zugfahrzeug unabhängigen, nicht auf Dauer fest installierten Arbeitsgerät eine Gefahr ausgeht, die sich alsdann verwirklicht, auch wenn das Arbeitsgerät wiederum vom Motor der Zugmaschine angetrieben wird. Wenn jedoch das Arbeitsgerät auf Dauer mit der Zugmaschine fest installiert war, so sind die Gefahren, die von dem Arbeitsgerät ausgehen, ausnahmslos der Zugmaschine zuzuordnen (LG Köln, Urteil vom 22. Juni 2017 – 24 O 10/17)

Dass ein Fahrzeug vorübergehend oder endgültig nicht fahrbereit ist und an den Straßenrand geschoben werden muss, damit es zwecks Reparatur oder Entsorgung abgeholt werden kann, gehört zu den typischen Risiken, die mit dem Gebrauch eines Fahrzeugs in seiner Eigenschaft als Fortbewegungsmittel einhergehen. Kommt es beim manuellen Fortbewegen des nicht mehr fahrbereiten Pkw aufgrund der Schwergängigkeit der Lenkung oder ähnlichem zu einer Kollision, verwirklicht sich ebenfalls ein typisches mit dem Gebrauch eines Pkw einhergehendes Risiko. Insoweit kann es auch keine Rolle spielen, ob das Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt über einen Motor verfügte oder aus anderen Gründen nicht betriebsbereit war. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt zugelassen oder versichert war (AG Mönchengladbach, Urteil vom 08. Oktober 2015 – 29 C 905/15)

"Gebrauch eines Fahrzeugs" kann auch eine vom Eigentümer oder Halter vorgenommene Reparatur an dem Fahrzeug sein, wenn sich hierbei die besonderen Gefahren des Fahrzeugs auswirken. Entsteht bei Reparaturarbeiten mit einem Schweißgerät ein Brand, verwirklicht sich regelmäßig (und so hier) nicht das typische Gebrauchsrisiko eines Fahrzeugs, sondern das des Schweißgeräts, mögen die Schweißarbeiten auch den Zweck gehabt haben, das Fahrzeug für den Gebrauch instand zu setzen. Der verursachte Schaden steht dann dem Kraftfahrzeugrisiko bei natürlicher Betrachtung nicht näher als dem Privatrisiko. Deshalb greift der Deckungsausschluss der "kleinen Benzinklausel" nicht (OLG Hamm, Urteil vom 02. Oktober 2015 – I-20 U 139/14)

Betätigt ein 13-jähriges Kind die Zündung eines Traktors und kommt es daraufhin zu einer Vorwärtsbewegung des Fahrzeugs und in weiterer Folge zu einem Schaden, so wurde von dem Kraftfahrzeug "Gebrauch" gemacht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich das Kind nur aus spielerischen Gründen auf den Fahrersitz gesetzt und die Zündung betätigt hat, so ist auf jeden Fall dessen Führereigenschaft im Sinne von Ziffer 7.1 der besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung zu bejahen (LG Ellwangen, Urteil vom 24.4.2015 – 1 S 3/15)

Nicht zum Deckungsbereich der Privathaftpflichtversicherung zählen diejenigen Schadensfälle, die mit dem Fahrzeuggebrauch in einem inneren Zusammenhang stehen. Zu dem Gebrauch eines Fahrzeugs können auch Reparaturen zu rechnen sein, die der Besitzer oder Halter an einem Kraftfahrzeug vornimmt, wenn sich hierbei die besonderen Gefahren des Fahrzeugs auswirken. Dies ist der Fall, wenn sich im Rahmen der vom Halter und Eigentümer eines Fahrzeugs durchgeführten Reparaturarbeiten das aus dem Tank abgelassene Benzin selbst entzündet (OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juni 2015 – I-20 U 80/15)

Unter die gebrauchsspezifischen Gefahren eines Kraftfahrzeugs fällt das Absichern des Fahrzeugs beim Parken, weil auch das Abstellen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Kraftfahrzeugs erforderlich ist und in den Aufgabenkreis des Fahrzeugführers fällt (LG Bremen, Urteil vom 12.7.2012 – 6 S 324/11)

Wird ein Dritter dadurch verletzt, dass beim Anlegen eines Spanngurts zur Sicherung der Ladung eines Mofa-Anhängers der Spanngurt abrutscht, handelt es sich um einen Schaden, der durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs i.S.d. §§ 10 Abs. 1, 10a Abs. 1 AKB entstanden ist (OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Mai 2009 – 1 U 264/08)

Der Versuch der bestimmungsgemäßen Inbetriebnahme des in einem Kraftfahrzeug eingebauten Motors oder der eingebauten Benzinpumpe stellt einen Gebrauch des Fahrzeugs im Sinne der sogenannten "kleinen Benzinklausel" dar, wonach kein Deckungsschutz für den verursachten Schaden in der Privathaftpflichtversicherung besteht. Dem steht es auch nicht entgegen, wen es sich bei den Arbeiten an einem Fahrzeug um Tätigkeiten im Vorfeld der eigentlichen Inbetriebnahme handelt, solange sich ein für ein Fahrzeug typisches Risiko realisiert (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2008 – I-4 U 191/07)

Beim Falschbetanken verwirklicht sich ein Gebrauchsrisiko gerade des Kraftfahrzeugs selbst. Unter Gebrauch des Fahrzeugs fallen nämlich auch solche Tätigkeiten am Kraftfahrzeug, die mit dem Inbetriebsetzen des Fahrzeugs nicht unmittelbar etwas zu tun haben. Dementsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob die verwirklichte Gefahr sich beim Gebrauch des Fahrzeugs verwirklicht (LG Köln, Urteil vom 19.4.2007 – 24 O 349/06)

Hat ein Versicherungsnehmer sein Fahrzeugs geparkt und anschließend einen dicht daneben befindlichen Motorroller versetzt, um Gefahren von seinem Fahrzeug abzuwenden, und fiel der Roller dabei um und wurde beschädigt, besteht noch ein besonderer Ursachenzusammenhang zwischen dem Gebrauch des Autos und dem Umsetzen des Rollers, so dass die KFZ-Haftpflichtversicherung ggf. mit der Folge der Rückstufung in der Schadensfreiheitsklasse eintrittspflichtig ist (LG Köln, Urteil vom 29. März 2007 – 24 S 42/06)

Schäden, die beim Be- und Entladen eines Kfz entstehen, und dazu zählt auch die Betankung des Fahrzeugs, sind dem Gebrauch des Fahrzeuges und damit der Kfz-Haftpflichtversicherung zuzuordnen (BGH, Urteil vom 25.6.2003 – IV ZR 322/02)

Auch das Wegschieben eines Pkw-Anhängers per Hand ist gebrauchstypisch (LG Paderborn, Urteil vom 07. Februar 2001 – 1 S 201/00)

Schiebt ein Versicherungsnehmer mittels Lösens der Handbremse von außen ein parkendes Fahrzeug beiseite, um mit seinem Fahrzeug in seine Einfahrt gelangen zu können, und wird hierbei das fremde Fahrzeug beschädigt, so liegt ein durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachter Schaden vor, der nicht dem Anwendungsbereich der Privathaftpflichtversicherung, sondern dem der Kfz-Haftpflichtversicherung unterfällt (LG Düsseldorf, Urteil vom 15. Dezember 1999 – 23 S 162/99)

 Ein (Fahrzeug-)Schaden, der dadurch entsteht, dass eine durch einen Lkw-Motor angetriebene Hydraulikpumpe in Bewegung gesetzt wird, um die Hubvorrichtung zu betätigen, ist beim Gebrauch eine Kfz im Sinne des AKB § 10 entstanden, denn der Betrieb der Hubvorrichtung ist eine für einen Container-Lkw typische Funktion. Für den Schaden besteht daher keine Deckung in der Betriebshaftpflichtversicherung (LG Freiburg/Breisgau, Urteil vom 16.2.1996 – 8 O 574/94)

Wenn der minderjährige Sohn des Versicherungsnehmers einem Besucher seines Vaters unbemerkt dessen Motorradschlüssel entwendet und dessen Motorrad bei der anschließenden Fahrt beschädigt, besteht in der Privathaftpflichtversicherung kein Versicherungsschutz, denn die Deckung ist durch die sogenannte kleine Benzinklausel in BBR Nr 3 S 1 (juris: PrHPflVBB) ausgeschlossen. Mit dem unbefugten Gebrauch des Fahrzeuges durch den mitversicherten Sohn des Versicherungsnehmers hat sich nämlich ein typisches Wagnis verwirklicht, das Gegenstand der Kfz-Haftpflichtversicherung ist (LG Freiburg/Breisgau, Urteil vom 09. November 1995 – 3 S 309/94)

Es liegt ein Gebrauch eines Kfz vor, wenn ein mit mehreren Zementsäcken beladene Plattenwagen, den der Versicherungsnehmer an seinem Pkw herangerollt hat, sich beim Umladen des ersten Sackes in Bewegung setzt und einen etwa 10 m entfernt stehenden Motorroller umwirft (LG Köln, Urteil vom 30.11.1994 – 23 S 14/94)

Wenn ein mit einem Pkw-Anhänger transportiertes Schaf während des Abladens (innerhalb eines Hofraums) vom Hänger springt, den Hofraum verlässt und durch einen Sprung auf die Fahrbahn einen Radfahrer zum Sturz bringt, hat die Kfz-Haftpflichtversicherung nach AKB § 10 Abs. 1 für den Schaden einzutreten, denn dieser ist bei Gebrauch des versicherten Kfz entstanden (OLG Stuttgart, Urteil vom 20. September 1994 – 10 U 332/93)

Das Entladen von Chemikalien aus einem Tankwagen durch Einsatz eines auf dem Tankwagen befindlichen und durch den Motor des Fahrzeugs angetriebenen Kompressors gehört zum "Gebrauch" des Tankwagens (BGH, Urteil vom 19.9.1989 – VI ZR 301/88)

