Zur Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation - Prelinger, NJW 2020, S. 849 f. (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 4.12.2019 - IV ZR 323/18)
Autor
Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum
12. März 2020
BGH, Urteil vom 4.12.2019, Aktenzeichen IV ZR 323/18
Fundstelle
Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Ausgabe 9/2020, S. 851 f.
Zur Auslegung von Abfindungsvergleichen zulasten des Arbeitgebers - OLG Stuttgart, Beschluss vom 1.10.2019 - 7 U 388/19, sowie Verfügung vom 13.11.2019
Erste Berufungsentscheidung des OLG (Beschluss vom 1.10.2019):
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 11.07.2019 - 2 O 420/18 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23.10.2019 (Eingang bei Gericht).
Gründe
I.
Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich in Ansehung des Vorbringens der Berufung als richtig. Das Landgericht hat nachvollziehbar und plausibel herausgearbeitet, warum die Klägerin auch in Ansehung der "Abfindungserklärung" berechtigt ist, den erhobenen Anspruch geltend zu machen, und dass hier von einer Haftung der Beklagten im Umfang von 100 Prozent auszugehen ist. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung können dies nicht in Frage stellen.
1. Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die von der Geschädigten unterzeichnete Abfindungserklärung vom 04./05.03.2013 der Geltendmachung der Ansprüche aus übergegangenem Recht nicht entgegensteht (Ziff. III 2 der Berufungsbegründung).
Die "Abfindungserklärung" bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf "alle Ansprüche", die von der Geschädigten aus Anlass des hier gegenständlichen Unfallereignisses "etwa geltend gemacht werden können." Insofern hat das Erstgericht treffend maßgeblich darauf abgestellt, dass für einen verständigen Geschädigten hiermit nur solche Ansprüche gemeint sein können, die vom Geschädigten selbst erhoben werden können, die also in dieser Art und in diesem Umfang auch in seiner Person entstehen können. Dies ist indes bei den hier in Rede stehenden Ansprüchen nicht der Fall, diese können von vornherein nur der Klägerin als Arbeitgeberin für den Fall zustehen, dass sie eine entsprechende Entgeltfortzahlung erbracht hat. Folglich ergeben sich die Ansprüche auch nur in der Höhe, in der eine Entgeltfortzahlung an den Geschädigten erfolgt ist. Für den - nicht rechtskundigen - Geschädigten, der eine Entgeltfortzahlung erhält und in diesem Umfang daher keinen "eigenen" Schaden erleidet, stellt sich dieser Anspruch nicht als ein solcher dar, der von ihm erhoben werden könnte.
Auch aus der Erklärung, dass die Geschädigte "von keiner anderen Seite eine Leistung oder Entschädigung erhalten oder beansprucht" hat, lässt sich nichts anderes ableiten. Mit dieser Formulierung wird ersichtlich auf die vorangegangene Beschreibung der einbezogenen Ansprüche abgestellt. Erfasst sind damit nur solche Ansprüche, die von der Geschädigten selbst beansprucht bzw. erhoben werden können, etwa solche gegen weitere Schädiger.
Vor diesem Hintergrund ist dem Landgericht darin zu folgen, dass der hier erhobene Anspruch nicht von der Abfindungserklärung erfasst ist. Das gilt unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt der Unterzeichnung durch die Geschädigte bereits eine Entgeltfortzahlung erfolgt ist oder nicht. Nachdem hier eine vorformulierte Erklärung der Beklagten auszulegen ist, kommt es überdies nicht darauf an, was die Geschädigte im Tatsächlichen gedacht haben mag; nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungshorizont konnte und durfte die Beklagte für ihr Verständnis der Erklärung der Geschädigten nur vom Wortlaut der "Abfindungserklärung" ausgehen. Daher war eine weitere Aufklärung der Umstände der Abgabe dieser Erklärung auf Seiten der Geschädigten nicht angezeigt (Ziff. III 3 der Berufungsbegründung).
2. Richtigerweise nimmt das Landgericht eine 100prozentige Haftung der Beklagten an (Ziff. III 3 der Berufungsbegründung). Der Verkehrsverstoß des Führers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges wiegt besonders schwer, während sich die Geschädigte grundsätzlich berechtigterweise in der Fußgängerfurt aufhalten durfte. Hinter diesem Verursachungsbeitrag des Fahrzeugführers tritt daher ein - unter Umständen auch schuldhaftes - Fehlverhalten der Geschädigten, die die Fußgängerfurt nicht gehend, sondern fahrend überquert hat, vollständig zurück.
II.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Link zu juris zur OLG-Entscheidung: https://www.juris.de/perma?d=JURE200000981
Zweite Berufungsentscheidung des OLG (Verfügung vom 13.11.2019):
Gründe
Auf den Schriftsatz der Beklagten vom 06.11.2019 wird ergänzend auf folgendes hingewiesen:
1. Der Umstand, dass von der Vereinbarung auch solche Ansprüche umfasst sind, die dem Rechtsnachfolger zustehen, ändert an der Bewertung und Auslegung durch den Senat nichts.
Die Klägerin ist bezüglich derjenigen Ansprüche, die von der Vereinbarung umfasst werden, nicht Rechtsnachfolgerin der geschädigten Person. Sind von der Vereinbarung nur solche Ansprüche erfasst, die von der Geschädigten selbst erhoben werden können, die also in dieser Art und in diesem Umfang auch in ihrer Person entstehen können, sind auch es auch nur solche Ansprüche, die auf einen Rechtsnachfolger übergehen können. Hierzu rechnen die der Klägerin zustehenden Ansprüche indes gerade nicht. Dies hat der Senat bereits im Beschluss vom 01.10.2019 ausgeführt.
2. Allein die Tatsache, dass der Geschädigte anwaltlich beraten ist, ändert nichts am Verständnis der Vereinbarung, wie es das Landgericht und der Senat zugrunde gelegt haben. Denn nur dann, wenn abweichend vom Wortlaut etwas anderes gemeint gewesen wäre, würde sich auch ein anderes Verständnis rechtfertigen. Dazu aber hätte die Beklagte dies im Vorfeld des Abschlusses der Vereinbarung entsprechend klarstellen müssen und die Geschädigte hätte - nach dem objektiven Empfängerhorizont - eine dahingehende Vertragserklärung abgeben müssen. Dafür ist nichts ersichtlich.
3. Vor diesem Hintergrund erachtet der Senat weiterhin die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO für gegeben.
Über die Berufung der Beklagten wird indes nicht vor dem 27.11.2019 entschieden werden.
Link zu juris zur OLG-Entscheidung: https://www.juris.de/perma?d=JURE200000981
Zur Auslegung von Abfindungsvergleichen zulasten des Arbeitgebers - LG Tübingen, Urteil vom 11.07.2019 - 2 O 420/18
Tenor
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.298,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 25.8.2017 sowie 183,50 € vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.1.2019 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 40% und die Beklagte 60%.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Streitwert: bis 6.000 €
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Ersatz von Zahlungen, welche die Klägerin als Arbeitgeberin an bzw. für ihre Mitarbeiterin ... (im Folgenden "Arbeitnehmern") während deren unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit infolge eines Verkehrsunfalls leistete. Am 15.8.2012 überquerte die Arbeitnehmerin mit dem Fahrrad die Rommelsbacher Straße in Reutlingen fahrend an einer Fußgängerampel, die für sie grün zeigte. Der mit seinem PKW mit dem Kennzeichen ... auf der Rommelsbacher Straße fahrende ... ("Schädiger") beachtete das für ihn geltende Rotlicht nicht und erfasste die Arbeitnehmerin mit dem Kraftfahrzeug, wobei sich diese Verletzungen zuzog. Das Kraftfahrzeug des Schädigers war zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversichert. Durch den Verkehrsunfall war die Arbeitnehmerin für einige Monate arbeitsunfähig. Infolgedessen erbrachte die Klägerin Entgeltfortzahlungsleistungen in Höhe von 7.161,15 € für den Zeitraum 15.08.-25.09.2012 und in Höhe von 4.606,42 € für den Zeitraum 26.09.-14.12.2012 und 03.01.-24.01.2013 (Anlagen K1, K2, Bl. 13 ff.). Die Arbeitnehmerin unterzeichnete am 05.03.2013 gegenüber der Beklagten eine "Abfindungserklärung" mit der Beklagten, in der u.a. geregelt war:
"Gegen Zahlung einer Entschädigung von 10.000 € [...] sind alle Ansprüche, die von mir/ uns oder meinem/ unserem Rechtsnachfolger aus Anlaß des Schadens vom 15.8.2012 gegen die ... [...] etwa geltend gemacht werden könnten, für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endgültig abgegolten" (Anlage BLD 5, Bl. 71).
Die Klägerin forderte die Beklagte dazu auf, ihr die geleisteten Entgeltfortzahlungen zu ersetzen. Am 27.01.2014 bezahlte die Beklagte 5.883,79 € an die Klägerin, später folgten weitere 454,00 €. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, den noch ausstehenden Betrag zu bezahlen (Anlagen K3, K4).
Die Klägerin meint, die Beklagte habe die geltend gemachten Beträge in vollem Umfang zu ersetzen. Hinsichtlich des Verkehrsunfalls treffe den Schädiger aufgrund des Rotlichtverstoßes eine Haftungsquote von 100 Prozent. Die Radfahrerin treffe kein Mitverschulden, weil das Fahren im Bereich der Fußgängerfurt nicht verboten sei; jedenfalls schütze ein solches Verbot nicht den Autofahrer. Die von der Arbeitnehmerin geschlossene Abfindungsvereinbarung stehe der Ersatzfähigkeit nicht entgegen, da sie die streitgegenständlichen Ansprüche nicht umfasse.
Die Klägerin beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.429,78 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 25.8.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 444,80 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt Klagabweisung. Die Beklagte meint, dass sie aufgrund des Umstandes, dass die Arbeitnehmerin mit dem Fahrrad unerlaubt eine Fußgängerfurt überquerte, nur eine Haftungsquote von 50 % treffe. Zudem müsse sich die Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, was die Arbeitnehmerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit an Fahrtkosten und während stationärer Aufenthalte an Verpflegungskosten erspart habe. Die Klägerin sei nicht Inhaberin der geltend gemachten Ansprüche wegen der von der Arbeitnehmerin am 5.03.2013 unterschriebenen Abfindungserklärung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur in Höhe von 3.298,58 € begründet.
I. Die Klage ist zulässig; insbesondere ist das angerufene LG Tübingen sachlich und örtlich zuständig.
II. Der Klägerin stehen weitere 3.298,58 € zu. Das Gericht gelangte zwar zum Ergebnis, dass die Beklagte zu 100% haftet, der Anspruch reduziert sich jedoch unter Berücksichtigung der ersparten Aufwendungen der Arbeitnehmerin auf den zugesprochenen Betrag.
1. Der Arbeitnehmerin stand dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz der durch den streitgegenständlichen Unfall verursachten Schäden in voller Höhe zu, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherung gem. §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 WG, 1 PflichtVG haftet.
a. Die Beklagte haftet gem. §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflichtVG, weil die Arbeitnehmerin beim Betrieb des haftpflichtversicherten Fahrzeugs i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG verletzt wurde und kein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG vorliegt.
b. Der Anspruch ist nicht gem. § 254 BGB zu kürzen, die Beklagte haftet in voller Höhe. Zwar befuhr die Arbeitnehmerin mit ihrem Fahrrad eine Fußgängerfurt ("Fußgängerampel"), die sie lediglich zu Fuß, aber nicht mit dem Fahrrad hätte benutzen dürfen, was einen Verstoß gegen § 2 StVO begründet (vgl. OLG Hamm NZV 1996, 499). Vorliegend gilt nicht § 26 StVO, da es sich nicht um einen Fußgängerüberweg ("Zebrastreifen", markiert durch Z 293) sondern um eine Fußgängerfurt mit Ampelregelung handelt, für die § 26 StVO nicht gilt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht 44. A. § 26 StVO Rn. 8). Das Gericht sieht diesen Verkehrsverstoß jedoch zum einen (anders als das OLG Hamm a.a.O.: "erheblicher Verstoß") nicht als gravierenden Verstoß an und ist insbesondere der Auffassung, dass sich der einen Verstoß gegen § 37 StVO begehende Autofahrer nicht darauf berufen kann, dass der Radfahrer nicht die Fußgängerfurt hätte benutzen dürfen. Denn das sich aus dem Rotlicht gem. § 37 Abs. 2 StVO ergebende Haltegebot gilt für den Autofahrer "absolut", das heißt unabhängig davon, ob und von wem die Fußgängerfurt überquert wird. Anders als zum Beispiel in den Konstellationen, wenn der Radfahrer verbotenerweise auf dem Gehweg fährt oder, wie im Fall des OLG Hamm (a.a.O), wo der Autofahrer Grün hatte und der Radfahrer die Fußgängerampel bzw. Fußgängerfurt einer zu querenden Seitenstraße befuhr, spielt die höhere Geschwindigkeit des Radfahrers gegenüber einem Fußgänger im vorliegenden Fall keine Rolle, da der Autofahrer auf Grund der "Rot" zeigenden Lichtzeichenanlage ohnehin anhalten muss. Zudem ist für den Autofahrer nicht erkennbar, ob die Fußgängerfurt für Radfahrer freigegeben ist (was durch die Anbringung eines Fahrrads an der Fußgängerampel neben dem Fußgänger zuweilen geschieht). Hinzu kommt, dass ein Rotlichtverstoß als besonders gravierender und aufgrund der damit verbundenen Gefährlichkeit die Betriebsgefahr in besonderem Maße erhöhender Verkehrsverstoß anzusehen ist. Selbst wenn man den auf der Straße fahrenden Verkehr als durch das für Radfahrer geltende Verbot der Benutzung einer Fußgängerfurt geschützt ansehen würde, würde der Verstoß der Arbeitnehmerin gegen § 2 StVO gegenüber dem Verstoß des Autofahrers zurücktreten, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass der Verkehrsverstoß der Radfahrerin den Autofahrer in keiner Weise gefährdet.