Das Entladen von Öl aus einem Tanklastzug mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe gehört zu dem von der Kfz-Haftpflichtversicherung abgedeckten Gebrauch des Kfz (BGH, Urteil vom 26.6.1979 – VI ZR 122/78 sowie OLG Köln, Urteil vom 2.3.1989 – 5 U 133/88)

Tritt ein Schaden beim Hantieren mit Ladegut ein, so ist dieser durch den Gebrauch eines Kfz im Sinne des AKB § 10 entstanden, wenn das Kfz für die schadenstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar zeitlich und örtlich nahe eingesetzt ist (BGH, Urteil vom 23.2.1977 – IV ZR 59/76)

Schäden, die durch das Auswerfen von Streugut aus einem Streukraftfahrzeug entstehen, werden von der Halterhaftung nach Maßgabe des StVG § 7 erfasst. Für Schäden, die sich nach dem Schadensbild auch bei vorsichtigem Streuen nicht vermeiden lassen, ist die Haftung gemäß StVG § 7 Abs. 2 ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 5.7.1988 – VI ZR 346/87)

Deckungsbereich der Privat- oder Betriebshaftpflichtversicherung:

Der Versicherungsnehmer hat einen Anspruch aus der Privathaftpflichtverletzung, wenn ihm eine Bauschaumflasche herunterfällt und explodiert, als er aus seinem Kraftfahrzeug steigt. Die sogenannte Benzinklausel (Ausschluss bei Schäden durch Gebrauch eines Kfz) greift nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 9.8.2017 – 20 U 30/17)

Befüllt der Fahrer eines Tanklastzuges die Erdtanks einer Tankstelle irrtümlich fehlerhaft mit Diesel statt mit Benzin und entsteht durch die Abgabe des Kraftstoffs an den Kunden der Tankstelle ein Schaden, so ist die Betriebshaftpflichtversicherung des Tankstellenbetreibers (oder des Lieferanten) eintrittspflichtig, nicht die Kfz-Haftpflichtversicherung des Tankfahrzeuges. Denn Schäden, die den Tankstellenkunden erst dadurch entstanden, dass der vermischte Kraftstoff vom Tankstellenpächter für die Tankstellenverpächterin an die Kunden verkauft und in die Tanks der Fahrzeuge der Kunden gefüllt werden, sind dem Gebrauch des Tanklastzuges nicht mehr zuzurechnen, sondern der Tankstelle, so dass deren Betriebshaftpflichtversicherung hierfür deckungspflichtig ist (OLG München, Urteil vom 24.4.2015 – 25 U 4874/14)

Wenn ein landwirtschaftlicher Traktor an einem Unfall beteiligt ist, seine Hauptfunktion im Zeitpunkt des Eintritts dieses Unfalls jedoch nicht darin bestand, als Transportmittel zu dienen, sondern vielmehr darin, als Arbeitsmaschine die für den Betrieb einer Pumpe einer Spritzvorrichtung für Pflanzenschutzmittel erforderliche Antriebskraft zu erzeugen, ist diese Verwendung nicht von dem Begriff „Benutzung eines Fahrzeugs“ im Sinne der Richtlinie umfasst ist (EuGH, Urteil vom 28.11.2017 – C-514/16)

Der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für eine (Betriebs-)Haftpflichtversicherung enthaltende Risikoausschluss für Schäden "durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges" greift nicht in den Fällen, in denen das Einfüllen eines falschen Kraftstoffs in den Erdtank einer Tankstelle durch ein Tankfahrzeug erfolgt, sofern der Treibstoff auf Grund der Schwerkraft in den Kraftstofftank gelangt und nicht hineingepumpt worden ist. Dies stellt gerade keinen Gebrauch des Kfz i.S.d. Benzinklausel dar, denn es hat sich nicht die Gefahr eines von dem Fahrzeug betriebenen Gerätes verwirklicht (LG Düsseldorf, Urteil vom 19. Oktober 2017 – 9 S 3/17)

Kommt es bei einem Reifenwechsel auf einer Hebebühne zu einer Beschädigung eines Tragarms und des Gewindes durch einen vom Fahrzeugführer im Aktionsbereich unter dem Tragarm abgelegten Reifen, weil sich die Hebebühne durch das Hindernis - Reifen - nicht gleichmäßig absenken konnte, findet der Haftungsausschluss der Benzinklausel keine Anwendung, weil der vorgenommene Reifenwechsel zwar der Vorbereitung des Einsatzes des Fahrzeugs zu seinem typischen Verwendungszweck, nämlich dessen Gebrauch durch den Fahrzeugführer gedient hat, aber der Fahrzeugführer nicht das Fahrzeug gebraucht, sondern lediglich eine nicht zum Fahrzeug gehörende Hebebühne beim Reifenwechsel zum Einsatz gebracht hat, so dass sich nicht das Gebrauchsrisiko des Fahrzeugs, sondern ein Risiko der Hebebühne realisierte (LG Karlsruhe, Urteil vom 23. Mai 2014 – 9 S 460/13)

Startet ein gefälligkeitshalber eine technische Überprüfung eines Kraftfahrzeugs vornehmender Dritter den Motor von außen, und setzt sich das Kraftfahrzeug daraufhin in Bewegung und wird beschädigt, so besteht Deckung in der privaten Haftpflichtversicherung des Dritten (Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08. Februar 2012 – 5 U 370/11)

Wird durch Verwechslung der Fernbedienungstasten versehentlich ein Garagentor geöffnet und dadurch ein davor abgestellter Pkw beschädigt, so werden die entstandenen Schäden von der privaten Haftpflichtversicherung und nicht von der Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt (AG Frankenberg-Eder, Urteil vom 03. September 2008 – 6 C 204/08)

Es besteht kein Deckungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn ein im Fahrzeug zurückgelassener Hund versehentlich den elektrischen Fensterheber drückt, aus dem geöffneten Fenster springt und in dem nahegelegenen Stall ein Pferd in die Hinterbeine beißt. Es fehlt an einem Gebrauch des Pkw, da lediglich eine technische Einrichtung des Fahrzeugs von einem Hund "genutzt" wurde, die mit dem Betrieb des Kfz in keinem inneren Zusammenhang steht (LG Mannheim, Urteil vom 21. April 2006 – 8 O 32/06)

Beifahrer dreht den im Zündschloss des Kfz befindlichen Schlüssel, um Radio zu hören, versehentlich zu weit, so dass der Motor angeht und das Fahrzeug sich von selbst in Bewegung setzt und eine anderes geparktes Fahrzeug beschädigt (OLG Celle, NJW-RR 2005, 623)

Kein Gebrauch eines Fahrzeugs liegt vor, wenn beim Gebrauch eines Heizlüfters zum Enteisen der Scheiben des PKW das Fahrzeug in Brand gerät, weil sich das Risiko realisiert, dass dem Gebrauch des Heizlüfters und nicht demjenigen des Fahrzeugs anhaftet. Enteisen der Scheiben eines Fahrzeugs mittels Heizlüfters, wenn der PKW daraufhin in Brand gerät (BGH, Urteil vom 13.12.2006 – IV ZR 120/05 sowie OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.5.2005 – 19 U 33/05)

Der Ausschlußtatbestand der sogenannten kleinen Benzinklausel, wonach unter anderem die Haftpflicht des Eigentümers, Besitzers, Halters oder Führers eines Kraftfahrzeuges wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursacht werden, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, greift vorliegend nicht ein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Go-Karts Kraftfahrzeuge im Sinne der Legaldefinition des StVG § 1 Abs. 2 sind. Diese Klausel kommt nach ihrer Zweckrichtung, der Abgrenzung zum Versicherungsschutz in der Kfz-Haftpflichtversicherung zu dienen, jedenfalls deshalb nicht zur Anwendung, weil die Go-Karts mangels Verwendung auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nicht der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter im Sinne des PflVG § 1 unterliegen (Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 5.8.1998 – 5 U 99/98)

Führt ein Dritter Schweißarbeiten an einem Kfz durch, liegt zwar ein „Gebrauch“ vor, jedoch ist der Schädiger weder Eigentümer, Halter, Führer noch Besitzer des Fahrzeuges (OLG Köln, Urteil vom 23.12.1993 – 5 U 237/92)

Verbleiben in einem landwirtschaftlichen Spritzgerät, das an einem Traktor angebracht ist und von ihm angetrieben wird, Rückstände eines Krautabtötungsmittels, weil das hydraulische Rührwerk und die Luft-Rücksaugeinrichtung der Spritze defekt waren, ist der durch das Besprühen mit einem anderen, durch die Rückstände verunreinigten Mittel entstanden Schaden nicht durch den „Gebrauch eines Fahrzeugs“ verursacht (BGH, Urteil vom 27.10.1993 – VI ZR 243/92)

Wenn ein Einkaufswagen, der neben dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers auf dem Kundenparkplatz eines Supermarktes steht, wegrollt und ein anderes Fahrzeug beschädigt, besteht Versicherungsschutz in der Privathaftpflichtversicherung, sofern das Beladen des Fahrzeuges des Versicherungsnehmers noch nicht begonnen hat. Dann nämlich ist der Schaden nicht "durch den Gebrauch" des Kfz iSd AKB § 10 Abs 1 entstanden, so daß eine Eintrittspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung ausscheidet (LG Limburg, Urteil vom 21.7.1993 – 3 S 263/92)

Will der Versicherungsnehmer den Kofferraum seines Fahrzeugs auf dem Kundenparkplatz eines Supermarktes mit den Einkäufen beladen und sichert er zu diesem Zweck den neben seinem Pkw stehenden Einkaufswagen mit einer Plastikkiste gegen Wegrollen, besteht, wenn er dann die Plastikkiste wegzieht und der Einkaufswagen gegen ein anderes Fahrzeug rollt, Versicherungsschutz in der Privathaftpflichtversicherung (LG Karlsruhe, Urteil vom 24. Mai 1991 – 9 S 578/90)

Ein Schadensereignis fällt in den Deckungsbereich der Privathaftpflichtversicherung und wird nicht vom Risikoausschluß der sogenannten kleinen Benzinklausel der BBR Nr. 3 (juris: PrHPflVBB) erfasst, wenn es dadurch verursacht worden ist, dass ein Motorrad aus dem Stand umkippt, als es vom Versicherungsnehmer ohne Fahrtabsicht lediglich zum Zwecke der Besichtigung bestiegen wird (Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 20. März 1991 – 5 U 46/90)

Reparaturarbeiten an einem nicht nur vorübergehend aus dem Verkehr gezogenen Fahrzeug sind ein nicht gemäß AKB § 10 Abs 1 versicherbarer Fahrzeuggebrauch. Für daraus entstehende Schadenfolgen hat die Privathaftpflichtversicherung einzustehen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1988 – IVa ZR 161/87)

Wird beim Sprühlackieren eines Autos ein Fahrzeug und ein Gebäude eines Nachbarn beschädigt, fehlt es fehlt an dem adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen dem Gebrauch des Fahrzeugs und dem Schadensereignis, nachdem die Gefahr nicht vom Fahrzeug, sondern von dem Lackiergerät ausgegangen ist (LG Köln, ZfS 1983, 119 ff.)

Fügt der Fahrer eines Kraftfahrzeugs einem Dritten einen Schaden bei einem Unfall zu, an dem das Kraftfahrzeug nicht körperlich beteiligt war, so ist der Schaden nur dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs verursacht, wenn er auf eine Handlung des Fahrers zurückzuführen ist, die in den gesetzlichen oder durch die Verkehrsauffassung bestimmten Aufgabenkreis eines Kraftfahrers fällt und mit einer bestimmten Fahrt zusammenhängt (BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – IVa ZR 17/80)


Unzulässigkeit der isolierten Drittwiderklage des beklagten Schädigers gegen die geschädigte Versicherungsnehmerin bei Regressen von Sozialversicherungsträgern nach § 116 Abs. 1 SGB X - Prelinger, jurisPR-VerkR 10/2018 Anm. 2 (Anmerkung zu LG Stuttgart, Urteil vom 15.12.2017 - 21 O 300/17)

Leitsatz

1. Eine Drittwiderklage, die sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet, ist grundsätzlich unzulässig. Soweit Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen sind, ist stets maßgeblich, dass die zu erörternden Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und durch die Einbeziehung des Drittwiderbeklagten dessen schutzwürdige Interessen nicht verletzt werden. Dabei dürfen auch nicht die schützenswerten Interessen des Klägers unberücksichtigt bleiben, die dadurch berührt sein können, dass der Prozessstoff sich ausweitet und das Verfahren länger dauern kann.

2. An dem danach erforderlichen tatsächlichen und rechtlich engen Zusammenhang zwischen dem Drittwiderklagebegehren und dem Streitgegenstand der Klage fehlt es, wenn die drittwiderklagend geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche und die Klageforderung zwar denselben Lebenssachverhalt bzw. denselben Vorfall betreffen und die beiderseitigen Ansprüche in gleicher Weise festgestellt werden müssen, die Ansprüche in rechtlicher Hinsicht aber auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen basieren.

3. Der Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage steht zudem entgegen, dass es nicht mit prozessökonomischen Erwägungen zu vereinbaren ist, den Rechtsstreit einer gesetzlichen Krankenkasse gegen den Schädiger auf Erstattung von Behandlungskosten im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang mit der Klärung von Fragen zu belasten, die für etwaige Schmerzensgeldansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger von Belang sind.

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

16.5.2018


Anmerkung zu

Landgericht Stuttgart, Urteil vom 15.12.2017 – Aktenzeichen 21 O 300/17


Quelle


Fundstelle

jurisPraxisReport-Verkehrsrecht 10/2018, Anm. 2


Herausgeber

Jörg Elsner, LL.M., RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht

Dr. Klaus Schneider, RA und FA für Verkehrs­recht und Versi­che­rungs­recht


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VerkR 10/2018 Anm. 2


Einigung zwischen SVT und Versicherung - Amtsgericht Sonneberg, Urteil vom 27. Juli 2017, Az. 3 C 487/16

Tenor

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.844,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.01.2017 zu zahlen.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Regreßanspruch gemäß § 116 SGB X.

Die Klägerin ist der ehemalige Krankenversicherer des Geschädigten ... . Dieser verklagte in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Meiningen zum Az.: 3 O 1011/14 den minderjährigen ..., vertreten durch die Mutter ... der jetzigen Beklagten, wegen eines Skiunfalls in Südtirol. Die Beklagte hatte eine Haftpflichtversicherung bei der, I. ... AG".

Im Verfahren vor dem Landgericht Meiningen einigten sich die Parteien gemäß § 278 Abs. 6 ZPO am 19.11.2015 auf einen Vergleich dahin, dass die Beklagte 4.250,00 € unter Abgeltung aller Ansprüche an den Geschädigten zahlt, mit Ausnahme der übergegangenen oder noch übergehenden Ansprüche auf Sozialversicherungsträger bzw. Krankenkassen. Die Kostenquote wurde mit 70% zu 30% zu Lasten des Klägers vereinbart, wobei keine abschließend Entscheidung über die Haftungsverteilung getroffen werden sollte (siehe Landgericht Meiningen, 3 O 1011/14, Band 2, Blatt 215/216).

Hinsichtlich der auf die Krankenversicherung übergegangenen Ansprüche verhandelten die jetzige Klägerin und die Haftpflichtversicherung der Beklagten.

Mit Schreiben vom 04.10.2016 bot die I. einen Vergleich an mit folgenden Worten:

"Wir sind bereit, den Betrag von 3.844,44 € (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) zur Verfügung zu stellen, wenn sie uns vorab bestätigen, dass mit dieser Zahlung alle Ansprüche aus dem o.g. Vorfall für die Zeit bis zum 31.03.2016 endgültig und abschließend, ob bekannt oder unbekannt, vorhersehbar oder nicht, erledigt sind. Bitte teilen sie mit, ob der Vorgang auf diese Weise erledigt werden kann."

Hierauf antwortete die Klägerin am 10.10.2016 wie folgt:

"Wir beziehen uns auf ihr Schreiben vom 04.10.2016 und bitten um Überweisung. Bereits mit Schreiben vom 29.08.2016 bestätigten wir ihnen, dass es sich um eine Endabrechnung handelt (siehe Anlagen). Wir bestätigen Ihnen nochmals, dass alle Ansprüche mit der Zahlung in Höhe von 3.844,44 € abgegolten sind."

Im Nachhinein verweigerte die I. die Zahlung von 3.844,44 €.

Die Klägerin trägt vor, dass die Parteien sich durch obige Schreiben auf einen Vergleich geeinigt hätten. Zum weiteren Vortrag wird auf die Klageschrift verwiesen.

Die Klägerin beantragt zu erkennen:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.844,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.  Sie trägt vor, dass der Vergleichsvorschlag nicht wörtlich angenommen worden sei. Deshalb handele es sich um ein neues Angebot, welches die I. nicht angenommen habe. Zum weiteren Vortrag wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen. Auch Grund und Höhe des Anspruchs wird bestritten.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Regreßanspruch gemäß § 116 SGB X in Höhe von 3.844,44 € gegen die Beklagte.

Die Klägerin und die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherung haben sich durch die beiden Schreiben vom 04.10.2016 und 10.10.2016 auf einen Regreßanspruch in Höhe von 3.844,44 € durch Vergleich gemäß § 779 BGB geeinigt.

Die beiderseitigen Willenserklärungen sind gemäß den §§ 133, 157 BGB auszulegen (Palandt, BGB, 75. A. § 779 Rdnr. 11). Hierbei ist zunächst der Wortlaut der Erklärungen maßgebend.

Die I. wollte dem Wortlaut nach für alle denkbaren Ansprüche für die Zeit bis zum 31.03.2016 eine umfassende Abgeltung regeln. Die Klägerin hat diesen Wortlaut nicht wiederholt, allerdings klargestellt, dass es sich um eine Endabrechnung handelt und bestätigt ausdrücklich, dass alle Ansprüche mit der Zahlung abgegolten sind.

Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mußte (BGH 36, 30/33).

Hiernach ist durch die Erklärung der Klägerin, dass es sich um eine "Endabrechnung" handelt und der weiteren Erklärung, dass hiermit "alle Ansprüche abgegolten sind", für den verständigen Erklärungsempfänger offenbar, dass hiermit die von der I. gewollte Bestätigung abgegeben werden sollte. Da auf das Schreiben der I. explizit Bezug genommen wurde, gibt es keinen vernünftigen Zweifel, dass mit dieser Zahlung auch "alle Ansprüche aus dem o.g. Vorfall für die Zeit bis zum 31.03.2016 endgültig und abschließend, ob bekannt oder unbekannt, vorhersehbar oder nicht, erledigt sind".

Es liegt keine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen vor, welche als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag angesehen wird (§ 150 Abs. 2 BGB). Vielmehr ergibt die Auslegung, dass die Klägerin das Vergleichsangebot inhaltlich vollumfänglich bestätigt und angenommen hat. Hierfür ist nicht erforderlich, dass alle Worte aus dem Angebot wiederholt werden. Maßgebend ist der übereinstimmende Wille, welcher nach dem Wortlaut der beiderseitigen Erklärungen nicht zweifelhaft sein kann.