2. Der Anspruch ist hinsichtlich der geltend gemachten Schadenspositionen gem. § 6 EFZG auf die Klägerin übergegangen.
a. Dem Anspruchsübergang steht nicht entgegen, dass die Arbeitnehmerin am 5.3.2013 die als Anlage BLD 5 (Bl. 71) vorgelegte "Abfindungserklärung" mit der Beklagten geschlossen hat. Zwar hat die Klägerin trotz des Hinweises in der Verfügung vom 19.2.2019 nicht dargelegt, ob sie die Leistungen an die Arbeitnehmerin, die dem geltend gemachten Anspruch zu Grunde liegen, vor oder nach dem 5.3.2013 an die Arbeitnehmerin erbracht hat mit der Folge, dass für das Gericht nicht feststellbar ist, ob der Anspruch hinsichtlich der geltend gemachten Schadenspositionen vor Abschluss der Abfindungsvereinbarung auf die Klägerin übergegangen ist - dies ist grundsätzlich von Bedeutung, weil der Anspruch nach § 6 EFZG erst dann erfolgt, wenn das Arbeitsentgelt bzw. die Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber des Geschädigten geleistet worden sind (Reinhard in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Auflage 2019, § 6 EFZG Rn. 15).
Darauf kommt es jedoch nicht an, weil die Abfindungserklärung im Ergebnis so zu verstehen ist, dass hiervon Ansprüche, die auf Dritte übergehen nicht umfasst sind: Denn nach dem Wortlaut der Abfindungserklärung
"sind alle Ansprüche, die von mir/ uns oder meinem/ unserem Rechtsnachfolger aus Anlaß des Schadens vom 15.8.2012 gegen die ... [...] etwa geltend gemacht werden könnten, für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endgültig abgegolten."
Bei der Auslegung dieser Formulierung ist zu berücksichtigen, dass es sich offensichtlich um eine von der Beklagten vorformulierte Erklärung und damit Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB handelt. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass eine nicht anwaltlich vertretene Geschädigte bei Ansprüchen, die ihr aus ihrer Sicht gar nicht zustehen, weil die entsprechenden Beträge (insbesondere Arbeitslohn) an sie durch den Arbeitnehmer gezahlt wurden, nicht ohne weiteres davon ausgeht, dass diese Ansprüche von dieser Abfindungserklärung und insbesondere der Erledigungsklausel umfasst sind. Denn selbst wenn sich eine Geschädigte Gedanken darüber machen sollte, ob solche Ansprüche von der Erledigungserklärung umfasst sind, liegt aufgrund der Formulierung "von mir [...] geltend gemacht werden könnten" das Verständnis nahe, dass damit Ansprüche wie die streitgegenständlichen nicht gemeint sein können, weil diese von der Geschädigten gerade nicht selbst geltend gemacht werden können, da sie insofern von vornherein keinen Schaden erleidet. Würden eine solche Klausel auch nach § 6 EFZG übergehende Ansprüche betreffen, könnte dies Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen seinen Arbeitnehmer begründen, da der Abschluss der Abfindungsvereinbarung Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Schädiger abschneiden würde. Die Verwendung einer solchen Klausel gegenüber einer nicht anwaltlich vertretenen Geschädigten ohne Hinweis auf die damit verbundenen Gefahren wäre als unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB anzusehen und damit unwirksam. Dem steht nicht entgegen, dass von der Erledigung Ansprüche, die auf "Sozialversicherer, Sozialhilfeträger oder Rentenversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen" ausgenommen sind, da dies das Verständnis des Geschädigten, nur über seine "eigenen" Ansprüche zu verfügen, noch verstärken kann.
b. Die geltend gemachten Anspruchspositionen unterfallen in vollem Umfang § 6 EFZG, was die Beklagte auch nicht in Abrede stellt.
3. Der Klägerin stehen 3.298,58 € zu:
a. Die Klägerin macht 7.161,15 € für den Abrechnungszeitraum 15.8. bis 25.9.2012 und weitere 4.606,42 € für die Abrechnungszeiträume 26.9. bis 14.12.2012 und 3.1. bis 24.1.2013 geltend. Diese insgesamt 11.767,57 € umfassenden Beträge sind der Höhe nach unstreitig.
b. Von diesem Betrag sind unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleich 2.131,20 € abzuziehen:
aa. Der Schädiger kann dem gem. § 6 EFZG auf den Arbeitgeber übergegangenen Anspruch im Wege des Vorteilsausgleichs diejenigen Aufwendungen entgegenhalten, die der geschädigten Arbeitnehmer infolge der den Anspruchsübergang auslösenden Schädigung erspart hat. Hierzu zählen insbesondere Verpflegungskosten, die der Arbeitnehmer wegen eines stationären Aufenthalts erspart hat sowie aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ersparte Fahrtkosten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23. November 1999 - 27 U 93/99 -, juris LS 4; Schliemann/Vogelsang in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl. 2018, § 6 EFZG Rn. 6).
bb. Die Beklagte macht zu Recht einen Abzug von (28 Tage x 10 € =) 280 € für ersparte Verpflegungskosten im Hinblick auf den 6-tägigen Krankenhaus- und den 22-tägigen Reha-Aufenthalt der Arbeitnehmerin geltend. Die Klägerin ist diesem Vorbringen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten und hat weder die geltend gemachte Dauer noch die geltend gemachte Höhe bestritten. Zwar beruft sie sich im nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 3.7.2019 darauf, dass die Arbeitnehmerin für diesen Zeitraum einen Eigenanteil an den Behandlungskosten gezahlt habe. Dieser Umstand war auch vorgerichtlich von der Klägerin geltend gemacht (Anlage K7), aber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen worden; die bloße Vorlage der Anlage K7 genügt hierzu nicht, da sich die Vorlage dieses Schreibens jedenfalls nicht hierauf bezog (vgl. S. 5 der Klagschrift). ...
cc. Zudem sind 1.897,20 für ersparte Fahrtkosten zu berücksichtigen. Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass die Arbeitnehmerin im Zeitraum 15.8. bis 25.9.2012 für 30 Arbeitstage und ab Januar 2013 weitere 72 Arbeitstage Fahrtkosten erspart hat; soweit die Beklagte - rechnerisch - 72,5 Tage geltend gemacht hat, war dies nur in Höhe von 72 Tagen schlüssig, da die Ersparnis der halben Fahrtkosten für einen Tag nicht denkbar ist). Das Gericht hält einen Kilometersatz von 0,25 € für angemessen. Dies beruht auf § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG. Diese für die Zeugenentschädigung geltende Regelung kann für die Bemessung der Schadensersatzpflicht im Rahmen von § 249 BGB entsprechend herangezogen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29. März 2011 - 10 U 106/10 -, juris Rn. 73 - noch unter der Geltung des ZSEG; Palandt-Grüneberg, 75. A. 2016, § 249 BGB Rn. 9). Hieraus ergibt sich ein abzuziehender Betrag von (76,4 km x 102 Tage x 0,25 € =) 1.897,20 €.
dd. Dies ergibt einen im Wege des Vorteilsausgleichs abzuziehenden Betrag von (1.897,20 € + 280 € =) 2.177,20 €.
Die Klägerin beruft sich auf S. 3 des Schriftsatzes vom 16.5.2019 (Bl. 88) darauf, dass sie ersparte Aufwendungen durch eine pauschale Quote von 5% berücksichtig habe. Aus den klägerischen Berechnungen i.V.m. der Anlage K4 (Bl. 41) ergibt sich jedoch nur, dass die Klägerin einen Abzug von 46 € vorgenommen hat. Damit reduziert sich der im Wege des Vorteilsausgleichs abzuziehende Betrag um 46 € auf 2.131,20 €.
c. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte in der Klagerwiderung nicht ausdrücklich vorgebracht hat, dass sie diese Abzüge noch nicht gegenüber der Arbeitnehmerin geltend gemacht habe. Nachdem sich aus dem Vorbringen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung trotz der Hinweise in der Verfügung vom 19.2.2019 keine Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die Beklagte dies bereits gegenüber der Arbeitnehmerin geltend gemacht hatte, beinhaltete Geltendmachung dieser Abzüge - wovon auch die Beklagte im Schriftsatz vom 3.7.2019 ausgeht - das konkludente Vorbringen, dass diese Abzüge noch nicht anderweitig geltend gemacht worden sei. Dem ist die Klägerin erst im nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 3.7.2019 entgegengetreten. Dieses Vorbringen ist aus den oben unter b.bb. genannten Gründen nicht zu berücksichtigen und es besteht aus den genannten Gründen kein Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
d. Somit verbleibt ein ersatzfähiger Schaden von (11.767,57 ./. 2.131,20 € =) 9.636,37 €.
Unstreitig hat die Beklagte hierauf am 27.2.2014 5.883,79 € und am 25.1.2016 weitere 454 € bezahlt. Der Anspruch der Klägerin beträgt daher 3.298,58 €.
4.
a. Ersatzfähig sind auch vorgerichtliche Anwaltskosten, allerdings nur in Höhe einer 0,65-Gebühr und aus einem Geschäftswert von bis zu 4.000 €, da die Beklagte bei Tätigwerden des Klägervertreters (Anlage K7, Bl. 45) bereits die unter oben 3.c. genannten Zahlungen geleistet hatte.
Die Klägerin hat keine Umstände schlüssig dargelegt, aus denen sich eine erhöhte Bedeutung oder Schwierigkeit ergeben würde, die eine über die Mittelgebühr von 1,3 hinaus gehende Gebühr rechtfertigen würden: Das Vorbringen hierzu beschränkt sich darauf, dass "angesichts der notwendigen umfangreichen Prüfung der Sach- und Rechtslage und der diesseitigen Spezialisierung ein Satz von 2,0" (S. 6 der Klagschrift, Bl. 6) anzusetzen sei. Zwar steht dem Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren (wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG VV) ein Ermessensspielraum zu. "Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3 auf eine 1,5-fache Gebühr unterliegt aber - auch innerhalb der Toleranzgrenze von 20% - der gerichtlichen Überprüfung daraufhin, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 vorliegen, ob es sich also um eine überdurchschnittlich umfangreiche oder schwierige Sache handelt" (BGH NJW-RR 2013, 1020 Rn. 7). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der Klägervertreter im Wesentlichen die bereits von der Klägerin durchgeführten Berechnungen (Anlagen K1, K2) und angeführten rechtlichen Argumente (Anlagen K3, K4) wiederholte.
Dass der Klägervertreter für die vorgerichtlichen Anwaltskosten noch keine Rechnung gestellt hat, steht der Ersatzfähigkeit nicht entgegen, da die Vorschrift des § 10 Abs. 1 S. 1 RVG lediglich die Frage betrifft, "wann eine entstandene und nach § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit Erledigung des Auftrags oder Beendigung der Angelegenheit fällige Gebühr von dem Mandanten einforderbar ist [...]. Hiervon zu unterscheiden ist der im Streitfall geltend gemachte materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch. Der Gegner kann hier nicht einwenden, dass er nicht zur Zahlung verpflichtet sei, weil ihm keine Berechnung vorgelegt worden sei, die den Anforderungen der § 10 RVG, § 14 UStG entspreche (BGH NJW 2011, 2059 Rn. 18; ebenso OLG München NJOZ 2014, 1234).
Nachdem die Klägerin die vorgerichtlichen Anwaltskosten unter Berücksichtigung der hälftigen Anrechnung geltend macht, steht ihr eine 0,65-Gebühr aus bis zu 4.000 € zzgl. Auslagenpauschale zu, was ohne MwSt. 183,60 € ergibt.
Mangels Vortrags der Klägerin zur Bezahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten bestand zwar zunächst lediglich ein Freistellungsanspruch. Ein solcher geht jedoch in einen Zahlungsanspruch über, wenn entweder der Gläubiger die Forderung seines Rechtsanwalts begleicht oder der Schuldner eine zur Freistellung gesetzte Frist verstreichen lässt, § 250 S. 2 BGB. Letzteres gilt auch, wenn der Schuldner die Freistellung ernsthaft und endgültig verweigert (BGH NJW 2012, 1573 Rn. 25). Die Weigerung des Schuldners, die Hauptforderung zu erfüllen, erstreckt sich zugleich auf den Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten (OLG Hamburg, Urt. v. 3.2.2010 -, 4 U 17/09, BeckRS 2010, 142445 Rn. 48).
b. Die Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 286, 288 BGB.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr., 11, 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.
HINWEIS: Die Entscheidung ist infolge Berufungsrücknahme rechtskräftig, das OLG Stuttgart hatte zuvor mit Beschluss vom 1.10.2019 sowie Verfügung vom 13.11.2019, jeweils Az. 7 U 388/19, veröffentlicht bei juris, die Auffassung des Landgerichts bestätigt!
Link zu juris zur LG-Entscheidung: https://www.juris.de/perma?d=JURE200000981
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Übergehung erheblicher Beweisanträge - Prelinger, jurisPR-VersicherungsR 1/2020, Anm. 1 (Anmerkung zu BGH, Urteil vom 28.05.2019 - VI ZR 328/18)
Autor
Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum
16. Januar 2020
Anmerkung zu
BGH, Urteil vom 28. Mai 2019, Aktenzeichen VI ZR 328/18
Quelle
Fundstelle
jurisPraxisReport-Versicherungsrecht 1/2020, Anm. 1
Herausgeber
Prof. Dr. Peter Schimikowski, Fachhochschule Köln
Zitiervorschlag
Prelinger, jurisPR-VersR 1/2020, Anm. 1
Zum Fristablauf gemäß § 111 S. 2 SGB X bei der Auszahlung von Verletztengeld - Sozialgericht Würzburg, Urteil vom 25.09.2019 - S 13 U 5019/18
Tenor
- Die Beklagte wird verpflichtet, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 60.633,23 Euro zu erstatten; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Beklagte trägt 4/10 der Kosten des Verfahrens, die Klägerin 6/10.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung in Höhe von 135.415,62 Euro streitig.
Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung des bei der Beklagten gesetzlich unfallversicherten … . Der Versicherte erlitt am 14.09.2013 einen Unfall. Den von der Klägerin übersandten Unfallfragebogen füllte der Versicherte u. a. wie folgt aus: "Besteigen eines Flachdaches (Eternit) auf dem ehemaligen Bauernhof (ich bin Eigentümer). Danach durch Unachtsamkeit auf einer nicht tragenden Platte durchgerutscht und ca. 4 Meter nach unten gestürzt ….".
Mit Schreiben vom 21.06.2017 teilte die Beklagte der Klägerin gegenüber mit, dass der o. g. Unfall vom Versicherten der Beklagten gegenüber am 26.05.2015 als landwirtschaftlicher Arbeitsunfall gemeldet worden sei; in der Folgezeit sei die Beklagte sowohl vom Sozialgericht Würzburg als auch mit Entscheidung des BayLSG vom 09.02.2017 zur Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall verpflichtet worden. Weiterhin bat die Beklagte in diesem Schreiben um Mitteilung, ob und gegebenenfalls welche und in welchem Zeitraum Leistungen durch die Klägerin an der Versicherten gewährt worden seien.
Mit Schreiben vom 22.06.2017 meldete daraufhin die Klägerin bei der Beklagten Ansprüche an und teilte mit, dass man eine Erstattung des geleisteten Krankengeldes verlange und um Mitteilung bitte, ob man für die Zeiträume der Krankengeldzahlung noch Verletztengeld nachzahlen solle. Die Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom 04.07.2017 der Klägerin gegenüber mit, dass diese an den Versicherten Verletztengeld nachzahlen solle, was entsprechend auch so geschah.
Mit Schreiben vom 03.08.2017 wurde von der Klägerin Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 60.633,23 Euro an Verletztengeldzahlung geltend gemacht. Mit Schreiben vom 10.08.2017 lehnte die Beklagte die Erstattung unter Hinweis auf § 111 SGB X ab. Daraufhin machte die Klägerin mit Schreiben vom 04.09.2017 weitere Erstattungsansprüche in Höhe von 88.959,32 Euro geltend. Insgesamt erstattete die Beklagte lediglich 14.176,93 Euro.
Nach einem weiteren Schriftwechsel zwischen den Beteiligten erhob die Klägerin unter dem 10.10.2018 Klage zum Sozialgericht Würzburg.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Erstattung von 135.415,62 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf den Inhalt der Beklagtenakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist lediglich im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen war die Klage abzuweisen, da die Klägerin nur einen Anspruch auf Erstattung in Höhe von 60.633,23 Euro gegenüber der Beklagten hat.
Nach Auffassung des Gerichts hat die Klägerin grundsätzlich einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte gemäß § 105 SGG in Höhe des streitgegenständlichen Betrages.
Soweit die Beklagte sich darüber hinaus in Höhe eines Betrages von 60.633,23 Euro auf den Ausschlusstatbestand des § 111 SGB X beruft ist auszuführen, dass bezüglich dieses Betrages, welches dem Betrag des an den Versicherten gezahlten Verletztengeldes entspricht, der Ausschluss nicht greift. Hintergrund ist, dass die Beklagte bezüglich der Entscheidung, ob Verletztengeld an den Versicherten zu zahlen ist, am 04.07.2017 eine eigenständige Entscheidung diesbezüglich getroffen hat. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs im Juni 2017 war die Jahresfrist des § 111 Satz 2 SGB X noch nicht abgelaufen. Darüber hinaus ist mit dem LSG Baden- Württemberg vom 22.01.2014, Aktenzeichen L 3 U 3510/13 davon auszugehen, dass die Gewährung von Verletztengeld ein Aliud gegenüber der Gewährung von Krankengeld darstellt, sodass nicht wie von der Beklagten vertreten, nur der Differenzbetrag zwischen Kranken- und Verletztengeld zu erstatten ist, sondern der vollständige Betrag des durch die Klägerin an den Versicherten ausgezahlten Verletztengeldes. Es entspricht einerseits den Tatsachen, wenn die Beklagte ausführt, dass Verletztengeld nur betragsmäßig ein höherer Zahlbetrag darstellt als das Krankengeld, gleichwohl haben andererseits beide Leistungen ihren Ursprung in unterschiedlichen Gesetzen, so dass rechtlich von einem Aliud und nicht von einem Mehr an Leistungen auszugehen ist. Somit kann auch die Rechtsprechung des BSG vom 10.05.2005, Aktenzeichen B 1 KR 20/04, bezüglich der vollen Höhe des Verletztengeldes nicht greifen.
Anders hingegen ist zu urteilen bezüglich des darüberhinausgehenden, von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsbetrages. Diesbezüglich handelt es sich um Behandlungskosten, Krankenhauskosten etc.. Diesbezüglich wurde durch die Klägerin dem Versicherten eine Sachleistung gewährt, bezüglich derer die Beklagte keine erneute Entscheidung treffen konnte, so dass mit dem BSG vom 10.05.2005, Aktenzeichen B 1 KR 20/04, davon auszugehen ist, dass die Zwölfmonatsfrist des § 111 SGB X bereits nach Ablauf des letzten Tages begann, für den die Leistungen (durch die Klägerin) erbracht wurden. Hintergrund ist, dass - wie gerade ausgeführt - ein späterer Beginn des Laufs der Frist ausscheidet, wenn der Erstattungsverpflichtete eine Entscheidung über Leistungen, die der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf, da es sich insbesondere um Sachleistungen gehandelt hat.
Etwas anderes ergibt sich bezüglich diesen Betrages auch nicht aus den Grundsätzen des Treu und Glaubens bzw. anderer vom Klägerbevollmächtigten angeführten Gründe; Hintergrund ist, dass nach Auffassung des Gerichts zum einen die Beklagte nicht zur Information gegenüber der Klägerin gesetzlich verpflichtet ist. Darüber hinaus geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin selbst aufgrund des Unfallbogens, den sie vom Versicherten erhoben hat, zumindest veranlasst gewesen wäre, nachzufragen bzw. zu ermitteln, ob es sich diesbezüglich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII handelt. Hintergrund ist, dass im Fragebogen durch den Versicherten angegeben wurde, dass sich der Unfall im Bereich eines ehemaligen Bauernhofs ereignet hat und der Klägerin hätte bekannt sein können und müssen, dass eine Vielzahl an landwirtschaftlichen Kleinstbetrieben schon ab einer Fläche von mehr als 0,25 Hektar als versicherungspflichtiger Betrieb im Sinne des SGB VIII anzusehen ist. Nachdem sie diese sich aufdrängende Nachfrage unterlassen hat, kann sich die Klägerin auch nicht mehr darauf berufen, im Folgenden vermeintlich durch die Beklagte nicht über den Unfall informiert worden zu sein mit dem Ergebnis, dass die Frist des § 111 SGB X verstrichen ist. Dies wäre nämlich nicht der Fall gewesen, wenn die Klägerin von vornherein sich entsprechend aufdrängende Ermittlungen durchgeführt hätte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG i.V.m. §§ 164 ff. VwGO. Nachdem die Klägerin nur zu einem kleineren Teil als der Hälfte des geltend gemachten Betrages obsiegt, erscheint es angezeigt, sie zur Kostentragung von 6/10 der Kosten des Verfahrens zu verpflichten und die Beklagte zu 4/10.
Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE200000981
Zum Zweifelsfall bei Teilungsabkommen - LG München II, Urteil vom 25.09.2019 - 11 O 2462/18
Tenor
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.265,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 05.05.2017 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens bis zu einem Höchstbetrag von 25.000,- € mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund des Schadensfalles vom 08.01.2016 … aufgrund der Verletzung des Herrn … entstanden sind und noch entstehen werden.
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 526,58 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 13.750 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht mit der Klage u. a. nach § 116 SGB X auf sie übergegangene und durch ein zwischen den Parteien bestehendes Teilungsabkommen (TA) modifizierte Ansprüche der bei ihr gesetzlich krankenversicherten geschädigten Person … aus dem nachfolgend dargestellten Vorfall geltend.
Das streitgegenständliche Geschehen ereignete sich am 08.01.2016 … im Landkreis Fürstenfeldbruck. Bei der Beklagten handelt es sich um die Kfz-Haftpflichtversicherung des betroffenen Fahrzeugs des Unfallgeschädigten … . Der Versicherungsnehmer der Beklagten … fuhr am 08.01.2016 in Richtung Olching, obwohl er in Folge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Auf Höhe der Abzweigung B471 kam er nach links auf die Abbiegespur des Gegenverkehrs und fuhr fast frontal in den dort stehenden Pkw … des Geschädigten … . Durch den Aufprall wurde dessen Fahrzeug gedreht und auf das hinter ihm stehende Fahrzeug geschoben. Der Geschädigte verspürte bereits am nächsten Tag Schmerzen im Rücken und am Knie und begab sich in ärztliche Behandlung.
Durch den Vorfall erlitt der Geschädigte eine Vielzahl von Verletzungen. Im Arztbericht des Herrn Dr. … vom 09.01.2016 wurden folgende Verletzungen festgehalten: „HWS-Distorsion, Prellung der LWS, Prellung des linken Handgelenks sowie eine Prellung des rechten Knies.“
Der Geschädigte war in der Folgezeit arbeitsunfähig geschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit begründeten ICD-Diagnosen waren u. a. M 23.33RG, M 23.33.RZ (Anlage K4). Bei der ICD-Diagnose M 23.33 handelt es sich um die Diagnose: sonstige Meniskusschädigung rechts.
Am 26.02.2016 wurde die Klägerin darüber informiert, dass sich der Geschädigte in der Kernspintomographie begeben hatte und dort ein Riss im Innenmeniskus diagnostiziert wurde. Das MRT wurde am 25.02.2016 durchgeführt. Es wurde ein "nicht frisch imponierender Meniskusriss" festgestellt (Anlage K 6).
Zwischen den Parteien besteht ein Rahmenteilungsabkommen (Anlage K 8). Die Haftung der Beklagten ist auf einen Höchstbetrag von 25.000 € mit einer Quote von 55 % begrenzt.
Dort ist u. a. unter § 1 (1) folgendes geregelt:
„Kann eine diesem Abkommen beigetretene Krankenkasse "K" gegen eine natürliche oder juristische Person, die bei der "H" haftpflichtversichert ist, gemäß § 116 SGB X Ersatzansprüche aus Schadenfällen ihrer Versicherten oder deren mitversicherten Familienangehörigen, Geschädigten) geltend machen, so verzichtet die "H" auf die Prüfung der Haftungsfragen.“
§ 3 enthält folgende Regelung:
„Die "K" hat auf Verlangen der " H " im Zweifelsfall die Ursächlichkeit des fraglichen Schadensfalles für den der Kostenanforderung zugrunde liegenden Krankheitsfall nachzuweisen.“
Mit Schreiben vom 20.04.2017 wurden die bis dahin angefallenen Heilbehandlungskosten abgerechnet. Sie ergaben einen Betrag von 8.091.49 € (Anlage K 7). Nach der Quote von 55 % aus dem Teilungsankommen werden daher 4.450,32 € geltend gemacht. Mit Schreiben vom 28.04.2017 - zugegangen am 04.05.2017 - verweigerte die Beklagte die Zahlung (Anlage K 4).
Die Klagepartei ist der Auffassung, § 1 Abs. 1 TA umfasse bereits den Verzicht der Prüfung auf die immateriell-rechtlichen Haftungsfragen, den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung, somit auch die weiteren objektiven Tatbestandsmerkmale des materiell-rechtlichen Anspruchs und erst recht des Verschuldens. Der Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage beziehe sich zudem auch auf die haftungsausfüllende Kausalität. Ob Vorerkrankungen oder Reserveursachen bestünden, sei unerheblich. Der im TA verwendete Begriff "Schadensfair sei nicht mit dem Begriff "Verletzung" identisch. Auf Grund der fortlaufenden Schmerzen des Patienten bestünden aus objektiver Sicht keine Zweifel an der Ursächlichkeit. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, bei fortlaufender Schadensentwicklung sei ein Kläger nicht gehalten eine Leistung in eine Leistungs- oder Feststellungsklage aufzuspalten. Dies sei allerdings auf den Höchstbetrag aus dem TA begrenzt. Vorgerichtliche Anwaltskosten werden in Höhe von einer gekürzten 1,5 Rechtsanwaltsgebühr geltend gemacht.