Der I. war auch bekannt, dass es beim Vergleich nicht um Zukunftsschäden nach dem 31.03.2016 geht, welche eine neue Krankenversicherung des Geschädigten geltend machen könnte. Sie wollte ja selber nur eine Einigung für die Zeit bis zum 31.03.2016 (Ende des Versicherungsvertrages bei der Klägerin). Für die Ansprüche bis dahin wollte auch die Klägerin eine Endabrechnung, also eine Schlußabrechnung vergleichsweise durchführen. Für die Schäden ab dem 01.04.2016 war die Klägerin nicht mehr zuständig, was die I. unstreitig wußte.

An dem Zustandekommen und der Wirksamkeit des Vergleiches gibt es damit keinen Zweifel. Angefochten wurde der Vergleich nicht.

Die Nebenforderungen beruhen auf dem Zahlungsverzug gemäß den §§ 280, 286, 288 BGB.

Verzug traf jedoch erst mit Ablehnung der Zahlung seitens der hinter der Beklagten stehenden Haftpflichtversicherung mit Fax vom 02.11.2016 ein (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Insoweit erfolgte teilweise Klageabweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

 

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

https://www.juris.de/perma?d=JURE180002290

 


Keine Drittwiderklage des Schädigers gegen den Geschädigten im Regress der Krankenkasse - LG Stuttgart, Urteil vom 15.12.2017 - 21 O 300/17

 

Tenor

  1. Die Drittwiderklage wird abgewiesen.
  2. Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und des Drittwiderbeklagten Ziff. 2 trägt der Beklagte. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Teilurteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Drittwiderbeklagten ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
  4. Streitwert: bis zu EUR 1.000,00.

Tatbestand

Die Klägerin macht als Trägerin einer gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 116 Abs. 1 SGB X aufgrund eines von ihr vorgetragenen Ereignisses am 11.7.2015 gegen 13:15 Uhr auf dem Parkdeck des Kauflandes in B. auf sie übergegangene Ansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten und geschädigten Drittwiderbeklagten Ziff. 1 gegen den Beklagten geltend.

Die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 wollte mit ihrem Ehemann, dem Drittwiderbeklagten Ziff. 2, im Kaufland einkaufen. Der Drittwiderbeklagte Ziff. 2 fuhr deswegen auf das Parkdeck und stellte das Auto in einer Parklücke ab. Der Beklagte parkte sein Auto in der danebenliegenden Parklücke. Über die Art und Weise, wie der Beklagte sein Auto in die Parklücke stellte, entwickelte sich zwischen den Beteiligten ein Streitgespräch und es kam zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und dem Beklagten.

Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe die Drittwiderbeklagten Ziff. 1 zunächst mehrfach beschimpft und während der Auseinandersetzung mit der Faust geschlagen. Die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 habe dadurch ein stumpfes Larynxtrauma mit Einblutung sowie eine Fraktur des Schildknorpels erlitten. Ihr seien Heilbehandlungskosten i. H. v. EUR 1.502,08 entstanden, dessen Ersatz nun die Klägerin aus abgetretenem Recht gegenüber dem Beklagten geltend macht.

Die Klägerin beantragt deshalb,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.502,08 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 05.01.2017 zu zahlen.

2. festzustellen, dass der Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der Frau … vom 11.07.2015 gegen 13:15 Uhr auf dem Parkdeck der Kaufland-​Niederlassung in B., S. Straße entstanden sind und noch entstehen werden.

3. festzustellen, dass es sich bei den dem Tenor zu 1. bis 2. zugrundeliegenden Ansprüchen um solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handelt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Klägerin keine Erstattungsansprüche zustünden, da die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 gegen ihn keine Schadensersatzansprüche geltend machen könne.

Er trägt vor, die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 habe mit der Auseinandersetzung angefangen. Sie habe ihn beschimpft und - nachdem der Beklagte es abgelehnt habe, sein Fahrzeug wegzufahren - angegriffen. Dabei habe sie den Beklagten gestaucht und ihn unterhalb des rechten Knies verletzt. Hierbei sei seine Hose aufgescheuert worden. Aufgrund dessen sei dem Beklagten nichts anders übriggeblieben, als die Drittwiderbeklagte zu Ziff. 1 nach hinten zurückzustoßen. Hierbei habe diese sich möglicherweise verletzt.

Der Beklagte begehrt von der Drittwiderbeklagten Ziff. 1 wegen der beschädigten Hose Schadensersatz i. H. v. EUR 50,00 und verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld i. H. v. EUR 350,00 für die erlittenen Verletzungen. Der Beklagte behauptet ferner, auch der Drittwiderbeklagte Ziff. 2 habe ihn während der Auseinandersetzung beschimpft. Hierfür fordert er Schmerzensgeld i. H. v. EUR 150,00.

Mit am 17.10.2017 erhobener - isoliert gegen die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 und den Drittwiderbeklagten Ziff. 2 gerichteter - Widerklage beantragt der Beklagte deshalb:

1. die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 zu verurteilen, an den Beklagten ein Schmerzensgeld i. H. v. EUR 400,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. den Drittwiderbeklagten Ziff. 2 zu verurteilen, an den Beklagten ein Schmerzensgeld i. H. v. EUR 150,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Drittwiderbeklagten beantragen, die Drittwiderklage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, die Drittwiderklage sei bereits unzulässig, da der für die Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage erforderliche Zusammenhang zwischen Klage und Drittwiderklage fehle. Ferner sei die Drittwiderklage erkennbar nur deshalb erhoben worden, um die Drittwiderbeklagten als Zeugen auszuschalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gern. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2017 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Drittwiderklage hat keinen Erfolg, da sie unzulässig ist, weshalb sie durch Teilurteil abzuweisen war.

I.

1. Das Gericht konnte über die Widerklage durch Teilurteil entscheiden. Nach § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO kann durch Teilurteil entschieden werden, wenn bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen ausgeschlossen ist (BGH NJW-​RR 2012, 849; 2011,189, 191).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn zum einen war die Drittwiderklage entscheidungsreif; zum anderen bestand die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen nicht, und zwar weder im Hinblick auf die Zulässigkeit noch auf die Begründetheit von Klage und Drittwiderklage. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung der Klage werden sich dem Gericht keine Fragen stellen, die es bei der isolierten Drittwiderklage anders behandelt hat. Hinsichtlich der Begründetheit besteht auch keine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Die Entscheidung über die Klageforderung in der Sache hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Klägerin der Nachweis gelingt, dass der geschädigten Drittwiderbeklagten Ziff. 1 gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung zusteht. Die drittwiderklagend geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche betreffen demgegenüber die Frage, ob dem Beklagten seinerseits gegen die Drittwiderbeklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zustehen.

2. Die Unzulässigkeit der Drittwiderklage folgt aus § 33 ZPO.

a) Eine Widerklage setzt nach § 33 Abs. 1 ZPO eine anhängige Klage voraus; der Widerkläger muss ein Beklagter und der Widerbeklagte muss ein Kläger sein. Daher ist eine Widerklage gegen einen bisher am Prozess nicht beteiligten Dritten grundsätzlich nur zulässig, wenn sie zugleich gegenüber dem Kläger erhoben wird. Eine Drittwiderklage, die sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet, ist grundsätzlich unzulässig (st. Rspr. seit BGH, Urt. v. 17.10.1963, II ZR 77/61).

b) Der BGH hat jedoch auch Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Eine sog. isolierte Drittwiderklage ist zulässig, wenn sie gegen den Zedenten der Klageforderung gerichtet ist und die Gegenstände von Klage und Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind (BGH, Beschl. v. 30.9.2010, Xa ARZ 191/10). Sie ist auch dann zulässig, wenn sich ihr Gegenstand mit dem Gegenstand einer hilfsweise gegenüber der Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt (BGH, Urt. V. 5.4.2001, VII ZR 135/00) oder wenn die abgetretene Klageforderung und die mit der Drittwiderklage geltend gemachte Forderung aus einem einheitlichen Schadensereignis resultieren (BGH, Urt. v. 13.3.2007, VI ZR 129/06, Rn. 16). Schließlich ist sie zulässig, wenn mit ihr die Feststellung begehrt wird, dass dem Zedenten keine Ansprüche zustehen (BGH, Beschl. V. 30.9.2010, Xa ARZ 191/10). Ausschlaggebend ist aber stets, dass die zu erörternden Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind und durch die Einbeziehung des Drittwiderbeklagten in den Rechtsstreit dessen schutzwürdige Interessen nicht verletzt werden.

Unberücksichtigt bleiben dürfen darüber nicht indes nicht die schützenswerten Interessen des Klägers, die dadurch berührt sein können, dass der Prozessstoff sich ausweitet und das Verfahren länger dauern kann (BGH, Urt. v. 7.11.2013, VII ZR 105/13 Rn. 16).

Nach alldem fehlt es hier an dem erforderlichen tatsächlich und rechtlich engen inneren Zusammenhang zwischen dem Drittwiderklagebegehren und dem Streitgegenstand der Klage. In tatsächlicher Hinsicht betreffen die drittwiderklagend geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche und die Klageforderung zwar denselben Lebenssachverhalt, nämlich den Vorfall vom 11.7.2015 auf dem Parkdeck des Kauflandes. Richtig ist auch, dass der streitige Hergang für die beiderseitigen Ansprüche in gleicher Weise festgestellt werden muss. In rechtlicher Hinsicht basieren sie aber auf unterschiedlichen Rechtsverhältnissen, namentlich zwei verschiedenen gesetzlichen Schuldverhältnissen aus unerlaubter Handlung. Zudem ist die Verknüpfung nicht derart eng wie beispielsweise bei einem Verkehrsunfall, bei welchem die Schadensersatzansprüche auf ein und demselben Schadensereignis beruhen.