Die Klagepartei beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.265,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 05.05.2017 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden innerhalb des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens bis zu einem Höchstbetrag von 25.000,- € mit einer Quote von 55 % zu ersetzen, die der Klägerin aufgrund des Schadensfalles vom 08.01.2016 … im Landkreis Fürstenfeldbruck Richtung Olching aufgrund der Verletzung des Herrn … entstanden sind und noch entstehen werden.
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 526,58 € vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 02.08.2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt: Klageabweisung
Beklagtenpartei ist der Auffassung, es liege ein Zweifelsfall im Sinne von § 3 TA vor. Typische Begleiterscheinung einer akuten Meniskusverletzung sei nach dem Unfallereignis nicht vorhanden gewesen. Der Meniskusriss sei am 25.02.2016 als nicht frisch imponierend klassifiziert worden. Streitig sei die Frage, ob die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen für einen Meniskusschaden.
Das Gericht hat am 26.06.2019 mündlich verhandelt. Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus der Höhe des Zuständigkeitsstreitwerts. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem Ort des ursprünglichen Unfallgeschehens, jedenfalls aber aus der rügelosen Einlassung der Beklagten.
Auch der Feststellungsantrag ist zulässig. Es ist plausibel, dass aufgrund der streitgegenständlichen Verletzungen noch weitere Kosten entstehen können, die ebenfalls unter die streitgegenständliche Erstattungspflicht fallen.
II.
Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte Forderungen in der geltend gemachten Höhe zu. Auch der Feststellungsantrag ist begründet.
Die Klagepartei hat Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund des zugrundeliegenden Teilungsabkommens.
Die Bedingungen des Teilungsabkommens sind unstreitig, ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem Schadensfall und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs i.S.d. § 1 (2) TA liegt ebenfalls unstreitig vor.
Der Begriff des "Schadenfall" ist im Teilungsabkommen im Zusammenhang mit dem versicherten Wagnis zu verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.1967, II ZR 138/64, Urteil vom 06.07.1977 - VI ZR 147/76).
Gemäß § 1 (1) TA hat die Beklagte auf die Prüfung der Haftungsfrage verzichtet.
Danach ist nicht Voraussetzung für den "Schadenfall" i.S.d. § 1 (1) TA, dass die Krankenkasse unter den zu beweisenden rechtlichen Voraussetzungen des § 116 SGB X aufgrund ihrer Aufwendungen für den Geschädigten Ausgleich verlangen kann und demzufolge jedenfalls eine durch den Unfall verursachte Körperverletzung nachzuweisen hat. Vielmehr reicht aus, dass nach einem Unfall durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs, sei es auch aufgrund einer fehlerhaften Diagnose, eine Verletzung (Abänderung des Gerichts, Originaltest: ein Schleudertrauma) festgestellt wurde und die Krankenkasse dafür Kosten aufgewendet hat.(vgl. BGH Entscheidung vom 12.06.2007 - VI ZR 110/06 Rdnr. 12).
Die Bestimmung im Teilungsabkommen, wonach eine Erstattung "ohne Prüfung der Haftungsfrage erfolgt" bezieht sich sowohl auf die haftungsbegründende als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität (vgl. OLG Koblenz, Entscheidung vom 21.08.2017 - 12 U 1102/16).
Bei den streitgegenständlichen Verletzungen, insbesondere aber auch dem Knieschaden handelt es sich um eine solche Verletzung.
Die Regelungen des § 1 (1) und (2) TA werden ergänzt durch die Klausel in § 3 TA. Nach dieser kann der Haftpflichtversicherer von der Krankenkasse im Zweifelsfall den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen Schadenfall und dem der Kostenanforderung zugrundeliegenden Krankheitsfall verlangen.
Nach ihrem Wortlaut schränkt § 3 TA den unbedingten Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage in § 1 (1) TA ein. Damit stellen die Regelungen ein geschlossenes System dar (vgl. BGH aaO).
In Zweifelsfällen kann die Beklagte den Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schadensfall und den Aufwendungen für den konkreten Krankheitsfall von der Klägerin verlangen.
Zu sehen ist, dass § 3 TA eine Ausnahmeregelung von dem Grundsatz des § 1 (1) darstellt.
Die Beklagte hat daher darzulegen und zu beweisen, dass es sich um einen Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA handelt (so auch BGH aaO).
Im konkreten Fall begründet die Beklagte ihre Zweifel an der Frage, ob die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen für einen Meniskusschaden dem Unfallereignis vom 08.01.2016 zuzurechnen sind damit, dass beim Geschädigten nach dem Unfall eine Knieprellung diagnostiziert wurde, diese aber nicht zu einem Meniskusschaden führen könne, wie es Gegenstand der Behandlung gewesen sei. Typische Begleiterscheinungen einer akuten Meniskusverletzung seien nach dem Unfallereignis nicht vorhanden gewesen. Eine leichte Knieprellung sei als solche nicht geeignet den Meniskus zu verletzen. Damit seien der Meniskusriss und die hiermit verbundenen Behandlungskosten, die Gegenstand der Klage seien, unfallfremd.
Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Ein Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA liegt nicht vor.
Der Geschädigte hat nach unstreitigem Vortrag der Klagepartei sich u.a. am Tag nach dem Unfall u.a. wegen Knieschmerzen in ärztliche Behandlung begeben. Das wird u.a. auch durch das ärztliche Attest (Anlage K 3) bestätigt, wenngleich nur eine "Knieprellung" diagnostiziert wurde und eine Röntgenaufnahme keinen Befund ergab.
Der Geschädigte unterzog sich (unstreitig) aufgrund andauernder Knieschmerzen am 25.02.2016 einem MRT, bei dem ein Riss des Innenminiskus im schmerzhaften Knie festgestellt wurde. Des liegt auch der anschließenden AU vom 09.03.2016 (Anlagenkonvolut K4) zugrunde.
Ein Nachweis zwischen Schadensfall und Krankheitsfall ist - von der Beklagten - nur dann zu erbringen, wenn auch der Sicht eines verständigen Dritten sachliche und stichhaltige Gründe für ein solches Verlangen vorgebracht werden (vgl. OLG Zweibrücken Entscheidung vom 25.08.2010 -1 U 31/10). Für eine solche einschränkende Auslegung des § 3 TA spricht der Grundgedanke des Teilungsabkommens, insbesondere der Regelungen § 1 (1) und (2) wonach insbesondere angesichts der Vorprüfung i.R.d. § 116 SGB X eine weitere singuläre Prüfung nicht stattfinden soll. Auch § 1 (3) TA, wonach die Leistungspflicht der Beklagten in den Fällen entfällt, in denen schon aufgrund des unstreitigen Sachverhalts unzweifelhaft und offensichtlich ist, dass eine Schadensersatzpflicht des Haftpflichtversicherers nicht in Frage kommt, spricht für diese einschränkende Auslegung. Diese Beschränkung wäre überflüssig, wenn die Beklagte ohnedies gemäß § 3 TA nach Belieben einen diesbezüglichen Ursächlichkeitsnachweis von der Klägerin verlangen könnte (vgl. OLG Zweibrücken aaO).
Aus der Sicht eines verständigen Dritten ergeben sich aber im vorliegenden Fall aufgrund des festgestellten Sachverhalts keine Zweifel i.S.d. § 3 TA.
Der Geschädigte hat sich am Tag nach dem Unfall wegen Knieschmerzen im ärztliche Behandlung begeben. Die Schmerzen dauerten fort. Nur knapp 6 Wochen nach dem Unfall wurde im Rahmen eines MRT der Meniskusriss festgestellt.
Die Diagnose Knieprellung am Tag nach dem Unfall vermag keine Zweifel zu begründen auch unter Berücksichtigung des Röntgenbefundes. Es ist - aus eigener Erfahrung - gerichtsbekannt, dass ein Röntgenbefund bzgl. eines Meniskusschadens keine zuverlässige Diagnose ermöglicht. Es gibt auch keinen zeitlichen Bruch, der begründeten Anlass dazu gäbe, ein schadensauslösen- des weiteres Ereignis zu vermuten. Die Schmerzen des Patienten dauerten an. Der zeitliche Abstand zum MRT ist relativ gering. Das der Meniskusschaden als nicht "frisch imponierend." eingeordnet wurde, lässt ebenfalls keinen objektiven Rückschluss auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses zu, da jedenfalls ca. 6 Wochen vergangen waren.
Die Frage, ob ein Zweifelsfall i.S.d. § 3 TA vorliegt ist auch nicht durch die Erholung eines Sachverständigengutachtens zu überprüfen. Nach der o.g. engen Auslegung ist nicht auf einen objektiven Beobachter unter Heranziehung eines Sachverständigen abzustellen.
Dies würde die Regelung geradezu konterkarieren. Wären an die Frage, ob ein Zweifelsfall vorliegt die Maßstäbe eines Sachverständigen anzulegen, so liefe die Regelung faktisch leer, da die Frage nach dem Zweifelsfall dann im Ergebnis identisch wäre mit der Prüfung der haftungsaus- füllenden Kausalität, die, wie bereits ausgeführt, gerade nicht nachgewiesen werden muss.
Aus diesem Grunde sind die geltend gemachten Ansprüche gegeben. Der Höhe nach wurden keine Einwände erhoben.
Auch dem Feststellungsantrag war daher zu entsprechen, er wurde der Höhe nach auch nur nach dem Umfang der Haftung im Rahmen des TA geltend gemacht.
III.
Die Klage ist auch in den Nebenforderungen begründet.
Mit Schreiben vom 20.04.2017 wurden die bis dahin angefallenen Heilbehandlungskosten abgerechnet. Sie ergaben einen Betrag von 8.091.49 € (Anlage K 7). Nach der Quote von 55 % aus dem Teilungsankommen werden daher 4.450,32 € geltend gemacht. Zahlungsfrist wurde bis zum 18.05.2017 gesetzt. Mit Schreiben vom 28.04.2017 - zugegangen am 04.05.2017 - verweigerte die Beklagte die Zahlung (Anlage K 4). Die Beklagte befand sich damit ab 05.05.2017 in Verzug, so dass ab diesem Zeitraum Verzugszinsen zu bezahlen sind, § 286 II Nr. 3 BGB.
Der Rechtsanwalt war nach Verzugseintritt vorgerichtlich tätig. Aufgrund der Zahlungsverweigerung hat sich der Freistellungsanspruch in einen Leistungsanspruch umgewandelt, auf die Frage der tatsächlichen Zahlung kommt es daher nicht an.
Der Anspruch erscheint auch in Höhe einer 1,5 Gebühr gerechtfertigt.
Auch insoweit ist eine Zahlungsfrist der Klagepartei fristlos abgelaufen, so dass ab Zustellung der Klage Verzugszinsen zu erstatten sind.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
C.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S.1,2, ZPO.
D.
Bei der Streitwertfestsetzung war zu der in Höhe von € 4.265,10 bezifferten Forderung für den Feststellungsantrag 9.484,90 € zu addieren. Die maximale Haftung der Beklagten beträgt 55 % aus 25.000 €, mithin 13.750 €. Unter Berücksichtigung der bezifferten Forderung bleibt daher eine maximale weitere Forderung von 9.484,90 €. Ein Abschlag für die positive Feststellungsklage war nicht vorzunehmen, da zu erwarten ist, dass sich die Beklagte an ein gerichtliches Urteil hält und kein Vollstreckungsrisiko besteht.
Fundstelle bei der Bayerischen Staatskanzlei: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2019-N-34317?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1
Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190013034
Beweisführung durch Ausdrucke elektronisch übermittelter Abrechnungsdaten im Regress nach § 116 SGB X - Prelinger, jurisPR-Medizinrecht 12/2019, Anm. 3
Beweisführung durch Ausdrucke elektronisch übermittelter Abrechnungsdaten im Regress nach § 116 SGB X
Orientierungssatz
Bei Regressen nach § 116 SGB X kann die klagende Krankenkasse die Schadenshöhe durch Vorlage einer Auflistung der Schadenspositionen unter Beilage der ihr nach den §§ 284 Abs. 1 Nr. 11, 295, 300 ff. SGB V elektronisch übersandten Abrechnungsdaten der jeweiligen Leistungserbringer beweisen.
Autor
Wolfdietrich Prelinger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum
20.12.2019
Anmerkung zu
Quelle
Normen
Fundstelle
jurisPR-Medizinrecht 12/2019, Anm. 3
Herausgeber
Möller und Partner – Kanzlei für Medizinrecht
Zitiervorschlag
Prelinger, jurisPR-MedizinR 12/2019, Anm. 3
Beweisführung durch EDV-Ausdrucke im Regress nach § 116 SGB X / sekundäre Darlegungslast des Verkehrssicherungspflichtigen - LG Bremen, Urteil vom 10.07.2019 - 1 O 2112/16
Tenor
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.182,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.09.2015 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin 70 % der weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der … vom 06.02.2013 gegen 8.00 Uhr im Bereich der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen noch entstehen werden.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 30 % und die Beklagte 70 %.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- Der Streitwert wird auf 12.688,84 € festgelegt.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Schadensersatz nach einem behaupteten Sturz ihrer Versicherungsnehmerin auf einer von der Beklagten nicht gestreuten Straße.
Am 06.02.2013 herrschten auf der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen winterliche Verhältnisse. Dieser Bereich wurde durch die für den Gehweg verkehrssicherungspflichtige Beklagte erst gegen 14:45 Uhr gestreut.
Die Klägerin behauptet, ihre Versicherungsnehmerin, die Zeugin … sei gegen 8:30 Uhr auf dem stark vereisten Fußweg ausgerutscht und auf die linke Hand gefallen. Es habe auf der ganzen Gehwegfläche Glatteis geherrscht. Die Zeugin habe eine distale Radiusfraktur erlitten, infolge derer eine Plattenosteosynthese erfolgt sei. Für die aufgrund des Vorfalls erbrachten Leistungen der Klägerin wird auf ein Anlagenkonvolut verwiesen. Danach seien Leistungen erbracht worden für drei stationäre Krankenhausbehandlungen, den Einsatz eines Rettungswagens, acht Verordnungen von Physiotherapie, Krankengeldzahlungen und Trägerbeiträge zur Renten-/Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, zudem seien Krankenversicherungsbeiträge entgangen. Die Klägerin ist der Ansicht, es läge ein Organisationsverschulden der Beklagten vor, da der Unfallbereich - was unstreitig ist - über 5 Stunden nicht gesichert gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.688,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 10.09.2015 zu zahlen;
- festzustellen, dass die Beklagte darüber hinaus verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung der … vom 06.02.2013, gegen 8.00 Uhr im Bereich der Bremerhavener Heerstraße in Höhe des Goldbergplatzes in Bremen entstanden sind und noch entstehen werden;
- die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 490,99 € vorgerichtlicher Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass bei normalem Verlauf der Dinge eine Streuung der Unfallstelle gegen 7:00 Uhr erfolgt wäre. Lediglich aufgrund eines nicht vorhersehbaren Maschinenausfalls hätte die Unfallstelle nicht gestreut werden können. Um 6:30 Uhr sei der Frontbesen des Streufahrzeugs gebrochen, woraufhin die Tour hätte abgebrochen werden müssen. Unter Berücksichtigung der erforderlichen weiteren Maßnahmen (Personalrekrutierung und Verbringung zum Einsatzort) dürfe auch ausgeschlossen werden, dass um 8:30 Uhr die Unfallstelle hätte gereinigt werden können. An dem Unfalltag seien alle Streufahrzeuge im Einsatz gewesen und es könne ihr auch nicht abverlangt werden, den Streudienst so zu organisieren, dass jederzeit unverzüglich ein Ersatzfahrzeug mit Ersatzpersonal zur Verfügung gestellt werden könne. Auf dem betroffenen Fußweg finde lediglich unbedeutender Fußverkehr statt. Der Zeugin … sei zudem ein Mitverschulden vorzuwerfen, denn sie hätte bei erkannter Glätte auch auf dem Grünstreifen oder dem gegenüberliegenden Fußweg gehen können. Der Schaden werde vorsorglich bestritten, es fehle aber bereits an einer auch nur im Ansatz substantiierten Schadensdarlegung, die einer Erwiderung zugänglich wäre.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.06.2019 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im Wesentlichen zulässig und zum Teil begründet.
Es besteht ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) bezogen auf zukünftige Schäden, denn der Eintritt weiterer Schäden ist möglich. Die Zeugin … gab an, dass sie noch immer bei Belastung teilweise Schmerzen habe und ganz selten auch ein Anschwellen feststelle. Hinsichtlich bereits entstandener Schäden ist jedoch nicht ersichtlich, um welche Schäden es sich handeln soll und warum diese nicht beziffert werden können, da hier auch ein Leistungsantrag gestellt wurde. Für diesen Teil des Feststellungantrags besteht daher kein Feststellunginteresse.
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 BGB, Art. 34 GG i.V.m. §116 SGB X zu.
Die Beklagte hat eine ihr obliegende Amtspflicht (Streupflicht) schuldhaft verletzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Versicherte der Klägerin auf einem verkehrssicherungspflichtwidrig nicht gestreuten Gehweg gestürzt ist.
1. Die Beklagte war streupflichtig.
Für den Gehweg, auf dem sich der Unfall ereignete, obliegt der Beklagten unstreitig die Verkehrssicherungspflicht. Zwar besteht nicht auf ausnahmslos allen Gehwegen innerhalb der geschlossenen Ortschaft eine Verpflichtung zur Abstumpfung. Denn es dürfte unmöglich sein, sie etwa in ihrer Gesamtheit bei Winterwetter völlig gefahrlos zu halten. Eine Streupflicht besteht aber im Rahmen des Notwendigen und des Zumutbaren. Sie besteht auf jeden Fall auf für den Fußgängerverkehr wichtigen Wegen. Es ist entscheidend darauf abzustellen, ob der Fußgänger bei vernünftigen Sicherheitserwartungen mit der Räumung des Gehweges rechnen darf. Von der Streupflicht auszunehmen sind daher tatsächlich entbehrliche Wege, für die ein echtes, jederzeit zu befriedigendes Verkehrsbedürfnis nicht besteht, so z.B. bei Gehwegen, die durch Park- oder Grünanlagen führen oder in reinen Industriegebieten (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 09. März 2005, 4 U 646/04, juris, m.w.N.). Nach dem sich aus den Vorträgen der Parteien und den Zeugenaussagen ergebenen Gesamteindruck erachtet das Gericht die Unfallstelle als einen für den Fußgängerverkehr wichtigen Weg. Denn schon nach dem Vortrag der Beklagten war der betreffende Platz in einen Winterdienstplan integriert. So trägt die Beklagte selbst vor, dass der Unfallort am Vortrag sogar dreimal geräumt und zweimal gestreut worden sei. Auch befanden sich nach dem Vortrag der Beklagten mehrere Geschäfte in dem Unfallbereich. Die Zeugin … führte aus, dass sie von einem Rewe-Markt auf dem Weg zu einer Volksbank-Filiale gewesen sei. Auch eine Tankstelle sei auf diesem Weg belegen. Demnach handelt es sich mitnichten um lediglich unbedeutenden Fußverkehr, bzw. einen tatsächlich entbehrlichen Weg.
Zwar besteht eine Streupflicht nicht bei jeglichen Witterungsverhältnissen; Grundvoraussetzung für das Einsetzen der Räum- und Streupflicht ist vielmehr das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 14.02.2017, VI ZR 254/16, juris, m.w.N.). Nach der Aussage der Zeugin … ist jedoch eine allgemeine Glätte festzustellen. Die Zeugin führt glaubhaft aus, dass der Weg vereist und überall glatt gewesen sei.
2. Die Beklagte hat ihre Streupflicht schuldhaft verletzt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagte fahrlässig ihrer Streupflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Eine zeitnahe Streuung des Unfallbereichs wäre möglich gewesen.
Die Klägerin kann keinen Einblick in die Organisationsstruktur des Winterdienstes der Beklagten haben. Es obliegt dieser im Rahmen einer sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzustellen, warum ein Streuen der Unfallstelle zu der Zeit des Sturzes (zwei Stunden nach Bruch des Frontbesens) nicht möglich gewesen wäre. Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.
Zwar stellt sich das Gericht der Einschätzung der Beklagten, dass ein Maschinenausfall nicht stets konkret vorhersehbar sei und ein solcher auch zu zeitlichen Verzögerungen führen könne, auf die die Streupflichtige nicht mit einem sofortigen Ersatz reagieren könne und müsse, nicht generell entgegen. Ein Vorhalten von Ersatzfahrzeugen wird von der Beklagten nicht für jeden Fall verlangt werden können. Auch muss wohl nicht mit umfangreichen Defekten, z.B. im Sinne eines Motorschadens gerechnet werden. Jedoch handelt es sich in dem hier vorliegenden Fall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mitnichten um einen umfangreichen Defekt, der eine Verzögerung von mehreren Stunden (gestreut wurde die Unfallstelle erst gegen 14:45 Uhr) rechtfertigen könnte Denn der Zeuge …, der Fahrer des Streufahrzeuges, führte insoweit aus, dass es sich bei dem Bruch eines Frontbesens um eine nicht unübliche Begebenheit handle. Auch daher sei ihm das Geschehen nicht mehr im Gedächtnis. Weiter führte er aus, dass der Besen mit einer einfachen Dreipunktaufhängung befestigt und daher einfach ausgetauscht werden könne, sofern ein Ersatzbesen vorhanden sei.
Da es sich nach Aussage des Zeugen … bei dem Bruch eines Frontbesens um ein nicht unübliches Geschehen handele, sind jedenfalls entsprechende Ersatzbesen vorzuhalten. Die Beklagte hat zwar ausgeführt, dass sie es für ausgeschlossen halte, dass um 8:30 Uhr die Unfallstelle selbst dann hätte gereinigt werden können, wenn ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung gestanden hätte, da auch eine Personalrekrutierung erforderlich gewesen wäre. Angesichts der glaubhaften und nachvollziehbaren Aussage des Zeugen … teilt das Gericht diese Auffassung jedoch nicht. Der Zeuge führte aus, dass er für den Zeitraum, in dem er eingesetzt war, zur Verfügung gestanden habe; dass er wenn ihm gesagt werde, dass er anderweitig Weiterarbeiten solle, dies auch mache. Vorliegend war es auch mitnichten so, dass ein Ersatzfahrzeug aufgetrieben werden musste. Denn eine kurzfristige Reparatur ist nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen in einem solchen Fall möglich gewesen. Warum dies nicht innerhalb von zwei Stunden möglich gewesen wäre, wird nicht nachvollziehbar dargelegt. Zwar war sich der Zeuge … bezüglich der Öffnungszeiten der Werkstatt unsicher und schätzte diese auf 7:00/7:15 Uhr, der Zeuge …, der Einsatzleiter, gab insoweit jedoch an, dass die Werkstatt etwa um 6:00 Uhr öffne, sodass auch dies einer kurzfristigen Reparatur nicht im Wege gestanden haben dürfte.
3. Der Klägerin ist dadurch ein ersatzfähiger Schaden entstanden. Dieser ist nicht substantiiert bestritten.
Die Zeugin … ist nach der freien Überzeugung des Gerichts aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten auf dem Fußweg der Bremerhavener Heerstraße gestürzt und erlitt eine distale Radiusfraktur, welche u.a. stationär behandelt werden musste. Dadurch sind der Klägerin Kosten entstanden. Das erkennende Gericht hat schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass von der Auffassung der Vordezernentin abgewichen werde, wonach die Klageforderung zu unsubstantiiert sei. Zwar ist zutreffend, dass sich der Klagevortrag nur marginal zu dem tatsächlichen Geschehensablauf verhält. Jedoch ist die Klageforderung aufgrund der Aufstellung aus dem Schreiben vom 24.03.2015 (Anl. K1, Bl. 41 d.A.) hinreichend konkret dargelegt. Anhand dieser Aufschlüsselung der Einzelbeträge mit entsprechender Erklärung, hätte es der Beklagten möglich seien müssen, zu den Schadenspositionen vorzutragen und diese ggf. konkret zu bestreiten. Insbesondere sind auch die errechneten Betragspositionen, entgegen den Ausführungen der Beklagten, nachvollziehbar. Bezüglich der Krankengeldzahlungen ist in dem besagten Schreiben der betreffende Zeitraum angegeben, auch der Tagessatz wird genannt und mit den Tagen multipliziert. Auch die übrigen Positionen lassen sich anhand des (zugegebenermaßen ungeordneten) Anlagenkonvolutes nachvollziehen. So werden Heilmittelverordnungen für die Physiotherapie eingereicht oder das Einsatzprotokoll mit Gebührenbescheid für den Rettungswageneinsatz. Nach alledem wäre der Beklagten ein substantiiertes Bestreiten möglich gewesen, dies hat sie aber auch nach dem gerichtlichen Hinweis unterlassen.
4. Es ist jedoch ein Mitverschulden der Geschädigten zu berücksichtigen. Vorliegend ist eine Mitverschuldensquote von 30 % sachgerecht.
Zwar besteht kein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass bei Stürzen in Folge von Glätte stets ein Mitverschulden des Fußgängers anzusetzen wäre. Denn dies ist eine Frage des Einzelfalls, nämlich ob der geschädigten Person in dem konkreten Fall vorgeworfen werden kann, sie habe durch ein eigenes Verhalten den winterlichen Verhältnissen nicht genügend Rechnung getragen und damit selbst zur Schadensentstehung beigetragen.
Es kann der Zeugin … schwerlich angelastet werden, dass sie bei winterlichen Verhältnissen nicht davon Abstand nahm, sich zu Fuß zu bewegen. Auch kann die Zeugin nicht darauf verwiesen werden, auf dem angrenzenden Grünstreifen weiterzugehen. Es steht schon nicht fest, dass ein Begehen des Grünstreifens sicherer gewesen wäre. Gesicherte Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Es ist auch nicht offenkundig, dass eine Vereisung auf Grünflächen seltener auftreten würde. Auch führte die Zeugin … aus, dass ein kleiner Zaun am Rande des Grünstreifens gewesen sei. Insoweit ist es auch nachvollziehbar, dass die Zeugin diesen nicht überschreiten wollte. Dass auf der anderen Straßenseite ein gefahrloser Weg zur Verfügung gestanden hätte, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Die Zeugin … sagte vielmehr aus, dass Sie ein Stück weiter auf dem gegenüberliegenden Fußweg ebenfalls Eisglätte festgestellt habe, als sie zum Krankenwagen geführt worden sei. Die Zeugin hat diese Begebenheit glaubhaft geschildert. Dies war ihr noch gut im Gedächtnis, sie schilderte glaubhaft, dass sie Angst vor einem erneuten Sturz gehabt habe.