Entscheidend kommt hinzu, dass der Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage schützenswerte Interessen der Klägerin entgegen stehen. Es ist mit prozessökonomischen Erwägungen nicht zu vereinbaren, den Rechtsstreit einer gesetzlichen Krankenkasse gegen den (vermeintlichen) Schädiger auf Erstattung von Behandlungskosten im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X mit der Klärung von Fragen zu belasten, die für etwaige (Schmerzensgeld-​)Ansprüche des Geschädigten gegen die Schädiger von Belang sind. Dies mag im Fall eines gewillkürten Forderungsübergangs anders sein. Denn vorliegend scheiden prozesstaktische Erwägungen aufgrund des sofortigen Forderungsübergangs kraft Gesetzes von vornherein aus. Deshalb verlangt es der Grundsatz der Waffengleichheit auch nicht, die isolierte Drittwiderklage ausnahmsweise zuzulassen, um dem Beklagten seinerseits dadurch ein prozesstaktisches Vorgehen zu ermöglichen, um lediglich den Zustand wiederherzustellen, der bestünde, wenn der eigentliche Rechtsinhaber die Klage erhoben hätte. Denn die Drittwiderbeklagte Ziff. 1 hätte zuvor gar nicht die von der Klägerin geltend gemachten Kosten gerichtlich einfordern können, weil sie nie deren Inhaberin war, da der Anspruch sofort mit dem Schadensereignis übergeht. Insoweit kann die Drittwiderbeklagte zu Ziff. 1 auch wirtschaftlich nicht vom Ausgang des Prozesses profitieren, wie es bei einer prozesstaktischen vertraglichen Abtretung regelmäßig anzunehmen ist. Da die Klägerin als Sozialversicherungsträger Ersatz ihrer Schäden und Aufwendungen verlangt, verbleiben Schadenersatzzahlungen des Beklagten allein bei der Klägerin. Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 SGB X hat gerade u.a. den Zweck eine Doppelleistung an den Geschädigten bzw. seine Hinterbliebenen zu verhindern (KassKomm/Kater SGB X § 116 Rn. 5).

II.

Die Kostenentscheidung beruht in Bezug auf das zwischen den Drittwiderbeklagten und dem Beklagten bestehende Prozessverhältnis auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(veröffentlicht bei juris)

juris-Link:

 https://www.juris.de/perma?d=JURE180004157


Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer Zahlung aufgrund Teilungsabkommens? - Prelinger, jurisPR-VersicherungsR 2/2018, Anm. 6 (Anmerkung zu LG Bremen, Urteil vom 04.07.2017 - 4 O 1904/16)

Ist in einem Teilungsabkommen vereinbart, dass die Haftpflichtversicherung bei Zweifeln den Kausalitätsbeweis von der Krankenkasse verlangen kann, dann erlischt dieses Recht mit der Zahlung der Haftpflichtversicherung.

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Autor

Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht


Erscheinungsdatum

8.2.2018


Anmerkung zu

LG Bremen, Urteil vom 4.7.2017, Az. 4 O 1904/16


Quelle


Normen

§ 116 SGB 10, § 118 SGB 10, § 158 BGB, § 162 BGB, § 812 BGB, § 288 BGB, § 286 BGB, § 242 BGB


Fundstelle

juris-PraxisReport-Versicherungsrecht 2/2018, Anm. 6


Herausgeber

Prof. Dr. Peter Schimi­kowski, TH Köln, Fakultät für Wirtschafts- und Rechts­wis­sen­schaften


Zitiervorschlag

Prelinger, jurisPR-VersR 2/2018, Anm. 6


Verjährungsbeginn bei Behandlungsfehlern - Prelinger - jurisPR-MedizinR 12/2017 Anm. 2 (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 8.11.2016 - VI ZR 594/15)

Ansprüche aus Behandlungsfehlern können zu anderer Zeit verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen. Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender ärztlicher Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits besteht zwar eine Verknüpfung dergestalt, dass es Ziel des Schadensersatzbegehrens des Patienten ist, eine Entschädigung für die bei ihm aufgrund der Behandlung eingetretenen gesundheitlichen Nachteile zu erlangen, doch liegen den Haftungstatbeständen verschiedene voneinander abgrenzbare Pflichtverletzungen zugrunde. Dies kann auch zu unterschiedlichen Verjährungsfristen führen (BGH, Urteil vom 8.11.2016- VI ZR 594/15).

Leitsatz
  1. Ansprüche aus Behandlungsfehlern können zu anderen Zeiten verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen.
  2. Nach § 203 Satz 1 BGB endet die Hemmung der Verjährung auch durch das Einschlafen der Verhandlungen. Das ist der Zeitpunkt, in dem spätestens eine Erklärung der jeweils anderen Seite – sei es des Gläubigers oder des Schuldners – zu erwarten gewesen wäre.
A. Problemstellung

Bei Behandlungsfehlern hängt der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB unter anderem von der positiven Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen ab.

Bei Aufklärungsfehlern ist hierbei fraglich, ob der eine ordnungsgemäße Aufklärung bestreitende Patient diese Kenntnis bereits hat, wenn das Krankenhaus ihm die Seite der Patientenakte nicht herausgibt, auf der sich eine Dokumentation der Aufklärung befinden soll.

Des Weiteren ist hinsichtlich eines Behandlungsfehlers im engeren Sinne fraglich, ob bereits dann positive Kenntnis vorliegt, wenn der Anwalt des Geschädigten die Forderungen beim Schädiger anmeldet und dabei „mit hinreichender Deutlichkeit“ zum vermuteten Behandlungsfehler Stellung nimmt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger wurde am 22.11.2003 mit einem Gewicht von 5.100 Gramm bei der Beklagten zu 1) geboren. Die Geburt wurde zunächst von der Beklagten zu 3) als diensthabender Stationsärztin geleitet. Später übernahm die Beklagte zu 2) als gynäkologische Chefärztin die Geburtsleitung. Während der Geburt trat eine Schulterdystokie auf, weshalb die Beklagte zu 2) die Entscheidung zu einer vaginal-​operativen Entbindung traf. Nach der Entbindung war der linke Arm des Klägers mit Hämatomen besetzt und schlaff. Später wurden eine obere und untere Parese des Plexus brachialis links sowie eine Claviculafraktur diagnostiziert.

Die Mutter des Klägers fertigte am 04.08.2006 ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll, in dem sie die Ereignisse von ihrer Aufnahme ins Krankenhaus der Beklagten zu 1) bis zur Geburt des Klägers detailliert beschrieb und Kritik an der angewandten geburtshilflichen Technik sowie daran übte, dass eine Risikoaufklärung unterblieben und keine Kaiserschnittentbindung angeboten worden sei.

Auf Aufforderung der Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandte die Beklagte zu 1) ihnen am 22.09.2006 die aus 91 Seiten bestehende Dokumentation über den stationären Aufenthalt der Mutter des Klägers. Eine Seite des Geburtsprotokolls, die den Zeitraum von der Aufnahme der Mutter des Klägers bei der Beklagten zu 1) am Nachmittag des 19.11.2003 bis um 13:40 Uhr am Folgetag dokumentiert, fehlte zunächst und wurde erst im Mai 2008 übermittelt.

Mit Schreiben vom 09.08.2007 erhoben die Anwälte des Klägers Ansprüche gegen die Beklagte zu 1), deren Haftpflichtversicherer in einem Schreiben vom 20.08.2007 ankündigte, Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu nehmen sowie ärztliche Stellungnahmen einzuholen und sich anschließend zur Deckungs- und Haftungsfrage zu äußern. Am 26.10.2007 lehnte der Haftpflichtversicherer eine Haftung der Beklagten ab. Am 13.11.2007 baten die Prozessbevollmächtigten des Klägers um eine nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage und um die Überlassung weiterer Unterlagen. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) übersandte am 05.05.2008 die fehlende erste Seite der Dokumentation des stationären Aufenthalts der Mutter des Klägers unter Hinweis darauf, man halte an der bereits im Schreiben vom 26.10.2007 bekundeten Auffassung fest. Auf nochmalige Aufforderung vom 02.06.2008 übersandte der Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) am 05.08.2008 weitere Unterlagen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers reagierten darauf mit Schreiben vom 12.06.2009.

Der BGH erkannte, dass auf Aufklärungsfehler gestützte Ansprüche verjährt seien. Eine Verjährung von Ansprüchen des Klägers wegen ärztlicher Behandlungsfehler könne nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden, da insoweit der Beginn der Verjährungsfrist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden ist. Die Frist gemäß § 199 Abs. 1 BGB habe bereits am 01.01.2007 zu laufen begonnen. Dabei können Ansprüche aus Behandlungsfehlern zu anderer Zeit verjähren als solche aus Aufklärungsversäumnissen. Zwischen den Ansprüchen wegen unzureichender Aufklärung einerseits und wegen fehlerhafter Behandlung andererseits bestehe zwar eine Verknüpfung dergestalt, doch liegen den Haftungstatbeständen verschiedene voneinander abgrenzbare Pflichtverletzungen zugrunde, was auch zu unterschiedlichen Verjährungsfristen führen könne.

Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Verjährung der Ansprüche aus Aufklärungsfehlern bereits mit Beginn des Jahres 2007 begonnen habe, weil die Mutter, auf deren Wissensstand als gesetzlicher Vertreterin es ankomme, schon 2006 die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch wegen Aufklärungsmängeln begründenden Umständen gehabt habe. Dies ergebe sich aus ihrem Gedächtnisprotokoll vom 04.08.2006.