Ein besonderer Umstand, der es rechtfertigt in dem vorliegenden Fall ein Mitverschulden anzunehmen, liegt jedoch darin, dass die Zeugin … die Glätte erkannt hat. Sie hat sich damit sehenden Auges in die Gefahr begeben und damit das Risiko einer Selbstgefährdung in Kauf genommen. Ein Mitverschulden würde nur dann gänzlich entfallen, wenn eine Erkennbarkeit der Gefährlichkeit des Sturzbereiches nicht gegeben wäre (vgl. LG Itzehoe, Urteil vom 12.12.2012, Az. 2 O 195/12, juris, m.w.N.). Vorliegend gibt die Zeugin … an, dass ihr schon zuvor aufgefallen war, dass die Straßen glatt gewesen seien. Auch sei ihr auf dem von ihr begangenen Weg keinerlei Streugut aufgefallen. Ist aber zu erkennen, dass eine Gehwegfläche nicht geräumt oder gestreut ist, hat der Benutzer des Weges Anlass zu gesteigerter Aufmerksamkeit und Vorsicht. Kommt er zu Fall, so spricht dies in der Regel dafür, dass er die gebotene Vorsicht außer Acht gelassen hat und ihm ein Mitverschulden anzurechnen ist (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. August 2013, 3 W 20/13, juris, m.w.N.).
III.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat die Beklagte nach erfolgloser Zahlungsaufforderung mit Schreiben vom 08.09.2015 angemahnt.
IV.
Der Feststellungsantrag ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Wie bereits ausgeführt, muss sich die Klägerin ein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin von 30 % anrechnen lassen.
V.
Ein Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Anwaltskosten besteht nicht. Die Beklagte hat das vorgerichtliche Tätigwerden des jetzigen Klägervertreters mehrfach bestritten. Ein behauptetes Regulierungsschreiben vom 21.12.2016 wurde von der beweisbelasteten Klägerin jedoch nicht vorgelegt.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, 708 Nr. 11,711 ZPO.
Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190013034
Zum Urlaubsgeld im Arbeitgeberregress - AG Tübingen, Urteil vom 04.04.2019 - 9 C 876/17
Tenor
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.031,14 Euro nebst Zinsen hieraus im Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14. Oktober 2013 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagten darüber hinaus gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn ... aus dem Schadenereignis vom 30.6.2012 gegen 07.45 Uhr in Tübingen entstanden sind und noch entstehen werden.
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin 216,95 Euro vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.01.2018.
- Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.031,14 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht Ansprüche ihres Arbeitnehmers aus einem Unfallereignis geltend.
Der zu diesem Zeitpunkt bei der Klägerin beschäftigte Geschädigte ... fuhr am 30.06.2012 in Tübingen mit seinem Fahrrad und kollidierte bedingt durch einen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1), der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, mit dessen Pkw mit dem Kennzeichen .... Der Geschädigte erlitt bei dem Unfall eine Fraktur des LWK 1 und war infolgedessen für den Zeitraum 30.06.2012 bis 10.08.2012, sowie 11.08.2012 bis 01.10.2012 arbeitsunfähig. Die Haftungsquote von 100% zu Lasten der Beklagten ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von restlichen Schadensersatzes aus Entgeltfortzahlung. Die Klägerin forderte von den Beklagten insgesamt 14.319,57 Euro aus Entgeltfortzahlungsaufwendungen, wobei für die Einzelheiten auf die Berechnungen K1 (Bl. 16 ff. d.A. und 26 ff. d.A.) verwiesen wird. Die Beklagte zu 2 regulierte davon 12.377,64 Euro in mehreren Zahlungen. Offen blieb die Forderung der Klägerin für Urlaubsentgelt im Zeitraum vom 11.08.2012 bis 01.10.2012 in Höhe von 1.302,70 Euro, wobei die Klägerin diese bis zu dem geforderten Betrag von 1.031,14 Euro mit vorherigen Zahlungen der Beklagten zu 2) verrechnete. Die Klägerin forderte die Beklagten mit Schreiben vom 9.10.2012 und 26.09.2013 zur Zahlung auf, die Beklagte zu 2 erklärte mit Schreiben vom 14.10.2013, dass sie keine weitere Erstattung von Urlaubsentgelt vornehmen könne.
Die Klägerin begehrt zudem von den Beklagten die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden aus dem Unfall vom 30.06.2012. Mit Schreiben vom 30.08.2012 gab die Beklagte zu 2 gegenüber dem Geschädigten ... eine Haftungserklärung ab, dahingehend, dass der Schaden unter Annahme einer 100%-Haftung reguliert wird und bezahlte an diesen mit letzter Zahlung am 21.08.2013, insgesamt eine Summe von 4.086,63 Euro an Schmerzensgeld und Anwaltsgebühren.
Mit Schreiben vom 03.09.2015 erklärte die Zeugen ... für die Beklagte zu 2 gegenüber der Klägerin einen Verjährungsverzicht bis 30.06.2016 mit folgendem Wortlaut:
"Wir erklären uns im Rahmen des bei unserer Gesellschaft bestehenden Versicherungsvertrages und der dort vorgegebenen Deckungssumme bereits, bis zum 30.06.2016 auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich künftiger Ansprüche zu verzichten, sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist."
Eine entsprechende Erklärung gab die Zeugin ... für die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 31.05.2016 bis zum 30.06.2017 ab. Am 28.06.2017 wandte sich der Klägervertreter telefonisch an die sachbearbeitende Mitarbeiterin der Beklagten zu 2, die Zeugin ... und bestellte sich außergerichtlich für die offenen Entgeltansprüche der Klägerin. Die Zeugin ... sagte telefonisch die Abgabe eines weiteren Verjährungsverzichts zu und erklärte gegenüber dem Klägervertreter mit Fax vom 28.06.2017 einen Verjährungsverzicht mit einem den vorigen Erklärungen entsprechenden Wortlaut bis zum 31.12.2017.
Die Klägerin hat am 15.12.2017, eingegangen beim Amtsgericht Tübingen am 18.12.2017 Klage erhoben. Sie ist mit Verfügung vom 20.12.2017 zur Einzahlung des Vorschusses aufgefordert worden und hat diesem am 09.01.2018 eingezahlt, woraufhin die Klage den Beklagten am 23.01.2018 zugestellt wurde.
Die Klägerin behauptet, sie habe aufgrund des Verkehrsunfalls in Höhe von 1.302,70 Euro Aufwendungen für Urlaubsvergütung ihres Arbeitnehmers gehabt. Der Geschädigte ... habe seinen gesamten Jahresurlaub für das Jahr 2012 genommen. Er habe von seinem Urlaubsanspruch von 30 Tagen 17 Tage Urlaub im Jahr 2012 und 13 Tage Urlaub bis zum 07.03.2013 genommen, wobei für die Einzelheiten auf die Aufstellungen der Fehlzeitenübersicht (Bl. 213, 214 und 215 d.A.) verwiesen wird. Die Klägerin meint, dass sich der erstattungsfähige Urlaubsvergütungsanspruch unter Berücksichtigung des gesamten Jahresurlaubs des Geschädigten ergibt. Die Arbeitgeberin habe infolge des Unfalls ihres Beschäftigten Anspruch auf eine adäquate Gegenleistung für ihre Urlaubsentgelt- und Urlaubsgeldzahlungen. Daher sei ihr die Zahlungen anteilig für die unfallbedingte Fehlzeit zu erstatten. Es komme nicht darauf an, ob bis zum Schadensereignis bereits Urlaubstage aus diesem Jahr genommen wurden.
Die Klägerin behauptet, es seien auf künftig weitere Folgeschäden aus dem Unfallereignis möglich, da aufgrund der Art der unfallbedingten Verletzungen damit gerechnet werden könne, dass weitere Heilbehandlungen notwendig werden und weitere Kosten, Aufwendungen und Krankengeldzahlungen zu erbringen sind. Diese wären von der Klägerin aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zu tragen. Die Klägerin meint, dass die Entgeltfortzahlungsansprüche zwar verjährt seien, das Berufen der Beklagten auf die Verjährung aber rechtsmissbräuchlich sei. Die Klägerin habe auf den Verzicht vertraut und nur deswegen nicht sofort Klage erhoben, weil seitens der Beklagten ein weiterer Verjährungsverzicht abgegeben worden sei. Mit der Erklärung vom 28.06.2017 sei für sie erkennbar ein Verzicht auf die Verjährungseinrede bis zum 31.12.2017 gewollt gewesen.
Die Klägerin beantragt
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.031,14 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14. Oktober 2013 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagten darüber hinaus gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der Verletzung des Herrn ... aus dem Schadenereignis vom 30.6.2012 gegen 07.45 Uhr in Tübingen entstanden sind und noch entstehen werden.
- Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, der Klägerin 216,95 Euro vorgerichtliche Anwaltskosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie meinen, dass es bei der Berechnung des vom Schädiger zu erstattenden anteiligen Urlaubsentgelts maßgeblich auf die konkret genommenen Urlaubstage des Arbeitnehmers ankomme. Das Urlaubsentgelt sei anteilig nur für den Teil der die Urlaubstage zu erstatten, die der Geschädigte ... im Jahr 2012 vordem streitgegenständlichen Unfallereignis bereits genommen hatte.
Die Beklagten haben sich bezüglich der Klagforderung Ziffer 2 auf Verjährung berufen. Die Beklagten meinen, dass die am 28.06.2017 abgegebene Verjährungsverzichtserklärung ins Leere ging, da sie unter dem zulässigen inhaltlichen Vorbehalt stand, dass Verjährung bisher noch nicht eingetreten sei. Tatsächlich seinen die Ansprüche der Klägerin und des Geschädigten ... bereits mit Ablauf des 21.08.2016 verjährt gewesen. Sie meinen, dass die Berufung auf die Einrede der Verjährung keine unzulässige Rechtsausübung darstelle, da die rechtskundige Klägerin nur dann auf einen Verjährungsverzicht vertrauen könne, wenn dieser vorbehaltlos erklärt wird.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin .... Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 12.07.2018 und vom 28.02.2018 verwiesen. Die Klägerin hat nach der mündlichen Verhandlung mit nachgelassenem Schriftsatzrecht zum 7.3.2019 weitere Fehlzeitenansichten des Zeugen ... vorgelegt. Die Beklagten und die Klägerin haben zudem am 19.03.2019 respektive am 1.4.2019 weitere Schriftsätze zu den Akten gereicht.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
1.
Das Amtsgericht Tübingen ist nach § 20 StVG und 32 ZPO örtlich zuständig, auch soweit Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend gemacht werden.
2.
Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 6 EFZG, bezüglich der Beklagten zu 2 iVm § 115 VVG restlichen Schadenersatz in Form der Erstattung von Aufwendungen für Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.031,14 Euro verlangen. Für die Zeit der unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ihres Arbeitnehmers hat die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz des anteilig von ihr durch bezahlten Urlaub gewährten Urlaubsentgelts. Der Anspruch auf Zahlung von Urlaubsentgelt geht gemäß § 6 Abs. 1 EntgFG auf den Arbeitgeber über, soweit dieser dem bei ihm abhängig beschäftigten Geschädigten für die Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit bezahlten Urlaub gewährt hat (vgl. BGH v. 4. Juli 1972 - VI ZR 114/71, BGHZ 59, 109, 111 ff.; vom 13. Mai 1986 -VI ZR 80/85, VersR 1986, 968, 969; vom 7. Mai 1996 - VI ZR 102/95, BGHZ 133, 1, 9).
a) Für die Berechnung der Anspruchshöhe ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesamtjahresverdienst auf die Jahresarbeitstage unter Abzug der Urlaubstage umzulegen (vgl. BGH, Urteil v. 04.07.1972, VI ZR 114/71, BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12). Dem liegt zugrunde, dass während der Urlaubszeit nicht gearbeitet wird und der Jahresverdienst daher an den restlichen Arbeitstagen zu verdienen ist. War der Arbeitnehmer in einem Urlaubsjahr nur zeitweilig arbeitsunfähig, muss das Urlaubsentgelt auf das ganze Jahr verrechnet und entsprechend auf die Jahresarbeitstage aufgeteilt werden, wobei die Urlaubszeit in Abzug zu bringen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12, - juris Rn. 17; BGH, 4. Juli 1972 - VI ZR 114/71, juris, Rn. 14).
Zunächst ist zur Berechnung das jährliche Urlaubsentgelt zu bestimmen. Dann wird in einem zweiten Schritt der Anteil bestimmt, der auf die zeitweilige Arbeitsunfähigkeit entfällt. Der BGH stellt für diesen zweiten Schritt die folgende Berechnungsformel auf, die unfallbedingt ausgefallene Arbeitstage und Jahresarbeitstage ins Verhältnis setzt:
jährliches Urlaubsentgelt x unfallbedingt ausgefallene Arbeitstage
Jahresarbeitstage - Jahresurlaubstage
Ebenfalls anerkannt (vgl. LG Limburg, Urteil v. 10.08.2012 - 3 S 86/12; Jahnke, NZV 1996, 175) ist folgende Formel:
Urlaubsentgelt brutto x Krankheitskalendertage
365 Kalendertage - Urlaubstage
Gegen diese Berechnungsmethode hat der BGH in seiner Entscheidung vom 13.08.2013 nichts erinnert. Er hat es lediglich als rechtsfehlerhaft angesehen, dass das angefochtene Urteil des Landgerichts Limburg in seiner Berechnung krankheitsbedingt ausgefallene Arbeitstage mit Kalendertagen ins Verhältnis gesetzt hat (BGH, Urteil v. 13.08.2013, Az. VI ZR 389/12, - juris, Rn. 23).
Die gesamte Urlaubsvergütung wird von der Klägerin in ihrer Berechnung mit 8.091,79 Euro angegeben. Die Beklagten haben dies nicht bestritten. Die Klägerin berechnet sodann das anteilige Urlaubsentgelt nach der auf Kalendertage abstellenden Formel (vgl. Bl. 27 d.A.). Sie setzt für den Zeitraum vom 11.08.2012 bis 01.10.2012 insoweit konsequent Kalendertagen der Arbeitsunfähigkeit und Kalendertagen des Jahresurlaubs ins Verhältnis und kommt so zur geltend gemachten Summe von 1.302,70 Euro:
8.091,79 x 52 Kalendertage AU | = 1.302,70 |
365 - 42 Kalendertage des Jahresurlaubs |
Der Arbeitnehmer der Klägerin war vom 11.08.2012 bis zum 01.10.2012 arbeitsunfähig, was 52 Kalendertagen und bei einer 5-Tage-Woche in Baden-Württemberg 36 Arbeitstagen entspricht. Im Jahr 2012 waren von 365 Kalendertagen in Baden-Württemberg 250 Arbeitstage. Dem Arbeitnehmer der Klägerin stehen jährlich 30 Urlaubstage zu. Demnach wäre das auf die Fehlzeit entfallene Urlaubsentgelt nach der Formel des BGH mit 8.091,79 x 36 / 220 = 1.324,11 Euro zu berechnen. Somit ist der Klägerin aus der von der Formel des BGH abweichenden Berechnungsweise jedenfalls kein Vorteil entstanden.
b) Die angeführten Berechnungen gehen davon aus, dass der Geschädigte den gesamten ihm zustehenden Jahresurlaub genommen hat. Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Geschädigt ... den gesamten Jahresurlaub von 30 Tagen für 2012 genommen hat.
Die Klägerin hat die vom Geschädigten ... genommenen 30 Urlaubstage in 2012 und bis zum 07.03.2013 taggenau dargelegt und durch korrespondierende Fehlzeitenübersichten (Bl. 29, 214 f.) und Entgeltabrechnungen (K11 Bl. 30-40 und 155-158 d.A.) belegt. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass auf den Entgeltabrechnungen nicht gesondert der Urlaub auf dem laufenden Jahr oder der Resturlaub aus dem Vorjahr ausgewiesen sind. Der Einwand der Beklagten, dass aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich sei, ob der Anfang 2013 genommene Urlaub Resturlaub aus 2012 oder "neuer" Urlaub aus 2013 sei, verfängt dennoch nicht. Es erscheint dem Gericht vielmehr einzig lebensnah, dass ein Arbeitnehmer - ohne dass es dazu einer Anzeige oder näheren Bestimmung bedürfe - stets zuerst den Resturlaub aus dem vorigen Jahr in Anspruch nehmen wird, bevor dieser üblicherweise zum 31.03. des Folgejahres verfällt. Die Beklagten können daher den Vortrag der Klägerin nicht in dieser Weise pauschal bestreiten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es für die anteilige Berechnung nicht darauf an, ob der Urlaub vor oder nach dem Schadensereignis genommen wurden. Vielmehr ist der Betrag nur zu reduzieren, wenn ein Teil des Urlaubs nicht in Anspruch genommen wird (vgl. BGH v. 13.08.2013, aaO, Rn. 19 und 21). Dies ist hier nicht der Fall.
3.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
II.
Auch der Feststellungsantrag Ziff. 2 ist zulässig und begründet.
1.
Für das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse genügt es, insbesondere wenn ein absolut geschütztes Rechtsgut bereits verletzt oder dem Geschädigten ein Teilschaden schon entstanden ist, wenn die spätere Verwirklichung eines weiteren Schadens in absehbarer Zeit nach der Art der Verletzung möglich erscheint (BGH NJW 1993, 648 m. w. N.). Nach der Lebenserfahrung können alle Knochenverletzungen zu Komplikationen und Folgeschäden führen (BGH, NJW 1973, 702, beck-online). Dies kann hier angesichts der Schwere des Geschädigten ... erlittenen Verletzungen angenommen werden. Unstreitig hat sich der Geschädigte bei dem Unfall einen Lendenwirbelkörper gebrochen. Er war zudem mehrere Monate arbeitsunfähig. Dies begründet deshalb bei der Klägerin als Arbeitnehmerin des Geschädigten die Befürchtung, dass der Verletzte auch in Zukunft noch unter Folgen des Unfalls zu leiden haben würde, die weitere Aufwendungen im Wege der Entgeltfortzahlung nach sich ziehen.
2.
Der Feststellungsantrag ist auch begründet.
a) Unstreitig erlitt der Geschädigten ... durch den Unfall einen Bruch des Lendenwirbelkörpers. Dies stellt eine Verletzung dar, nach deren Art und Schwere nach Dafürhalten des Gerichts mit Spätfolgen und dem Eintritt weiterer Schadenspositionen bei der Klägerin gerechnet werden kann.
b) Im vorliegenden Fall ist es den Beklagten nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
aa) Der Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Eintrittspflicht ist verjährt.
Die Verjährung von Ansprüchen auf Ersatz von Unfallschäden erstreckt sich auch auf Spätfolgen, deren Eintritt im Zeitpunkt der allgemeinen Schadenkenntnis als möglich voraussehbar war. Dieser Grundsatz gilt auch für die nach § 4 LFZG, § 6 EFZG übergehenden Ansprüche (NZV 1996, 169; BGH, Urteil vom 20. April 1982 - VI ZR 197/80 -, juris). Die von der Beklagten zu 2) abgegebenen Verzichtserklärungen vom 03.09.2015 und vom 31.05.2016 hemmten nicht die Verjährung. Nach der Rechtsprechung des BGH wird durch einen vom Schuldner erklärten befristeten Verjährungsverzicht der Ablauf der Verjährung nicht beeinflusst. Die Forderung verjährte daher trotz Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen spätestens mit Ablauf des 21.08.2016, mithin drei Jahre nach der letzten Schadensersatzzahlung durch die Beklagte zu 2) an den Geschädigten ....
bb) Die Beklagte zu 2) ist jedoch aufgrund der von ihr abgegeben Verjährungsverzichtserklärung vom 28.06.2017 aus Treu und Glauben daran gehindert, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
Folge eines Verjährungsverzichts ist regelmäßig, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, für den genannten Zeitraum ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW 2009, 1598 Rn. 22 mwN). Die Verzichtserklärung hat üblicherweise zum Inhalt, dass der Schuldner bis zum Ablauf der von ihm eingeräumten Frist die Einrede der Verjährung nicht erheben wird. Da der Verzicht den Gläubiger von der Notwendigkeit der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs entheben soll, bleibt er auch nach Ablauf der vom Schuldner eingeräumten Frist wirksam, wenn der Gläubiger die Streitsache vor Ablauf der Frist rechtshängig macht, wobei die Zustellung des Antrags in entsprechender Anwendung des § 167 ZPO auf den Eingang des Antrags zurückwirkt (vgl. BGH, NJW 2009, 1598 = NZI 2009, 486 = NZG 2009, 582 Rn. 22 mwN).
Vorliegend wurde am 28.06.2017, also bereits nach Eintritt der Verjährung, aber zwei Tage vor Ablauf der Frist der letzten Verzichtserklärung ein weiterer Verjährungsverzicht bis zum 31.12.2017 erklärt. Die Klägerin hat mit Eingang bei Gericht am 15.12.2017 Klage erhoben, wobei die erst am 23.01.2018 erfolgte Zustellung an die Beklagten zurückwirkt. Diese ist in Sinne des § 167 ZPO "demnächst" erfolgt, nachdem der Klägervertreter unter Abgabe einer Kosteneinstandserklärung Klage erhoben hat, die Zahlungsaufforderung erst am 20.12.2017 erging und der Vorschuss bereits am 09.01.2018 einbezahlt wurde.
cc) Die Beklagten müssen sich im vorliegenden Fall daran festhalten lassen, bis zum 31.12.2017 auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.
Die Reichweite eines Verjährungsverzichts ist durch Auslegung der Verzichtserklärung zu ermitteln. Die Verzichtserklärung der Beklagten zu 2 vom 28.6.2018 wurde unter dem zulässigen Vorbehalt erklärt, dass die Ansprüche nur umfasst sind, "sofern bislang Verjährung noch nicht eingetreten ist." Nach dem Wortlaut der Erklärung könnte damit naheliegend gemeint sein, dass nur bezüglich solcher Ansprüche ein Verzicht erklärt werden soll, für die zum Zeitpunkt der Abgabe nicht bereits Verjährung eingetreten ist. Allerdings ist auch der Kontext der abgegebenen Erklärung zu beachten. Die Beklagte gab insgesamt drei Erklärungen mit dem identischen Vorbehalt und ab, die sich jeweils nur hinsichtlich der Frist unterschieden. Daher konnte die Erklärung aus Sicht der Klägerin auch so verstanden werden, dass mit dem neuen Verjährungsverzicht an die bisherigen Verzichtserklärungen angeknüpft werden sollte und sich die Beklagte bis zum Ablauf dieser Frist nicht auf Verjährung berufen werde.
Die Berufung auf die Einrede der Verjährung kann treuwidrig sein, wenn der Schuldner bei dem Gläubiger den Eindruck erweckt oder aufrechterhalten hat, dessen Ansprüche befriedigen oder doch nur mit sachlichen Einwendungen bekämpfen zu wollen, und den Gläubiger dadurch von der rechtzeitigen Erhebung einer Klage abgehalten hat (BGH Urt. v. 1.7.2014 - VI ZR 391/13, BeckRS 2014, 17219, beck-online, mit Verweis auf Senatsurteile vom 12. Dezember 1978 - VI ZR 159/77, VersR 1979, 284 f.; vom 4. November 1997 - VI ZR 375/96, VersR 1998, 124, 125; vom 17. Juni 2008 - VI ZR 197/07, VersR 2008, 1350 Rn. 28, 31; BGH, Urteile vom 3. Februar 1953 - I ZR 61/52, BGHZ 9, 1, 5 f.; vom 14. November 2013 - IX ZR 215/12, DB 2014, 479 Rn. 15 jeweils mwN).
Vorliegend hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin durch die Abgabe der Verzichtserklärung vom 28.06.2017 von der rechtzeitigen Erhebung der Klage abgehalten wurde. Die Zeugin ... gab an, dass sie als Sachbearbeiterin für die Beklagte den Verjährungsverzicht erklärte, zwei Tage bevor die bisherige Verjährungsfrist abgelaufen wäre. Da sich der jetzige Klägervertreter erst so kurzfristig vor Ablauf der Frist aus dem vorhergehenden Verjährungsverzicht bestellt habe, habe sie erneut einen Verzicht erklärt, da er sonst sogleich Klage hätte erheben müssen.
Die Abgabe einer Verzichtserklärung und das Berufen auf eine in dieser Zeit eingetretene Verjährung stellen sich vorliegend als widersprüchliches Verhalten dar. Ein widersprüchliches Verhalten ist dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen vgl. BGH Urt. v. 1.7.2014 - VI ZR 391/13, BeckRS 2014, 17219, beck-online); Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 242 Rn. 55).
Die Beklagte zu 2) beruft sich darauf, dass es an der rechtskundigen Klägerin gewesen wäre, sich zu versichern, dass ein vorbehaltloser Verjährungsverzicht vorliege, bevor man von einer Klageerhebung absieht. Dies überzeugt nicht. Die Zeugin ... gab an, dass für die Beklagte zu 2) stets die identische Verzichtserklärung - also stets mit dem Vorbehalt - abgegeben werde. Vorher werde auch seitens der Beklagten zu 2) nicht geprüft, ob die Ansprüche tatsächlich bereits verjährt seien. Im vorliegenden Fall wäre für die Klägerin ihrerseits eine komplexere Verjährungsprüfung erforderlich gewesen, um festzustellen, wann nach Ablauf der Verjährungsfrist nach letztmaliger Zahlungen an den Zeugen ... Verjährung eingetreten ist und ob somit der beklagtenseits erklärte Verjährungsverzicht womöglich ins Leere geht. Eine solche Prüfung hätte einige Zeit in Anspruch genommen, sodann hätte auf die Beklagte zu 2) eingewirkt werden müssen, um einen vorbehaltlosen Verzicht zu erzielen. Es liegt nahe, dass die Klägerin stattdessen innerhalb der verbleibenden zwei Tage Klage erhoben hätte. Eine vorschnelle Klageerhebung sollte im Interesse beider Parteien durch die Verzichtserklärung bis zum 31.12.2017 verhindert werden. Es ist gerade Sinn der Abgabe von Verjährungsverzichtserklärungen beiderseits Klarheit über die Frist zur Klagerhebung zu schaffen. Wenn die Beklagte zu 2) die Klägerin durch die fristgemäße Verlängerung eines Verjährungsverzichts von einer Klage innerhalb der noch laufenden Frist abhält und auch abhalten wollte, kann sie sich nicht nachträglich auf die Einrede der Verjährung berufen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708, 711 ZPO.