Es sei auch unbeachtlich, dass dem Kläger im Jahr 2006 eine Seite des Geburtsprotokolls noch nicht vorlag. Dabei spiele es keine Rolle, ob darin eine Aufklärung dokumentiert gewesen sein soll, nachdem die Mutter des Klägers schon in ihrem Gedächtnisprotokoll den Vorwurf eines Aufklärungsfehlers erhoben hatte, weil eine Risikoaufklärung unterblieben und ihr keine Kaiserschnittentbindung angeboten worden sei. Denn die Verjährungsfrist beginne dann zu laufen, wenn dem Geschädigten oder seinem Vertreter bei seinem Kenntnisstand die Erhebung einer Schadensersatzklage gegen eine bestimmte Person – sei es auch nur in Form der Feststellungsklage – zumutbar ist. Es sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Streitfall insoweit eine Klageerhebung schon Ende 2006 für zumutbar gehalten hat. Dass auf der dem Kläger im Jahr 2006 noch fehlenden Seite des Geburtsprotokolls eine Aufklärung im Ansatz dokumentiert war, habe lediglich Auswirkungen auf die Beweislage gehabt, nachdem die Mutter des Klägers eine Aufklärung bestritt. Der Verjährungsbeginn setze keineswegs voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand hat, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Es müsse dem Patienten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm oder seinen Vertretern hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit verbleibendem Prozessrisiko.

Hinsichtlich des Behandlungsfehlers habe die Frist nicht bereits am 01.01.2007 begonnen. Es könne nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die für den Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis von einem Behandlungsfehler erst im Laufe des Jahres 2007 erlangt worden ist. Die Kenntnis liege nicht schon vor, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der Behandlung bekannt sei. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen.

Allein die Vorwürfe der Mutter des Klägers im Gedächtnisprotokoll vom 04.08.2006 ließen nicht auf eine in diesem Sinne ausreichende Kenntnis eines vom Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens schließen. Für die Gesundheitsschäden ihres Kindes mache sie darin allein die Schwere der Geburt aufgrund dessen Größe verantwortlich. Anhaltspunkte für einen weitergehenden Kenntnisstand sind nicht festgestellt.

Allerdings sei auch der Kenntnisstand der Rechtsanwälte miteinzubeziehen. Nach den Grundsätzen zum sog. Wissensvertreter müsse sich derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein Rechtsanwalt mit der Aufklärung eines Sachverhalts beauftragt wurde.

Die Rechtsanwälte des Klägers hätten die ärztlichen Behandlungsfehler, die der Kläger den Beklagten zur Last legt, zwar im Schreiben vom 09.08.2007 „mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen“, so dass sie damit die gemäß § 199 Abs. 1 BGB erforderliche Kenntnis gehabt hätten. Das Berufungsgericht habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob sie diese Kenntnis schon im Jahr 2006 hatten oder ob sie sie ggf. bis Ende dieses Jahres ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen, wobei zu beachten ist, dass sie nicht verpflichtet waren, sich im Hinblick auf einen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung verdeutlicht zunächst, dass in Hinblick auf die Verjährung zwischen Ansprüchen aufgrund mangelhafter Aufklärung und Ansprüchen aus Behandlungsfehlern (im engeren Sinn) unterschieden werden muss, da es sich um verschiedenartige Pflichtverletzungen und somit um unterschiedliche Lebenssachverhalte bzw. unterschiedliche Streitgegenstände handelt, für die jeweils gesondert die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB geprüft werden müssen. Der BGH setzt damit seine bisherige Rechtsprechung fort (BGH, Urt. v. 05.12.2006 – VI ZR 228/05; BGH, Urt. v. 09.11.2007 – V ZR 25/07; BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, BGH, Urt. v. 24.03.2011 – III ZR 81/10).

Hinsichtlich des Vorwurfs der fehlerhaften Aufklärung erscheint die Entscheidung allerdings fragwürdig. Die Kenntnis der Mutter wurde deswegen bejaht, weil sie in einem Gedächtnisprotokoll Aufklärungsfehler formulierte. Daher habe sie auch nicht mehr Einsicht in die Patientenakte benötigt, obwohl in der ihr überreichten Kopie der Patientenakte eine Seite gefehlt habe, die eine Aufklärung dokumentierte (Rn. 11).

Zunächst handelt es sich bei einer Geburt naturgemäß um einen physisch und psychisch äußerst schwierigen und intensiven Vorgang, bei dem der Mutter möglicherweise nicht alle Umstände in Erinnerung geblieben sind. Die Aufklärung muss jedoch für den Patienten verständlich sein (§ 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB), wobei es insbesondere auf den Zustand des Patienten ankommt (BGH, Urt. v. 11.10.2016 – VI ZR 462/15). Dass einer Mutter in einem solchen Ausnahmezustand etwas entgangen sein kann, ist durchaus denkbar.

Allein der formale Aspekt, dass man etwas in einem Gedächtnisprotoll zusammenfasst, kann deswegen nicht kenntnisbegründend sein, weil dort nur Erinnerungen und Vermutungen zusammengetragen werden, die aber nicht vollständig sein müssen und der weiteren Nachforschung bedürfen. Eine Kenntnis davon, worüber hätte aufgeklärt werden müssen, liegt mit einem solchen Protokoll ebenso wenig vor, wie eine Kenntnis vom Facharztstandard und der Abweichung davon. Wenn sogar ein Arzt als Patient über die Risiken eines seiner Fachrichtung fremden Eingriffs aufgeklärt werden muss (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 27.02.2014 – 5 U 1461/13 Rn. 22), dann hat erst recht ein medizinisch unkundiger Patient ohne weiteres noch keine Kenntnis vom Aufklärungsfehler. Kommt ihm der Verdacht, dass das Geschehen behandlungsfehlerhaft gewesen sein könnte, dann muss er diesem Verdacht nachgehen, um sich nicht dem Vorwurf der grobfahrlässigen Unkenntnis auszusetzen – wobei er sich auch nach der hier besprochenen Entscheidung (Rn. 14) eben gerade kein medizinisches Fachwissen anzueignen braucht (vgl. auch BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05).

Keinesfalls kann es in der Hand der Behandlungsseite liegen, darüber zu entscheiden, was der Patient an Auszügen aus der Patientenakte erhält. Dieses würde einen Anreiz zur Selektion und zum Vorenthalten potentiell haftungsträchtiger Teile darstellen. Der Patient hat vielmehr ein Recht auf „vollständige“ Einsicht in die Patientenakte, wie es § 630g Abs. 1 BGB ausdrücklich regelt (vgl. auch AG München, Urt. v. 06.03.2015 – 243 C 18009/14). Der Patient soll alle potentiell relevanten Umstände für die gerichtliche Prüfung eines Behandlungsfehlers in Erfahrung bringen können.

Daher wurde auch im Gesetzgebungsverfahren ausgeführt (BT-​Drs. 17/10488 v. 15.08.2012, S. 11; BR-​Drs. 312/12, S. 13):

„Patientenakten sind für Behandelnde und Patientinnen und Patienten von großer Bedeutung. Was dokumentiert ist, lässt sich auch später noch nachvollziehen. Die Pflicht zur Dokumentation soll darum im Gesetz festgelegt werden. Patientenakten sind vollständig und sorgfältig zu führen. Wird gegen diese Pflicht verstoßen, so hat dies – so schon die bisherige Rechtsprechung – in einem späteren Gerichtsverfahren Folgen. Es wird vermutet, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme auch tatsächlich nicht erfolgt ist. Diese Vermutung soll nun ausdrücklich geregelt werden, genau wie die Akteneinsicht. Die beste Dokumentation nützt nichts, wenn die Akten für die Patientinnen und Patienten verschlossen bleiben. Daher soll zu ihren Gunsten ein gesetzliches Recht auf Einsicht in die sie betreffenden Patientenakten verankert werden.“

Im ursprünglichen Entwurf (vgl. BT-​Drs. 17/10488, S. 6) war das Wort „vollständig“ noch nicht erwähnt und wurde späterhin hinzugefügt. Das Einsichtsrecht sollte somit insbesondere der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen dienen.

Das bedeutet aber, dass es eine inakzeptable Vorverlagerung des Verjährungsbeginns darstellte, wenn man dem Patienten zumuten will, klagen zu müssen, obwohl der Akteninhalt nicht vollständig bekannt ist. Der BGH führt im Urteil (Rn. 11) sogar aus, dass ausgerechnet auf der noch fehlenden Seite des Geburtsprotokolls eine Aufklärung „im Ansatz dokumentiert“ war, dieses aber für die Zumutbarkeit der Klageerhebung unbeachtlich sei, weil dieser Umstand nur Auswirkungen auf die Beweislage gehabt habe. Diese Auffassung erscheint äußerst fragwürdig. Gerade der Umstand, dass sich späterhin herausstellte, dass ausgerechnet der fehlende und erst nach 2006 bekannt gewordene Teil der Dokumentation über die 48 Stunden vor der Geburt eine Dokumentation über die Aufklärung „im Ansatz“ enthielt, belegt die unbedingte Notwendigkeit der vollständigen Einsicht. Denn von der vollständigen Kenntnis der Patientenakte hängt ab, ob sich die Kenntnis des Patienten auch auf das Nichtbestehen von Einwendungen beziehen muss. Eine Kenntnis gemäß § 199 Abs. 1 BGB ist nämlich nicht vorhanden, wenn konkrete Anhaltspunkte für Einwendungen bestehen und es daher naheliegt, dass der Beklagte sich darauf berufen wird. Hat der Gläubiger trotz des Vorliegens solcher konkreten Anhaltspunkte keine hinreichende Kenntnis über die diese Einwendung begründenden Umstände und bleiben deswegen konkrete Zweifel am Bestehen seines Anspruchs, wird der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben (BGH, Urt. v. 22.06.1993 – VI ZR 190/92; BGH, Urt. v. 14.05.2009 – I ZR 82/07).

Der Arzt hat die Aufklärung zu beweisen, so dass es sich um eine solche Einwendung handelt (§ 630h Abs. 2 Satz 1 BGB). Der Einwand ordnungsgemäßer Aufklärung ist in Arzthaftungsprozessen grundsätzlich zu erwarten und lässt somit regelmäßig „konkrete Zweifel“ entstehen. Dies gilt erst recht, wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung vorprozessual behauptet wird. Daher ist es weder mit dem Gesetzeszweck zu vereinbaren (vgl. o.), noch zumutbar, einen Verjährungsbeginn vor Kenntnis von der vollständigen Patientenakte anzunehmen.

Zudem erscheinen auch die Ausführungen des BGH dazu, dass der Terminus „erfolgsversprechend, aber nicht risikolos“ nicht erfordere, dass die Klägerin hinreichend sichere Beweismittel in der Hand habe, sehr fragwürdig. Der Kläger bzw. seine Mutter hat sehr wohl ein Recht darauf, die Erfolgsaussichten und die dagegen sprechenden Einwendungen (vgl. o.) anhand der zur Verfügung stehenden Beweismittel zu beurteilen. Niemandem ist zumutbar, eine Klage zu erheben, wenn nicht die nötigen Beweismittel zur Verfügung stehen, weil allein mit einer prozessualen Behauptung keine Erfolgsaussicht besteht. Eine Klage ohne Beweismittel ist nicht erfolgsversprechend. Dies gilt insbesondere dann, wenn bereits vorgerichtlich erkennbar ist, das wesentliche Umstände bestritten werden oder Einwendungen zu erwarten sind. Der Terminus bedeutet nur nicht, dass gar kein Beweisrisiko mehr bestehen darf bzw. eine dahingehende Gewissheit herrschen muss, dass die Klägerin mit diesem Beweismittel den Beweis auch erfolgreich führen kann, da dies eine nicht prognostizierbare Frage der Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO und daher nie risikolos ist.

Die Ausführungen des BGH zum Behandlungsfehler im engeren Sinn sind auch zweifelhaft. Zutreffend führt der BGH aus, dass sich aus den bloßen Vermutungen der Mutter keine Kenntnis einer Abweichung vom Facharztstandard herleiten lässt. Fehlen dem Geschädigten die hierfür erforderlichen Kenntnisse, muss er nur versuchen, sich insoweit rechtskundig zu machen (BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05 Rn. 23; BGH, Urt. v. 20.09.1983 – VI ZR 35/82). Dann stellt der BGH allerdings auf die Kenntnis des Anwalts des Klägers ab, der Wissensvertreter entsprechend § 166 BGB sei und den Behandlungsfehler „mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen“ habe.

Die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erfolgte nur deshalb, weil nicht festgestellt wurde, ob der Anwalt diese Kenntnis bereits in verjährter Zeit hatte. Somit vermittelt sich der Eindruck, dass die Ausführungen des Anwalts in diesem Schreiben für den Verjährungsbeginn ausreichend gewesen sein sollen.

Diese Wissensvertretung erscheint sehr fraglich, weil der Anwalt nicht mehr medizinische Fachkenntnisse über den konkreten Fall hat als der Geschädigte. Der Anwalt kann die Vorwürfe sicherlich besser dogmatisch einordnen und seine Ermittlungen auf die relevanten Aspekte ausrichten. Das medizinische Fachwissen fehlt ihm aber, so dass es kein Wissen gibt, das dem Geschädigten zugerechnet werden könnte.

Der BGH nahm zur Begründung zwar Bezug auf eine ältere Entscheidung, in der ein sehr konkreter Behandlungsfehlervorwurf durch den Anwalt formuliert wurde (BGH, Urt. v. 31.10.2000 – VI ZR 198/99). Selbst ein derartiges Schreiben belegt aber kein medizinisches Wissen des Anwalts, da er nur allgemeine Erwägungen und Erfahrungen formulierte, ohne genau wissen zu können, ob das im konkreten Fall auch zutrifft.

Im vorliegenden Fall ist der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen, ob der Anwalt ähnlich substantiierte Ausführungen machte. Aber selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, so bleibt festzuhalten, dass der Anwalt trotzdem nicht den einschlägigen Facharztstandard kennt und daher auch nicht die Pflichtwidrigkeit einer etwaigen Abweichung davon feststellen kann. Auch er kann nur eine These formulieren und Ansprüche wegen des Verdachts anmelden.

Hierin sogleich die notwendige Kenntnis zu sehen würde bedeuten, dass jedes Aufsuchen eines arzthaftungsrechtlich versierten Anwalts wegen dessen Erfahrungen sogleich zur einer positiven Kenntnis führen würde, obwohl doch zunächst nur der Verdacht im Raum steht und überprüft werden soll. Hieran knüpft die Frage an, ob das nicht gilt, wenn der Patient einen arzthaftungsrechtlich unerfahrenen Anwalt aufsucht, was auf eine – abzulehnende – Prüfung der arzthaftungsrechtlichen Fachkenntnisse und Erfahrungen des Anwalts hinausliefe.

Der BGH hatte deswegen zurückverwiesen, damit das Oberlandesgericht aufklärt, wann der Anwalt die seinen Thesen zugrunde liegende Kenntnis hatte. Dieses erscheint umso fragwürdiger, als der BGH schließlich selbst ausführt (Rn. 14), dass der Patient und dessen Anwalt gerade keine Pflicht haben, sich medizinisches Fachwissen anzueignen (BGH, Urt. v. 10.10.2006 – VI ZR 74/05). Hiernach kann sich aber nicht die Frage stellen, ob und ab wann der Anwalt einen Behandlungsfehlerverdacht thesenhaft formulieren kann, sondern ob und wann er das medizinische (!) Fachwissen hatte, um eine unzureichende Aufklärung oder eine Abweichung vom Facharztstandard beurteilen zu können, und das wird kaum vor Kenntnis eines Gutachtens der Fall sein.

D. Auswirkungen für die Praxis

Zuweilen ist in der Rechtsprechung ein Trend zur Überbeschleunigung zu erkennen, indem die positive Kenntnis des Patienten unverhältnismäßig früh angenommen wird. Beispielsweise soll schon ein Hinweis eines Arztes, der vorbehandelnde Arzt „gehöre in den Arsch getreten“ eine positive Kenntnis auslösen, weil damit hinreichend deutlich gemacht werde, dass vom Facharztstandard abgewichen wurde (OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.05.2016 – 1 U 121/15).

Hierbei verwaschen die Grenzen zwischen positiver Kenntnis und grobfahrlässiger Unkenntnis immer mehr, weil bereits der Verdacht eines Behandlungsfehlers zu einer positiven Kenntnis hochstilisiert wird. Diese unscharfe Abgrenzung liegt sicherlich auch daran, dass der BGH sich zur Definition des Begriffs der positiven Kenntnis noch an der früheren Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform 2002 orientiert, wofür es ausreichte, dass ein Behandlungsfehler „nahe liegt“ (BGH, Urt. v. 10.11.2009 – VI ZR 247/08 Rn. 6 m.w.N.). Ein „Naheliegen“ stellt aber gerade keine positive Kenntnis vom Facharztstandard dar und sollte seit der Reform 2002 der typische Fall der Unkenntnis sein, bei der näher zu prüfen ist, ab wann diese auf grober Fahrlässigkeit beruht.

Es wäre daher wesentlich einfacher, eine positive Kenntnis nur dann anzunehmen, wenn der Aufklärungsbedarf bzw. der Facharztstandard und die Umstände der (pflichtwidrigen) Abweichung hiervon genau bekannt sind, was regelmäßig nur dann der Fall ist, wenn ein Gutachten vorliegt. Wird die Erstellung oder Vervollständigung des Gutachtens unnötig verzögert, dann kann dies zu einer grobfahrlässigen Unkenntnis führen (OLG Bamberg, Urt. v. 14.02.2014 – 4 U 62/13).

Zu beachten ist hierbei, dass der Gesetzgeber mittlerweile ein eigenes Begutachtungssystem für geschädigte Patienten geschaffen hat. Nach der 2013 erfolgten Neuregelung des § 66 SGB V sollen die Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen unterstützen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Aufklärungs- und Behandlungsfehlern entstanden sind. Die Krankenkassen waren hiernach grundsätzlich verpflichtet, Unterstützungsleistungen zu gewähren (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-​Drs. 17/10488, S. 32, zusammenfassend BSG, Urt. v. 08.09.2015 – B 1 KR 36/14 R Rn. 21). Die Krankenkassen holten daher gemäß § 275 Abs. 3 Nr. 4 SGB V über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) entsprechende Gutachten ein, die sie dann den Geschädigten zukommen ließen. § 66 SGB V wurde nunmehr durch das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) mit Wirkung zum 11.04.2017 geändert und zwingt jetzt die Krankenkassen, den vom Patienten mitgeteilten Verdacht eines Behandlungsfehlers auch dann prüfen zu müssen, wenn die Krankenkasse selbst gar keine eigenen Ansprüche wegen des Behandlungsfehlers geltend machen kann.

Einem Patienten, der sich dieses genau dafür vorgesehenen und oftmals sehr langwierigen gesetzlichen Begutachtungssystems bedient, kann in Hinblick auf das Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht von einer anderen staatlichen Stelle – Gerichtsbarkeit – vorgehalten werden, dass er sich dieses vom Gesetzgeber geschaffenen Systems bediente. Dann kann aber seine Vermutung eines Behandlungsfehlers nicht für den Verjährungsbeginn auslösend sein, da dies dem Patienten erst Anlass gibt, den Verdacht nach § 66 SGB V prüfen zu lassen.

Das muss auch dann gelten, wenn ein Behandlungsfehler bereits „nahe liegt“, da der durchschnittliche Patient, der sich des gesetzlichen Systems nach § 66 SGB V bedient, darauf vertraut, dass er das Gutachten abwarten darf. Ein juristischer Laie kommt angesichts dieses Systems gar nicht auf den Gedanken, dass die Rechtsprechung einen viel früheren Fristenbeginn annehmen könnte.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Zur Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen gemäß § 203 Satz 1 BGB bestätigte der BGH seine bisherige Rechtsprechung, dass Verhandlungen auch durch ein „Einschlafenlassen“ enden können. Die Hemmung endet daher spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Reaktion hätte erfolgen müssen (BGH, Urt. v. 06.11.2008 – IX ZR 158/07).