Link zu juris: https://www.juris.de/perma?d=JURE190008303
Verletzung des Willkürverbots durch Abweisung eines Folgeschäden-Feststellungsantrags - Prelinger, jurisPR-MedizinR 5/2019, Anm. 3 (Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.03.2019 - 1 BvR 1235/17)
Verletzung des Willkürverbots durch unvertretbare Teilabweisung einer Schadensersatzklage
Leitsatz
Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen erst und nur dann vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich.
A. Problemstellung
Besteht infolge eines Schadensereignisses die entfernte Möglichkeit, dass weitere Personenschäden eintreten, so kann der Anspruchsteller im Schadensersatzprozess die Feststellung der Eintrittspflicht des Schädigers für sämtliche Schäden aus dem Schadensereignis feststellen lassen. Leider wird aber oftmals verkannt, dass der Geschädigte ein Feststellungsinteresse auch hinsichtlich der bisherigen noch nicht bezifferten materiellen Schäden hat, da hier gerade nicht der Vorrang der Leistungsklage gilt (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 19.04.2016 – VI ZR 506/14). Wenn das Berufungsgericht von dieser höchstrichterlich gefestigten Rechtsprechung abweichen möchte, dann bedarf es hierzu einer dezidierten und nachvollziehbaren Begründung.
Das BVerfG erkannte es daher als willkürlich, wenn keine bzw. keine nachvollziehbare Begründung für die Abweichung von der – vom Berufungsgericht zudem selbst erkannten – höchstrichterlichen Rechtsprechung erfolgt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beschwerdeführer wurde vom Fahrzeug einer Versicherungsnehmerin der beklagten KFZ-Haftpflichtversicherung erfasst, wodurch er schwere Verletzungen am Bein erlitt. Nach rechtskräftiger Verurteilung der Beklagten zum Ersatz erlittener Verdienstausfallschäden für den Zeitraum bis zum 30.09.2009 in einem ersten Prozess machte er in dem hier gegenständlichen weiteren Prozess unter anderem den Ersatz von konkret bezifferten Verdienstausfallschäden für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis zum 31.12.2012 und den Ersatz immaterieller Schäden für den Zeitraum ab dem 01.10.2009 geltend. Zugleich begehrte er im Wege einer Klageerweiterung die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm jeden weiteren, ab dem 01.01.2013 entstehenden oder entstandenen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der auf dem Verkehrsunfall vom 02.06.2009 beruht.
Das Landgericht erkannte mit Urteil vom 21.08.2014 hinsichtlich des Feststellungsantrags lediglich, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Beschwerdeführer alle weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 02.06.2009 „künftig“ entstünden, nicht also weitere, bislang unbezifferte Schäden aus dem bisherigen Zeitraum.
Das OLG Frankfurt erkannte infolge der Berufung hierzu späterhin ebenfalls nur: „Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 02.06.2009 ‚künftig‘ entstehen wird. …“.
Dabei sprach das Oberlandesgericht dem Geschädigten den bezifferten Verdienstausfall vollständig zu. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes hatte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass der bezifferte Anspruch für bereits eingetretene und zukünftige bereits erkennbare Beeinträchtigungen abschließend sein solle. Bezüglich des Feststellungsantrags wurde lediglich an die Ausführungen zum Schmerzensgeld angeknüpft und ausgeführt, dass eine erneute willkürliche zeitliche Begrenzung unzulässig sei, da die beklagten Schmerzen permanent und die dauerhafte sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei. Mit dem Feststellungsantrag bleibe daher angeblich nur Raum für „ungewisse, noch nicht erkennbare“ Zukunftsschäden. Nur mit diesen könne auch der materielle Vorbehalt korrelieren. Eine weitergehende Begründung der Klageabweisung hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für die bisherigen Schäden im Zeitraum vom 01.01.2013 bis zur Entscheidung des Gerichts enthielt die Entscheidung nicht.
Das BVerfG erkannte hierin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liege bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst und nur dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sei und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhe (BVerfG, Beschl. v. 01.07.1954 – 1 BvR 361/52 – BVerfGE 4, 1, 7; BVerfG. Beschl. v. 13.01.1987 – 2 BvR 209/84 – BVerfGE 74, 102, 127; BVerfG, Beschl. v. 13.11.1990 – 1 BvR 275/90 – BVerfGE 83, 82, 84; BVerfG, Beschl. v. 03.11.1992 – 1 BvR 1243/88 – BVerfGE 87, 273, 278 f.). Das sei anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters sei nicht erforderlich. Die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein mache eine Gerichtsentscheidung noch nicht willkürlich. Willkür liege vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt werde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.05.1993 – 1 BvR 208/93 – BVerfGE 89, 1, 13 f.).
Dieses sei hier der Fall, da das Berufungsgericht die festzustellenden Ansprüche des Beschwerdeführers unter Hinweis auf die Feststellung „künftiger“ Ansprüche beschränkt habe, dass die beklagten Schmerzen permanent seien und die dauerhaft sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei, so dass das ausgeurteilte Schmerzensgeld diese Schmerzen abschließend abdecke und mit dem Feststellungsantrag nur Raum für ungewisse – immaterielle – Zukunftsschäden verbleibe.
Die Begründung, dass der materielle Vorbehalt nur mit dem Schmerzensgeld korrelieren könne, sei bei objektiver Betrachtung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Die Ausführungen tragen zwar die Beschränkung des Feststellungsausspruchs für immaterielle Schäden auf solche, die ungewiss in der Zukunft liegen. Warum dies aber auch eine Einstandspflicht für materielle Schäden aus dem Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts am 08.07.2016 ausschließen soll, lasse sich der Begründung nicht entnehmen. Der Beschwerdeführer hatte die beziffert geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche ausdrücklich auf den Zeitraum bis einschließlich 31.12.2012 beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist unverständlich, dass das Oberlandesgericht einen zukünftigen Verdienstausfall des Beschwerdeführers zwar ausdrücklich für möglich gehalten, die Klage aber dennoch für die Zeit ab dem 01.01.2013 teilweise abgewiesen hat. Der Hinweis auf einen Gleichlauf materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche sei nicht nachvollziehbar.
Dies gelte erst Recht, weil das Oberlandesgericht den Feststellungsanspruch nicht als unzulässig, sondern als unbegründet angesehen habe, ohne zu konkreten Verdienstausfällen des Beschwerdeführers im Zeitraum bis zur mündlichen Verhandlung Feststellungen zu treffen.
C. Kontext der Entscheidung
Das BVerfG bezog sich auf seine bisherige gleichlautende Rechtsprechung zum Willkürverbot.
Auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (Beschl. v. 12.04.2019 – 25/18) erkannte jüngst dem folgend, dass ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliege, wenn sich ein Gericht mit seiner rechtlichen Beurteilung ohne nachvollziehbare Begründung in Widerspruch zu einer durch Rechtsprechung und Schrifttum geklärten Rechtslage setzt oder das Gericht den Inhalt einer Norm krass missdeute, so dass sich der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (VerfG Potsdam, Beschl. v. 21.09.2018 – VfGBbg 180/17). Auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts komme es nicht an (BVerfG, Beschl. v. 18.03.2005 – 1 BvR 113/01). Eine Begründung der Entscheidung sei verfassungsrechtlich dann geboten, wenn ein Gericht von der höchstrichterlichen Auslegung einer Norm abweicht, weil die Gerichte nur dem Gesetz unterworfen sind und bei der Auslegung und Anwendung von Normen weder einer vorherrschenden Meinung folgen noch den von einem übergeordneten Gericht vertretenen Standpunkt zugrunde legen müssen, sondern ihre eigene Rechtsauffassung vertreten können. Mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 2 Abs. 5 LV Brdbg.) verlange das Willkürverbot jedoch, dass die eigene Auffassung begründet wird (BVerfG, Beschl. v. 07.07.2014 – 1 BvR 1063/14).
Diesem Begründungserfordernis entsprach das Oberlandesgericht vorliegend nicht. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen Schäden bei noch nicht abgeschlossener Schadensentwicklung nicht fortlaufend beziffert werden. Der Geschädigte kann einfach nur eine Feststellungsklage erheben, er kann aber auch eine kombinierte Leistungs- und Feststellungsklage erheben, braucht aber nicht die bezifferbaren Schäden abschließend bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zu beziffern (kein Vorrang der Leistungsklage, vgl. BGH, Urt. v. 04.12.1986 – III ZR 205/85; BGH, Urt. v. 21.02.1991 – III ZR 204/89; BGH, Urt. v. 04.06.1996 – VI ZR 123/95; BGH, Urt. v. 28.09.1999 – VI ZR 195/98; BGH, Urt. v. 08.07.2003 – VI ZR 304/02; BGH, Urt. v. 17.10.2003 – V ZR 84/02; BGH, Urt. v. 19.04.2016 – VI ZR 506/14; Prelinger, jurisPR-VerkR 11/2015 Anm. 1, und Prelinger, jurisPR-MedizinR 6/2016 Anm.4). Diese Rechtsprechung hätte daher eindeutig zu der Erkenntnis führen müssen, dass auch die Eintrittspflicht der Beklagten für sämtliche weiteren bisherigen, noch nicht bezifferten Schäden hätte festgestellt werden müssen und somit auch diejenigen (materiellen) Verdienstausfallschäden erfasst gewesen wären, die ab dem 01.01.2013 entstanden.
Die falsche Rechtsanwendung allein führt aber noch nicht zu einem Verstoß gegen das Willkürverbot. Das Oberlandesgericht erkannte die vorstehend zitierte Rechtsprechung sogar und zog sie zutreffend in seine Erwägungen mit ein, aber verwarf sie dann plötzlich ohne jede nachvollziehbare Begründung. Es hat stattdessen einfach die festzustellenden Ansprüche des Beschwerdeführers auf die Feststellung „künftiger“ Ansprüche beschränkt mit der Begründung, dass die Schmerzen permanent und die dauerhaft sportliche Einschränkung sicher vorhersehbar sei, so dass das ausgeurteilte Schmerzensgeld diese Schmerzen abschließend abdecke und mit dem Feststellungsantrag daher angeblich nur Raum für ungewisse immaterielle Zukunftsschäden verbleibe. Es hat dann weiter nur ausgeführt, dass auch der materielle Vorbehalt nur mit diesem korrelieren könne. Es hat damit in einer völlig unverständlichen Weise entgegen der dargestellten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne jede verständliche Begründung der Erkenntnis entzogen, dass mit dem Feststellungsantrag sehr wohl auch bisherige materielle Schäden geltend gemacht werden können.
Erschwerend kam hinzu, dass das Oberlandesgericht den Feststellungsantrag teilweise als unzulässig hätte abweisen müssen, ihn aber sogar als unbegründet abwies, ohne zuvor überhaupt den mit dem Feststellungsantrag geltend gemachten Verdienstausfall zu prüfen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Bedeutung der Entscheidung ist für die Praxis erheblich; sie setzt ein deutliches Signal an die Instanzgerichte, nicht nachlässig und nach Gutdünken ohne nachvollziehbare Begründung zu entscheiden.
Die Entscheidung schützt somit auch die Prozessparteien davor, dass die Gerichte gefestigte Rechtsprechung leichtfertig übergehen und damit gerichtliche Entscheidungen gar nicht mehr prognostizierbar sind. Jeder Anwalt muss sich bereits bei der vorgerichtlichen Beratung an der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren. Umso mehr darf die vertretene Partei erwarten, dass sich das Gericht mit dieser dezidiert auseinandersetzt und nicht völlig an den Haaren herbeigezogene und unvorhersehbare Erwägungen anstellt.
Kein Richter sollte leichtfertig mit diesem wichtigen Grundrecht umgehen. Denn ein Verstoß gegen das Willkürverbot bringt die zuständigen Richter auch dem Verdacht der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB gefährlich nahe, da diese ebenfalls die unvertretbare Rechtsanwendung und insbesondere auch die Verletzung von Verfahrensregeln umfasst (BGH, Beschl. v. 15.08.2018 – 2 StR 474/17). Auch wurden die Anforderungen an den subjektiven Tatbestand 2014 deutlich herabgesetzt, da bereits bedingter Vorsatz für das Vorliegen eines Rechtsverstoßes ausreicht. Direkter Vorsatz ist nur für die Bedeutungskenntnis erforderlich, also hinsichtlich der Schwere des Rechtsverstoßes. Damit soll ein sachwidriges Privileg für Richter ausgeschlossen werden, die unter bedingt vorsätzlicher Anwendung objektiv unvertretbarer Rechtsansichten bei der Entscheidung von Rechtssachen Normen verletzen, deren grundlegende materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Bedeutung für die Rechtsordnung im Allgemeinen oder für die zu entscheidende Sache ihnen bewusst ist (BGH, Urt. v. 22.01.2014 – 2 StR 479/13). Vereinzelt bekommt man den Eindruck, dass sich manche Richter dessen nicht bewusst sind und immer noch davon ausgehen, eine Rechtsbeugung sei nur in dem extrem seltenen Fall einschlägig, dass der Richter mit direktem Vorsatz das Recht wissentlich falsch anwendet.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Gericht zwar – insbesondere in Hinblick auf Art. 97 GG – von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen kann. Er kann diese nicht aber einfach ohne oder ohne nachvollziehbare Begründung übergehen, sondern muss sich mit dieser auseinandersetzen, eine Abweichung davon nachvollziehbar begründen und wird dann auch wegen Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Zugang in eine höhere Instanz ermöglichen müssen, §§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, 511 Abs. 4 Nr. 1, 574 ZPO (Divergenzvorlage).
© juris GmbH