Fraglich war allerdings, ob nur der Gläubiger die Verhandlungen einschlafen lassen kann, indem er auf ein die Verhandlungen aufrechterhaltendes Ansinnen des Schuldners nicht reagiert, oder ob auch der Schuldner die Verhandlungen einschlafen lassen kann. Der BGH erkannte daher mit Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren und die aktuelle instanzgerichtliche Rechtsprechung, dass beide Parteien die Verhandlungen einschlafen lassen können (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 23.10.2008 – 9 U 19/08 Rn. 51 ff.; OLG Frankfurt, Urt. v. 19.09.2013 – 15 U 11/12 – MDR 2014, 75, 76; OLG Köln, Beschl. v. 10.07.2014 – 19 U 19/14 – RuS 2015, 371, 372; OLG Hamm, Urt. v. 24.02.2015 – 24 U 94/13 – BauR 2015, 1676, 1679; OLG Koblenz, Urt. v. 16.03.2016 – 10 U 557/15 Rn. 79).

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Sturz im Pflegeheim - LG Marburg, Beschluss vom 31.07.2017 - 5 S 48/17

Tenor

Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Gründe

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Denn das angefochtene Urteil beruht im Ergebnis weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO). Es ist daher beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen begründen, sind nicht ersichtlich. Neue, in der Berufungsinstanz berücksichtigungsfähige Tatsachen bezeichnet die Berufungsschrift nicht, § 529 ZPO.

Die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Amtsgericht ist im Ergebnis überzeugend.

 

Im Einzelnen:

Der Klägerin dürfte - wie das Amtsgericht zutreffend entschieden hat - gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 611, 280 Abs. 1, S. 1, 241 Abs. 2, 278 BGB zustehen.

Das Amtsgericht Ist bei seiner Entscheidung von zutreffenden rechtlichen Grundsätzen zur Haftung für Schäden von Heimbewohnern bei Pflegemaßnahmen ausgegangen.

Nach den Grundsätzen des vollbeherrschbaren Risikos ist vorliegend von einer Pflichtverletzung des Beklagten bzw. seines Pflegepersonals auszugehen.

Ein vollbeherrschbares Risiko liegt vor, wenn die Schadensursache dem Organisationsbereich des Pflegeheims zuzuordnen ist und nicht aus der Sphäre des Patienten stammt. Allein daraus, dass ein Patient im Bereich eines Krankenhauses stürzt, ergibt sich für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals nichts; kommt es aber im Zusammenhang mit einer konkret geschuldeten Hilfeleistung zu einem Sturz des Patienten, so hat der Betreiber des Krankenhauses darzulegen und zu beweisen, dass dieser Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruht (KG, Hinweisbeschluss vom 10.09.2007 - 12 U 145/06 -, NJOZ 2008, 2794). Anders als der normale alltägliche Gefahrenbereich im Heim, der grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners fällt und bei dem dieser im Schadensfall für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist, greift in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte (erfolgsbezogene) Obhutspflichten bezüglich des Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist, eine Beweislastumkehr analog § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss (OLG Hamm, Urteil vom 27.01.2014 - 17 U 35/13 -, BeckRS 2014, 04746).

Nach diesen Grundsätzen zählt ein begleiteter Toilettengang eines sturzgefährdeten Heimbewohners zu dem vom Pflegeheim voll beherrschbaren Gefahren- und Verantwortungsbereich (OLG Hamm, Urteil vom 27.01.2014 - 17 U 35/13 -, aaO; vgl. auch Martis, MDR 2007, 12, 18).

Diese Grundsätze greifen auch im Nachgang zu einem Toilettengang ein, wenn sich ein Begleiten des Heimbewohners aufgrund seiner körperlichen Konstitution als pflegerische Maßnahme darstellt, die gerade auch dazu dient, Sturzereignisse zu verhindern.

Für eine Zuordnung des vorliegenden Sturzereignisses zu dem vollbeherrschbaren Risiko des Pflegeheims spricht vorliegend, dass auch der Gang zur Toilette und von der Toilette zum Bett aufgrund der Konstitution des Geschädigten mit einer hinreichend konkreten Sturzgefahr verbunden war, zu deren Abwendung das Heim auch verpflichtet war. So hatte die Zeugin - mit Blick auf die ihr bekannte Sturzgefahr - auch konkrete Schutzmaßnahmen beschrieben, etwa, dass sie Sturzmatten vor das Bett des Herrn ... gelegt und ihm Schuhe angezogen habe und dass er Hüftprotektoren getragen habe (Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, Bl. 104 d.A.). Eine Begleitung beim Gehen, so lautet es im Pflegebericht, sei tagesformabhängig erforderlich mit Blick auf die Schwäche der unteren Extremitäten des Geschädigten (Pflegebericht vom 17.11.2011, dort S. 6, Bl. 14 d.A.). Vom vollbeherrschbaren Bereich des Pflegeheims ist damit auch die Begleitung zur Toilette und zurück ins Bett erfasst mit Blick auf die im Einzelfall bestehenden Besonderheiten.

Die vorliegende Situation nach dem Toilettengang dürfte nicht mit dem allgemeinen Risiko des Heimbewohners vergleichbar sein, in das sich dieser begibt, wenn er aus freien Stücken, d.h. ohne im Rahmen von pflegerischen Maßnahmen zum Aufstehen aufgefordert worden zu sein, aus dem Bett aufsteht und ohne fremde Hilfe umherläuft.

Das Amtsgericht hat hierbei nicht verkannt, dass die Abgrenzung der Risikoreiche und der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen nicht pauschal vorzunehmen ist.

Der Inhalt der Pflegeleistungen richtet sich u.a. nach dem im Einzelfall erforderlichen Tätigkeiten zur Unterstützung der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens. Der Umfang der pflegerischen Leistungen richtet sich dabei nach dem jeweiligen Gesundheitszustand und Pflegezustand der Bewohner und ist auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2005 - III ZR 399/04 -, NJW 2005, 1937, 1938). Zu beachten ist schließlich, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 16.02.2010 - 24 U 141/09 - NJW-​RR 2010, 1533). Würde man generell fordern, Demenzkranken, sofern sie die Möglichkeit zu freier Bewegung haben, durchgängig einen „Aufpasser“ zur Seite zu stellen, so würde dies nur dazu führen, dass eine Mobilisierung unterlassen werden müsste. Dies widerspräche aber dem § 11 Abs. 1 Nr. 2 HeimG niedergelegten Postulat, dass die Selbstständigkeit und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern sind, wobei bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde gewährleistet werden muss, um den Heimbewohnern eine angemessene Lebensgestaltung zu ermöglichen ist (OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 18.05.2016 - 1-​24 U 7/16 - BeckRS 2016, 17595 [Rn. 19]).

Vorliegend ist nach diesen Grundsätzen zwar keine Pflege und Überwachung rund um die Uhr zu fordern. Es bestand jedoch - wie das Amtsgericht wohl zutreffend erkannt hat - im Zusammenhang mit Toilettengängen eine erhöhte Sturzgefahr, deren Abwendung dem Beklagte bzw. seinem Pflegepersonal oblag.

Dem Beklagten ist es vorliegend nicht gelungen, zu beweisen, dass bei der Ausführung der konkreten Pflegemaßnahmen keine Pflichten verletzt worden sind.

Die Beweisaufnahme war nicht ergiebig. Zwar hat die Zeugin ... ausgeführt, dass sie eine Sturzmatte ausgelegt, Herrn ... feste Schuhe angezogen und ihm einen Hüftprotektor angelegt habe. Dies geschah in Ausübung ihrer pflegerischen Pflichten. Überdies ist jedoch fraglich, ob weitere pflegerische Schutzmaßnahmen in der Phase des Bettbeziehens nach dem nächtlichen von der Zeugin ... begleiteten Toilettengang erforderlich gewesen sind. So hätte es - wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat - etwa nahegelegen, Herrn ... auf einen Sessel bzw. auf einen Stuhl zu setzen, um einen Sturz zu verhindern.

Es ist grundsätzlich zwar nicht fehlerhaft, einen gangunsicheren Heimbewohner sich frei bewegen zu lassen. Dem Pflegepersonal kommt insofern ein Einschätzungsspielraum zu bei der Frage, ob und welche Spielräume dem Heimbewohner bei der Ausführung pflegerischen Maßnahmen belassen werden.

Vorliegend kann die Kammer jedoch nicht erkennen, ob der Geschädigte überhaupt mit Blick auf seinen damaligen körperlichen Zustand in der Lage gewesen ist, frei zu stehen bzw. sich ohne Stütze fortzubewegen. Die Zeugin Frau ... konnte nicht mehr angeben, in welcher Tagesform sich Herr ... am Unfalltag befunden hat (vgl. Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, Abs. 2, Bl. 104 d.A.). Sie konnte insbesondere nicht angeben, ob Herr ... zum Unfallzeitpunkt (in den frühen Morgenstunden um 5.30 Uhr) schläfrig gewesen ist oder nicht (vgl. Protokoll vom 13.02.2017, dort S. 2, vorletzter Abs., Bl. 104 d.A.). Diese Sachverhaltsungewissheiten gehen vorliegend zu Lasten des Beklagten.

Zur Vermeidung einer Zurückweisung der Berufung durch einen Beschluss, dessen Begründung sich in der Bezugnahme auf diesen Hinweisbeschluss erschöpfen könnte, wird empfohlen, eine Rücknahme des Rechtsmittels zu erwägen. Eventuellem neuem Vortrag setzt die Zivilprozessordnung enge Grenzen.

Eine Rücknahme der Berufung hätte eine erhebliche Reduzierung der Gerichtskosten zur Folge, da die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren im Allgemeinen von vier auf zwei Gerichtsgebühren halbiert würden.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats.

 

Anmerkung des Verfassers: Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.

 

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